Editorial - April 1996
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Pessach 5756
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Von Rabbiner Shabtaï A. Rappoport *
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R. hat sich auf die Planung und auf den Bau von Autobahnen spezialisiert. Als auf diesem Gebiete bekannter Experte wird R. von den Beamten des Verkehrsministeriums hochgeschätzt, die seine Meinung berücksichtigen und seine Analysen und Kostenvoranschläge annehmen.
Nur wenige Autobahnbauprojekte werden ausgeschrieben, ohne dass die Entwürfe dem Büro von R. vorgelegt werden, welcher sie durchliest, seine Meinung über die Durchführungsmöglichkeiten der Projekte abgibt und die oft zu optimistischen Kosten- und Terminangaben der verschiedenen Unternehmer beurteilt.
Seine Regierung hat neulich Vereinbarungen in der Hoffnung unterzeichnet, dass ein Friedensvertrag daraus entsteht; diese Vereinbarungen betreffen den Rückzug des Militärs aus seinen derzeitigen Stellungen und den schnellen Bau neuer, sicherer Autobahnen. Daher erstaunt es nur wenig, dass R. dazu aufgefordert wurde, die geplanten alternativen Strassen zu überprüfen. Er verpflichtete sich in der gewohnten Form zur Geheimhaltung, unterhielt sich danach mit den Beamten des Verteidigungsministeriums und befragte Verantwortliche aus den Geheimdiensten sowie Offiziere aus der Armee. Nach mehrwöchiger, eingehender Überprüfung kam er zum Schluss, dass es eine einzige gangbare Lösung für den Verlauf der neuen Autobahn gibt; er war überzeugt, dass sein Vorschlag der Regierungskommission vorgelegt und von dieser genehmigt würde. Es war ja in der Öffentlichkeit bekannt, dass die Regierung gemäss der bevorstehenden Vereinbarung den Bau neuer Strassen beabsichtigte. Hingegen waren die Informationen, die R.'s Analyse zugrundelagen, streng geheim. Als einziger besass er den Überblick über das Gesamtprojekt, da den verschiedenen betroffenen Organen nur je ein Teil des Gesamtbildes bekannt war. In der Folge kannte niemand sonst den genauen Verlauf der zukünftigen Strasse, bevor er seinen Plan der Kommission vorlegte: er besass somit eine höchst wertvolle Information. Sein Plan bestimmte die auf diesem Verlauf bestgelegenen Standorte für den Bau von Tankstellen, Raststätten und sonstigen Handelszentren. Für einen lächerlichen Betrag hätte er dort Grundstücke erstehen können, deren Wert nach der Bekanntgabe der Baupläne in unermessliche Höhen gestiegen wäre. Eine solche Transaktion stellte doch die Chance seines Lebens dar; dadurch würde niemand geschädigt und diese Information gehörte beim ersten Blick eigentlich niemandem. Könnte er ihre Verwendung rechtfertigen, um daraus eigenen Profit zu schlagen ?
Im Talmud, im Traktat Berachot 18b, liest man ein Gleichnis, das uns ein Beispiel für die Verwendung einer ungewöhnlichen, an der Quelle erfahrenen Information erzählt. Während eines Dürrejahrs gab eine Person guten Willens (im Talmud wird durch diese Beschreibung im allgemeinen einer der zwei folgenden Weisen bezeichnet: Rabbi Yehuda Ben Baba oder Rabbi Yehuda Bar Ilai) am Vorabend von Rosch Haschana einem Armen eine Silbermünze. Die Frau des Spenders war so verärgert, dass er seinen Wohnort verlassen und im Ortsfriedhof die Nacht verbringen musste. In der Nacht kam ihm unfreiwillig ein Gespräch zwischen zwei Geistern über Geheimnisse zu Ohren, die der eine von ihnen im Himmel erfahren hatte. Es besagte, dass alle Früchte der nach dem ersten Regen besäten Felder durch den Hagel vernichtet würden. Der zufällige Zuhörer benutzte diese Information und wartete den zweiten Regen ab, um seine Felder zu besäen. Natürlich überstanden seine Äcker als einzige die Stürme in diesem Jahr. Im Jahr darauf ging er aus eigenem Antrieb auf den Friedhof, um dort den Vorabend von Rosch Haschana zu verbringen und erfuhr aus dem Gespräch zwischen den Geistern, dass die nach den zweiten Regenfällen besäten Felder von einer Krankheit verseucht würden. Als einziger in diesem Jahr machte er sich eifrig daran, seine Felder nach dem ersten Regen zu besäen, und auch diesmal überlebten als einzige seine Äcker. Seine Frau wurde neugierig und so erfuhr sie, dass er eine Information gleich an der Quelle erfahren hatte. Im folgenden Jahr begab er sich wieder auf den Friedhof und hörte, dass die Geister sich weigerten, ihre Geheimnisse untereinander auszutauschen, da diese unter den Sterblichen verraten würden. Gemäss der Art und Weise, wie uns diese Erzählung vom Talmud überliefert wird, scheint der Mensch guten Willens korrekt gehandelt zu haben, obwohl er eine Information benutzt hat, die nicht für sein sterbliches Ohr gedacht war. Da er nunmal die Tatsachen erfahren hatte, stand es ihm auch frei sie zu verwenden. Daher macht die Tatsache, dass eine an der Quelle aufgeschnappte Information nicht öffentlich verbreitet wird, deren Verwendung nicht strafbar. Man kann dennoch R's Projekt von einer anderen Warte aus betrachten. Der Talmud «MDNM»Chulin 94a bezeichnet als Betrug eine Kategorie von scheinbar unwichtigen Handlungen, die er auf hebräisch Gnewat Daat nennt. Der angeführte Fall betrifft eine "harmlose" Lüge. Einem Nichtjuden ist es erlaubt unkoscheres Fleisch zu sich zu nehmen. Nichtsdestotrotz darf ihm kein Jude dieses verbotene Fleisch anbieten und dabei entweder behaupten, es sei koscheres Fleisch, oder es sogar unterlassen, ihm gegenüber zu erwähnen, dass es keines ist. Dazu wird erklärt, dass es sich hierbei um einen Vertrauensmissbrauch handelt. Der Beschenkte meint nämlich, ein für den Schenkenden wertvolles Präsent erhalten zu haben, während es für den letzteren ausschliesslich eine nicht erlaubte Nahrung ist. Maïmonides erwähnt dieses Verbot an zwei Stellen: in den "Gesetzen über das persönliche Verhalten" (Hilchot Deot, Kap. II, Abs. 6) bezieht es sich auf die individuelle Integrität und die Ehrlichkeit im Reden und Denken; in den "Gesetzen über den Verkauf" (Hilchot Mechira, Kap. XVIII, Abs. 1-3), in welchen er die Geheimhaltung relevanter Informationen beim Kauf oder Verkauf behandelt, wird dieses Verbot unter dem juristischen Gesichtspunkt erwähnt. Nach dieser Gesetzgebung obliegt es also dem Verkäufer, dem Käufer die versteckten Mängel seiner Ware zu veröffentlichen. Auf dieses Gesetz wird im Schulchan Aruch Hochen Mischpat tiefer eingegangen (Siman CCXXVIII, Abs. 6) und dessen verschiedene Anwendungsgebiete werden in den Responsen der rabbinischen Literatur erläutert. In seinen Responsen Yossef Ometz (Kap. LVII) untersagt Rabbi Chaim Yossef David Azoulai (der Hida), ein im 18. Jahrhundert berühmter Weise, den vorgetäuschten Wettbewerb, um den Preis eines Artikels während einer Versteigerung in die Höhe zu treiben. Dieses Verbot erstreckt sich sogar auf Versteigerungen innerhalb der Synagoge, deren Erlös den Bedürfnissen der Gemeinschaft dienen soll. Analog dazu ist es daher verboten, zu einem lächerlichen Preis ein dem Anschein nach wertloses Grundstück zu erstehen, wenn dieses einen unschätzbaren Wert besitzt und der Käufer eine Information erhalten hat, die ihm unter dem Staats- oder Handelsgeheimnis den wahren Sachverhalt enthüllt.
Einer demokratische Regierung verkörpert durch verschiedene Gesetze eine explizite Vertragsform, ist aber auch implizit, da eine solche Regierungsform grundsätzlich voraussetzt, dass die Beamten die ihnen übertragene Entscheidungsgewalt nicht zum Zwecke der eigenen Bereicherung missbrauchen. Wird in der Folge ein Verkaufsangebot an den Besitzer eines Grundstücks gerichtet, das in der Nähe einer in der Planungsphase befindlichen Strasse liegt, muss jener voraussetzen können, dass es nicht von einem informierten Beamten stammt, der wohl weiss, dass der Wert des Grundstücks bei weitem den vorgeschlagenen Preis übersteigt. Loyaler Handel muss auf folgender stillschweigenden Sicherheit beruhen: jede wesentliche, den Eigentumswert betreffende Information im Besitze des aktuellen Käufers in bezug auf Regierungsprojekte ist jedem Einzelnen zugänglich, sofern dieser sich bemüht, sie zu erhalten. (Hier handelt es sich natürlich nicht um eine dank besonders feiner Spürnase erhaltene Informationen). Diese stillschweigende Abmachung darf auch nicht missbraucht werden. Andererseits hat der Mensch in der Talmud'schen Erzählung das Vertrauen weder des Käufers noch des Verkäufers betrogen. R. ist daher nicht berechtigt, die erhaltene Information zum Zwecke der eigenen Bereicherung auszunutzen. Tut er es trotzdem, könnte er sich strafbar machen und gezwungen werden, den tatsächlichen Wert des erstandenen Grundstücks zurückzuzahlen oder den Verkauf rückgängig zu machen.
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