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Inhaltsangabe Analyse Frühling 1996 - Pessach 5756

Editorial - April 1996
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Pessach 5756
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Juden im neuen Südafrika

Von Zvi H. Hurwitz*
Auf dem Rückflug nach Israel, nach meinem ersten kurzen Besuch im neuen Südafrika, sass ich neben einem jungen afrikaanischen Farmer, der mich Fragen über das Leben in Israel bombardierte. Nach einer gewissen Zeit fragte ich ihn, weshalb er sich so für all diese Details interessiere. "Weil meine Familie und ich uns gern in diesem Land niederlassen würden", antwortete er mit grosser Entschlossenheit im Blick. "Wir müssen unser geliebtes Südafrika verlassen. Es ist nicht mehr sicher. Unsere Kinder besitzen hier keine Zukunft."

Voller Überraschung fragte ich, ob es sich dabei um eine sehr persönliche Entscheidung handle. "Oh, nein", sagte er. "Viele von uns möchten ausreisen. Einige denken an Argentinien, Brasilien oder andere Länder in Südamerika. Meine Familie glaubt jedoch an die Bibel und möchten ins Heilige Land ziehen".

Natürlich verglich ich seine sehr klare Einstellung mit derjenigen mancher Juden, die heute wieder in grosser Zahl an Emigration denken. Die meisten von ihnen richten ihr Augenmerk auf die neuen "Gelobten Länder" - Australien und Neuseeland, und nur 16% der Ausreisewilligen gedenken sich in Israel niederzulassen. Während meines kurzen Besuchs traf ich zahlreiche führende Persönlichkeiten und Mitglieder der Gemeinschaft und erfuhr, dass Dutzende von Familien ihre Kinder in die jüdischen Tagesschulen, aufgrund ihrer Ausreise, nicht für das Schuljahr 1996 eingeschrieben haben. Aus demselben Grund musste der Israel United Appeal mehrere hundert Namen aus seinen Listen streichen.

Einige Jahre lang bestand Interesse an diesem "Zahlenspiel". Hitzige Diskussionen wurden über die Zahl der ursprünglichen Gemeinschaft von 120'000 Seelen, welche Südafrika verlassen hatten, und die Zurückgebliebenen geführt. Heute ist man sich fast überall darüber einig, dass die Gemeinschaft auf ca. 75'000 Juden oder gar weniger zusammengeschmolzen ist.

Welches sind die Ursachen für diese neue Reisebewegung der Südafrikaner in verschiedene Teile der Welt ? In erster Linie ist es wohl die intensive und offensichtlich unkontrollierbare Welle von Verbrechen, hauptsächlich in der Gegend von Johannesburg, die sich nun auch auf andere Regionen ausweitet. Kaum eine Familie, die nicht von kriminellen Akten unterschiedlicher Schwere - Raub, Bandenüberfall, Entführung von Autos, Vergewaltigung, bewusster Aggression und kaltblütigem Mord - betroffen ist.

Diese Flut von Verbrechen wurde vor allem durch die frustrierten und verzweifelten Massen junger Schwarzer begangen, die durch die nicht erfüllten Versprechungen enttäuscht wurden. Seit 1975 haben sie keine Ausbildung mehr erhalten, es gibt eine Arbeitslosenrate von 45%, falls sie nicht noch höher liegt, sie besitzen kein Dach über dem Kopf, sie leiden Hunger und versuchen nun einfach, alles mit Gewalt zu erreichen. Während meines Besuchs berichtete die Presse von der Bekanntgabe des Wohnungsbauministers, die Regierung habe innerhalb der vergangenen 17 Monate 10'163 Häuser gebaut und wolle das anlässlich der Wahlen von 1994 versprochene «MDNM»Ziel von einer Million Häusern in fünf Jahren erreichen !

Aus dem einen oder anderen Grund scheint die Gefahr überfallen zu werden, in den jüdischen Quartieren, häufiger vorzukommen als in den anderen. In der Zeit unseres Besuchs versammelten sich mehrere hundert Juden an einem bestimmten Ort, um die Sicherheitslage zu diskutieren und eine Form der Selbstverteidigung zu organisieren, eine Erinnerung an Europa vor dem Krieg und an andere Länder in der Welt. Ich sah wie das System funktionierte, als ich am Freitag abend den Gottesdienst besuchte: uniformierte und zivile Sicherheitsbeauftragte standen beim Eintreffen und Fortgehen der Gläubigen an allen Ecken in der Nähe der Synagoge.

Eine neue, besondere Sorge stellt der wachsende, von Libyen und anderen Zentren der Revolution ausgeübte Einfluss des Islams für die jüdische Gemeinschaft dar. Von den Südafrikanern sind weniger als 2% Moslems, doch sie berufen sich auf bedeutende finanzielle Unterstützung aus dem Ausland. In einem ersten Schritt setzen sie sich für den Bau von Moscheen in verschiedenen Teilen des Landes ein, darunter auch in Johannesburg, wo eine grosse jüdische Gemeinschaft lebt.

Die Hauptsorge gilt jedoch der politischen Zukunft Südafrikas. Vor einigen Wochen berichtete die Presse von einem offenen Zerwürfnis zwischen Präsident Mandela und Vizepräsident F.W. de Klerk, der dieses Amt als Ergebnis einer sorgfältig ausgearbeiteten nationalen Koalitionsabkommens bekleidet, das 1999 ungültig wird. Als Berichte - oder Gerüchte - darüber laut wurden, dass De Klerk an den Rücktritt aus der Regierung der nationalen Einheit dachte, fielen die südafrikanischen Aktien an allen Börsen der Welt und die Kapitalsflucht stieg an.

Der "Strassenkampf" zwischen Mandela und De Klerk - man sah sie irgendwo auf Johannesburger Pflaster erbittert miteinander streiten - bewies, wie wichtig die Versöhnung zwischen weisser und schwarzer Führungsspitze für die Zukunft des Landes ist. Wenn 1999 die nächsten Wahlen stattfinden, fällt die automatische Garantie und Sicherheit für die weisse Bevölkerung weg. Es wird eine direkte Wahl sein mit einer Stimme pro Büger; die demographischen Zahlen sind wohlbekannt und werden dramatische Änderungen erfahren. Zu meiner Überraschung hörte ich von Schätzungen, nach denen es in Südafrika bereits fünf- bis acht Milionen "illegale Einwanderer" aus Nachbarstaaten, wie z.B. Simbabwe, Sambia, Mosambik und anderen, gibt. Dies bedeutet, dass die schwarze Bevölkerung sich aufgrund der Immigration mit Riesenschritten entwickelt, während die weisse Bevölkerung schrumpft. Die erwarteten Ergebnisse von 1999 beunruhigen manchen weissen Südafrikaner. In dieser schlimmen Situation hat das Parlament, unter der Präsidentschaft von Cyril Ramaphosa, entschlossen, die möglichkeit die Rechte der weissen Minorität auch nach 1999 zu garantieren und zu verstärken.

Das traurige und beunruhigende Bild besitzt jedoch einen positiveren Aspekt. In manchen Kreisen der grossen Geschäftswelt herrscht tiefes Vertrauen, dass das wunderschöne Land Südafrika wieder eine vielversprechende Zukunft besitzt, wenn die Welle der Verbrechen doch noch unter Kontrolle gebracht werden kann, wenn Investitionen angezogen werden können usw. Die kleineren Unternehmen sind weniger optimistisch, und die Arbeitnehmer fürchten sich ganz einfach davor, dass ihre Arbeitstage und ihr Verdienstpotential sich dem Ende nähern.

An der Oberfläche scheint sich das jüdische Leben hinter hohen Mauern, Sicherheitsvorkehrungen und elektrischen Schranken also durchaus normal abzuspielen. Nur wenige Menschen gehen abends aus dem Haus, ausser zu äusserst wichtigen Zwecken. Die Zentren der jüdischen Bevölkerung konzentrieren sich heute auf einige bestimmte Gebiete in den grösseren Städten. Der frühere Glanz ist dahin. Die Grossen Synagogen von Kapstadt und Johannesburg haben ihre Tore sozusagen geschlossen und bleiben vorläufig als nationale Denkmäler bestehen. Juden besetzen im öffentlichen Leben Schlüsselstellen, auf der Ebene der Nationalregierung bis zu den lokalen Behörden. Anlässlich der letzten lokalen Gemeindewahlen kandidierten zahlreiche Juden auf fast allen Parteilisten, darunter auch für die Partei der Zulus und Mandelas ANC. Die meisten von ihnen verloren jedoch die Wahl.

Die jüdische Gemeinschaft Südafrikas ist in mancher Hinsicht nur noch ein Schatten ihrer selbst. Sie braucht eine starke geistige und zionistische Führung, welche ihr am Ende des zweiten Jahrtausends die einzuschlagende Richtung weist.


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