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Inhaltsangabe Analyse Herbst 1994 - Tischri 5755

Editorial - September 1994
    • Editorial

Rosch Haschanah 5755
    • Der Klang des Schweigens

Politik
    • Die Rückkehr des Fanatismus
    • Risse und Spalten im politischen System

Interview
    • Was nun... ?
    • Die Wächter der Hoffnung

Ehrerbietung
    • Der Lubawitscher Rebbe

Judäa - Samaria - Gaza
    • Der Gazastreifen - Lebenswichtige Präsenz für Israel
    • Die Jüdischen Frauen des Gazastreifens

Kunst und Kultur
    • Die Kunst rund um das Sukkot Fest
    • Der Kunstmarkt in Israel
    • Mela Muter (1876 - 1967)

Analyse
    • Der Islam in der Politik des Mittleren Ostens
    • Die besten Freunde der Welt...

Israel - Thailand
    • Ausgezeichnete Zusammenarbeit
    • Frau Botschafter...

Wirtschaft
    • Konstanter Fortschritt

Ethik und Judentum
    • Ein neues Jahr - Aber welches ?

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Der Islam in der Politik des Mittleren Ostens

Von Professor Mosche Sharon *
Die intensive Tätigkeit politischer Bewegungen, die sich zu einer islamischen Ideologie bekennen, wurde von manchen angeblichen Experten des Mittleren Ostens als "radikal", "fundamentalistisch" oder gar als "marginal" bezeichnet. Das Bild, das sich westliche Leser aufgrund dieser Beschreibungen machten, ging davon aus, dass die arabische Welt und der Mittlere Osten im Grunde "laizistische" moderne Gesellschaften seien, in denen islamische Aktivisten aus Gruppen von "Fanatikern" bestehen, die nur eine kleine, wenn auch sehr lautstarke Minderheit ohne echten politischen Einfluss und ohne Verankerung in der Bevölkerung darstellen.
Selbst die Machtergreifung des Ayatollah Khomeini und die Schaffung seines islamischen Staates, ja sogar die überwältigende Rückkehrbewegung zum Islam in allen muslimischen Ländern wurden nicht als deutliches Zeichen für die Möglichkeit erkannt, dass dem Westen beim Bild, das er sich vom Mittleren Osten und von der islamischen Welt im allgemeinen geschaffen hatte, ein grundlegender Irrtum unterlaufen sei.
Natürlich sieht ein Mensch der westlichen Welt, dessen Kulturkreis aus dem Erbgut der römischen Antike und dem Christentum besteht, die Gesellschaft und die Politik des Mittleren Ostens mit den Augen seiner eigenen Kultur und benutzt das Vokabular des westlichen Wortschatzes, um die arabische und islamische Welt zu beschreiben. Die Israelis leben zwar im Mittleren Osten, doch sie begehen denselben Fehler wie die Europäer und Amerikaner. Vor über einem Vierteljahrhundert warnte Professor Bernard Lewis den Westen vor diesem Irrtum und verglich den Beobachter, der die Welt des Islams mit westlicher Terminologie beschreibt, mit einem Reporter, der beim Kommentar eines Baseballspiels die Ausdrücke aus dem Fussball verwendet. Einerseits sind Begriffe wie freie Wahlen, Parlamentarismus, Demokratie, Rechte und Linke absolut bedeutungslos in den sozialen und politischen Überlegungen des Mittleren Ostens, andererseits hat selbst das Wort "Fundamentalismus", das im Zusammenhang mit den gegenwärtigen islamistischen Aktivitäten gebraucht wird, nichts mit dem Islam zu tun.
Der Fundamentalismus stammt geradewegs aus dem innersten Wesen der christlichen Theologie. Dieser Begriff bezeichnet eine auf dem Glauben beruhende Religion, in der die Forderungen des Glaubensartikels für die Erlösung jedes Gläubigen von grundlegender Bedeutung sind. Die Überzeugung, dass jedes Wort der Bibel den wahren, unverfälschten Worten Gottes entspricht, bildet die Grundlage der fundamentalistischen Bewegungen des Christentums. Im Islam existiert dieses Problem jedoch nicht. Kein Muslim, der sich als gläubig bezeichnet (und kaum einer würde dies nicht tun), würde je daran zweifeln, dass der Koran der genauen schriftlichen Umsetzung des Wortes Allahs entspricht. Hunderte von modernen moslemischen "Forschungsarbeiten" wurden in der islamischen Welt veröffentlicht, welche zweifellos "beweisen", dass der Koran in jeder Hinsicht mit allen modernen Errungenschaften der Wissenschaft, der sozialen und politischen Theorien, der modernen Philosophie und selbst der Atomenergie und der Weltraumforschung vereinbar ist.
Der Islam ist ein Rechtssystem, keine Religion, die auf Glaubensbekenntnissen beruht. Der Muslim wird nicht "gerettet", weil er an etwas glaubt, sondern seine religiöse Glaubwürdigkeit wird durch die Einhaltung islamischer Regeln und schon nur durch die Tatsache definiert, dass er den Islam als das Zentrum seiner Identität und Treue ansieht. Natürlich wird von einem Muslim erwartet, dass er an Gott und an den Propheten Mohammed glaubt, doch seine islamische Identität verlangt nicht einmal die Erfüllung dieser zwei einfachen, selbstverständlichen Prinzipien. Da der Islam eine Kultur ist, gehören Geschichte, Literatur, Lebensqualität, Stolz, Gesetz, soziales System und Staat ebenfalls zur Religion. Der Islam unterscheidet nicht zwischen den beiden Bereichen des Heiligen und des Weltlichen, zwischen Politik und Religion, zwischen Kirche und Staat. Diese Begriffe, die im westlichen Denken von höchster Bedeutung sind und im Grunde unüberbrückbare Gegensätze darstellen, verkörpern im Islam ein untrennbares Ganzes. Als Quelle der Identität und als Brennpunkt der Zusammengehörigkeit stellt das islamische Gedankengut selbst für diejenigen Muslims, die sich als "Sozialisten" oder gar "Atheisten" bezeichnen, das Zentrum ihrer Gedankenwelt dar. Lewis führte diese Idee in knappster Form aus, indem er sagte, Muslims würden sich auch zu folgendem bekennen: "Es gibt keinen Gott und Mao ist sein Prophet".
Der Mittlere Osten ist ein Gebiet zahlreicher Identitäten. Die am weitesten verbreitete Identität der modernen Zeit war der arabische Nationalismus. Bevor wir auf diesen Begriff näher eingehen, möchten wir uns einigen anderen Identitäten zuwenden. Der Mensch im Mittleren Osten kann seine Identität in sehr unterschiedlicher und dennoch gesellschaftlich gültiger Weise definieren. Seine erste Identität verkörpert seine Familie. Diese Definition besitzt in der Gesellschaft des Mittleren Ostens höchste Bedeutung, denn die Familiengruppe stellt die eigentliche Versicherung des Individuums dar und legt seine Position in der Gesellschaft fest. Im Gegensatz zu vielen westlichen Gesellschaften, in denen die Familie nur noch sentimentale Bedeutung besitzt, verkörpert sie in der arabischen Welt immer noch einen sehr realen und nützlichen Identifizierungsfokus. Ein Mensch kann sich auch aufgrund seines Geburts- oder Wohnortes definieren, sei es ein Dorf, ein Quartier einer Stadt oder eine Region. In vielen Fällen enthält der Name der Person als grundlegenden Bestandteil die "Nisbah", den Hinweis auf einen Ort oder auf eine Stammeseinheit.
Ein Mensch kann als Bürger eines arabischen Staates definiert werden. Er ist entweder Syrer, Iraker, Ägypter, Tunesier oder Kuweiti usw. Diese Zugehörigkeit ist die jüngste von allen, da sie erst nach dem ersten Weltkrieg entstand; in vielen Fällen ersetzte sie die ältere und geläufigere regionale Definition, die seit dem Entstehen des islamischen Staates existierte.
Mit Ausnahme von Ägypten, das ab Mitte des 19. Jahrhunderts unter türkischer Herrschaft bereits einen gewissen Grad an Unabhängigkeit genoss, sind alle arabischsprachigen Staaten künstliche, von den Kolonialmächten geschaffene Gebilde, die als Überreste des Osmanischen Reiches untereinander aufgeteilt wurden. Die Hauptbeteiligten an diesem Spiel zur Aufteilung des Mittleren Ostens waren Grossbritannien und Frankreich. Erstere bemühten sich um die Wahrung der Strasse nach Indien und behielten die Kontrolle in verschiedener Weise über den Persischen Golf, Arabien, Irak, Palästina - beide Ufer des Jordans - und Ägypten. Frankreich erhielt Syrien und Libanon. Aus dieser Gliederung des Mittleren Ostens vor dem Ausbruch des ersten Weltkriegs entstand in der Zwischenkriegszeit und nach dem zweiten Weltkrieg die heutige politische Landkarte des Mittleren Ostens sowie die Arabische Liga als merkwürdiges Ergebnis der politischen Findigkeit der Briten. Die Erfindung der Arabischen Liga zielte ursprünglich darauf ab, die Idee der Einheit des arabischen Nationalismus und gleichzeitig die konkrete Aufsplitterung in zehn oder mehr unabhängige politische Einheiten in Form von modernen Staaten aufrechtzuerhalten. Damit brachten die Briten ihre Version des römischen Prinzips "teile und herrsche" hervorragend zum Ausdruck. Die Liga sollte die Interessen Grossbritanniens verteidigen, musste jedoch gleichzeitig beständig durch die interne Zwietracht ihrer Mitglieder geschwächt werden.
Es kann unschwer erkannt werden, wie sehr die Schaffung der verschiedenen arabischen Staaten im Mittleren Osten den Idealen des arabischen Nationalismus diametral entgegengesetzt war. Man hätte sich vorstellen können, dass diese Staaten, die ja alle künstliche Erzeugnisse ausländischer, d.h. europäischer Mächte waren, nach ihrer Befreiung aus dem Einflussbereich dieser Nationen als erstes ihre individuelle Identität abwerfen, sich zu einer einzigen politischen Einheit zusammenschliessen und das arabische Reich des Mittelalters zu neuem Leben erwecken würden.
Denn eigentlich war die arabische Einheit der Traum jener, die den arabischen Nationalismus erfanden. Der nationalistische Gedanke war dem Mittleren Osten fremd, wie er auch den Europäern bis nach den napoleonischen Kriegen fremd gewesen war. Sobald er in Europa jedoch einmal Fuss gefasst hatte, erhielt er für die Entwicklung des modernen Europas grundlegende Bedeutung. Die Definition der Identität auf der Basis eines gemeinsamen Territoriums, einer gemeinsamen Sprache und einer gemeinsamen Kultur führte in Europa zur Vereinigung von Völkern und Territorien und zur Bildung moderner Staaten. Die Einigung Italiens und Deutschlands fesselte nicht nur diejenigen, die an diesem Prozess beteiligt waren, sondern auch einige Intellektuelle des Mittleren Ostens. Es handelte sich hauptsächlich um christliche Studenten, die aus der Levante nach Frankreich reisten und das Minderwertigkeitsgefühl in sich trugen, das ein im Islam lebender Christ oder Jude empfand.
Im muslimischen Osmanischen Reich wurden die Untertanen des Landes, wie dies in der gesamten islamischen Geschichte üblich war, über die Religion definiert. Dieses System, das als System des Millet bekannt ist, definiert jedes Individuum anhand seiner religiösen Gemeinschaft. Ein Mensch konnte zu den muslimischen Sunniten gehören und theoretisch die höchste soziale und politische Achtung geniessen, oder er konnte Mitglied einer nicht-sunnitischen Gruppe von Muslims sein und eine niedrigere gesellschaftliche Position einnehmen, er konnte aber auch als Dhimmi, als Jude oder Christ über noch weniger Rechte verfügen und noch schwerere Pflichten tragen. Die untergeordnete Stellung der Juden und Christen wird im islamischen Recht definiert, das Juden und Christen ausdrücklich daran hindert, am Leben des islamischen Staates auf gleicher Ebene wie die Sunniten teilzunehmen.
Die Christen, die eifrig nach einem Weg suchten, aus der jahrhundertealten sozialen und politischen Herabsetzung auszubrechen, waren fasziniert durch das europäische Beispiel des modernene Nationalismus. Sie brachten diesen Gedanken in den Mittleren Osten und legten ihn im Kontext des Osmanischen Reiches als das Ideal der Befreiung aller arabischen Völker aus der türkischen Unterdrückung dar, gemäss dem Beispiel Italiens und Deutschlands. Der Gedanke des arabischen Nationalismus wurde also im Mittleren Osten in den Raum gestellt. Die Grundidee besagte, dass weder der Islam noch die christliche Religion das Element der persönlichen Definition liefern sollten, sondern ein ganz neues Konzept - der Arabismus. Der Arabismus konnte nicht so präzise und juristisch umschrieben werden wie der Islam, doch dies war die einzige Möglichkeit, jeden zur Teilnahme an der neuen politischen Aktivität zu befähigen und, vor allem, die Christen aus ihrer untergeordneten Stellung zu befreien. Zahlreiche muslimische Intellektuelle akzeptierten den Gedanken des arabischen Nationalismus, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Und da der neue Nationalismus auf der Gemeinschaft der arabischen Schriftsprache beruhte, bestand die erste Aufgabe der neuen arabischen Nationalisten darin, den Ruhm der arabischen Sprache und Literatur neu zu beleben. In ihrer Begeisterung über die neue, selbstgeschaffene Freiheit, die der arabische Nationalismus versprach, erstaunt es einen nicht, dass viele Christen in Nachforschungen zur frühen islamischen Geschichte schwelgten und das arabische Element in ihr verherrlichten, indem sie den Beitrag des Islams völlig vernachlässigten.
Das eigentliche Ziel dieser arabischen Nationalisten war die Vereinigung der arabischen Länder "vom (persischen) Golf bis zum (atlantischen) Ozean" in einem einzigen grossen Reich, in dem die Religion vollkommen losgelöst vom Staat sein würde. Obwohl dieser Traum immer noch besteht, erwies sich die konkrete Verwirklichung des arabischen Nationalismus nach christlichem Modell als nicht ausgesprochen erfolgreich. Erstens entsprach die politische Realität, die aus den Trümmern des Osmanischen Reichs entstand, nicht einem vereinigten arabischen Staat, sondern führte zu totaler arabischer Zersplitterung in Form moderner Staaten. Zweitens reichte die Sprache allein nicht aus, um den arabischen Nationalismus zu definieren. Dazu gehörten auch das historische Erbgut, die Literatur, die nationalen Helden. Wohin sich die Theoretiker des arabischen Nationalismus auch wandten, sie fanden immer den Islam, und sie kamen zu dem Schluss, dass das, was sie zu verdrängen versucht hatten, sich nun in immer grösserem Ausmass durchsetzte. Der Gedanke des arabischen Nationalismus ist durch und durch vom Islam durchtränkt. Qustantin Zuraiq, einer der bedeutendsten christlichen Theoretiker des arabischen Nationalismus, musste diese Tatsache schliesslich eindeutig anerkennen. Er fragt: "Welche Beziehung besteht zwischen dem Propheten Mohammed und dem arabischen Nationalismus, welche Botschaft vermittelt er dazu ? Der Prophet Mohammed ist in erster Linie der Prophet des Islams... Diese Religion hat jeden Aspekt unserer arabischen Kultur geprägt, denn wir können auch heute unser altes arabisches Kulturgut erst verstehen... wenn wir die Glaubenssätze und Gesetze der muslimischen Religion gründlich studiert und ihren Geist und ihren Aufbau richtig verstanden haben... Deshalb sollte jeder Araber unabhängig von seiner Sekte oder Glaubensgemeinschaft... sich mit dem Studium des Islams auseinandersetzen und seine Realität begreifen lernen; er sollte ebenfalls das Andenken des grossen Propheten ehren, dem der Islam offenbart wurde." (Sylvia G. Haim: Arab Nationalism, University of California Press, 1976 S.169). Qustantin Zuraiqs offenes Zugeständnis des islamischen Inhalts im arabischen Nationalismus wurde im Zusammenhang mit diesem Thema von fast allen christlichen Autoren geteilt. Dies bedeutet in anderen Worten, dass der arabische Nationalismus auf dem Islam als seinem Identitätsfokus beruht. Aus diesem Grund stellt die Propaganda der PLO betreffend die Schaffung eines "weltlichen, demokratischen palästinensisch-arabischen Staates", in dem Muslims, Christen und Juden gleichberechtigt wären und die sowohl im Westen als auch in Israel auf begeisterte Anhänger stösst, einen Widerspruch in sich dar.
Die Schaffung der arabischen Staaten der Moderne erwies sich in mehr als einer Hinsicht als die Antithese der Idee einer nationalistischen arabischen Einheit. Jeder dieser Staaten entwickelte sehr rasch seinen eigenen individuellen Charakter, der auf seiner Auslegung der militärischen und politischen Institutionen beruhte. In keinem dieser Länder wird die Nationalität der Bürger in den offiziellen Papieren als "arabisch" bezeichnet (der einzige Staat des Mittleren Ostens, in dem "arabisch" eine Staatsangehörigkeit definiert, ist Israel). In jedem dieser Nationen gilt der Islam als die "Staatsreligion" oder, wie in Syrien, als die Religion des Staatspräsidenten. Das verblüffendste Phänomen ist jedoch der systematische Versuch, den diese Staaten unternehmen, historische prä-islamische Begründungen für ihre unabhängige, separate Existenz zu finden. Die frühe Geschichte wurde herbeigezogen, um zu beweisen, dass die Syrer die direkten Nachkommen und Erben der alten Aramäer sind, die Iraker sind analog dazu die Nachfahren der Sumerer, Akkadier und Babylonier, und die Ägypter sehen die Pharaos als ihre Vorväter an (im Widerspruch zur negativen Figur von Pharaoh im Koran). Die Jordanier beanspruchen die Moabiter für sich, und die Ammoniter und Palästinenser versuchen seit längerer Zeit die Welt davon zu überzeugen, dass sie die wahren Erben der Amoriter, Kanaaniter und Jebusiter sind und heute durch die Israelis dasselbe Schicksal erleiden wir ihre Vorfahren in biblischer Vorzeit.
Die Erfindung von Geschichte in so grossen Dimensionen ist kein Zufall. Sie lässt sich auf zwei Gründe zurückführen; erstens geht es darum nachzuweisen, dass die heute im Mittleren Osten lebenden Araber in dieser Region nicht zu den Neuankömmlingen zählen, sondern dass die gesamte Geschichte der menschlichen Zivilisation im Mittleren Osten schon immer arabische Geschichte war. Daher kann niemand irgendein historisches Recht auf diese Gegend geltend machen. Die Juden können sich mit Bestimmtheit nicht auf ein solches Recht berufen, da sie zur Zeit Joschuas und Davids die Palästinenser vertrieben haben. Der Tatsache, dass diese "Palästinenser" unter verschiedenen Namen erwähnt werden und dass die echten Palästinenser die Philister sind, welche die Küstenebene des Gelobten Landes von Kreta her eingenommen hatten, messen die Erfinder einer neuen alten arabischen Geschichte für den Mittleren Osten keinerlei Bedeutung zu. Da die Periode des Zweiten Tempels von den arabischen Historikern bereits im Mittelalter völlig unterschlagen wurde, erstaunt es heute nicht mehr, von Yasser Arafat zu erfahren, dass Jesus ein palästinensischer Freiheitskämpfer war, der die Revolte der Palästinenser gegen die Römer anführte. Dies äusserte er vor einigen Jahren anlässlich einer Versammlung vor 300 europäischen Journalisten in Genf, und er erhielt von ihnen kräftigen Applaus.
Der zweite Grund für die Erfindung der Geschichte ist lokaler Natur: man möchte die streng bewachten Grenzen jedes neuen Staates damit legitimieren, dass die Versuchung, ein arabisches Reich zu gründen, verringert werden soll.
Die Erfindung von Geschichte, die demjenigen lächerlich erscheint, der die historischen Gegebenheiten des Mittleren Ostens studiert, beruft sich auf zwei Quellen. In den 30er Jahren dieses Jahrhunderts gab es eine Theorie, die seither widerlegt wurde und besagte, dass die Bevölkerung des Mittleren Ostens im Verlauf der Geschichte wiederholt durch Wanderungsbewegungen aus Arabien genährt wurde. Die arabische Wüste wurde als eine unerschöpfliche Reserve an Menschen beschrieben, die immer wieder in die nördlichen Regionen fluteten. Analog dazu könnte man behaupten, dass alle im Mittleren Osten blühenden Kulturen arabische Zivilisationen waren. Es leuchtet ein, weshalb die arabischen Autoren noch viele Jahre nach ihrer Widerlegung dieser Theorie anhängen.
Die Erfindung von Geschichte besitzt jedoch eine viel schwerwiegendere Seite, diejenige des Islams. Der Islam betrachtet sich nicht als die jüngste der drei monotheistischen Religionen, sondern als die ERSTE und einzige wahre Religion. Da es nur einen Gott gibt, anerkennt Er nur eine wahre Religion, diejenige des Islams. "Die Religion Allahs ist der Islam" sagt der Koran mit den Worten Allahs selbst (Sure 3 Vers 19). In Übereinstimmung mit diesem Grundsatz betrachten die Muslims die Geschichte der Menschheit als Geschichte des Islams. Der Prophet Mohammed war der letzte und wichtigste aller Propheten, doch Allah hatte die Botschaft des Islams bereits davor auch über andere Propheten verkünden lassen. Selbst Adam war ein muslimischer Prophet, desgleichen Noah. Abraham (Ibrahim) gilt als Vorläufer Mohammeds in dem Sinne, dass er den Islam zu neuem Leben erweckte, nachdem dieser nach Noah lange Zeit in Vergessenheit geraten war. Abraham ist daher ein grosser muslimischer Prophet und gleichzeitig ein Vorvater Mohammeds (durch Ischmael). Moses ist der nächste muslimische Prophet, der eine Offenbarung erfuhr, die mit dem Koran identisch ist. Auch Jesus gilt als muslimischer Prophet, der ebenfalls zur Schaffung eines Buches der Offenbarungen führte, der dem Koran entspricht. Diese Bücher Jesu und Mose wurden von den unwürdigen Christen und Juden verfälscht, und aus diesem Grund musste Allah der Menschheit eine letzte Chance gewähren, indem er ihnen die genaue, wahre Offenbarung in der Heiligen Sprache Gottes, d.h. in arabisch, durch Mohammed zukommen liess, den Er als die Würdigste seiner Kreaturen auserwählt hatte. Zur Linie der muslimischen Propheten zählt der Koran ebenfalls David, Salomon und einige andere.
So wurde die Geschichte islamisiert, und durch die Geschichte hindurch auch die Geographie. Da beispielsweise Abraham ein muslimischer Prophet war, folgt daraus, dass jeder Ort, der mit ihm in irgendeinem Zusammenhang steht, eine heilige Stätte für Muslims ist. Weil der Islam die göttliche Wahrheit ausschliesslich für sich in Anspruch nimmt, kann ein muslimischer heiliger Ort nur islamisch sein. Aus demselben Grund sind alle mit Moses, David, Salomon, Jesus, Joseph usw. in Verbindung stehenden Plätze ausschliesslich islamische Heiligtümer. Die Tatsache, dass die Juden gegenwärtig Stätten wie das Heiligtum Abrahams in Hebron besitzen, stellt eine Umkehrung der Geschichte dar, welche einen riesigen theologisches Konflikt für den Islam verkörpert.
Die Islamisierung des Territoriums ergibt sich nicht nur als natürliche Folge der Islamisierung der Geschichte, sondern auch als bedeutendes Ergebnis der islamischen Eroberungen. Ein Gebiet, das von den Muslims erobert wurde, verändert seinen Status - es wird Teil der "Heimat des Islams" (in arabischer Sprache Dar Al-Islam). Oberstes Ziel des Islam ist es, die ganze Welt zum Dar Al-Islam zu machen. Er ist sich jedoch bewusst, dass sich zur Zeit grosse Teile der Welt ausserhalb der muslimischen Realität befinden. Die Muslims nennen diese Regionen "das Haus des Kriegs". Der Verlust jedes Gebiets, das einst Teil der Heimat des Islams war, an Nicht-Muslims stellte schon immer ein gravierendes theologisches Problem für die Muslims dar. Das Problem nimmt noch grösseres Ausmass an, wenn der Feind ein Jude ist, der gemäss den Worten des Korans dazu bestimmt ist, für ewig erniedrigt und unterworfen zu werden.
Darüber hinaus wird dem Propheten persönlich eine eindeutige islamische Regel zugeschrieben, die besagt, dass "der Islam immer überlegen ist und nichts ihn übertreffen kann"; dies bedeutet, dass weder ein Jude noch ein Christ eine Mohammedanerin heiraten und dass kein Jude über einen Muslim herrschen kann. Die Schaffung des Staates Israel stellte einen Widerspruch gegen jeden islamischen Grundsatz betreffend islamisches Gebiet, islamische Heiligtümer und die rechtliche Stellung der Juden gemäss dem Islam dar. Israel wurde auf einem Territorium errichtet, das zum Dar Al-Islam gehörte und heilige Stätten des Islams umfasst, die sowohl mit dem Namen Mohammeds als auch mit den Namen edler Propheten wie David oder Salomon verbunden sind. Die Juden werden nicht unterworfen, wie ihnen zustehen würde, und - das Allerschlimmste - sie herrschen über Muslims. Eine Situation wie diese kann unter keinen Umständen geduldet werden.
Das Problem, das die Existenz Israels für den Islam darstellt, wird häufig in der einen oder anderen Art in den Pamphleten der Hamas-Bewegung, der Hisbollah und aller anderen islamischen politischen und militärischen Organisationen dargelegt. Da, wie aus unseren Ausführungen hervorgeht, die Zentralität des Islams einen wichtigen Identitätsfaktor im Mittleren Osten verkörpert, besitzt das von Israel verursachte islamische Problem einen universellen Einfluss auf jeden Aspekt des arabischen und islamischen politischen Geschehens. Das Akzeptieren der Daseinsberechtigung Israels kommt der Verleugnung jedes nur erdenklichen islamischen und arabischen Grundsatzes gleich. Der jüdische Staat entspricht einer allumfassenden, allgegenwärtigen Katastrophe. Die Juden werden als die Feinde Allahs definiert, und welcher Araber würde den Erfolg dieses Feindes gutheissen ? Der Krieg gegen Israel, sagen die arabischen und muslimischen Politiker (darunter auch der gegenwärtige Generalsekretär der Vereinten Nationen), kann aus einer Kombination von militärischen Aktivitäten und diplomatischen Schritten bestehen. Das erklärte Ziel ist immer die Schwächung und die Verletzlichkeit des jüdischen Staates.
Der Islam schliesst die Möglichkeit einer langen Periode des Waffenstillstandes mit dem Gegner als Teil seiner langfristigen Kriegspolitik nicht aus. Der Feind kann diese Waffenruhe fälschlicherweise für Frieden halten. Um einen solchen Waffenstillstand abzuschliessen, müssen die Muslims über einen überzeugenden Grund für die Beendigung des Krieges verfügen (ob dieser Krieg nun tatsächlich ausgetragen wird oder nicht, ist für diese Diskussion unerheblich). Das einzige Alibi für einen solchen Schritt - und de facto die Verleihung einer Daseinsberechtigung an den Feind - liegt vor, wenn der Gegner zu stark wird. Ein starker Feind stellt demnach die Voraussetzung für einen scheinbaren Frieden dar, während ein schwacher Gegner umgekehrt die Muslims zur Wiederaufnahme des Krieges gegen ihn verpflichtet.
Die Stärkung des islamischen Geistes im Mittleren Osten kann sich für Israel nur dann positiv auswirken, wenn die Israelis selbst und auch der Westen die Notwendigkeit eines Alibis für den Islam begreifen würden, um mit Israel Frieden zu schliessen. Dieses Alibi ist ein sehr starkes, und nicht ein geschwächtes Israel. Mehr in Israel lebende Juden, eine stabile Wirtschaft, internationale Unterstützung und vor allem eine sehr starke Armee werden die Araber und Muslims veranlassen, mit Israel Frieden zu schliessen. In den Augen des Islams handelt es sich dabei nicht um einen echten Frieden im üblichen Sinne des Wortes, sondern vielmehr um den Aufschub der Zerstörung Israels auf einen späteren Zeitpunkt. Dieser Aufschub dauert unter Umständen bis zum Ende der Zeit, solange der Grund, den Krieg nicht wieder aufzunehmen, gültig bleibt. Der Prophet selbst hat einen Präzedenzfall dafür geschaffen.



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