Beim Klang des Namens dieser Institution könnte der Leser denken, dass nun eine Studie zum Thema «Haarpflege und Färbemittel in der jüdischen Gesetzgebung» folgt. Wir werden aber über etwas ganz anderes berichten: über den wieder aufkommenden Nazismus und die Reinwaschung des arabischen Antisemitismus durch die westlichen Demokratien.
Es ist allgemein bekannt, dass der Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen an Boden gewinnt und dass seine Anhänger nicht mehr zögern, ihre Ansichten öffentlich kund zu tun. Seit 1982 besteht an der Hebrew University von Jerusalem ein hervorragendes unabhängiges Institut für interdisziplinäre Studien, das «Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism», dessen Ziel darin besteht, den Antisemitismus zu verstehen und zu bekämpfen. Dieses Institut untersucht das Phänomen im Laufe der Jahrhunderte und konzentriert sich dabei besonders auf die Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden, vor allem in Zeiten der Spannungen und in Krisensituationen. Geleitet wird das Institut von Professor ROBERT S. WISTRICH, den wir gebeten haben, uns den Zweck, die Funktionsweise und die Ziele des Zentrums genauer zu erläutern.
Können Sie uns in knappen Worten sagen, wie und weshalb das von Ihnen geleitete Institut gegründet wurde?
Das Vidal Sassoon Center wurde 1982 eröffnet, um alle Aspekte des Phänomens zu untersuchen und zu beschreiben, das ich als «den am längsten währenden Hass» bezeichne. Wir besitzen einen Ausschuss aus Akademikern und Forschern, dem Fachleute dieses Bereichs sowohl in Israel als auch in aller Welt angehören und die so unterschiedliche Gebiete abdecken wie Geschichte, Politologie, Soziologie, Anthropologie, vergleichende Religionswissenschaften, Psychologie usw. Als ich vor drei Jahren die Leitung des Instituts übernahm, veranlasste ich eine grundlegende Veränderung der Politik, was direkte Auswirkungen hatte. Aufgrund der Flutwelle von Antisemitismus, der wir gegenüberstanden und die ich als die grösste existenzielle Gefahr für das jüdische Volk und Israel seit 1945 ansehe, ging ich davon aus, dass die Ergebnisse unserer Forschungsarbeiten und Publikationen unbedingt auf unmittelbare und effiziente Weise genutzt werden mussten, um den öffentlichen Diskurs dadurch taktisch zu beeinflussen und direkt auf die Entscheidungen der Politiker und der Staaten in aller Welt einzuwirken. Ich glaube, dass es uns in dieser Hinsicht gelungen ist, eine Reihe von neuen Ideen in die Bekämpfung und die Reduzierung des Antisemitismus auf der Welt einzubringen. Wir haben ebenfalls zu einem besseren Verständnis dieses Phänomens beigetragen.
Können Sie uns anhand eines konkreten Beispiels zeigen, wie sich Ihr direkter Einfluss ausgewirkt und gar eine Veränderung herbeigeführt hat?
Nehmen wir zum Beispiel die «Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa» (OSZE), deren erste Tagung über Antisemitismus 2003 in Wien, die zweite 2004 in Berlin und die folgende 2005 in Cordoba stattfand. In Wien habe ich einen Vortrag gehalten, der eine wahre Schockwelle auslöste. Die Nachwirkungen konnte ich im darauf folgenden Jahr in Berlin ermessen, wo die Tagesordnung völlig neu gestaltet wurde, indem die von mir in Wien angesprochenen Probleme einen sehr viel höheren Stellenwert erhielten.
Was hatten Sie denn gesagt?
Kurz, dass es unmöglich ist, den heutigen Antisemitismus (den einige den neuen Antisemitismus nennen) mit den Mitteln zu bekämpfen, die man bei der Abwehr von herkömmlichem Antisemitismus einsetzt. Was wir heute erleben, ist etwas völlig anderes, auch wenn wir ähnliche Elemente wie im herkömmlichen Antisemitismus vorfinden, denen wir auch nicht gleichgültig gegenüber stehen können. Europa und die westliche Welt müssen, mit anderen Worten, erkennen, dass das Hauptziel des zeitgenössischen Antisemitismus daraus besteht, Israel die Legitimation zu entziehen und dadurch den jüdischen Staat auf völlig gerechtfertigte und legale Weise von der Landkarte zu streichen. Der Angriff gegen Israel ist für die Antisemiten aller Ausrichtungen überall auf der Welt zu einem Instrument geworden, dem künftigen Überleben des jüdischen Volkes den Todesstoss zu versetzen. Gleichzeitig hat sich der Schwerpunkt der Judenfeindlichkeit in die arabische und muslimische Welt verlagert. Auch wenn die Quellen grösstenteils in Europa zu finden sind und es historisch gesehen eine grosse Verantwortung trägt, macht sich Europa heute einer ständigen Komplizenschaft mit dieser Form des Antisemitismus schuldig, der den Keim des Völkermords in sich birgt. Diese Tatsache muss bekämpft werden, und zwar nicht mit Hilfe von Euphemismen und Stillschweigen, oder indem man den Kopf in den Sand steckt und die Fakten verharmlost, sondern durch gemeinsame Bemühungen, die diesem gefährlichen Diskurs den Wind aus den Segeln nehmen; er steht nämlich in einem völligen Widerspruch zu allen grundlegenden Werten, die der Westen angeblich vertritt, einschliesslich der Menschenrechte. Es gibt keine schwerwiegendere Verletzung der Menschenrechte als die Verteufelung Israels und der Juden. Dazu kommt ein pragmatisches Argument, das ich nicht nur in Wien, sondern an jeder Konferenz in Erinnerung gerufen habe, an die ich eingeladen werde, und das besagt, dass «das, was mit den Juden beginnt, nie mit den Juden allein beendet wird». Es liegt demnach im Interesse der Christen und der demokratischen Staaten zu verhindern, dass dieser Diskurs an Glaubwürdigkeit gewinnt, und eher eine Kompromisslösung zu finden zu versuchen, als ihn mit Entschlossenheit zu bekämpfen, weil dies in der westlichen Gesellschaft grossen Schaden anrichten wird. Die Fakten sprechen für sich, wie z.B. die direkte Interaktion mit dem Terrorismus. Noch vor nicht allzu langer Zeit herrschte der Gedanke vor, der Terror sei ein ausschliesslich israelisches Problem, das daraus entstehe, dass die Juden sich «nicht um das Leid des palästinensischen Volkes und der Araber allgemein kümmerten». Diese Denkweise liess eine simple Lösung zu: «Wenn Israel sich den Forderungen der Araber unterwirft, werden der Terrorismus und der Antisemitismus völlig verschwinden». Doch heute liegt die Ursache des Übels eigentlich nicht mehr in der israelischen Politik, sondern in derjenigen der USA im Nahen Osten, und wir müssen feststellen, dass der Terror, der Antisemitismus und der Dschihad im Grunde untrennbar miteinander verbunden sind, unabhängig davon, was Israel tut oder unterlässt. Was in Israel in Bezug auf den Terrorismus geschehen ist, ist in Wirklichkeit nur ein Vorgeschmack dessen, was die ganze Welt erlebt, einschliesslich der arabischen Welt, wie dies in Istanbul (wo die Synagoge und das britische Konsulat angegriffen wurden), Casablanca, Tunis, Riad, Sharm-El-Sheik, sowie in Europa in Madrid und London der Fall war. Leider beobachten wir 60 Jahre nach Ende der Schoah ein Phänomen der bewussten oder einer erschreckenden Naivität entspringenden Komplizenschaft zwischen den europäischen Regierungen, dem Antisemitismus und dem internationalen Terrorismus. Die jungen Muslime, die sich in Selbstmordattentaten in die Luft jagen, geniessen nämlich das verständnisvolle Schweigen zahlreicher Staaten angesichts der Verbreitung des Hasses und der Vernichtung Israels. Darüber hinaus folgen sie dem Vorbild Scheich Omars, eines pakistanischen Muslims, Absolvent der besten Universität des britischen Bildungswesens, der «London School of Economics», der Daniel Pearl enthauptete. Es besteht keine Hoffnung, dass das oben beschriebene Phänomen in irgendeiner Weise besser wird, wenn die westlichen Regierungen und die Intelligenzija nicht eine radikale Kehrtwende einläuten.
Inwiefern werden Ihre Feststellungen, Nachforschungen, Warnungen und Ratschläge berücksichtigt und in die Tat umgesetzt?
Ende 2004 war das State Department aufgrund eines vom amerikanischen Kongress verabschiedeten Gesetzes gezwungen, einen globalen Bericht über den Antisemitismus zu veröffentlichen. Da sie nur über wenig Zeit verfügten, nahmen die Verantwortlichen Kontakt zu mir auf und ich habe ihnen nach Kräften geholfen. Da ich keinerlei Einfluss auf die von den amerikanischen Botschaften in aller Welt verfassten Berichte nehmen konnte, ergab sich leider daraus, dass alle in arabischen Ländern etablierten Kanzleien die betreffenden Länder von jeder Form des Antisemitismus rein wuschen. Als ich in der Folge nach Washington reiste, weil ich im State Department über Antisemitismus sprechen sollte, wurde ich bei derselben Gelegenheit gebeten, den berüchtigten globalen Bericht zu beurteilen. Ich habe mich nicht gescheut, die darin enthaltenen Fehler und Widersprüche aufzuzeigen. Zu Ägypten beispielsweise gab es eine halbe Seite, die überhaupt nichts mit der Realität in den Medien zu tun hatte, in denen der nazilastige Antisemitismus gang und gäbe ist. Ich konnte auf diese Weise der Wahrheit zu ihrem Recht verhelfen.
Kommen wir doch zum von Ihnen geleiteten Institut zurück. Ist Vidal Sassoon immer noch persönlich aktiv?
Vidal Sassoon lebt in Los Angeles und lässt uns noch eine gewisse finanzielle Unterstützung zukommen. Als 1982 das Institut gegründet wurde, kam es in Paris zu antisemitischen Angriffen und in ganz Europa zu einem beginnenden Wiederaufleben der Judenfeindlichkeit, doch natürlich bestand keinerlei Vergleich zur heutigen Situation. Zu Beginn konzentrierte sich die Tätigkeit des Zentrums ausschliesslich auf Forschung, Untersuchungen und Konferenzen und erwarb sich damit internationale Anerkennung. Als ich die Führung übernahm, wurde mir bewusst, dass die Judenfeindlichkeit der arabischen und muslimischen Welt in Israel selbst völlig vertuscht und ignoriert worden war, obwohl unser Institut eine Reihe bedeutender Werke veröffentlicht hatte, insbesondere über den Antisemitismus in Ägypten. Ich muss auch betonen, dass es, in Israel, zu Beginn des Osloer Prozesses äusserst verpönt war, von arabischem Antisemitismus zu sprechen, denn es handelte sich um Misstöne in der euphorischen Illusion des Augenblicks. Man durfte unter keinen Umständen Panik in der Öffentlichkeit auslösen und den Diskurs des Hasses anprangern, der in den arabischen Medien zutage trat. Sobald man ihn erwähnte, wurde mit dem Finger auf einen gezeigt. Eine meiner ersten Handlungen bestand darin, dieses Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Mit zahlreichen Schwierigkeiten und indem den in den Medien Geächteten das Wort erteilt wurde, gelang es mir, eine Kehrtwende herbeizuführen. Allmählich nahm man auch in Israel wahr, wie schwerwiegend das Phänomen wirklich ist. Dazu muss man auch sagen, dass die Israelis im Allgemeinen eigentlich nie wirklich mit Antisemitismus konfrontiert wurden, sie entdecken ihn während ihren Reisen im Ausland. Indem wir allerdings die Frage des Antisemitismus im weitesten Sinne auslegen, können wir ihnen erklären, dass es sich um ein grundlegendes Problem handelt, das den Platz Israels im Kreis der anderen Nationen bestimmt und in Bezug auf die jüdische Existenz, auf unsere Werte und das, was wir darstellen, von wesentlicher Bedeutung ist.
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Für zusätzliche Informationen über die Tätigkeiten des Instituts verweisen wir Sie auf die ausgezeichnete Website mit Suchmaschine und Hintergrundmaterial, die ebenfalls den kostenlosen Zugang zu einer sehr vollständigen Datenbank über sämtliche antisemitischen Publikationen weltweit, sowie Filmaufnahmen von allen Konferenzen ermöglicht: http://sicsa.huji.ac.il.
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