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Inhaltsangabe Judäa - Samaria Herbst 2009 - Tischri 5770

Editorial
    • Editorial - September 2009 [pdf]

Shalom Exklusiv
    • Die Wünsche des Ministerpräsidenten Israels [pdf]

Rosch Haschanah 5770
    • Rechte und Pflichten [pdf]

Politik
    • Isolation und Solidarität [pdf]

Interview
    • Kraft und Entschlossenheit [pdf]
    • Im Auge des Hurrikans [pdf]

Analyse
    • Die willkürliche Karte des Nahen Ostens [pdf]
    • Die Achse Syrien-iran [pdf]
    • Demografie [pdf]
    • Muslimischer und Arabischer Antisemitismus [pdf]

Wirtschaft
    • Gesund und Stark [pdf]
    • Kennen Sie die Ram-card? [pdf]

Jordanien
    • Jerusalem und Amman [pdf]
    • Jüdische Geschichte östlich des Jordans [pdf]

Judäa - Samaria
    • Normales Leben [pdf]
    • Die Problematik des Wassers [pdf]
    • Eine Viel Versprechende Zukunft [pdf]
    • Individuelle Verantwortung [pdf]
    • Karnei Schomron [pdf]
    • Kiddah [pdf]
    • Oliven und Trauben [pdf]
    • Kinor David [pdf]
    • Schomrijah [pdf]

Justiz und Verbrechen
    • Der Fall Demjanjuk [pdf]

Kunst und Kultur
    • Die Kunst in der Schoah [pdf]

Ethik und Judentum
    • Die Finanzielle Verantwortung [pdf]

Erinnerung
    • Die Ereignisse des Monats September [pdf]

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Individuelle Verantwortung


Von Roland S. Süssmann
Seit einigen Jahren ist in der israelischen Gesellschaft im Allgemeinen und in der Armee im Besonderen ein interessantes Phänomen zu beobachten: Ein sehr hoher Anteil der nationalen Elite stammt aus Familien, die in Judäa und Samaria ansässig sind. Im Rahmen der Armee wird dies vor allem dann ersichtlich, wenn die Namen und Wohnorte der Soldaten veröffentlicht werden, die im Kampf gefallen sind. Im Alltag fällt diese neue Gegebenheit weniger auf, insbesondere bei den Frauen, die oft in verschiedenen liberalen Berufen tätig sind.
Zum besseren Verständnis dieses Phänomens haben wir eine Mädchenschule besucht, nämlich dieUlpenah in Ofrah, die vor über 20 Jahren gegründet wurde und wo täglich 850 meist aus der Umgebung stammende junge Mädchen zwischen 13 und 18 Jahren die Schulbank drücken. Rund 100 Schülerinnen sind vor kurzem zugewandert: 70 von ihnen kommen aus Äthiopien (sie werden von ihrem Integrationszentrum in Beer Schewa nach Ofrah geschickt), die anderen stammen zumeist aus Frankreich. Die Erfolgsquote bei der Maturität liegt bei 88 bis 92 %. Alle diese jungen Frauen leisten danach Dienst zugunsten des Staates, indem sie entweder in die Armee eintreten oder zum Zivildienst gehen. Während ihrer Schulzeit haben sie regelmässig Kontakt mit verschiedenen Bevölkerungsschichten und nehmen als Freiwillige an allen möglichen Aktivitäten teil, vor allem an Begegnungen zwischen frommen und nicht gläubigen Israelis. Diese Treffen besitzen grosse Bedeutung, denn sie geben den beiden Gruppen in der israelischen Jugend die Gelegenheit, sich gegenseitig kennen zu lernen: Diejenigen, die in einem links ausgerichteten Umfeld aufgewachsen sind, d.h. schon fast als religionsfeindlich und linksradikal gelten, werden sich auf diese Weise bewusst, dass die Kinder der Bewohner von Judäa-Samaria keine Wilden sind, die nichts anderes im Kopf haben, als die Olivenhaine der Araber zu zerstören; unsere Schülerinnen wiederum sehen, wie sie selbst wahrgenommen werden und erfahren so auch mehr über sich selbst. Die Treffen mit den ultra-orthodoxen Kreisen sind hingegen wesentlicher komplizierter, denn in den meisten Fällen erlauben es die Eltern nicht, dass ihre heranwachsenden Söhne die jungen Mädchen kennen lernen. Unsere Schülerinnen suchen dennoch die Begegnung mit diesen Familien und können so herausfinden, ob es irgendwelche Gemeinsamkeiten mit dieser Gesellschaftsgruppe gibt und inwiefern sie sich unterscheiden.
Die Schulleitung legt ganz besonderen Wert auf Freiwilligenarbeit und auf die Unterstützung der Mitmenschen. Vor diesem Hintergrund hat die Schule in ihren Räumlichkeiten eine Abteilung für Kinder eröffnet, die einer besonderen Betreuung bedürfen (Autisten usw.). Um die Eltern zu entlasten, werden die Kinder jeden Nachmittag nach Unterrichtsschluss mit Autobussen aus der Region Benjamin in die Schule gefahren, wo sie eine warme Mahlzeit erhalten und dann von den Schülerinnen beschäftigt werden; diese kümmern sich ehrenamtlich um die Behinderten, spielen oder lernen mit ihnen. Jeden Tag wird eine andere Gruppe von Kindern betreut, so dass pro Woche rund 200 Kinder von dieser Einrichtung profitieren. Zudem werden sie 2-3 Mal im Jahr dazu eingeladen, einen ganzen Schabbat an der Schule zu verbringen, wobei dieses Angebot zweimal im Jahr auf die gesamte Familie ausgedehnt wird. Ein paar Schülerinnen kümmern sich dann gemeinsam um die schwierigen Fälle, andere beschäftigen sich mit deren Geschwistern, so dass die Eltern miteinander diskutieren und sich mit anderen Betroffenen über ihre Sorgen und Erfahrungen austauschen können.
Wir wollten mehr über diese Schule und ihre spezielle Ausrichtung erfahren und haben dazu mit Direktor AVIAH SCHASCHAR gesprochen.

Inwiefern unterscheidet sich Ihr Unterrichtsmodell von demjenigen an anderen Schulen in Israel?

Wenn die Mädchen zu uns kommen, sind sie in einem Alter, wo sie irgendwie am Scheideweg stehen. Sie sind immer noch stark auf ihr Zuhause angewiesen, denn die Familie trägt in mancherlei Hinsicht zu ihrer Charakterbildung bei, doch es ist gleichzeitig auch der Moment, wo sie auf eigenen Füssen stehen möchten und ihre Persönlichkeit und ihr individuelles Wesen zu entwickeln beginnen. Aus diesem Grund haben wir ein Teilinternat ins Leben gerufen. Ab 15 Jahren wohnen und schlafen alle Mädchen mittwochs und donnerstags bei uns, auch diejenigen, deren Eltern gleich bei der Schule um die Ecke leben. Jedes Mädchen besitzt ihren eigenen Bereich, ein Bett und einen Schrank. Auf diese Weise lernen sie, in der Gemeinschaft zu leben und Verantwortungsgefühl für ihr unmittelbares Umfeld zu entwickeln. Das kommt in kleinen Dingen zum Ausdruck, im leisen Betreten des Zimmers, wenn die anderen Mädchen schon schlafen, zum Beispiel. Ausserdem fühlen sie sich durch diese Entfernung von der Familie, die ja in kleinen Dosen stattfindet, weniger verloren, wenn sie zur Armee gehen oder Zivildienst leisten.

Und wozu ist das gut?

Unser Lehrplan ist sehr befrachtet. Diese Abende, die man ausserhalb des Unterrichts in der Gemeinschaft verbringt, ermöglichen gemeinsame Unternehmungen im intellektuellen, kulturellen und sportlichen Bereich, darunter auch in Kampfsportarten. Die Mädchen dürfen aussuchen, an welchen Veranstaltungen aus der breiten Palette an Wahlmöglichkeiten sie teilnehmen möchten.

Wie sieht denn der eigentliche Unterricht aus?

Wir halten die Lehrpläne des Bildungsministeriums ein und bieten einige Zusatzmöglichkeiten in unterschiedlichen Bereichen an. Wenn eine Schülerin den normalen Lehrstoff zu einfach findet, geben wir ihr die Gelegenheit, etwas schneller voranzukommen und zusätzliche Module in den Fächern ihrer Wahl zu belegen, in der Regel jüdische Fächer (einige besuchen Talmudkurse) und Geschichte (Zionismus, Schoah etc.). In diesem Kontext schreiben unsere Schülerinnen kleine Arbeiten, die an einem landesweiten Wettbewerb eingereicht werden und für die man einen prestigeträchtigen Preis gewinnen kann. Vergangenes Jahr hat die Universität Haifa, die einen Lehrstuhl für die Schoah besitzt, 70 Dossiers aus ganz Israel ausgezeichnet, von denen immerhin 7 aus unserer Schule stammten. Dieses Jahr vergab dieselbe Uni eine Reihe von Preisen für hervorragende Leistungen, darunter zwei für junge Leute. Beide Preisträgerinnen gehen bei uns zur Schule.
Was den Unterricht an sich betrifft, umfasst unser Stundenplan fast 50 Lektionen pro Woche, darunter rund 18 bis 20 Lektionen zugunsten jüdischer Fächer. Ein Teil des Lehrplans wird vom Bildungsministerium festgelegt, doch eine Reihe von Fächern steht den Schülern zur freien Auswahl (Literatur, Geschichte usw.) und zählt auch zu den Maturnoten. Es ist daher sehr wichtig, wofür sich unsere Schülerinnen entscheiden, denn es kann ihre akademische Zukunft beeinflussen, manchmal gar die Wahl des zukünftigen Ehemannes. Dieser Teil des Lehrplans steht für uns absolut im Vordergrund, denn wir halten es für extrem wichtig, dass unsere Mädchen lernen, die richtigen Entscheidungen zu treffen, in Bezug auf ihre eigenen Vorlieben und auch in Bezug auf ihr direktes Umfeld.

Ihre Schule existiert seit über 20 Jahren. Was ist aus Ihren ehemaligen Schülerinnen geworden?

Die meisten von ihnen haben sich für einen liberalen Beruf entschieden, auch wenn viele Sozialhelferinnen oder Lehrerinnen geworden sind. Über 90 % sind fromm geblieben und etwa 80 % von ihnen leben in Judäa-Samaria.

Sie haben uns von den ausgezeichneten Leistungen Ihrer Schützlinge berichtet. Was passiert aber mit den weniger begabten Schülerinnen?

Wir besitzen eine Abteilung für die jungen Mädchen, die schulisch weniger talentiert sind. Spezialisierte Lehrkräfte helfen diesen Mädchen dabei, sich auf die Maturität vorzubereiten. Wir nehmen aber auch Schülerinnen auf, von denen wir von Anfang an wissen, dass sie die Maturität nie bestehen werden. Wir bilden sie soweit aus, dass sie einen anständigen Beruf erlernen können, wie beispielsweise Kosmetikerin, Schneiderin, Theaterberufe oder so.

Ihre Schule weist zahlreiche interessante Aspekte auf. Gibt es denn ein Pendant für Knaben, und wenn nein, warum nicht?

Sie stellen mir da eine sehr schwierige Frage! Die meisten Jungen aus unseren Regionen besuchen eigentlich die Jeschiwah oder Schulen, die ausschliesslich den normalen Lehrplan des Bildungsministeriums anbieten, was bei unserer Institution eben ganz anders ist, wie Sie soeben erfahren haben. Es ist interessant zu beobachten, dass viele junge Männer die jungen Mädchen aus unserer Ulpenah meiden, da sie sich ihnen sehr schnell unterlegen fühlen. Es ist eine Tatsache, dass die national-religiöse Gesellschaft den Gedanken noch nicht akzeptiert hat, dass man auch für Knaben eine Schule nach unserem Vorbild schaffen könnte. Die Tradition verlangt, dass die Söhne in der Jeschiwah studieren, in denen bereits ihr Vater war. Natürlich sind sie beim Schulabschluss nicht dumm, doch sie haben halt nicht das Bildungsniveau unserer Schülerinnen. Dennoch kommt es zu Eheschliessungen? und die Paare werden glücklich zusammen.

Wie sehen Sie die Zukunft Ihrer Schule?

Da unsere Bevölkerung stetig wächst, werden wir die Schule gemäss gesundem Menschenverstand irgendwann vergrössern müssen. Wir werden denselben Geist beibehalten und Staatsbürger ausbilden, denen das Schicksal ihrer Mitmenschen nicht egal ist.

Sie beschäftigen innerhalb Ihrer Schule eine Sozialhelferin, die ganztags arbeitet. Weshalb?

Damit unsere Schülerinnen dem Unterricht problemlos folgen können, muss man sie von den Schwierigkeiten innerhalb ihrer Familien entlasten, da sie oft ernsthaft darunter leiden. Einige unserer Mädchen stammen aus sozial schwachen, gewalttätigen und zerrütteten Familien. Darüber hinaus haben die Angehörigen anderer Kinder unter Terroranschlägen gelitten, weitere sind traumatisiert durch die prekäre Sicherheit, auch wenn die Lage zurzeit hier recht ruhig ist. Es ist nicht selbstverständlich, in einem gepanzerten Bus zur Schule gefahren zu werden, der von einem schwer bewaffneten Armeefahrzeug begleitet wird.
Die Mädchen aus kürzlich eingewanderten Familien haben überdies mit besonderen Problemen zu kämpfen. Bei den Äthiopierinnen gibt es bei uns zwei verschiedene Gruppen: Die Familien der einen leben seit rund 5 Jahren in Israel, die anderen haben sich erst vor etwa 18 Monaten hier niedergelassen. Sie haben ein gemeinsames Ziel, nämlich die Maturität zu bestehen und als vollwertige Israelinnen anerkannt zu werden. Sie sind bereit, alle erforderlichen Anstrengungen zu unternehmen, um sich zu integrieren, auch wenn dieser Prozess lang und schwer ist. Zur Veranschaulichung möchte ich das Beispiel einer jungen Äthiopierin anführen, die noch vor 5 Jahren als Hirtin arbeitete und jetzt die Matur mit dem Spezialfach hebräische Literatur bestanden hat. Dies vermittelt Ihnen ein Bild davon, wie weit wir unsere Schülerinnen bringen. Sie sind sehr hartnäckig, trotz eines extrem komplizierten familiären Umfelds, dem sie dennoch sehr verbunden bleiben. Die Eltern sind oft Analphabeten, die nicht oder nur wenig arbeiten, die Brüder hängen auf der Strasse herum, und wenn die Mädchen heim kommen, werden sie mit dieser Realität konfrontiert, die sich sehr negativ auswirken kann, wenn sie ihre Schulzeit bei uns abgeschlossen haben.

Und wie steht es um die jungen Französinnen?

Sie ziehen mit ihren Familien in diese Gegend und lassen sich im Allgemeinen in Judäa-Samaria nieder, vor allem in der Region Benjamin. Ihre Integration erfolgt reibungsloser, insbesondere für Mädchen, die bereits in einer jüdischen Schule waren. Die meisten stammen aus sephardischen Familien. Sie begreifen nur mit Mühe, dass wir ihnen im Rahmen des Schulreglements viele Freiheiten gewähren. Zu Beginn ist ihnen auch nicht klar, dass uns vor allem ihr Schicksal, ihr Wohlbefinden und ihre Zukunft am Herzen liegen, und dass unser Unterricht und unsere gesamte Erziehung auf einem einzigen Grundsatz beruhen: der Verantwortung jedes Einzelnen.


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