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Inhaltsangabe Georgien Herbst 2007 - Tischri 5768

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Rosch Haschanah 5768
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Jerusalem und Tiflis

S.E. Shabtai Tsur. (Foto: Bethsabée Süssmann)

Von Roland S. Süssmann
Während des Flugs mit der Georgian Airways von Tel Aviv nach Tiflis bot mir die Hostess ein wöchentlich erscheinendes georgisches Wirtschaftsmagazin namens Georgian Business Week zur Lektüre an. Einer der Hauptbeiträge erschien unter der Schlagzeile „Georgische Geschäftsleute als Teilnehmer am Business Forum Georgien - Israel in Tel Aviv!“. Im Artikel war zu lesen, dieses Treffen habe einmalige Gelegenheiten zur Entwicklung gemeinsamer Projekte im Bereich Bankwesen, Transport, Gesundheit und Tourismus geboten. Besonders betont wurde die Tatsache, dass die sehr grosse georgische Handelsdelegation unter der Leitung des Ministers für Wirtschaftsentwicklung stand und dass der Bürgermeister von Tiflis sowie zahlreiche Regierungsangehörige zu diesem Anlass nach Israel gereist waren.
Im vorliegenden Artikel soll nun darüber berichtet werden, vor welchem Hintergrund sich die sehr dynamisch und entschlossen angelaufenen Beziehungen zwischen Israel und Georgien entwickeln.
Auf unserer Reise durch die jüdische Welt und nach unserem Besuch in Aserbeidschan (siehe Shalom Vol. 47) drängte sich als logische Folge ein Abstecher zu den Juden von Georgien auf. Georgien, das im Norden an den Kaukasus stösst und im Westen bis zu den Ufern des Schwarzen Meeres reicht, besitzt eine gemeinsame Grenze mit der russischen Föderation, Armenien, Aserbeidschan und der Türkei. Diese geopolitische Lage des Landes bedeutet natürlich, dass die israelische Botschaft hier von besonderer Bedeutung ist. Wir haben in Tiflis S.E. SHABTAI TSUR getroffen, den bevollmächtigten und ausserordentlichen Botschafter Israels, der persönlich aus Georgien stammt. Wir haben ihn gebeten, uns darzulegen, vor welchem Hintergrund die Beziehungen zwischen den beiden Staaten stattfinden.

Können Sie uns kurz die Entwicklungsgeschichte der Beziehungen zwischen Georgien und Israel erläutern und dann den gegenwärtigen Stand der Dinge beschreiben?

Bevor ich auf Ihre Frage eingehe, möchte ich zunächst betonen, wie geehrt ich mich fühle, den Staat Israel und das jüdische Volk in dem Land vertreten zu dürfen, in dem meine Frau und ich geboren sind und das wir 1972 verlassen haben. Die Tatsache, mit einer Mission von dieser Tragweite hierher zurückzukehren, verkörpert für mich natürlich einen Meilenstein in meinem Leben und bringt zahlreiche verantwortungsvolle Aufgaben mit sich. Ich bin nämlich der erste ordentliche Botschafter Israels georgischer Abstammung, so wie ich bereits der erste aus diesem Land stammende Bürgermeister war, da mir das Privileg zukam, nach meiner Wahl zum Bürgermeister 2003 der Stadt Aschkelon vorzustehen. 2004 hat mich der damalige Premierminister Ariel Sharon zum Botschafter in Tiflis ernannt. Und seither tue ich alles in meiner Macht Stehende, um meinen Auftrag erfolgreich zu erfüllen. Dies scheint auch der Fall zu sein, da ich ursprünglich für zwei Jahre ernannt worden war und mein Vertrag nach Ablauf dieser Zeit erneuert wurde.
Zu den Beziehungen zwischen den beiden Staaten muss man wissen, dass wir im April 2007 das 15-jährige Jubiläum des diplomatischen Austauschs gefeiert haben. An dieser Stelle möchte ich unterstreichen, dass man diesen auf allen Ebenen als hervorragend bezeichnen kann und dass er sich von Tag zu Tag verbessert. Es sind sehr dynamische Beziehungen, vor allem wegen der Tatsache, dass die Leute in der Regierung seit der Revolution von 2003 zwischen 28 und 40 Jahren jung sind, was dem Staat Georgien eine aussergewöhnliche Vitalität verleiht. Man muss sich allerdings klar machen, dass der im November 2003 als „Revolution der Rosen“ bezeichnete Umsturz in Wirklichkeit tiefgreifende Umwälzungen bewirkte. So lernen 90% der Schüler heute beispielsweise Englisch und nicht mehr Russisch, auch das gesamte Wirtschaftssystem ist radikal auf den Kapitalismus nach amerikanischem Vorbild umgestellt worden. Die USA sind im Land sehr präsent, nicht nur aus ökonomischer Sicht, sondern auch auf militärischer Ebene. In der neuen amerikanischen Botschaft sind 650 Mitarbeiter beschäftigt, darunter 400 Georgier. Darüber hinaus hat Georgien 2000 Soldaten in den Irak entsandt. Die gesamte georgische Armee wird von den Amerikanern reorganisiert, denen gestattet wurde, mehrere Militärstützpunkte im Land zu betreiben.

Wie erklären Sie sich, dass die USA derartige Anstrengungen unternimmt, um ihre Präsenz in Georgien zu verstärken?

Man braucht nur einen Blick auf die Landkarte der Region zu werfen, um die Bedeutung Georgiens zu begreifen. Das Land verbindet heute eine enge Allianz mit Aserbeidschan und der Ukraine, um Russland im Bereich der Energieversorgung entgegenzutreten. Die Staatschefs der Länder dieser Region, wie z.B. Aserbeidschan, die Ukraine, die Türkei, Georgien und einige andere Länder, sind gut befreundet und treten sehr geeint auf, insbesondere was Erdöl, Gas und natürlich den Schutz und den Ausbau der Ölpipelines angeht, die unabhängig von Iran und Russland betrieben werden.

Glauben Sie, dass Ihr Amtsantritt in Tiflis kurz nach der Revolution einen Vorteil oder doch eher eine Belastung bei der Erfüllung Ihrer Mission darstellt?

Dazu muss ich zunächst sagen, dass ich gut bekannt war mit Eduard Shevardnadze, der von seinem Amt zurücktreten musste; ich pflegte während meiner Beraterzeit für georgische Angelegenheiten, unter Premierminister Ariel Sharon, ausgezeichnete Beziehungen zu ihm. Ich gehe jedoch davon aus, dass sich meine Niederlassung in Georgien unmittelbar nach der Revolution eigentlich sehr positiv auf beide Länder ausgewirkt hat. Ich wurde sehr herzlich empfangen und aufgrund der jugendlichen Energie der neuen Regierung konnten einige gemeinsame Projekte auf wirtschaftlicher und auch kultureller Ebene sehr zügig umgesetzt werden. Noch vor zwei Jahren befand sich Georgien weltweit nur an 137. Position und ist heute auf Platz 24 vorgerückt! Eine weitere interessante und wichtige Entwicklung betrifft den Kampf gegen die Korruption. Wenn man noch vor nicht allzu langer Zeit von Georgien sprach, dachten alle sofort an einen korrupten Staat. Heute wird jeder Bestechungsversuch kraft eines neuen Gesetzes mit 7 Jahren Gefängnis bestraft, auf die Annahme von Bestechungsgeldern stehen 14 Jahre Freiheitsentzug! Ich kann Ihnen versichern, dass dies jede Anwandlung dieser Art drastisch verringert hat… und die Gefängnisse füllt. Man muss sich vor Augen führen, wie sehr diese neue Situation die Geschäfte im Allgemeinen und diejenigen zwischen unseren beiden Ländern im Besonderen angekurbelt hat. Früher gab es eine ganze Reihe von Zwischenhändlern, die üppige Schmiergelder einstrichen, wenn sie den Kontakt zu den entscheidungsbefugten Verantwortlichen in Handel und Politik herstellten. Heute wird alles viel direkter abgewickelt, und die nach Georgien reisenden israelischen Geschäftsleute können problemlos mit den Personen zusammentreffen, die sich ernsthaft für ein Projekt interessieren. Knapp eine Woche nach dem Business Forum in Tel Aviv traf übrigens eine Delegation von israelischen Geschäftsleuten in Tiflis ein, unter ihnen zahlreiche Immobilienmakler.

Wie sieht die Lage in politischer Hinsicht aus?

Dem Präsidenten Mikheil Saakashvili ist das unglaubliche Kunststück gelungen, mit allen direkten Nachbarn ausgezeichnete Beziehungen aufzubauen. Interessanterweise kann man feststellen, dass seine Beziehungen zu Iran trotz der Amerikanisierung des Landes und trotz des täglich intensiveren Austauschs mit Israel und der politischen Unterstützung Georgiens zugunsten von Israel, im Rahmen der internationalen Organisationen, völlig reibungslos über die Bühne gehen. Grund für diese Entwicklung ist die georgische Mentalität, die sich im Allgemeinen kaum um Herkunft oder Religion eines Menschen kümmert, sondern vielmehr seine Art zu handeln und die gemeinsamen Projekte in den Mittelpunkt stellt. Die Georgier kennen sozusagen keine rassistischen Vorurteile. Daher ist die Bevölkerung heute sehr durchmischt und es haben sich – oft muslimische - Immigranten aus allen angrenzenden Ländern bei uns niedergelassen.
Aus demselben Grund existiert in Georgien kein Antisemitismus, sogar der eigentlich orthodoxe Klerus legt uns gegenüber Sympathie an den Tag. Meine Beziehungen zum Patriarchen sind ausgezeichnet, er besucht jedes Jahr das Fest zu Jom Haatsmauth und ermuntert seine Gläubigen, regelmässig nach Jerusalem zu reisen. Die ersten Juden haben übrigens schon vor 2600 Jahren in Georgien gelebt! Wenn ich sage, dass es keinen Antisemitismus gibt, meine ich damit, dass man überall im Land ohne zu zögern mit der Kippah auf die Strasse gehen kann. Auch wenn die jüdische Bevölkerung heute auf eine winzige Gemeinschaft zusammengeschrumpft ist, wurden alle Friedhöfe beibehalten und gepflegt. Ausserdem ist in allen Bereichen eine starke jüdische Präsenz zu vermerken: Der 29-jährige Verteidigungsminister ist Jude, wie auch viele wichtige Geschäftsleute, der Direktor des grössten Fernsehsenders, aber auch drei jüdische Abgeordnete im Parlament. Die Kombination dieser Elemente bewirkt, dass nicht nur die Bevölkerung ihre Identität hier voll ausleben kann, sondern dass Georgien auf politischer Ebene auch rasch zu viel mehr als einem befreundeten Staat geworden ist, nämlich zu einem echten Alliierten.

Dabei pflegt Georgien doch ausgezeichnete Beziehungen zu Iran. Beeinflusst dieser Umstand die Beziehungen zu Israel?

Nicht im Geringsten, ganz im Gegenteil. Der iranische Botschafter wird nicht selten ins Aussenministerium gerufen, damit ihm dort die Missbilligung Georgiens angesichts israelfeindlicher oder antisemitischer Aussagen des iranischen Präsidenten mitgeteilt wird. Ich bekleide mein Amt, wie gesagt, bereits seit drei Jahren und mir ist nie auch nur die geringste Andeutung zu Ohren gekommen, die Beziehungen zu Israel müssten zurückgeschraubt werden, um Iran zu Gefallen zu sein, ganz im Gegenteil. Das Verhältnis unserer beiden Länder ist völlig ungetrübt. Zur Veranschaulichung meiner Behauptung soll der Hinweis dienen, dass uns anlässlich des Empfangs zu Jom Haatsmauth alle 235 Parlamentsabgeordneten die Ehre erwiesen haben, Israels Unabhängigkeit mit uns zu feiern. Trotz seiner erst kurzen Amtszeit hat der gegenwärtige Präsident Israel bereits zweimal besucht. Die Beziehungen zwischen Georgien und Israel könnten folgendermassen beschrieben werden: sie verbessern und entwickeln sich in erster Linie dank dem wirtschaftlichen Aufschwung, der sich dadurch auf beiden Seiten ergibt. Diesem Bereich gelten daher auch unsere grössten Anstrengungen; wir setzen aber alles daran, nicht nur den Handel zu fördern, sondern auch den Austausch im akademischen und kulturellen Umfeld.

Der in einem bestimmten Land stationierte israelische Botschafter ist natürlich jeweils für die Entwicklung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern und für den Schutz der Interessen des hebräischen Staates zuständig, fungiert aber auch als Gesandter Jerusalems bei der dortigen jüdischen Gemeinschaft. Wie sehen Sie als georgischer Jude die Gemeinschaft in Georgien?

Ich engagiere mich sehr stark im Gemeindeleben. Als frommer Jude gehe ich Schabbat zu Fuss in die Synagoge, was von meiner Wohnung aus einem 30-minütigen Marsch den Berg hinunter und einer 45-minütigen Wanderung den Berg hinauf entspricht, das alles umringt von einem beeindruckenden Sicherheitsapparat. Ich nehme auch aktiv an den Gemeindetätigkeiten teil, ich habe bereits zwei Sifrei Torah einweihen lassen und kümmere mich um die dort auftretenden Probleme. Darüber hinaus befasste ich mich sehr intensiv mit dem Projekt zur Renovierung der zentralen Synagoge. Seit 2002 amte ich als Präsident der Weltvereinigung der aus Georgien stammenden Juden.


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