Editorial - April 1996
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Jerusalem - 3000 Jahre Geschichte
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In meinem letzten Artikel anlässlich des 3000. Jahrestages der Ausrufung Jerusalems zur Hauptstadt Israels durch König David befasste ich mich mit den verschiedenen Darstellungen dieser Stadt in jüdischen Werken. Dieser Artikel beschäftigt sich nun mit nichtjüdischen, darunter auch mit einigen schweizerischen Quellen und Plänen Jerusalems.
Auf alten Karten wird Jerusalem immer als das Zentrum der Welt dargestellt, wobei die Stadt oft in einem grösseren Massstab als die Umgebung erscheint. Dies ist beim Bodenmosaik von Madaba in einer Kirche aus dem 6. Jahrhundert in Jordanien der Fall, das seit dem Vertrag mit Jordanien von Israel aus besichtigt werden kann. Die Karte in Mosaikform zeigt in der Mitte das ovalförmige Jerusalem. Viele Einzelheiten der Stadt können identifiziert werden, darunter das Damaskustor, die Grabeskirche, die römische Strasse, welche die Stadt von Norden nach Süden durchschneidet, und der heute ausgegrabene Kardo. Jerusalem befindet sich ebenfalls im Zentrum der Weltkarten des Mittelalters und wird radförmig dargestellt.
Seit der Einführung der Buchdruckerkunst sind viele Karten und Pläne Jerusalems entstanden. Einige von ihnen verkörpern Panoramas, andere bieten eine Ansicht aus der Vogelschau, und viele von ihnen stellen das biblische Jerusalem dar. Das erste Bild, das sich auf eine tatsächlich vor Ort ausgeführte Zeichnung stützte, wurde 1483 von einem Mainzer Priester, Bernard von Breydenbach, angefertigt. Er reiste 1483 ins Heilige Land und wurde dabei von einem Künstler begleitet, der die Reise in Zeichnungen festhalten sollte. Zwei bedeutende Darstellungen sind Teil der Nürnberger Chronik von 1493, wobei die eine von ihnen eine Phantasieansicht der Zerstörung Jerusalems mit dem brennenden Tempel, die andere die Stadt in der Form eines Kreises mit dem Tempel Salomons in der Mitte zeigt, auch wenn kein einziges Gebäude den echten Häusern der Stadt entspricht.
Diese Darstellungen sind, wie alle vom 15. bis 19. Jahrhundert entstandenen Ansichten, Kunstwerke, die mit grosser Sorgfalt hergestellt wurden: die kartografische Ungenauigkeit einiger dieser Pläne verringert keinesfalls ihre künstlerische Schönheit. Sie widerspiegeln die Vision des Kartografen der Heiligen Stadt und sind oft der Phantasie entsprungene oder idealisierte Ansichten, da die Zeichner die Stadt in Wirklichkeit nie gesehen hatten. Dies traf insbesondere auf die Darstellungen des Salomontempels zu, der manchmal wie eine Festung, dann wieder wie ein Renaissancepalast aussieht. Für die Christen besass eine Wallfahrt nach Jerusalem und an die Heiligen Stätten seit Jahrhunderten grosse Bedeutung. Es gibt zahlreiche Manuskripte und gedruckte Bücher mit Illustrationen und Karten Jerusalems. Viele Bibeln sowie andere religiöse oder historische Bücher enthielten ebenfalls oft Pläne von Jerusalem, auf denen in den meisten Fällen zahlreiche religiöse Stätten angegeben und aufgeführt sind. Der berühmte Stadtplan des deutschen Druckers Matthäus Seutter aus dem frühen 18. Jahrhundert gibt 254 Stätten an. Eine andere, vom holländischen Geistlichen Adrichom am Ende des 16. Jahrhunderts ausgeführte Zeichnung, listet 270 Orte auf, darunter auch Angaben zum Inneren des Tempels. Die meisten Panoramabilder der Stadt zeigen Jerusalem aus westlicher Sicht vom Ölberg aus, weil von hier aus fast alle bedeutenden Stätten zu sehen waren. Cornelis de Bruyn, ein holländischer Künstler, der das Heilige Land 1682 besuchte, meinte: "Am 6. November, drei Tage nachdem ich damit begonnen hatte, stand das Bild Jerusalems fertig vor mir. Von meinem Standort auf dem Ölberg aus geniesst man eine wunderbare Aussicht auf die Stadt, da das Panorama von keinem einzigen störenden Gebäude unterbrochen wird..." Dieser Ausblick vom Ölberg blieb bei Malern und Fotografen des 19. Jahrhunderts bis zum heutigen Tag weiterhin beliebt.
Einige Ansichten zeigen die Stadtmauer in verschiedenen Zeitepochen, wie z.B. die alte Stadt, die Stadt Davids und das neue Jerusalem, das seit den Makkabäern neu aufgebaut wurde. Viele von ihnen entsprechen den Beschreibungen der Stadt in den Schriften des Josephus. Einige Blätter zeigen zwei Pläne Jerusalems, die Stadt in der frühen Vergangenheit und die moderne Stadt. Manche Karten und Ansichten wurden zu Prototypen und daher Vorlage zu zahlreichen Kopien.
Im 19. Jahrhundert trat die wissenschaftliche Genauigkeit in den Vordergrund und verdrängte die religiöse Bildung. Die Zugänglichkeit von Jerusalem und des Heiligen Landes wurde plötzlich sehr viel grösser, da das Reisen sicherer und einfacher wurde. Das in diesem Jahrhundert wachsende Interesse an religiöser Geschichte förderte die begeisterte archäologische Überprüfung biblischer Stätten. Der erste moderne Stadtplan auf der Grundlage genauer geografischer und topografischer Daten wurde vom Deutschen F.W.Sieber erstellt, der 1818 in die Stadt reiste. Die erste amtliche Karte wurde in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts vom englischen Armeeoffizier Charles Wilson erarbeitet, der eine Amtliche Erfassung Jerusalems in drei Bänden, mit Plänen, Karten und Fotografien, verfasste.
Mit den Reisenden trafen im 19. Jahrhundert auch viele Künstler und Fotografen im Heiligen Land ein. Eine romantische religiöse Haltung verschmolz mit der wachsenden Hinwendung zum Orientalismus. Das Heilige Land und Jerusalem insbesondere galten als beliebter Ort für Maler aus England, Frankreich und Deutschland, wie David Roberts, Leon de Laborde, Edward Lear, Holman Hunt und Gustave Bauernfeind.
Einige der schönsten Exemplare der ersten Fotografien sind Aufnahmen von Jerusalem und des Heiligen Landes. Das erste Bild der Stadt wurde 1839, im ersten Jahr der Fotografie, von einem französischen Fotografen namens Frédéric Gompil Fesquet aufgenommen. Der erste Einwohner Jerusalems, der seinen Lebensunterhalt als Fotograf verdiente, hiess M.J.Diness. Er war ein jüdischer Uhrmacher russischer Abstammung, der 1858 nach Jerusalem kam und vom anglikanischen Bischof zum Christentum konvertiert wurde. Nachdem er von der jüdischen Gemeinschaft ausgestossen worden war, ersuchte er den britischen Konsul um Schutz; bei dieser Gelegenheit verkaufte ihm die Frau des Konsuls eine Kamera. Er studierte daraufhin Fotografie und arbeitete mehrere Jahre lang für den Stadtingenieur von Jerusalem, bevor er dann in die Vereinigten Staaten auswanderte. Eine Reihe seiner Aufnahmen entstanden innerhalb des Tempelbergs. Die Fotografien von Diness wurden 1864 ohne Quellenangabe als Grundlage für die Lithographien in dem berühmten Buch verwendet, das der italienische Ingenieur Pierotti unter dem Titel "Jerusalem Explored" veröffentlichte. Viele Maler kopierten ihre Bilder direkt ab Fotografie oder benützten letztere als Material für ihre Werke. In den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts entstanden unzählige Fotostudios in der Stadt, die grosse Mengen von Abbildungen als Souvenir an Reisende verkauften.
Für Leser in der Schweiz ist es von besonderem Interesse, einige Beziehungen zwischen der Schweiz und Jerusalem zu entdecken. Bemerkenswert ist beispielsweise die Tatsache, dass der bekannte, im frühen 19. Jahrhundert lebende und in Basel geborene Forscher Johann Burkhardt, der Petra wiederentdeckte, zwar nach Tiberias und Galiläa reiste, jedoch nie in Jerusalem war.
Der Schweizer Arzt Titus Tobler besuchte Jerusalem 1835 und schrieb nach seinem Aufenthalt, er bedaure das Fehlen einer wissenschaftlichen Erforschung Jerusalems. Er reiste dreimal in diese Stadt und schrieb zahlreiche Werke über die Topographie der Stadt und über den historischen Hintergrund jeder bedeutenden Stätte. Offensichtlich hat er selbst jede Strasse und jeden Platz der Stadt aufgesucht. 1858 gab Tobler zusammen mit einem holländischen Kartografen einen Stadtplan heraus, der als sehr präzise gilt.
Auch Conrad Schick stellte eine bedeutende Schweizer Persönlichkeit in Jerusalem dar. Der Architekt, Archäologe und Missionar traf 1846 ein und blieb bis zu seinem Tod 1901 hier. Er leistete wichtige Arbeit zur Erfassung der Stadt und lebte in Rechov Hanevi'im in einem Haus, das er selbst entworfen hatte (heute das schwedische Seminar für Theologie). Er nahm an der Planung von Quartieren und Gebäuden in der Stadt teil, stellte auch Modelle von Jerusalem zur Zeit des Zweiten Tempels sowie vom Tempel selbst her, indem er ihn entsprechend der jeweiligen Epoche zeigte. Die Karte von Jerusalem, die er 1894/95 veröffentlichte, umfasst alle Quartiere der Neuen Stadt.
Aus Platzgründen möchte ich nur am Rande auf den Theologen Felix Bovet aus Neuenburg eingehen, der 1858 ins Heilige Land und nach Ägypten reiste. Sein Buch "Voyage en Terre-Sainte" kam 1861 in Neuenburg heraus, erwies sich als recht erfolgreich und wurde sieben Mal in Französisch neu aufgelegt, sowie ins Italienische, Holländische, Deutsche, Englisch und Russisch übersetzt.
Eine letzte Spur führt in die Schweiz, nämlich zum von Stephan Illes, einem seit 12 Jahren in Jerusalem lebenden Katholiken aus Pressburg (damals im österreichisch-ungarischen Reich, heute Slowakien), für die 1873 in Wien stattfindende Weltausstellung erstellte dreidimensionale Reliefplan des modernen Jerusalem. Das Modell wurde nach einem grossen Massstab geschaffen und zeigt unzählige Einzelheiten, wie z.B. die Fenster der Häuser oder die Geschäftsschilder in den Strassen der Altstadt.
Nach 1873 wurde das Modell in verschiedenen Städten in Europa ausgestellt. In der Schweiz gehörten Zürich, Basel, Neuenburg, Lausanne und Genf zu den Stationen der Ausstellung. 1878 wurde ein Buch mit Erklärungen von Illes in Basel herausgegeben. Im selben Jahr wurde das Modell in Genf von einer Gruppe von Spendern für 10'000 Franken erworben und wurde während ca. vierzig Jahren im calvinistischen "Maison de la Réformation" gezeigt. Danach war es plötzlich verschwunden und tauchte erst 1984 in Genf wieder auf, dank den Anstrengungen von David Littman aus Genf und seiner Tochter Ariane. Das Modell gelangte nach Jerusalem zurück und wurde restauriert. Es befindet sich heute im Tower of David Museum. Das dazugehörige Reliefmodell des alten Jerusalem und einige spätere Modelle von Illes bleiben verschollen, auch wenn eine Kopie einer Karte vom Illes-Verlag "Jerusalem aus der Vogelschau" die 1870 in Wien erschien und sich in der Sammlung Laor in Jerusalem befindet.
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