Ob nun ein Museum gross ist oder klein, ob seine Sammlung reichhaltig ist und in einem imposanten Rahmen gezeigt wird, oder ob sie bescheiden wirkt und in beschränktem Raum ausgestellt werden muss - bei jedem Museumsbesuch frage ich mich: welche Botschaft will dieser Ort vermitteln? Ein Museum ist nämlich viel mehr als eine simple Gedenkstätte oder ein Grab für stumme Gegenstände, die an eine versunkene Welt erinnern. Das Muzeum Zidovskej Kultury, das Museum für jüdische Kultur von Bratislava, macht keine Ausnahme von dieser Regel. Sein Name könnte den Verdacht aufkommen lassen, das Judentum werde als Kultur angesehen, doch eine Besichtigung und der Museumskatalog widerlegen diesen Eindruck sehr rasch.
Der grösste Teil der Ausstellung konzentriert sich auf den religiösen Aspekt des Judentums, das Kulturelle und Historische, einschliesslich der jüngeren Geschichte, stehen an zweiter Stelle. Es ist ein interessantes Detail, dass das jüdische Museum eine staatliche Institution darstellt und dem slowakischen Nationalmuseum angehört, das zu Beginn der 90er Jahre ein Programm entwickelte, um die Minderheitenkulturen in der Slowakei zu bewahren und zu dokumentieren. Dieser Plan umfasst die Schaffung von Museen für die in der Slowakei lebenden Ungarn, Tschechen, Ruthenen, Zigeuner usw. Alle diese Institutionen werden aus der Staatskasse finanziert.
Bevor wir aber mit der eigentlichen Besichtigung des Museums beginnen, verdient es eine andere kulturelle jüdische Aktivität kurz erwähnt zu werden. 2001 wurde ein recht interessantes Programm mit dem Ziel der Dokumentierung der Synagogen in der Slowakei lanciert. Es handelt sich um eine gemeinsame Operation des Nationalmuseums, des jüdischen Museums, des Instituts für jüdische Studien der Universität Comenius und der Fakultät für Architektur der technischen Hochschule von Bratislava unter dem Namen «Synagoga Slovaca». Ein geschichtlicher Abriss der Synagogen in der Slowakei ruft uns in Erinnerung, dass nach der Aufteilung in drei Gemeinschaften (orthodox, neologisch und Status quo ante) im Jahr 1869 zahlreiche unabhängige Synagogen erbaut wurden, da die reichsten Gemeinden Aufträge an berühmte Architekten aus Wien, Berlin und Budapest vergeben hatten. Ein grosser Teil der vor dem Zweiten Weltkrieg so blühenden jüdischen Zentren der Slowakei wurde in der Schoah zerstört, die meisten von ihnen fielen jedoch dem kommunistischen Regime zum Opfer. Zahlreiche Synagogen wurden gar nicht zerstört, sondern verlassen und aufgegeben, was letztendlich auch dem sicheren Untergang entsprach. Bis heute wurden 107 Synagogen und Kultstätten aufgelistet, von denen sich einige in Gebäuden befinden, die irgendwann in Wohnungen umgebaut worden waren. Dank der Mitarbeit der Fakultät für Architektur, die ein spezielles Seminar zu diesem Zweck schuf, konnten alle Synagogen ausgemessen, auf Plänen erfasst, in allen Einzelheiten beschrieben und fotografiert werden. «Synagoga Slovaca» hat einen ersten wissenschaftlichen Katalog veröffentlicht, in dem diese Synagogen mit allen ihren technischen Elementen genau dargestellt werden. Darüber hinaus ist mittelfristig die Herausgabe eines reich bebilderten Kunstbuches über die Geschichte der slowakischen Synagogen geplant, auch eine Website mit sämtlichen Beschreibungen aller Synagogen ist in Vorbereitung. Die Organisation legt die Resultate ihrer Nachforschungen regelmässig dem Kulturministerium vor, um von ihm die Mittel zu erhalten, die für die Restauration der Synagogen notwendig sind. Ebenso wie die Synagogen gehören die Friedhöfe zu den Relikten des untergegangenen slowakischen Judentums, von denen es noch viel mehr gibt. Bis heute wurden 697 Friedhöfe gezählt, viele von ihnen geschändet. Grabsteine wurden gestohlen, und infolge im Volksmund verbreiteter Legenden, die besagen, die Juden würden ihre Toten zusammen mit Kostbarkeiten begraben, wurden die Gräber ausgehoben. Diese Operation verfolgt im Grunde zwei Ziele: das jüdische Kulturgut im Land soll als fester Bestandteil des multikulturellen nationalen Erbes bewahrt werden, und die Slowakei soll für jüdische Touristen interessant werden, da sie dieses Land im Gegensatz zu Polen, Ungarn, Tschechien und der Ukraine bisher nicht wirklich bereisten. «Synagoga Slovaca» veranstaltet regelmässig internationale Seminare, an denen israelische und slowakische Historiker teilnehmen, um die Geschichte und das kulturelle Erbe des Landes bekannt zu machen.
Doch kehren wir zum eigentlichen Museum zurück. Es befindet sich in einem Gebäude, das Ende des 17./ Anfang des 18. Jh. erbaut wurde und sich auf den Überresten des ehemaligen Judenviertels befindet. Zwei kleine Säle im Erdgeschoss werden für wechselnde Ausstellungen benutzt, im ersten Stock liegt ein Raum, der flächenmässig einer grossen Wohnung entspricht. Der Besucher wird gleich bei der Ankunft im Hof durch einen restaurierten Leichenwagen empfangen, der ca. 100 Jahre alt ist und von der «Chewra Kaddischah» (Beerdigungsgesellschaft) stammt, so dass böse Zungen gleich spotteten, es handle sich um eine Allegorie vom gegenwärtigen Zustand des slowakischen Judentums?
Der erste Raum sieht aus wie ein Ausstellungslager, wobei in der Mitte einige Schaukästen stehen, in denen allerlei jüdische Kultgegenstände ohne besondere museografische Bedeutung liegen: mehrere Chanukkioth, Esther-Rollen, Tsedakahbüchsen usw. Um dieses Sammelsurium herum befinden sich hingegen Vitrinen, in denen die Geschichte des slowakischen Judentums seit der Epoche der Römer bis nach der Schoah erzählt wird. An den Wänden berichtet eine bemerkenswerte didaktische Schau in slowakischer und englischer Sprache auf knappen und präzisen Schautafeln über die wesentlichen Etappen in der reichen Geschichte der Juden in der Slowakei. Ein ganz besonders interessantes Dokument, das Protokoll der slowakischen Regierung, lautet: «Verfassungsgesetz vom 15. Mai 1942: der Rat der slowakischen Republik hat folgende Gesetze verabschiedet: Artikel 1: die Juden können vom slowakischen Territorium deportiert werden». Dazu muss betont werden, dass die getauften Juden hier im Gegensatz zum restlichen Europa nicht deportiert wurden, da ein Kirchenmann, Priester Jozef Tiso, an der Spitze der Slowakei stand.
Dann beginnt das eigentliche Herzstück des Museums: die auf zwei Räume verteilte Präsentation der jüdischen Religion. Im ersten Saal werden die verschiedenen Etappen des Lebenszyklus gezeigt, von der Beschneidung bis zum Tod. Jedes Detail wird liebevoll gepflegt, in der Mitte des Raumes steht gar ein für das Schabbat-Nachtessen gedeckter Familientisch, es fehlt nicht einmal das Tüchlein über dem Brot. Besondere Aufmerksamkeit wird also der Schabbat-Feier geschenkt; er wird nicht wie ein Fest dargestellt, sondern erscheint wie ein besonderes Ereignis der Woche. Dann kommen mehrere Kultgegenstände, die jeweils den Feiertagen gemäss dem Kalender zugeordnet werden: ein Schofar für Rosch Haschanah, eine Sederplatte für Pessach, Kerzenleuchter für Chanukkah usw. Der zweite Raum verkörpert in meinen Augen den Höhepunkt der Ausstellung. In einem engen, aber eindrücklichen Raum wurde eine gesamte kleine Synagoge rekonstruiert, in der natürlich keine Gottesdienste abgehalten werden, sondern wo jeder Gegenstand detailliert und genau beschrieben wird. Gleichzeitig werden einige Vorschriften, wie beispielsweise die Kaschruth, sehr anschaulich erklärt und durch Messer für die rituelle Schächtung veranschaulicht; die Feiern von Havdalla werden anhand wunderschöner Bessamim-Büchsen dargestellt. Das nächste kleine Zimmer ist der Kunst gewidmet, vor allem der Malerei, sowie der jüdischen Buchdruckerei in der Slowakei im Laufe der Jahrhunderte. Der Besuch endet mit einer Art Saal der Erinnerung, in dem sich eine ultramoderne Schoah-Gedenkstätte sowie Fotos von jüdischen Widerstandskämpfern befinden, dazu auch ein kleiner Schaukasten, der den Slowaken gewidmet ist, welche aufgrund ihres mutigen Handelns während der Schoah die Medaille der Gerechten von Yad Vaschem erhalten haben.
Die Sammlung des Museums besteht aus Gegenständen, die aus dem Nationalmuseum, aus privaten Schenkungen und aus Erwerbungen bei Kunsthändlern stammen, ohne dass man sich allerdings viele Fragen nach der Herkunft der Objekte gestellt hätte. Wenn man weiss, dass vor der Schoah fast 140'000 Juden in der Slowakei lebten, kann man sich berechtigterweise fragen, was mit all den Kultgegenständen und Büchern geschehen ist, die sich in den Synagogen und jüdischen Haushalten befanden?
Um besser zu verstehen, welches der Grundgedanke bei dieser kulturellen jüdischen Operation ist, haben wir mit Professor Pavol Mestan gesprochen, dem Museumsdirektor, dem Maros Borsky zur Seite steht, Konservator und Projektleiter von «Synagoga Slovaca».
Welches Ziel streben Sie mit Ihrer Tätigkeit an?
Das Museum und «Synagoga Slovaca» sind weit mehr als einfach eine Ausstellung und ein Projekt, bei dem es um Dokumentation und die Renovierung von Synagogen geht. Für mich geht es in erster Linie darum, die Ignoranz zu bekämpfen, die den Antisemitismus hervorruft und am Leben erhält. Dazu kommt die Tatsache, dass im Zentrum von Bratislava eine Schoah-Gedenkstätte errichtet wurde. Wir betonen daher den erzieherischen Aspekt unserer Arbeit. Dies bedeutet, dass wir für Lehrpersonen Seminare über das Judentum und die Schoah veranstalten und ihnen beibringen, wie sie die Schoah im Unterricht vermitteln können. Wir unterscheiden drei Gruppen von Besuchern: die jüdischen und nichtjüdischen Touristen aus aller Welt, Israelis und Schulklassen. Leider gehört der Besuch unseres Museums nicht zum obligatorischen Lehrplan und wird dem Gutdünken jedes Lehrers überlassen. Man muss sich klar machen, dass das Erziehungsministerium sich in der Hand der sehr konservativen christlich-demokratischen Partei befindet und das Land tief katholisch ist. Dazu kommt, dass niemand vergessen hat, dass das Land während des Kriegs von einem römisch-katholischen Priester regiert wurde?, was nichts Unschuldiges hat und ziemlich folgenschwer war. Die Botschaft des Museums ist eindeutig: Bekämpfung des Antisemitismus, indem man in einem streng katholischen und konservativen Umfeld etwas gegen die Unwissenheit unternimmt.
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