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Inhaltsangabe Analyse Frühling 1994 - Pessach 5754

Editorial - März 1994
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Multilateralen Verhandlungen

Von Roland S. Süssmann
Die sehr ausführliche Berichterstattung der Medien über die Entwicklung der Gespräche Rabin-PLO rückte bestimmte Aspekte der zwischen Israel und der arabischen Welt weitergeführten Friedensverhandlungen etwas in den Hintergrund. Erinnern wir kurz daran, dass die Madrider Konferenz drei Teile umfasste: die eigentliche Konferenz, die bilateralen Verhandlungen von Washington, an denen Israel mit jedem Land der Region gesondert verhandelt, und die multilateralen Gespräche, an denen 38 Länder teilnehmen.
Die multilateralen Verhandlungen wurden in fünf Arbeitsgruppen aufgeteilt, die sich mit jeweils einem regionalen Problem befassen. Dazu gehören die Umwelt (siehe SHALOM Vol.XV), das Wasser (siehe SHALOM Vol.XVI), die Flüchtlinge (siehe SHALOM Vol.XVII), die wirtschaftliche Entwicklung und die Abrüstung. Die Grundidee beruht auf folgendem Konzept: sollten die bilateralen Gespräche zum Frieden zwischen den Staaten führen, ermöglichen die multilateralen Verhandlungen mit der Unterstützung der gesamten Welt anschliessend die Schaffung einer besseren Zukunft für den Mittleren Osten. Das Hauptziel ist die Förderung der Investitionen in dieser Region und die Verbesserung der Lebensqualität. Bis heute werden die multilateralen Verhandlungen immer noch von Syrien und Libanon boykottiert. Im Gegensatz zu den Sitzungen der UNO werden hier alle Beschlüsse mit ausschliesslicher Einstimmigkeit angenommen, nachdem darüber verhandelt wurde und man sich gegenseitig überzeugt hat. Um eine vollständige Analyse des gegenwärtigen Verhandlungsstandes zu ermöglichen, haben wir Brigadegeneral FREDDY ZACH, den Hauptkoordinator aller Kommissionen für die ganze israelische Delegation, um ein Gespräch gebeten.


Können Sie uns in wenigen Worten die Natur und den Gegenstand der Verhandlungen darlegen und uns vor allem sagen, ob sie bisher zu konkreten Ergebnissen geführt haben ?

Die multilateralen Verhandlungen wollen unter keinen Umständen die bilateralen Gespräche ersetzen, die etwas ins Stocken geraten sind. Sollte der Frieden nicht mit Hilfe der bilateralen Gespräche erreicht werden, bleiben die multilateralen Verhandlungen völlig wertlos. Im Verlauf der letzten Sitzungen haben wir jedoch eine positive Entwicklung in der Einstellung, der Konzeption und der Qualität der Kontakte und der Arbeit der Delegierten feststellen können. Die erste Zusammenkunft vor ungefähr anderthalb Jahren diente in gewissem Sinne der gegenseitigen Beobachtung, dem Kennenlernen. Anlässlich der zweiten Sitzung vor einem Jahr wurden die Länder bestimmt, die für die verschiedenen Projekte verantwortlich sind. Im Verlauf der dritten Sitzung haben wir die Bedürfnisse definiert, Durchführbarkeitsstudien angeordnet und Seminare organisiert. Ende Dezember 1993 schritten wir vor Ort zur Verwirklichung bestimmter Projekte.


Sind Sie mit der Entwicklung des Prozesses zufrieden ?

Nein, nicht ganz, denn wir stellen zwar einige Weiterentwicklungen und Verbesserungen fest, doch insgesamt sind die Ergebnisse nicht ausreichend. Wir hatten raschere Fortschritte und grössere Erfolge erwartet, wie beispielsweise die Teilnahme Syriens und des Libanons. Die multilateralen Verhandlungen haben allerdings eine andere Bedeutung angenommen. Zu Beginn nahm sie niemand ernst, sie galten als die "armen Verwandten" des Friedensprozesses, als eine Art Trostgeschenk für Israel, von dem man umfassende Zugeständnisse bei den bilateralen Gesprächen erwartet hatte. Heute können die multilateralen Verhandlungen, die früheren "armen Verwandten", seltsamerweise eine Reihe von Erfolgen verbuchen, was bei den bilateralen nicht der Fall ist. Unter den Delegierten herrscht eine Atmosphäre des Vertrauens und der Ehrlichkeit. Zu einem der Faktoren, der zur Schaffung dieses Klimas beigetragen hat, gehören die persönlichen Kontakte, für deren Entstehung wir Israelis uns sehr eingesetzt haben. Die Tatsache, in den Fluren mit den Delegierten aus Saudiarabien und den Golfstaaten arabisch zu sprechen, ihre Mentalität und ihre Traditionen zu kennen, ist ungeheuer wichtig. Auf diesem Weg ist es uns gelungen, das Eis zu brechen. Wir haben uns die Aufgaben aufgeteilt. Jeder israelische Abgeordnete war für die Kontakte und die Koordination mit einer spezifischen Gruppe verantwortlich: der eine für die USA, ein anderer für Europa. Da ich als einziger arabisch spreche, habe ich mich von Anfang an um freundschaftliche Beziehungen bemüht. Ich kann ohne zu Zögern bestätigen, dass das Vertrauen, das wir zu unseren arabischen Nachbarn haben entstehen lassen, eine ausgezeichnete Grundlage für die Zukunft darstellt. Wir sind einen sehr wichtigen Schritt weitergekommen. Heute haben sogar die Palästinenser, die anfangs nur von der Politik sprachen und die multilateralen Verhandlungen zur Erlangung politischer Vorteile einsetzen wollten, den Dialog mit den Jordaniern und den Ägyptern aufgenommen und planen die Verwirklichung konkreter Projekte.


Worum handelt es sich bei diesen Projekten konkret und wie können sie realisiert werden ?

Die Liste der Möglichkeiten ist lang und die finanziellen Mittel knapp. Es wurde daher beschlossen, dass jede Arbeitsgruppe repräsentative Projekte gemäss einer Prioritätenliste verabschiedet. Frankreich z.B. wurde mit dem Strassenbau beauftragt, wobei eine Strasse Amman mit Jerusalem, eine andere Ägypten, Israel und Jordanien um den Golf von Akaba herum verbinden soll. Wir wünschen uns ausserdem eine Verlängerung dieser Strasse bis nach Saudiarabien, da das Ziel die Ankurbelung des Tourismus ist. Heutzutage muss Japan den Tourismus entwickeln, da es gegenwärtig unmöglich ist, Rundreisen in Jordanien mit Ausgangspunkt in Israel zu organisieren. Auch dies gehört zu den bilateralen Gesprächen. In diesem Sinne wurde ebenfalls geplant, Leitungen für elektrischen Strom zu verlegen, um den gegenseitigen Energieaustausch zwischen den Ländern der Region zu ermöglichen. Die von den Europäern geleitete Arbeitsgruppe für Wirtschaft hat soeben ein Budget von 9 Millionen US$ für die Untersuchung der Durchführbarkeit dieser Projekte bewilligt. Der Auftrag Grossbritanniens besteht darin, ein regionales Bankensystem zu schaffen, Deutschland soll eine regionale Handelszone kreieren, die - so hoffen wir - nach und nach zur Entschärfung des arabischen Wirtschaftsboykotts beitragen wird. Die Weltbank verwaltet die finanziellen Mittel, die von den verschiedenen Ländern zur Verfügung gestellt werden.


Alle diese Projekte werden demnach von der internationalen Gemeinschaft zugunsten der Region und ihrer Bevölkerung finanziert. Werden auch die jüdischen Einwohner Judäas, Samarias und Gazas davon profitieren ?

Die in Washington unterzeichnete Grundsatzerklärung besagt, dass die jüdischen Einwohner der Gebiete in den Genuss sämtlicher Regierungsdienstleistungen kommen, von denen alle israelischen Staatsbürger profitieren. Die Regierung Israels ist dafür verantwortlich, den in diesen Regionen lebenden Israelis Sicherheit und die genannten Dienstleistungen zuzusichern. Die im Rahmen der multilateralen Verhandlungen entwickelten Projekte betreffen schliesslich die gesamte Region. Die jüdischen Bewohner der Gebiete gehören genauso zu dieser Zone wie alle anderen Bürger.


Glauben Sie, dass sich ihre Situation langfristig verbessern wird ?

Sehr langfristig, ja, bestimmt.


Diese Projekte spielen sich also ausschliesslich auf Regierungsebene ab. Wie steht es mit privaten Initiativen ?

Sie wurden nicht vergessen. Anfang Februar 1994 wurde in Washington ein von den multilateralen Verhandlungen organisiertes privates Wirtschaftsseminar abgehalten. Jede Delegation lud 25 Geschäftsleute dazu ein, die während drei Tagen zusammentrafen, um gemeinsame Wirtschafts- und Handelsprojekte für die Region auszuarbeiten.


Existieren konkrete Pläne im Bereich Wasser und Umwelt ?

In Bezug auf das Wasser stehen drei grosse Themenkreise im Mittelpunkt: die Filtrierung des Wassers und die Abwasseraufbereitung für die Bewässerung (unter der Leitung der Weltbank), das Auffangen und die Konservierung von Regenwasser (unter der Ägide Japans), die Wasserentsalzung (Europa und Japan).
Im Bereich der Umwelt wurden bedeutende Projekte im Rahmen des Golfs von Akaba festgehalten. Vier Länder sind davon betroffen, wobei alle über Hafenanlagen am Golf verfügen: Israel, Jordanien, Ägypten und Saudiarabien. Die Verschmutzungsgefahren sind riesig, und es wurde eine Form der direkten Kooperation und der gegenseitigen Unterstützung beschlossen. Dazu muss jedes Land identische Ausrüstungen besitzen. 1994 haben Ägypten, Jordanien und Israel mit der Zusammenarbeit begonnen, um Projekte einzuführen, darunter insbesondere ein System zum Schutz der Mittelmeerküste, um die Belastung des Meers zwischen Israel und Ägypten zu verhindern. Ein weiteres Tätigkeitsfeld der Arbeitsgruppe Umwelt ist der Kampf gegen die Versteppung und für die Bepflanzung der in dieser Region so zahlreichen Wüstengebiete. In diesem Bereich blickt Israel auf umfassende Erfahrungen zurück, und die Arbeit schreitet unter der Leitung der Weltbank kräftig voran.


Das Flüchtlingsproblem ist von höchster Bedeutung. Sollte darüber nicht vielmehr in den bilateralen Verhandlungen diskutiert werden ?

Es gibt tatsächlich ein zu diesem Zweck vorgesehenes Komitee im Rahmen der Multilateralen, das erstaunliche Resultate hervorbringt. Im Verlauf der letzten, in Tunis abgehaltenen Konferenz zum Flüchtlingsthema konnten wir einen radikalen Umschwung in der Einstellung der palästinensischen Delegation, selbst ihrer ausserhalb der Gebiete lebenden Mitglieder, wahrnehmen. Zum allerersten Mal haben die Palästinenser den Gedanken akzeptiert, dass eine Verbesserung der Lebensbedingungen in den Flüchtlingslagern, nicht nur in Judäa, Samaria und Gaza, sondern auch in den Lagern in Jordanien, Syrien und Libanon, eine Notwendigkeit darstellt. Die Delegation sprach sogar von neuen Behausungen für die Bewohner der Lager, unter der Bedingung, dass es sich nicht um ein separates, sondern um ein Projekt handelt, das Teil eines breitangelegten Wohnungsbauprogrammes ist. Mehrere Länder haben diesen Plan bereits gutgeheissen. Vor kurzem hat ein kanadischer Delegierter alle Lager der Region, selbst diejenigen in Syrien besucht, obwohl sein Land gar nicht an den multilateralen Verhandlungen teilnimmt.


Glauben Sie wirklich, dass die seit Jahren in diesen Lagern lebenden Palästinenser den alten Traum ihres Rechts auf Rückkehr aufgegeben haben ?

Einige von ihnen behaupten es, doch ich bin persönlich nicht davon überzeugt. Natürlich hat sich etwas verändert, weiterentwickelt, doch meiner Ansicht nach ersetzt oder verdrängt die Tatsache, in neuen Häusern leben zu wollen, nicht die politischen Ziele dieser Bevölkerung. Heute akzeptieren sie aber immerhin Umsiedlungsprogramme innerhalb der Lager, was sie bisher kategorisch abgelehnt hatten. Ausserdem wurden zahlreiche humanitäre Projekte zugunsten der Kinder und der Gesundheit in die Wege geleitet. Das Abrüstungskomitee hingegen befindet sich noch im Versuchsstadium. Es finden regelmässig Zusammenkünfte und Seminare statt, doch es sind noch keine konkreten Resultate ersichtlich und es bestehen natürlich noch keine regionalen Projekte.


Im Verlauf des vergangenen Jahres sind Sie in der ganzen Welt herumgereist, darunter vor allem nach Moskau, Beijing, Tokio und Genf, um an den verschiedenen Arbeitssitzungen der multilateralen Verhandlungen teilzunehmen. Denken Sie nicht, dass diese in der betroffenen Region abgehalten werden sollten, schon nur um Steuergelder zu sparen ?

Die Dinge entwickeln sich sehr langsam, doch die Konferenz nähert sich nach und nach der Region. 1993 fand eine Session in Tunesien statt; als erster israelischer General habe ich diesem Land einen offiziellen ...und legalen Besuch abgestattet. 1994 werden fast alle Verhandlungen in der Region abgehalten werden. Das Komitee für Wasser tritt demnächst in Oman zusammen, dasjenige für Rüstungskontrolle in Qatar, Marokko empfängt die Wirtschaftsgruppe, Tunesien das Koordinationskomitee, und in Kairo versammelt sich die Flüchtlingskommission. Nur die Delegation für Umwelt wird in Holland tagen. Es ist noch zu früh, um die Organisation derartiger Konferenzen in Israel oder Jordanien zu planen. Diesen Vorschlag haben wir im übrigen noch gar nicht gemacht.


Können Sie abschliessend sagen, dass die multilateralen Verhandlungen wirklich sinnvoll und effizient sind ?

Wenn die bilateralen Gespräche weitergeführt werden, besitzen wir gewisse Aussichten auf Erfolg. Werden sie jedoch eingestellt, finden auch die multilateralen Verhandlungen ein Ende. Alle im Rahmen der bilateralen Gespräche erzielten Erfolge wirken sich äusserst positiv auf die mehrseitigen Verhandlungen und bei der Verwirklichung der entwickelten Projekte vor Ort aus. Ich glaube jedoch, dass die multilateralen Verhandlungen ganz unabhängig von den Resultaten für Israel nicht negativ sein können, sondern einen ausgezeichneten Weg zur Verbesserung unserer persönlichen Beziehungen zu unseren unmittelbaren Nachbarn darstellen.



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