Nichts ist uns vertrauter und erscheint uns geheimnisvoller als die Zeit, die unaufhaltsam zerrinnt. In Israel gibt es einen Verlag, dessen Gründer und Besitzer beschlossen haben, einen Teil ihrer Produktionskapazität für die Herstellung von Zeitmessinstrumenten zu verwenden, die zugleich nützlich, lehrreich und wunderschön anzusehen sind. Aus diesem Grund stellt der Verlag TURNOWSKYaus Tel Aviv unter der Leitung von Frau Rachel Gilan-Turnowsky und ihrem Bruder Dan Toren (früher Turnowsky) seit ca. zwanzig Jahren anlässlich von Rosch Haschanah jüdische Kalender her, die weltweit einzigartig sind. Jedes Exemplar stellt ein wahres Kunstwerk dar, und heute sind diese kleinen Meisterwerke gar zu begehrten Sammlerobjekten geworden. Die schönsten Seiten aus jüdischen illuminierten Manuskripten, die oft in den Kellern der grossen Bibliotheken dieser Welt dahindämmerten, wurden auf diese Weise reproduziert um zu neuem Leben zu erwachen.
Zu Beginn war das Unternehmen Turnowsky ein Kunstverlag ersten Ranges, der sich keinesfalls auf jüdische Handschriften spezialisiert hatte. Er stellte unter anderem auch Faksimiles von Haggadoth sowie diverse illustrierte religiöse Bücher her, darunter einen herrlichen «Perek Schirah». Schon damals lag jedem Buch jeweils ein Blatt mit Erklärungen in drei oder vier Sprachen bei, auf dem die Bedeutung und die Rolle des Werkes im jüdischen Leben oder in der Liturgie erläutert wurden, um den Leser kurz über die Geschichte des Werks, die Person der Illustratoren und Illuminatoren sowie über seinen Weg von seiner Entstehung bis seinem Aufbewahrungsort (Museum, Nationalbibliothek usw.) zu informieren, an dem sich das Original heute befindet. Dieses einzigartige Abenteuer begann ein wenig durch Zufall. Während ihres Besuchs der Frankfurter Buchmesse traf Frau Gilan-Turnowsky einen Verleger, der für seine in Deutschland, der Schweiz und Österreich ansässige Kundschaft herrliche Kunstkalender mit illuminierten christlichen Manuskripten herstellte. Nach ihrer Rückkehr nach Israel sagte Frau Golan zu ihrem Bruder: «Was die schaffen, können wir auch». Sie hatte damals die Idee, den ersten Kalender mit jüdischer religiöser Kunst ins Leben zu rufen, auf dem illuminierte Manuskripte abgebildet waren. Der israelische Verlag, das Haus Steimatsky, war von dem Gedanken, Kalender zu vertreiben, nicht gerade begeistert: «Ich verkaufe nur Bücher», hiess es. Er erklärte sich jedoch einverstanden, einige Kalender in Submission zu übernehmen und verkaufte gleich im ersten Jahr achttausend Exemplare. Das Geschäft hatte in Israel demnach erfolgreich begonnen. In dem Wunsch, ihr Produkt auf dem internationalen Markt weiterzuentwickeln, reiste Frau Gilan-Turnowsky an die Frankfurter Buchmesse zurück, wo sie einen katholischen Verleger fand, «Aries», der sich bereit erklärte ihren jüdischen Kalender zu vertreiben. Sehr stolz und glücklich reiste Rachel Gilan-Turnowsky im folgenden Jahr wiederum nach Frankfurt, um den Kalender für das neue Jahr zu präsentieren. Aries teilte ihr aber mit, dieses Produkt sei «unverkäuflich» und sie solle sich lieber einen anderen Händler suchen, was aufgrund der Qualität des Produkts nicht besonders schwierig war. Gleichzeitig entdeckte sie jedoch, dass Aries seinerseits mit einer eigenen Produktion von jüdischen Kunstkalendern begonnen hatte… Doch diese Art von Unannehmlichkeiten konnten Frau Gilan-Turnowsky nicht entmutigen, ganz im Gegenteil. Trotz dieser negativen Erfahrung hatte sie einiges über das Kalendergeschäft gelernt. Sie hatte insbesondere eine wichtige Einzelheit begriffen. Die meisten Leute suchen sich zu Hause einen bestimmten Ort aus, an dem sie ihren Kalender aufhängen, so dass sie jedes Jahr einen Kalender in denselben Dimensionen finden möchten, der an dieselbe Stelle passt. Sofort nach ihrer Rückkehr nach Israel besuchte Frau Gilan-Turnowsky den Professor Nadav, der die Abteilung für hebräische Manuskripte der Nationalbibliothek leitete, die sich in der Hebräischen Universität von Jerusalem befand. Sie sprach mit ihm über ihre Idee, der er sich sogleich voller Begeisterung anschloss. Mit der Zeit entdeckte Rachel Gilan-Turnowsky aussergewöhnliche Werke. Alle Bibliotheken Europas, von München bis Paris, von London bis Lissabon über Kopenhagen, Amsterdam oder Heidelberg öffneten ihr die Tore und gewährten ihr Zugang zu den Schätzen an illuminierten jüdischen Manuskripten, die sich in ihrem Besitz befanden. Sie wurde überall sehr herzlich empfangen und kam in den Genuss weitreichender Zusammenarbeit. Besonders gross war die Überraschung in der Bayrischen Staatsbibliothek, als der Kurator mit einem Teewagen auf sie zukam, auf dem sich die Werke von aussergewöhnlicher Schönheit und Üppigkeit häuften. Doch sie hatte noch weiteren Grund zum Staunen. Im Verlauf ihrer Nachforschungen entdeckte Rachel Gilan-Turnowsky immer mehr Herrlichkeiten, darunter vor allem die wunderbare Cervera Bibel, die sich in der Nationalbibliothek von Lissabon befindet. Daher gibt der Verlag Turnowsky neben den allgemeinen Ausgaben und einigen Faksimiles einmal pro Jahr, und dies seit fast zwanzig Jahren, einen phantastischen Kunstkalender über Kultgegenstände oder hebräische Manuskripte heraus, wobei die Auflage zwischen 6’000 und 30'000 Exemplare beträgt.
Wir wollten etwas mehr über die Art und Weise erfahren, wie der Verlag Turnowsky arbeitet und haben zu diesem Zweck Rachel Gilan-Turnowsky und ihren Bruder getroffen.
Sie besassen das Privileg, fast alle herausragenden hebräischen Manuskripte zu sehen, die es auf der Welt gibt. Wie treffen Sie Ihre Wahl für die Herstellung eines Kalenders ?
Weder mein Bruder noch ich sind religiöse Juden. Wir wählen die Motive also ausschliesslich nach ästhetischen Gesichtspunkten und nicht nach ihrem religiösen Gehalt aus. Wir haben es immer vorgezogen, den gesamten Kalender einem einzigen Werk zu widmen, wie dies für die Cervera Bibel (1299) oder die Kennicott Bible (1476), die sich in Oxford befindet, der Fall war. Wir suchen zur Illustration jeden Monats die schönsten Seiten heraus. Nehmen wir zum Beispiel die Bibel von Cervera, eines der kostbarsten Zeugnisse der grossen jüdischen Kultur im mittelalterlichen Spanien, die vom Schreiber Samuel ben Abraham Ibn Nathan verfasst und von Joseph Hazarfati illustriert worden ist ; hier fiel uns die Auswahl sehr schwer. Welche Seiten sollten wir veröffentlichen, welche beiseite lassen ? Den Beginn eines illuminierten Psalms oder eine Miniaturmenorah mit ihren Vergoldungen, die an die Prophezeihung von Zaccharias erinnert ? Einige unserer Kalender weisen eine sehr breite Palette von Abbildungen zu einem einzigen Thema auf, die jedoch aus unterschiedlichen Werken stammen, denn zahlreiche Manuskripte besitzen oft nur eine sehr schöne illuminierte Seite. Wir mögen Kunst im allgemeinen und verspüren eine Vorliebe, ja sogar eine Leidenschaft für jeden Ausdruck der jüdischen Kunst. Es erfüllt uns immer mit besonderer Freude zu wissen, dass wir einen jüdischen Gegenstand zeigen können, der in einem Keller versteckt, vergessen und vergraben lag. Neben dem rein ästhetischen oder religiösen Aspekt bedingt der innere und wesentliche Wert des Dokuments unsere endgültige Entscheidung. Dennoch werde ich Ihnen nicht verheimlichen, dass ich bei jeder neuen Entdeckung, jedes Mal, wenn ich in einer dieser aussergewöhnlichen Seltenheiten blättere, eine direkte Verbundenheit mit unserer Vergangenheit, unserer Geschichte und unserem nationalen Erbe empfinde, die in gewisser Weise in meinen Händen zu neuem Leben erwachen. Jede Erfahrung ist einzigartig, doch ich glaube die hebräischen Mikrographien haben wahrscheinlich den nachhaltigsten Eindruck auf mich gemacht. Die Bibliothek von Leiden besitzt ausserdem eine grosse Sammlung dieser winzigen Manuskripte.
Sie stammen aus einer Berliner Familie und haben oft in Deutschland gearbeitet. Was empfanden Sie anlässlich Ihrer Reisen in diesem Land ?
Um ehrlich zu sein, als ich das erste Mal nach Deutschland kam, dachte ich, «dass mich die Erde verschlingen würde, sobald ich meinen Fuss auf deutschen Boden gesetzt hätte». Es geschah aber nichts dergleichen und ich konnte unter hervorragenden Bedingungen mit hochstehenden Fachleuten zusammenarbeiten. Als mir aber bewusst wurde, wie viele jüdische Schätze sich noch in Deutschland befinden, oft in den Händen von Menschen, die kein Hebräisch verstehen, sich darüber hinaus aber nicht einmal des Wertes bewusst sind, den sie besitzen, löst das starke Gefühle bei mir aus.
Sind Sie nicht der Ansicht, dass alles unternommen werden müsste, damit diese echten jüdischen Kunstschätze nach Israel überführt werden ?
Daran habe ich natürlich sofort gedacht. Doch dies scheint ein sehr schwieriges Unterfangen zu sein. Im Metropolitan Museum in New York und im Louvre in Paris gibt es eine ägyptische Abteilung. Die Ausstellungsstücke gehören in Wirklichkeit weder den Vereinigten Staaten noch Frankreich. Sind sie deswegen Ägypten zurückerstattet worden ? Ich weiss, dass ab und zu einige Werke nach Israel zurückgelangen, doch im allgemeinen ist dies eher selten.
Glauben Sie, dass Sie nach all Ihren Publikationen den Vorrat aufgebraucht und die schönsten Kalender mit jüdischen Manuskripten bereits hergestellt haben?
Wenn Sie wissen wollen, ob unsere Quellen versiegt sind, muss ich die Frage verneinen ! Wir haben allerdings die merkwürdige Beobachtung gemacht, dass die Leute sich an jüdischen Manuskripten etwas sattgesehen zu haben scheinen. Aus diesem Grund haben wir dieses Jahr beschlossen, einen besonderen Kalender für Rosch Haschanah herzustellen, der aus Fotos von hübschen Winkeln in Tel Aviv besteht. Wir haben uns für dieses Motiv entschieden, weil die israelische Metropole ihren 90. Geburtstag feiert. Wir wollten dieses Ereignis festhalten, indem wir unseren Kunden einen sowohl schönen, originellen und ausgefallenen Kalender anbieten, der ausserdem etwas ungewöhnlich sein sollte.
Wir haben Rachel Gilan-Turnowsky und Dan Toren noch lange zugehört, wie sie von ihrem Beruf, ihrer Leidenschaft, ihrer Arbeitsweise beim Entwurf und der Herstellung eines Kalenders sprachen, in dem die Anstrengungen zweier Jahre stecken, bevor er gedruckt wird. Sie sind um neue Pläne nicht verlegen, viele werden gegenwärtig vorbereitet.
Wir, die Liebhaber schöner jüdischer Kunst im allgemeinen und schöner Kalender im besonderen, erwarten ungeduldig ihre nächsten Produkte in den Auslagen der Buchhandlungen.
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