Editorial - Herbst 1999
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Rosch Haschanah 5760
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Politik
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Interview
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Analyse
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Kunst und Kultur
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Reportage
• Vernichtung durch Sklavenarbeit
• Juden in Österreich - Welche Zukunft ?
• Das Jüdische Museum der Stadt Wien
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Zeugnis
• Die Nazi-verbrechen
Junge Talente
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Porträt
• Von Berlin Nach Hebron
Wirtschaft
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Ethik und Judentum
• Ein Kind - Zu Welchem Preis ?
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Das Resultat der letzten Parlamentswahlen in Israel fiel recht überraschend aus. Es kam einerseits zur niederschmetternden Niederlage der beiden grossen traditionsreichen Parteien und andererseits zum rasanten Aufstieg von Schass, der ethnischen Partei der ultraorthodoxen Marokkaner, sowie zum Erfolg der antireligiösen Parteien wie Meretz und Shinui von Tommi Lapid, wobei letztgenannter auf der Grundlage des Hasses gegenüber der frommen Bevölkerung Israels gewählt wurde. Zum besseren Verständnis dieser neuen Situation, ihrer Inhalte und Konsequenzen haben wir uns an einen der scharfsinnigsten Analysten der israelischen Politik gewandt, S.E. MEÏR ROSENNE, einen herausragenden internationalen Juristen, Rechtsberater von Menachem Begin anlässlich der Verhandlungen von Camp David und ehemaligen Botschafter Israels in Paris und in Washington.
Können Sie die neue, am 17. Mai 1999 gewählte Knesset in wenigen Worten analysieren ?
Die gegenwärtige Knesset besteht aus der grössten Anzahl unterschiedlicher Parteien, aus der sich das Parlament seit der Staatgründung je zusammengesetzt hat. Aus dieser Tatsache ergibt sich, dass das Verhandlungsgewicht jeder dieser Parteien heute sehr viel grösser ist als früher. Auf der anderen Seite verfügt die gegenwärtige Regierung über eine sehr starke Mehrheit, da es kraft der letzten Grundgesetzänderung möglich ist, 24 Minister zu ernennen sowie eine bedeutende zusätzliche Anzahl von Staatssekretären, so dass ca. 40% der Knessetmitglieder der Regierung angehören können. Weil zahlreiche Abgeordnete auch Regierungsfunktionen übernehmen werden und somit nicht an den Debatten der Knesset teilnehmen können, wird die Arbeit des Parlaments dadurch erschwert. Die Idee, das sogenannte «norwegische» Modell anzuwenden, das vorschreibt, dass ein Regierungsmitglied aus dem Parlament austreten muss, wurde angesprochen, doch ich denke nicht, dass dieses Gesetz durchkommen könnte. Man darf nicht vergessen, dass kein einziger Abgeordneter oder Staatssekretär bereit ist, für eine Ernennung als Minister seinen Sitz aufs Spiel zu setzen.
Zeugt die Tatsache, dass die frommen und die antireligiösen Parteien in der Knesset so stark vertreten sind, von einer Radikalisierung beider Seiten der israelischen Gesellschaft ?
Überhaupt nicht. Ich glaube, dass das gute Ergebnis von Schass, die viel erfolgreicher war als die nationalreligiöse Partei Mafdal, auf die von einigen Regierungen in der Vergangenheit durchgeführte antireligiöse Kampagne zurückzuführen ist, sowie auf die Aussagen einiger Abgeordneten, welche die Bibel und die Grundsätze des Judentums unaufhörlich kritisierten und sich ein Vergnügen daraus machten, alle grossen Persönlichkeiten der jüdischen Geschichte in den Dreck zu ziehen. Es handelt sich demnach um eine Reaktion auf dieses Verhalten. Darüber hinaus hat die Partei Schass gezeigt, dass sie bereit ist, sich für die Lösung der grossen sozialen Probleme insbesondere im Bereich der Erziehung und der Unterstützung kinderreicher Familien einzusetzen.
Ehud Barak und die Linke verfügen folglich über eine sehr bequeme Koalition. Wird ihm diese Tatsache die Regierungsarbeit nicht ungemein erleichtern ?
Nein, denn die Meinungsverschiedenheiten zwischen den verschiedenen Gruppen und Gruppierungen sind gross, vor allem im Hinblick auf die Aussenpolitik. Ehud Barak wird schon jetzt heftig dafür kritisiert, dass er seit seiner Machtübernahme den grössten Teil seiner Zeit der Aussenpolitik und dem Besuch anderer Hauptstädte gewidmet hat, ohne sich für die innenpolitischen Probleme des Landes, insbesondere wirtschaftlicher Art zu interessieren. Innerhalb seiner eigenen Reihen sind ausserdem Stimmen laut geworden, die ich gegen seine Entscheidung aussprachen, nach dem Vorbild von Rabin den Posten eines Verteidigungsministers neben demjenigen des Ministerpräsidenten zu übernehmen. Vergessen wir nicht, dass Itzchak Rabin damals auf die starke Unterstützung von Shimon Peres zählen konnte, der selbst über eine ausführliche und lange Erfahrung in diesem Amt besass. Darüber hinaus sind die Verteidigungsprobleme Israels heute viel komplexer als in der Vergangenheit, vor allem wegen der Lieferung gefährlicher Raketen an unsere arabischen Nachbarn und wegen beunruhigender Entwicklungen sowohl im Iran als auch im Irak. Diese Situation macht es erforderlich, dass Israel über einen Verteidigungsminister verfügt, der seine Kräfte nicht aufteilen muss.
Obwohl Ehud Barak heute die Zielscheibe so mancher Kritik ist, kann er sich doch auf eine solide Mehrheit stützen. Besitzt die Opposition unter diesen Umständen eine Chance, und sei sie auch nur sehr gering, diese Regierung zu stürzen oder ihr auch nur das Leben schwer zu machen?
Die heute im Parlament bestehende Opposition kann zahlenmässig die Regierung nicht gefährden. Dennoch sollte man nicht vergessen, dass Israel zur Zeit Menachem Begins nur deshalb auf den Sinai verzichten konnte, weil Begin nicht in der Opposition war. Die gegenwärtige Opposition ist im Land selbst viel stärker als im Parlament, und man muss sich darüber im klaren sein, dass die Entscheidungen nicht allein in der Knesset gefällt werden. Denken wir daran, dass 1'400'000 Israelis für Benjamin Netanyahu gestimmt haben und dass die 180'000 in den verwalteten Gebieten lebenden Israelis Familienangehörige überall in Israel besitzen. Diese Kräfte könnten im demokratischen Prozess eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Ausserdem haben in den 32 Jahren, die seit dem Sechstagekrieg vergangen sind, in den Gebieten bedeutende Veränderungen stattgefunden. Es ist absolut unmöglich, diese Gegebenheiten und das Leben einer ganzen Generation einfach auszuradieren.
Was die Vorgehensmöglichkeiten der Opposition angeht, hat sie ihre Entschiedenheit an dem Tag, als die Mitglieder der neuen Regierung den Eid ablegten, bewiesen, indem sie ein Misstrauensvotum gegen die Regierung einreichte. Seither haben die Opposition sowie eine Gruppe von Einzelpersonen nicht aufgehört, den Obersten Gerichtshof anzurufen, um die Entscheidungen der Regierung anzugreifen und für ungültig zu erklären, da sie in ihren Augen gegen das Gesetz verstossen. Diese Form der Belästigung beschäftigt und beunruhigt die Regierung in beträchtlichem Ausmass, so dass ihre Schonzeit sehr bald vorüber sein wird.
Weswegen ?
Man muss sich daran erinnern, dass während des Wahlkampfes zahlreiche Versprechungen gemacht wurden. Wie so oft entsprechen die Taten nach erfolgter Wahl jedoch nicht immer den Versprechungen davor. Dabei denke ich an verschiedene Einzelheiten, wie z.B. die antireligiösen Worte des Ministerpräsidenten, der heute mit den religiösen Parteien zusammen regiert, oder auch das Versprechen, die Befreiung vom Militärdienst für orthodoxe Männer rückgängig zu machen. Es gibt zahlreiche Beispiele für gebrochene Versprechungen. Mosche Dayan pflegte zwar zu sagen, «in der Politik beträgt die Verjährungsfrist 24 Stunden», doch ich glaube nicht, dass das Gedächtnis der Israelis wirklich so kurz ist.
Sind Sie trotz allem der Ansicht, dass Ehud Barak in der Lage sein wird, dank seiner Politik den Frieden mit den Arabern zu erreichen ?
Die Regierung wird bestimmt mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, da die Syrer nur dann zu Verhandlungen bereit sind, wenn Israel sich vollständig von den Golanhöhen zurückzieht. Was die Fortsetzung der Gespräche mit den Palästinensern betrifft, legen sie bereits deutliche Zeichen der Feindseligkeit und der scharfen Kritik an den Tag. Dies sind die Früchte einer Wahlkampagne, die hauptsächlich auf zwei Punkte ausgerichtet war: einerseits Benjamin Netanyahu als den Mann zu verteufeln, der den Frieden ablehnt und für den schleppenden Verlauf bei den Verhandlungen mit den Palästinensern verantwortlich ist, und andererseits die Idee «den Israelis wieder ein Lächeln entlocken» zu wollen, «indem man eine neue Epoche anbrechen lässt, in der alle Probleme gelöst werden». Dieser Aspekt der Kampagne wurde von der internationalen Gemeinschaft in übertriebener Weise unterstützt und verbreitet, die Ehud Barak als «den Schlüssel» zur Lösung aller Probleme im Mittleren Osten bezeichnete. In dieser Region ist jedoch nichts als einfach zu bezeichnen, auf die Fanfaren, Umarmungen und den Applaus folgt unmittelbar die harte Realität, die sich nach der Wahl in nichts von derjenigen davor unterscheidet. Die Realität sieht folgendermassen aus: die Araber verlangen den vollständigen Abzug der Israelis aus den verwalteten Gebieten, die Proklamierung Jerusalems als Hauptstadt des palästinensischen Staates und das Recht auf Rückkehr für alle arabischen Flüchtlinge. Dies ist jedoch extrem gefährlich, denn in der arabischen Welt wurde bewusst das Bild eines neuen israelischen Staatschefs geschaffen, dessen grösster Wunsch es ist, der Welt zu gefallen und möglichst schnell zum Erfolg zu gelangen, so dass er offensichtlich auf alle Forderungen zugunsten der Sicherheit Israels verzichten wird. Obwohl sein Stil sich von demjenigen Benjamin Netanyahus unterscheidet, hat der neue Ministerpräsident dieselbe Schule durchlaufen wie sein Vorgänger und nach 34 Jahren Militärdienst besitzen die Fragen betreffend die Sicherheit des israelischen Staates natürlich kein Geheimnis mehr für ihn, er ist sich ihrer Bedeutung durchaus bewusst. Darüber hinaus hat Ehud Barak versprochen, vor jeglichem Rückzug ein Referendum durchzuführen, und es wird meiner Meinung nach unmöglich sein, bei dieser Volksbefragung eine Mehrheit zu erhalten, falls er dabei auf alle Forderungen der Araber eingehen will. Ich glaube auch nicht, dass der Ministerpräsident bei all seinem Willen erfolgreich zu sein auf Jerusalem wird verzichten und die Rückkehr der arabischen Flüchtlinge wird akzeptieren können. Dann darf man auch nicht vergessen, dass jeder Staat für seine Bürger verantwortlich ist. Falls der Terrorismus in dem Moment wieder einsetzen sollte, wo die arabischen Länder und die westliche Welt begreifen, dass die Forderungen der Araber nicht erfüllt werden können, wäre dies selbst für Ehud Barak nicht akzeptabel. Heute wird leider nur von den Leiden und den Ungerechtigkeiten gesprochen, die gegenüber den Palästinensern verübt werden, und man vergisst sehr schnell die Schrecken und die Verluste auf der Seite der Juden im Verlauf dieses Jahrhunderts.
Letztendlich lässt sich das Problem unabhängig von der in Israel amtierenden Regierung auf eine einzige grundlegende Frage zusammenfassen: will die arabische Welt den Frieden mit Israel oder nicht? Es muss klar sein, dass keine einzige israelische Regierung Bedingungen annehmen wird, welche die Existenz des Staates gefährden können, nur um in der öffentlichen Meinung gut angeschrieben zu sein. Diejenigen, die sich der Illusion hingeben, der Frieden im Mittleren Osten könne dank der Wahl von Ehud Barak innerhalb kürzester Zeit Wirklichkeit sein, werden sehr bald eines Besseren belehrt werden.
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