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Inhaltsangabe Rosch Haschanah 5768 Herbst 2007 - Tischri 5768

Editorial
    • Editorial September 2007 [pdf]

Rosch Haschanah 5768
    • Verantwortungsgefühl [pdf]

Politik
    • Warum nicht Amman ? [pdf]

Interview
    • Macht und Moral [pdf]

Reportage
    • Sderot [pdf]
    • Gusch Katif – Zwei Jahre danach [pdf]

Judäa – Samaria
    • Von Hunden und Menschen [pdf]

Analyse
    • Besetzung? [pdf]

Wissenschaft
    • Fähig und Bescheiden [pdf]
    • Leben retten [pdf]

Kunst und Kultur
    • Frauen Während der Schoah [pdf]
    • Encyclopedia Judaica [pdf]

Georgien
    • Jerusalem und Tiflis [pdf]
    • Strategische Position [pdf]
    • Das Jüdische Leben [pdf]
    • Das Gemeindezentrum [pdf]
    • Offenheit und Tradition [pdf]
    • Yuza Tawdidischwili, Bankier [pdf]
    • Shalom Koboschwili [pdf]
    • Juden in Georgien [pdf]

Gerechtigkeit
    • Die Affäre Zentai [pdf]

Ethik und Judentum
    • Gerechtfertigtes Eindringen? [pdf]

Erinnerung
    • Die Ereignisse des Monats September [pdf]

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Verantwortungsgefühl

Rabbiner David Fox. (Foto: Bethsabée Süssmann)

Von Roland S. Süssmann
Eine der bekanntesten Fragen im Zusammenhang mit dem Pessach-Fest lautet „Mah Nischtanah“ – was ist anders? Dies bezieht sich natürlich auf die Seder-Nacht. Man kann diese Frage aber ohne weiteres abwandeln und auf Neujahr anwenden: Worin unterscheidet sich der Jahreswechsel, worin unterscheiden sich die wichtigen jüdischen Feiertage in den aufeinander folgenden Jahren voneinander? Jedes Mal gehen wir doch in uns, jedes Mal gestehen wir unsere Fehler ein, was ja an sich schon beachtlich ist, und jedes Jahr beschliessen wir, uns zu bessern und unsere schlechten Gewohnheiten über Bord zu werfen. Es ist doch leider so, dass wir immer wieder kurz vor Rosch Haschanah und Jom Kippur feststellen, dass wir im Grunde fast am selben Punkt stehen, wie bereits ein Jahr zuvor. Um besser zu verstehen, mit welcher Einstellung wir die Festtage um Neujahr angehen sollten und um dazu einige Anregungen zu bekommen, haben wir Rabbi DAVID FOX getroffen, den grossen israelischen Pädagogen.

Die Jahre folgen aufeinander und sind sich letztendlich ziemlich gleich, zumindest in Bezug auf unser persönliches Verhalten, manchmal gar auf unser Verhalten als Nation. Glauben Sie, dass es wirklich sinnvoll ist, jedes Mal wieder in uns zu gehen und gute Vorsätze zu fassen, die wir eigentlich kaum oder gar nicht befolgen werden? Inwiefern soll sich die innere Einstellung, mit der man der so wichtigen Zeit des Jahreswechsels entgegensieht, von derjenigen im vorangehenden Jahr unterscheiden?

Ich hoffe zunächst, dass sich wirklich alle von uns überhaupt mit dieser Frage beschäftigen. Meiner Ansicht nach sollte diese Auseinandersetzung sowohl auf nationaler als auch auf individueller Ebene stattfinden, denn in den vergangenen Jahren haben sich in Israel auf beiden Ebenen einige extrem bedeutende Ereignisse abgespielt. Doch vor dem Blick auf die Gemeinschaft möchte ich daran erinnern, dass in den Tagen von Rosch Haschanah und Jom Kippur jeder von uns als Individuum vor den Herrn tritt und sich fragt: „Wo war ich, wo stehe ich heute, wo möchte ich persönlich hinkommen?“. Jeder sollte ich ausserdem die Frage stellen, was er aus seinen Fehlern und Erfolgen gelernt hat und vor allem in welchem Ausmass er seine Verantwortung wahrgenommen hat, wie viel er persönlich zur Entwicklung und zum Wohl der Nation beigetragen hat. Jedes dieser Themen ist ein umfangreiches Kapitel für sich, auch wenn sie im Grunde miteinander verknüpft sind: denn je mehr Fortschritte der Einzelne macht, desto stärker kommen auch Gesellschaft und persönliches Umfeld voran. Je mehr ein Mensch weiss, je mehr Erfahrungen er besitzt, desto wertvoller ist sein Beitrag für die Gesellschaft, desto eher wird er Einfluss ausüben, und sei dieser noch so gering. Doch jede persönliche Entwicklung wirkt sich zunächst direkt auf unsere eigene Handlungsweise aus. Deswegen tritt gemäss der jüdischen Gesetzgebung jeder einzeln vor G’tt. Es trifft natürlich zu, dass der Herr anlässlich der Neujahrsfeierlichkeiten sowohl über die einzelnen Menschen als auch über die Nationen urteilt, doch an Rosch Haschanah hat jeder von uns die Gelegenheit, die richtigen Entscheidungen zu treffen und auch darüber zu beschliessen, wie viel wir zugunsten des Landes und der Nation beitragen möchten. Zur Veranschaulichung möchte ich ein Beispiel anführen, das eigentlich nur die Welt des Glaubens betrifft, aber dennoch aussagekräftig ist. Seit vielen Jahren nehme ich an einer Reihe von pädagogischen Projekten teil. Vor einigen Jahren haben wir die Idee und das Programm der Jeschiwoth-Colleges lanciert. Zu Beginn berührte dies nur ganz wenige Leute. Mit der Zeit weitete sich dieses bescheidene Institut aus und wird heute von rund 7000 Studierenden an ähnlichen Einrichtungen im ganzen Land besucht. Man muss sich bewusst sein, dass der Gedanke, weltliche Studien mit jüdischen Fächern zu verbinden, als radikal neu, ja fast häretisch galt. Diese Art der Ausbildung hat sich aber durchgesetzt, insbesondere in den Kreisen mit nationalreligiöser Ausrichtung. Dies stellt an sich schon einen Erfolg dar, doch das wirklich positive Ergebnis besteht aus der Tatsache, dass heute Hunderte unserer früheren Schüler im ganzen Land aktiv in der Lehre tätig sind… und zwar in nicht religiösen Schulen.

Wollen Sie uns mit diesem Beispiel zeigen, dass der gesamte Problemkreis der Introspektion und des individuellen Fortschritts im Grunde eine Frage der Erziehung und Ausbildung ist?

Man könnte schon annehmen, dass die Menschen mit einer besseren Ausbildung auch selbst besser wären, ernsthafter, verantwortungsbewusster usw. Doch dies trifft leider nicht zu, auch wenn eine solide Schulbildung unbestreitbar zur persönlichen Entwicklung beiträgt. Wirft man einen Blick in die Tagespresse, könnte man denken, das Hauptproblem Israels sei die Sicherheit. Natürlich ist sie zentral, doch in Wirklichkeit ist unser grösstes Problem das Bildungswesen. Es besteht kein Zweifel daran, dass wir weniger militärische Anstrengungen unternehmen müssten, wenn die Schulen besser wären.

Weshalb?

In einem Konflikt mit dem Feind muss man in erster Linie wissen, wie man sich ihm gegenüber zu verhalten hat. Dazu möchte ich den Schluss des 3. Buch Mose zitieren, wo der Herr uns die Belohnungen und Strafen ankündigt, wenn wir seine Gebote einhalten oder eben nicht. So heisst es (Levitikus 26, 3-7): „…Werdet ihr in meinen Satzungen wandeln und meine Gebote halten und tun, so will ich euch Regen geben zur rechten Zeit […]. Ich will Frieden geben in eurem Lande, dass ihr schlafet und euch niemand aufschrecke. Ich will die wilden Tiere aus eurem Lande wegschaffen und kein Schwert soll durch euer Land gehen.“ Die Bedeutung dieses Segens leuchtet ein, wenn wir sehen, was in Sderot passiert, wo die Einwohner seit fast sieben Jahren keine Nacht mehr ohne Furcht verbringen und keinen ruhigen Schlaf mehr kennen. Betrachtet man den Text aber genauer, stellt sich folgende Frage: Ist es nicht seltsam, dass es am Ende des Satzes erneut heisst „kein Schwert soll durch euer Land gehen“, obwohl der Herr zu Beginn schon sagt „ich will Frieden geben in eurem Lande“? Nachmanides antwortet auf diese Frage, es werde kein Schwert mehr durch das Land gehen, sobald wir Frieden unter uns geschaffen haben! Dies bedeutet im Klartext, dass unsere Feinde, die uns zerstritten sehen, daraus auf unsere Schwäche schliessen, da wir unsere Kräfte dazu verschleissen, uns gegenseitig zu bekämpfen. Die Zwistigkeiten zwischen praktizierenden und nicht praktizierenden Juden, zwischen Frommen und Ungläubigen, zwischen der Linken und der Rechten sind in Israel und in der jüdischen Welt allgemein heute viel zu gross. In meinen Augen liegt der einzige Weg zur Schlichtung dieser Uneinigkeiten, die unsere Gesellschaft zersetzen und uns stark schwächen, in der Förderung der jüdischen Bildung und Erziehung.

Meinen Sie nicht, dass dies nur zu einer Art vereinheitlichter Gesellschaft führt, die durch ein einförmiges Gedankengut beherrscht wird?

Ganz im Gegenteil. Der Midrasch berichtet, dass Moses, als er dem jüdischen Volk die Torah brachte, sich mit unzähligen Kommentatoren herumschlagen musste, die alle das Gesetz nach eigenem Gutdünken auslegten. Moses wandte sich an den Herrn und bat ihn, ihm die einzig richtige Interpretation zu geben. Und G’tt antwortete ihm: „Die Torah hat 70 Gesichter“. Wir sind keine Roboter und so kommt es in unserer gesamten religiösen Literatur zu einer beständigen, offen geführten Debatte.

Öffnet eine derartige Auslegung nicht dem liberalen oder reformierten Judentum Tür und Tor?

In allen Jahrhunderten waren Debatten und gegensätzliche Meinungen ein wichtiger Faktor, wie schon bei den gelehrtesten Schülern von Rabbi Akiwa, doch sie gehörten immer in einen genau festgelegten Rahmen. Es ist tatsächlich von „70 Gesichtern“ die Rede. Jeder weiss, dass kein Gesicht dem anderen gleicht, und doch sind es immer Gesichter und keine Füsse oder Hände. Die religiöse Auslegung muss zunächst im Respekt vor dem Mitmenschen erfolgen, darf also keinesfalls als libertäre oder anarchistische Doktrin auftreten. Eine widerrechtlich erstellte Interpretation der Torah würde unausweichlich zur Vernichtung des jüdischen Volkes und Israels führen. So kommen wir wieder auf das aktuelle Thema von Rosch Haschanah und Jom Kippur zurück. Derjenige unter uns, der es sich gestattet, gemäss seiner persönlichen Auffassung und Auslegung der Torah zu leben und der sich darüber hinaus wohl fühlt in einer so zurechtgezimmerten Lebensweise, wird es nie für nötig halten, sich in Frage zu stellen, in sich zu gehen und gute Vorsätze zu fassen. Und genau in dieser Hinsicht bietet uns diese Zeit des Jahres zwischen dem Anfang des Monats Elul bis zu Hoschanah Raba die Möglichkeit, uns zu erneuern, alles zurück auf Anfang zu stellen und von vorn zu beginnen, ohne in Bezug auf den Glauben vor lauter Bequemlichkeit und Routine festgefahren zu bleiben, weil wir vielleicht von falschen Voraussetzungen ausgegangen sind. Der Herr gibt uns genügend Stoff, damit wir herausfinden, was richtig und was falsch ist. Lassen Sie mich ein Beispiel aus der Physik anführen. Einerseits können wir aufgrund gewisser Prinzipien ein Flugzeug oder eine Rakete zum Mond bauen. Andererseits verhindern die Gesetze der Erdanziehung, dass diese Flugkörper abheben. Wenn wir nun einige physikalische Regeln korrekt anwenden, wird unser Flugzeug ohne weiteres starten, und zwar unter einer Bedingung: Die Gesetze der Physik müssen richtig angewendet und keinesfalls verletzt werden. Dies gilt auch für unseren Glauben. Auch da ist jeder von uns verpflichtet zu wissen und zu erkennen, was G’tt von uns erwartet und wie ein korrektes und moralisches Verhalten gemäss seinen Vorschriften auszusehen hat.

Gemäss dieser Idee liegt die Verantwortung für die Verbreitung des Judentums und seiner Gebote in erster Linie in den Händen der Juden, die das Privileg des Lernens besassen. Ihnen obliegt die Verantwortung dafür, das Interesse derjenigen unter uns zu wecken, die nicht gelernt haben, die aus nicht religiösen oder gar religionsfeindlichen Kreisen stammen. Ist dies Ihrer Ansicht nach tatsächlich so?

Interessanterweise ist diese Frage nicht neu, sondern wurde schon vor 2'000 Jahren gestellt. Damals fand nämlich zwischen Beth Schamai und Beth Hillel, den zwei bedeutendsten Denkschulen des jüdischen Volkes, eine hitzige Diskussion zu diesem Thema statt. Zum besseren Verständnis der unterschiedlichen Auffassungen dieser beiden Schulen in Bezug auf die Ausbildung möchte ich das berühmte Beispiel des Nichtjuden anführen, der erst Schamai aufsucht und ihn bittet, ihm das Judentum in der Zeit zu erklären, die er auf einem Bein stehen kann. Schamai jagt ihn weg. Danach geht er mit derselben Bitte zu Hillel. Dieser antwortet ihm: „Füge niemandem etwas zu, was du nicht willst, das man dir selbst antut. Alles andere sind nur Untersuchungen und Kommentare“. Bedeutet dies nun, dass der eine intolerant war und der andere den - anscheinend respektlosen - Eindringling durch eine geschickte Ausrede loswurde? Keinesfalls. Schamai ging davon aus, dass das Judentum auf strengste und gründlichste Weise studiert und praktiziert werden muss und war überzeugt, er könne dem Mann in der ihm auferlegten Zeitspanne keine zufrieden stellende und vollständige Antwort geben. Hillel wiederum war der Ansicht, die Frage beziehe sich auf die Grundlagen und das eigentliche Wesen des Judentums. Deswegen sagte er: „Nimm deine Verantwortung deinem Mitmenschen, dir selbst, deinem Umfeld und deinem Volk gegenüber wahr. Die höchste Pflicht eines Juden ist es nämlich, als verantwortungsbewusster Mensch zu handeln.“
Beth Schamai und seine Anhänger waren immer in der Minderheit, da sie der Meinung waren, dass man ihrem Beispiel folgen würde, wenn sie nur so streng wie möglich handelten und das Judentum so genau wie möglich auslegten und nachlebten; sie wollten als Vorbilder dafür dienen, wie man G’tt richtig zu dienen und als Juden zu leben habe. Dadurch wurden sie natürlich zu einem sehr ausschliesslichen und engen Kreis. Die Anhänger Hillels hingegen waren offener und dachten, man müsse möglichst viele Menschen in ihre Gruppe aufnehmen. Möglichst viele – ja, irgendwen – nein! Die Diskussion zwischen beiden Schulen währte 200 Jahre, doch in allen Epochen der jüdischen Geschichte bezog sich die spirituelle Führung immer auf die eine der beiden Ausrichtungen, was auch von der jeweiligen Situation der betreffenden Gemeinde abhängig war. So traten die Gemeinschaften in Krisenzeiten verschlossener auf, während sie in ruhigeren Jahren eher zu einer - manchmal sogar exzessiven - Öffnung neigten. Ich denke, dass die nach sehr strenger Observanz lebende Gemeinschaft heute eher Beth Schamai nahe steht, während die nationalreligiöse Gruppe sich vielmehr nach den Lehren und Grundsätzen von Beth Hillel ausrichtet und sich bemüht, mit den nicht frommen Schichten der Gesellschaft in Kontakt zu bleiben. Dadurch übernehmen sie in meinen Augen ihre Verantwortung, die darin besteht, das Judentum so zu verbreiten, dass es auch für die Kreise attraktiv und interessant wird, die sich von diesem Thema nicht betroffen fühlen. Man muss sich im Klaren sein, dass dieses Vorgehen mit dem Ziel erfolgt, dem Individuum die Möglichkeit zu geben, ein besserer Mensch zu werden, damit unsere Gesellschaft sich auf allen Ebenen langfristig immer positiver entwickeln kann. Diese Bemühungen tragen durchaus ihre Früchte, da in der israelischen Gesellschaft langsam, aber sicher eine veränderte Einstellung wahrzunehmen ist: Alles Materialistische rückt in den Hintergrund, man sucht nach einer gewissen Spiritualität. Wenn die Menschen die Schönheit und die Tiefe in der Botschaft der Torah erfassen, merken sie allmählich, inwiefern diese Botschaft ihr Leben verbessern kann.

Mit welcher Einstellung soll man nun also Rosch Haschanah 5768 begehen?

Eine Krise ist nie willkommen. Und dennoch ist das Individuum gerade in Krisenzeiten gezwungen, oft grundsätzliche Entscheidungen zu treffen. Auch hierzu möchte ich ein konkretes Beispiel aus einem revolutionären Bildungsprogramm zitieren, an dem ich aktiv teilnehme. Heute ist mehr denn je die Zeit gekommen, Entscheidungen in Bezug auf Individuum und Gesellschaft zu fällen, die uns zur Hoffnung Anlass geben, dass sich die Dinge zu unseren Gunsten entwickeln werden. Am Anfang stehen natürlich wie immer Bildung und Erziehung. Leider ist nicht zu übersehen, dass das bestehende Bildungswesen nicht funktioniert und nicht ausreicht. Wir mussten daher anders vorgehen und haben beschlossen, einen Bildungsweg ins Leben zu rufen, der den Schülern aus unseren Kreisen attraktiv und interessant erscheint und in den die Eltern direkt einbezogen werden. Letztere nehmen mehrmals wöchentlich an einigen Kursen teil und haben auch Hausaufgaben zu lösen. Wenn wir beispielsweise den Begriff der Verantwortung durchnehmen, beschränken wir uns nicht darauf, die entsprechende Textstelle im Talmud zu erwähnen (2. Kapitel aus der Abhandlung Makoth), in der von der Tötung ohne vorherige Absicht die Rede ist. Die dort aufgeführten Beispiele haben mit dem täglichen Leben herzlich wenig zu tun. Wir haben daher beschlossen, dieses Thema mit Hilfe der Verantwortung des Autofahrers zu erläutern. In Israel kommt es jedes Jahr zu mehreren hundert tödlichen Autounfällen, die zum grössten Teil verhindert werden könnten, wenn die Fahrer ihre Verantwortung am Steuer wahrnähmen. Im Talmud werden die drei Ebenen der Verantwortung – Unachtsamkeit, Unfall und alles, was wir gegen unseren Willen tun müssen – sehr klar definiert, aber durch Beispiele veranschaulicht, die für unsere Epoche sehr abstrakt wirken. Dabei ist es so wichtig, einem jungen Menschen den Wert des Lebens zu erklären, dass es nicht ausreicht, sich nachträglich zu entschuldigen, sondern dass man vor einer Tat überlegen sollte. Das Erlangen dieses Bewusstseins hebt unser Verantwortungsgefühl auf eine neue Ebene. Die Verbesserung unserer Gesellschaft erfolgt in erster Linie über ein erhöhtes Verantwortungsbewusstsein. Gemäss den Grundsätzen der Torah trägt man auch dann die Verantwortung, wenn man jemanden auf der Strasse aus Unachtsamkeit anrempelt.
Das individuelle Verantwortungsgefühl führt ausserdem zur kollektiven Verantwortung. An Jom Kippur bitten wir im Gebet Al Chet als erstes den Herrn um Vergebung für die Sünde, die wir gezwungenermassen und gegen unseren Willen begangen haben (BeOnes). Können wir tatsächlich für Handlungen zur Verantwortung gezogen werden, die wir gegen unseren Willen begangen haben, die wir also nicht verhindern konnten? Genau hier setzt die Idee des verantwortungsbewussten Denkens an und entfaltet ihre ganze Tragweite. Dieses Gebet sagt uns: „Denk ein wenig nach und du wirst feststellen, dass du diese oder jene Tat hättest vermeiden können“.
Ich denke, die Vermittlung der Torah und des Verantwortungsgefühls ist heute wichtiger denn je. Wenn ein junger Mensch diese Lektion gelernt und verinnerlicht hat und dann seinen Militärdienst absolviert, wird er ein verantwortungsbewussterer und folglich ein besserer Soldat und in der Folge auch ein besserer Bürger sein.
Abschliessend möchte ich sagen, dass wir das neue Jahr mit einer gesunden Dosis Optimismus angehen sollten, denn wir stehen vor enormen Herausforderungen und haben einige originelle Ideen, um sie erfolgreich zu bewältigen, und zwar sowohl auf nationaler Ebene in Israel als auch in der Diaspora. Wir stehen erst am Anfang eines langen Weges, doch wenn wir versuchen, eine Gesellschaft mit mehr Verantwortungs­bewusstsein zu schaffen, bereiten wir eine bessere Zukunft vor. Eine Gesellschaft aus Bürgern mit geschärftem Verantwortungsgefühl wird politische und spirituelle Führungskräfte auszuwählen wissen, die nachdenken, bevor sie handeln, und die sich für die ihnen übertragenen Aufgaben verantwortlich fühlen.


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