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Inhaltsangabe Wissenschaft und Technologie Frühling 2000 - Pessach 5760

Editorial - Frühling 2000
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Pessach 5760
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Ethik und Judentum
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Israel im CERN

Von Roland S. Süssmann
«Hier habe ich endlich den Allmächtigen entdeckt !» rief Schulamit Aloni, die grösste Agnostikerin in der israelischen Politik seit der Staatsgründung aus. «Hier» bezeichnet im vorliegenden Fall das CERN, das europäische Labor für Elementarteilchenphysik, das sich ausschliesslich mit der reinen Wissenschaft befasst, mit dem Studium der grundlegendsten Fragen der Natur, wie z.B. «Was ist Materie? – Woher kommt sie? – Wie setzt sie sich zu komplexen Formen zusammen?». Die Grundlagenforschung ist natürlich Ziel und Zweck des CERN, doch das Labor spielt eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung künftiger Technologien in den unterschiedlichsten Bereichen, sei es in der Medizin, der Industrie, der Forschung im weitesten Sinne des Wortes oder der Informatik. Seine Experimente und Untersuchungen ermöglichen nicht nur ein besseres Verständnis der Vergangenheit und der Struktur unserer Umwelt, sondern auch die Schaffung neuer Grundlagen für die Entwicklung, die Zukunft und die Funktionsweise der menschlichen Gesellschaft. Es ist selbstverständlich unmöglich, die Entwicklung und die direkten oder indirekten Konsequenzen jeder dieser Entdeckungen vorauszusehen.
Weshalb berichten wir aber an dieser Stelle über das CERN? Diese Institution pflegt intensive Beziehungen mit den wissenschaftlichen Kreisen in Israel im allgemeinen und mit dem Institut Weizmann im besonderen. Um mehr über die verschiedenen Formen der Zusammenarbeit zwischen dem CERN und Israel zu erfahren, haben wir Professor GEORGE MIKENBERG getroffen, den israelischen Physiker, der innerhalb des CERN zahlreiche Aufgaben und Funktionen besitzt und in gewissem Sinne der Verbindungsmann zwischen dem Labor und den israelischen Wissenschaftlern ist. Er leitet ebenfalls eines der vier Experimente (an dem 400 Ingenieure aus der ganzen Welt beteiligt sind) des neuen Projektes ATLAS des CERN. Professor Mikenberg reist ständig zwischen Genf, Israel und Japan hin und her.

Können Sie uns kurz erklären, wie die Beziehungen zwischen dem CERN und Israel entstanden sind und wie sie sich entwickelt haben?

Zu Beginn der 50er Jahre war Israel, vor allem aus wirtschaftlichen Gründen, nicht wirklich an einer Beteiligung an den Aktivitäten des CERN interessiert. Dennoch konnten sich innerhalb dieser Institution die Beziehungen zu den verschiedenen europäischen Ländern, insbesondere mit Deutschland, auf die einfachste Art entwickeln. Es ist übrigens leicht festzustellen, dass die ausgezeichneten und engen Verbindungen, die heute zwischen den beiden Ländern existieren, hier entstanden sind, im Rahmen der wissenschaftlichen Zusammenarbeit. Darüber hinaus gelangten in der Zeit des Kommunismus zahlreiche wissenschaftliche Informationen aus den Ostblockländern über das CERN nach Israel. In welchem Ausmass das CERN kosmopolitisch ist, beweist die Tatsache, dass es 2’800 festangestellte Mitarbeiter zählt, zu denen 6’500 Wissenschaftler und Ingenieure aus aller Welt kommen, die 500 Universitäten und 80 Nationalitäten vertreten und für zeitlich beschränkte Aufträge und Projekte hier tätig sind. Es kommt nicht selten vor, dass man in der Cafeteria auf drei oder vier Nobelpreisträger der Physik stösst…
Die Zusammenarbeit im eigentlichen Sinne zwischen den israelischen Wissenschaftlern und dem CERN begann mit dem Bau des LEP, des grössten Teilchenbeschleunigers der Welt, der 100 Meter unter dem Boden innerhalb eines Ringtunnels mit einer Länge von 27 km gebaut wurde. An vier Standorten um den Beschleuniger herum untersuchen gigantische Detektoren namens ALEPH, DELPHI, L3 und OPAL, was geschieht, wenn die Elektronen bei hoher Energie mit Positronen kollidieren, ihren Gegenstücken in der Antimaterie. Wenn die Teilchen der Bündel des LEP zusammenstossen, entstehen neue Teilchen, ihre Materie verwandelt sich in Energie, die dann materialisiert werden kann. Die vier Detektoren an den Kollisionspunkten dienen der Beobachtung dieses Phänomens. Obwohl sie alle nach den gleichen Grundprinzipien gebaut sind, wurde jeder einzelne ganz speziell für einen besonderen Zweck entwickelt. So verkörpert OPAL, der auf der Grundlage von Techniken arbeitet, welche die rasche Auswertung der Ergebnisse garantieren sollen, die Station «Experiment», wie man im CERN sagt, in deren Rahmen die israelische Gruppe in enger Zusammenarbeit mit japanischen Wissenschaftlern hauptsächlich tätig ist. Die gegenwärtig in der Station OPAL erfassten Daten werden in Echtzeit direkt in Israel ausgewertet.
Die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit den Japanern hat eigentlich vor 23 Jahren in Hamburg begonnen, wo sich ein 6 km langer Teilchenbeschleuniger namens Daisy befindet (und wo auch Professor Mikenberg gearbeitet hat). Der israelische Erfolg im Rahmen des CERN begann mit der Entwicklung eines kleinen, hochempfindlichen Detektors, dank dem eine Reihe von Problemen, die sich aus den Magnetfeldern ergaben, gelöst werden konnten. Trotz der anfänglichen Skepsis einiger namhafter Wissenschaftler erwiesen sich diese Detektoren als effizient, und heute sind über 500 von ihnen am CERN in Betrieb. Dieser Durchbruch und das Niveau ihrer wissenschaftlichen Kenntnisse machten es den Israelis möglich, in jeder der vier Auswertungsstationen allmählich immer mehr Einfluss zu besitzen. Professor Rubia, Nobelpreisträger für Physik für die Entdeckung der Teilchen Z und W, beschloss damals, dass die Zusammenarbeit mit den israelischen Wissenschaftlern in einem formellen Rahmen stattzufinden habe. Dank seiner Fürsprache war Israel 1992 das erste Land, das als Nichtmitglied eine Vereinbarung mit dem CERN unterschrieb und den Beobachterstatus in der Leitung der Organisation erhielt.

Welche Vorteile entstehen für Israel aus dieser Formalisierung der Zusammenarbeit?

Diese Art der Beteiligung ist sehr interessant für Israel, denn sein finanzieller Beitrag am CERN beträgt nur 30% des Betrags, den die Mitgliedstaaten bezahlen. Wir besitzen zwar nicht dieselben Rechte, doch es ermöglicht israelischen Wissenschaftlern, auf gleicher Stufe wie ihre aus den Mitgliedstaaten stammenden Kollegen für ein Praktikum ans CERN zu kommen. Darüber hinaus können Wissenschaftler oder Ingenieure aus der israelischen Industrie für eine Zeitspanne zwischen drei Monaten und einem Jahr an Projekten der Spitzentechnologie des CERN mitarbeiten. Das CERN spielt, wie Sie wissen, eine bedeutende Rolle in der technischen Ausbildung auf höchstem Niveau und bietet eine ganze Reihe von Weiterbildungskursen und Stipendien an, in deren Genuss in gewissen Fällen auch junge Israelis kommen können.
Es existiert aber auch ein weiterer Aspekt in bezug auf die Beziehungen zwischen CERN und Israel. Es ist allgemein bekannt, dass zahlreiche modernste israelische Technologien aus der Forschung im militärischen Bereich entstanden sind. Heute geht es immer mehr darum, für diese Techniken Anwendungen im zivilen Bereich zu finden. Für viele israelische Unternehmen stellt das CERN die Möglichkeit dar, die für diese Umorientierung notwendigen Experimente durchzuführen. Israel ist nicht das einzige Land in dieser Situation, da auch verschiedene europäische Länder, Japan und die USA ähnliche Projekte ausführen. Es handelt sich im Grunde darum, für die Industriezweige, die sich bisher ausschliesslich mit der Forschung und Herstellung von Techniken für militärische Zwecke befassten, eine Lösung oder zumindest Teillösung für eine alternative Anwendung zu finden. Diese Vereinbarung ermöglicht den israelischen Gesellschaften ebenfalls, sich an den Ausschreibungen für technisches Material für CERN-Projekte zu beteiligen. Wird das israelische Angebot angenommen, wird dieses Material mit einem Teil (ca.30%) des Geldes gekauft, das Israel an das CERN überwiesen hat.

Können Sie uns ein konkretes Beispiel für eine israelische Beteiligung an einem CERN-Projekt der Spitzentechnologie geben, dank der die betroffene Gesellschaft ihre Technologie gleichzeitig kommerzialisieren und dadurch Arbeitsplätze in Israel schaffen kann?

Ein ausgezeichnetes Beispiel ist das israelische Unternehmen BATM Advanced Communications, die am Telekommunikationssystem des CERN beteiligt ist, da dessen gegenwärtig im Bau befindlicher nächster Beschleuniger Instrumente für die Datenübertragung braucht, welche in Rekordzeit den doppelten Umfang der weltweit aktiven Telefonverbindungen weiterleiten kann. In einem anderen Bereich, nämlich bei der Frage der Patente, dient Israel als Vorbild. Die Entdeckungen des CERN sind nicht patentiert, und eines der besten Beispiele für das Ausmass dieser Unterlassungssünde ist wohl das WEB, dieses universelle System der Organisation der Information für Internet. Das WWW (World Wide Web) war ursprünglich mit dem Ziel entwickelt worden, den Physikern unabhängig von ihrem Aufenthaltsort den einfachen Zugang in Echtzeit zu ihren Daten zu ermöglichen. Das in Genf im CERN erfundene Web hat die Telekommunikation nachhaltig und grundlegend verändert. Die europäische Wirtschaft hat diese Entdeckung vollständig ignoriert und erst die Amerikaner haben sie weiterentwickelt. Diese Situation soll nun behoben werden, und in dieser Hinsicht ist es interessant zu erfahren, dass die Leute, die sich mit der Entscheidung über die Art und Weise dieser Entwicklung befassen, sich dazu am Vorbild des Instituts Weizmann orientieren. Das Institut hat nämlich ein Unternehmen gegründet, dessen Aufgabe aus der Patentierung der Produkte besteht, die vom Institut ausgearbeitet wurden und für die Industrie von Bedeutung sein könnten. Dieses System funktioniert sehr gut, und im vergangenen Jahr hat das Institut Weizmann zwanzig Millionen Dollar eingenommen, die ihm die Patente für Entdeckungen des Instituts einbrachten.

Gibt es israelische Entdeckungen, welche einen Fortschritt für die Technologie des CERN darstellten?

Das israelische Team war 1979 tatsächlich an der Entdeckung eines Teilchens namens Gluon (vom englischen Begriff glue – Klebstoff) beteiligt. Dieses Teilchen hält die positiven Protonen des Atomkerns zusammen, die sich aufgrund ihrer positiven Ladung gegenseitig abstossen.

Als Forschungsinstitut besitzt das CERN höchstwahrscheinlich Zukunftspläne. Wie sehen diese aus und ist eine israelische Beteiligung vorgesehen?

Ein grossangelegtes Projekt ist dabei verwirklicht zu werden, es handelt sich um die Einrichtung des Detektors «ATLAS», der mit einem riesigen Beschleuniger namens LHC versehen ist. Letzterer ist bereits im Bau und wird in weltweiter Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und Ingenieuren betrieben werden: 1’800 Physiker aus 150 Universitäten und Laboren sind beteiligt. Für dieses Experiment wird der gegenwärtige LEP-Tunnel wiederverwendet. Man muss sich darüber im klaren sein, dass die Experimente der Teilchenphysik der vergangenen 30 Jahre zu einem ausserordentlichen Verständnis der Elementarteilchen, aus welchen sich die gesamte Materie zusammensetzt, und der untereinander wirksamen Kräfte geführt haben. Dennoch bleiben wesentliche Geheimnisse noch unerforscht. Das Experiment ATLAS beginnt im Jahr 2005 mit einem riesigen Detektor (60 m x 60 m x 30 m), der sich 100 m unter dem Boden befindet. Bestückt mit zehn Millionen Transistoren, wird er in der Lage sein, die Bahnen der Teilchen mit einer Genauigkeit von 0,01 mm zu messen. Dadurch können demnach die Energien, die Ausrichtungen und die Identität der Teilchen bestimmt werden, die durch die Frontalkollisionen der zwei Protonenbündel entstehen. Man rechnet mit einer Milliarde Kollisionen pro Sekunde, d.h. mit einer Informationsflut, die zwanzig von jedem einzelnen Menschen auf der ganzen Welt gleichzeitig durchgeführten Telefongesprächen entspricht. Die Computer von ATLAS verarbeiten diese Daten schnell genug, um die Kollision unter zehn Millionen anderen herauszufiltern, die eventuell neue Phänomene aufweisen könnte. In diesem Bereich arbeitet das israelische Team aktiv mit der japanischen Gruppe zusammen. Diese Tätigkeit erfolgt einerseits in Japan mit bedeutenden Laboren und sieben Universitäten und andererseits in Israel mit dem Technion von Haifa, der Universität von Tel Aviv und dem Institut Weizmann. Es wurden 6600 m2 Detektoren (eine Fläche, die grösser als ein Fussballfeld ist) gebaut, davon 70% in Israel, wo ein besonderes Gebäude im Institut Weizmann eingerichtet wurde. Es handelt sich demnach um eine sehr weitreichende Form der Zusammenarbeit zwischen Israelis und Japanern, an der sich seit kurzem auch China beteiligt.


Arbeiten die arabischen Länder im Rahmen des CERN mit Israel zusammen?

In Bezug auf unsere gegenwärtige Tätigkeit arbeiten wir Hand in Hand mit marokkanischen Wissenschaftlern, von denen einige regelmässig nach Israel reisen. Vor zwei Jahren haben wir in Turin ein Treffen von israelischen, jordanischen, syrischen, marokkanischen, ägyptischen (die letztendlich nicht erschienen sind) und arabischen Physikern aus den Gebieten organisiert. In diesem internationalen Rahmen ist es uns, wie auch schon über das CERN, gelungen, eine gewisse Form der wissenschaftlichen Zusammenarbeit zu erreichen, die für die palästinensischen und jordanischen Ingenieure vom israelischen Team des CERN finanziert wird. Das gesamte Projekt beruht auf grossen Hoffnungen, die gegenwärtig, dies muss leider gesagt werden, erst in der Zusammenarbeit mit Marokko Früchte getragen haben.

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