Der Sommer 2005 war in Israel vom Rückzug geprägt. Die national-religiösen Kreise wurden von diesem Ereignis besonders hart getroffen, denn es widerspricht allen Elementen, auf denen die Wiedergeburt des jüdischen Staates aufgebaut ist. Um besser zu verstehen, mit welcher Einstellung diese neue Gegebenheit heute auf Glaubensebene verarbeitet werden muss, wurde uns das Privileg zuteil, von einer der grössten rabbinischen Persönlichkeiten unserer Zeit exklusiv empfangen zu werden, nämlich von Rabbi MORDECHAI ELIAHU, dem ehemaligen Oberrabbiner von Israel und Rischon Lezion.
Der Rabbiner beeindruckt durch seine Ausstrahlung, seine Weisheit und seinen geistreichen Diskurs, doch in erster Linie möchte er eine Botschaft der Hoffnung vermitteln.
Weshalb haben Sie sich gegen den Rückzug ausgesprochen?
Es ist uns formell verboten, israelische Gebiete an unsere Feinde abzutreten. Was die 26 Synagogen von Gusch Katif angeht so tut es mir schrecklich leid, dass unsere Regierung nichts unternommen hat um diese zu retten. Mit dem besten Gewissen hat sie diese einfach verlassen und aufgegeben. Ich möchte hier daran erinnern, dass wir Juden alles nötige unternehmen um andere Religionen den Respekt zu beweisen. In Israel wurde nie eine Moschee oder eine Kirche von uns zerstört sogar wenn diese, seit Jahren, leerstehend ist. Wir haben gesehen wie die Araber von Gaza die jüdischen Bethäuser nicht einmal für einen kurzen Moment respektiert haben und diese gleich in der ersten Stunde ihres Einzuges auf unserem Landbesitz in Gusch Katif verbrannt haben. Überall auf der Welt werden heilige Stätten geschützt. Können Sie sich auch nur einen Augenblick lang vorstellen, dass jemand vorschlagen könnte, eine Moschee zu zerstören, die sich gegenwärtig auf unserem Tempelberg befindet? Ein Aufschrei der Entrüstung ginge um die Welt. Dem Fass den Boden ausgeschlagen hat die Tatsache, dass die Regierung Gräber verlegen liess. Sie hat sich nicht damit begnügt, lebende Juden zu vertreiben, sie hat auch die Toten nicht verschont. Es handelt sich natürlich um eine dramatische Erfahrung, aber ich bin überzeugt, dass wir nach Gusch Katif zurückkehren, dass wir die zerstörten Häuser und Gewächshäuser wieder aufbauen und auch die Toten wieder dort begraben werden, deren Ruhe auf so schändliche Weise gestört wurde.
Wie konnte so etwas im Rahmen der Wiedergeburt des jüdischen Staates passieren, die gemäss unserer Religion Teil der allgemeinen Vision der Erlösung ist?
Meines Erachtens liegt der Grund leider in einem sehr tief sitzenden Unbehagen, das in der Tatsache wurzelt, dass unsere Politiker sich im Judentum nicht genug auskennen. Vor kurzem wurde ich von jemandem gefragt: «Was kann man Sharon raten?». Im Bewusstsein, dass er nicht auf mich hören würde, erinnerte ich diese Person an den alten Talmud-Grundsatz, der besagt, dass ein älterer Mensch, der die Torah studiert, mit der Zeit weiser wird. Er würde gut daran tun, sich daran zu halten, wenn er weitere Fehler vermeiden möchte. Da ich aber weiss, dass wir in dieses Gebiet zurückkehren werden, glaube ich nicht, dass dieses tragische Ereignis in irgendeiner Weise den Prozess der Erlösung beeinträchtigen wird, in dem wir uns befinden und dessen erste Etappe die Wiedergeburt des Staates darstellte, während die zweite Etappe die Befreiung Jerusalem 1967 war und wir jetzt auf die dritte zugehen.
Diese Vertreibungen haben ganz offensichtlich eine Kluft in der jüdischen Gesellschaft bewirkt, die sich unausweichlich auch auf die jüdischen Gemeinschaften der Diaspora auswirken wird. Was kann man tun, um ein Mindestmass an Einheit wiederherzustellen?
Eine Kluft ist nicht gleichbedeutend mit Trennung, eine gewisse Einheit besteht immer noch. Ich weiss natürlich, dass diese Aussage zu rabbinisch erscheinen oder gar Missfallen erregen kann, doch man muss wissen, dass unsere Rettung in gewisser Weise in unserer Hand liegt, denn sie liegt im Gebet. Die Juden der Diaspora haben die Gewohnheit, sich beim Gebet nach dem Tempelberg, nach Jerusalem zu wenden. Ihr Kompass ist heute die Kotel Hamaarawi (die Klagemauer), und über sie müssen sie ihre Gebete an den Herrn richten. Die Erlösung kann nur über die Vervielfältigung der Gebete entstehen. Dazu möchte ich den Psalm 27 zitieren, den wir in dieser Zeit des Jahres zwei Mal täglich sagen und der mit den Worten endet: «Hoffe auf den Ewigen. Sei stark ! und mutig sei dein Herz, ja, hoffe auf den Ewigen». Ich gehe sogar noch weiter. Im Gebet liegen unsere Kraft und unsere einzige Quelle der Hoffnung, natürlich zusammen mit dem Studium der Torah. Letztere lehrt uns, dass wir nicht verzweifeln dürfen, und fügt eindeutig hinzu, dass wir die Wahl haben: Segen oder Fluch, Leben oder Tod, und dass es unsere Pflicht ist, das Leben zu wählen «u-bacharta bachaim». Es ist nicht leicht, es sind harte Prüfungen, aber wir haben keine andere Wahl.
Wie sehen Sie das Jahr, das vor uns liegt?
Eines der Abendgebete von Rosch Haschanah lautet: «Es gehe das Jahr mit seinem Unheil, es öffne sich vor uns das Jahr mit seinem Segen». Ein sehr hartes Jahr liegt hinter uns: möge es vergehen und mögen wir mit der Zeit vergessen können. Beim Anbruch eines neuen Jahres sind folglich alle Hoffnungen erlaubt. Zu diesem Gebet kommt ein kurzer Satz, den wir nicht mehr zu sagen pflegen: «Wir glauben nicht an den Menschen und vertrauen nur auf G'tt». Es ist nicht wichtig zu wissen, wer die Macht besitzt, wir tragen die Verantwortung dafür, unsere Beziehung zu G'tt zu verstärken und zu betonen, wie sehr wir auf ihn vertrauen. Doch wie auch beim Konzept der Teschuwah, der aufrichtigen Reue, wird dieses Vertrauen von G'tt nur akzeptiert, wenn uns von unserem Nächsten verziehen wird. Wir müssen alles tun, um unsere Beziehungen untereinander zu verbessern, so dass wir unsere Gebete intensivieren können.
Glauben Sie, dass die Evakuierung von Juden aus Gusch Katif sowie alle Emotionen, die dadurch ausgelöst wurden, letztendlich als Katalysator dienten, um die Kluft zwischen den frommen und den nicht gläubigen Gemeinschaften zu vertiefen?
Ganz im Gegenteil! Ich begegne oft Menschen, die überhaupt nicht fromm sind, die alle beteuern, wie sehr die Heiligkeit des Landes als Konstante in ihren Gedanken verankert ist. Sie sagen es oft nicht in diesen Worten, sie sprechen von Verbundenheit. Doch alle Israelis, denen ich begegne und die das Land verlassen haben, empfinden das Bedürfnis sich zu rechtfertigen, was natürlich beweist, dass sie sich in gewisser Weise schämen. Heute haben alle begriffen, wie wichtig die Beziehung unseres Volkes zu seinem Land ist und wie fest sie in jedem von uns verwurzelt sein muss.
Können Sie uns abschliessend eine Botschaft der Ermutigung für das neue Jahr mitgeben, ganz speziell für die Leser von SHALOM?
Zunächst möchte ich jeden einzelnen von ihnen segnen. Denjenigen, die heute noch in der Diaspora leben, sage ich: «Geht nach Israel». Denjenigen, die noch nicht kommen können, empfehle ich den Kauf einer Wohnung hier, die sie zu einem geringen Preis an bedürftige Israelis vermieten. Sie können mich fragen, was der Sinn dieses Vorgehens ist. Ich würde Ihnen antworten, dass jeder Mensch, der ein Haus in Israel besitzt, ein Stück der Welt der Zukunft erwirbt. Ich wünsche allen Ihren Lesern «SCHANAH TOWAH» und hoffe, dass ganz Israel ein wunderbares Jahr erleben wird.
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