Editorial - September 1995
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Rosch Haschanah 5756
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Verantwortung für die Erziehung
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Von Rabbiner Shabtai A. Rappoport *
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P.s Kinder waren bereits erwachsen und hatten eigene Familien gegründet, als P. sich in einer neuen Gemeinde niederliess. Zu Beginn interessierte er sich daher kaum für das jüdische Schulwesen an diesem Ort. Dennoch war er mit der Situation nicht zufrieden. Er sah die Knaben, die ihre Eltern in die Synagoge begleiteten, und hielt ihre Verbundenheit mit den jüdischen Werten und ihr Verständnis der Torah für unzureichend. Er sprach das Thema diskret bei den ältesten Mitgliedern der Gemeinde an, merkte aber sehr bald, dass ihnen ein echtes Interesse für den Bereich der Erziehung fehlte und dass die Schulverwaltung und die Lehrer nur wenig Begeisterung an den Tag legten. Gute Lehrer sind selten; Einsatzbereitschaft und notwendige Ressourcen waren für eine beständige Kontrolle der Unterrichtsqualität ganz einfach nicht vorhanden.
P. war überzeugt, dass er dank seiner Begabung für administrative Fragen die Qualität des Unterrichts in dieser Gemeinde entscheidend verbessern könnte. Er wusste aber auch, dass sein Versuch, das System zu verändern, von den Leuten nur ungern gesehen würde und man annehmen könnte, er wolle dadurch nur indirekt sein eigenes Image pflegen. Schliesslich gingen seine Kinder nicht mehr zur Schule und die Situation des Schulwesens ging ihn nichts an. Darüber hinaus hatte sich P. immer von den Gemeindeangelegenheiten ferngehalten und zögerte, sich in das bestehende Establishment einzumischen. War es wirklich seine Pflicht, sich um die Ernennung in den Erziehungsrat zu bemühen und kostbare Stunden darauf zu verwenden, dem System neue Kraft und neuen Schwung zu verleihen und sich dabei den Groll seiner Kollegen zuzuziehen ?
In der nach ihm benannten Midrasch (Tan'huma Emor, Abs.X) legt Tan'huma G'ttes Worte in Hiob XLI,3 (Übersetzung gemäss der Interpretation unserer Ältesten) "Wer kommt mir zuvor, so dass ich dafür zahlen muss ?" folgendermassen aus: sie beziehen sich auf einen ledigen Menschen, der G'tt "zuvorkommt" und sich an den Unkosten der Gemeindeschule beteiligt, obwohl ihm G'tt noch keine Familie geschenkt hat. G'tt verspricht ihm, ihn durch Kinder zu belohnen. Auf den ersten Blick könnte man annehmen, dass es nicht zu den Pflichten einer Person gehört, eine Schule zu subventionieren und zu verbessern, wenn diese Person nicht selbst davon Gebrauch macht. Derjenige, der sich dennoch dafür einsetzt, "kommt G'tt zuvor", auch wenn es einleuchtet, dass dies nicht auf jedermann zutrifft.
Maimonides fordert (in den "Gesetzen zur Lehre der Torah", Kap.II,1), dass jede Gemeinde zur Einrichtung von Lehranstalten verpflichtet ist; sollte sie dies nicht tun, müssen alle Juden die Mitglieder dieser Gemeinde exkommunizieren. Weigert sich die Gemeinde auch dann noch, ihren Kindern eine ordentliche Ausbildung angedeihen zu lassen, muss sie vernichtet werden. Maimonides rechtfertigt die Unerbittlichkeit dieser Regel, indem er daran erinnert, dass die gesamte Welt nur dank den Kindern existiert, welche die Torah studieren. Eine Gemeinde ohne qualitativ hochstehendes Schulsystem stellt für die Nation, und folglich für die ganze Welt, eine Gefahr dar. Da das Gesetz im Falle einer gleichgültigen Gemeinde das Eingreifen von aussen fordert, folgt daraus, dass die Erziehung der Kinder nicht nur Sache der Eltern ist, sondern ebenfalls die gesamte Gemeinschaft und die Nation betrifft. Welcher Art die Pflichten des Einzelnen im Rahmen der Verantwortung für die Gemeinschaft sind, muss jedoch noch genau festgelegt werden.
In seinen "Gesetzen über die Unterstützung der Armen" (Kap.VII) erklärt Maimonides, die Pflicht eines jeden, einem Bedürftigen "nach Möglichkeit und im Rahmen der Mittel, über welche der Spender verfügt" zu helfen, verkörpere ein biblisches Gebot. Im Hinblick auf die Formulierung "Mittel des Spenders" geht er von höchstens einem Fünftel des Kapitals und mindestens einem Zehntel des Einkommens aus. Jede darunterliegende Summe wird als kleinlich bezeichnet. Die Höchstgrenze wird in den "Gesetzen über die Werte" (Kap.VIII,13) erläutert: "Wer seine Grenze überschreitet... handelt nicht mehr aus Menschenliebe, sondern aus Unüberlegtheit, denn er wird all sein Gut verlieren und selbst zum Bettler werden". Da sich diese Regel auf alle, mehr oder weniger begüterten Juden bezieht, scheint jeder in der Lage zu sein, seinen Lebensstandard um einen Fünftel zu senken, wobei von jeder Überschreitung dieser Summe abgeraten wird. Unabhängig von seinem Reichtum wird jedes Individuum, das mehr als ein Fünftel seines Kapitals hergibt, letztlich über seinen Mitteln leben und "all sein Gut verlieren".
In Kap.IX der "Gesetze über die Unterstützung der Armen", in dem Maimonides die Regeln betreffend die Wohltätigkeitspflicht der Gemeinde festlegt, bestimmt er jedoch keinerlei Höchstgrenze, da die Ausgabe von allen Mitgliedern gemeinsam getragen wird. Es stimmt zwar, dass die Gemeinde nur für die elementaren Bedürfnisse der bedürftigen Menschen aufzukommen hat, doch sie ist dazu auch verpflichtet, wenn ein grosser Teil des Vermögens der Mitglieder verwendet werden muss. Daraus lässt sich schliessen, dass von der Gemeinschaft eher ein Ergebnis als eine Anstrengung verlangt wird, während letzteres zu den Pflichten des Individuums gehört.
Dieselbe Überlegung - die Pflicht des Gemeinde, ein Projekt erfolgreich zu Ende zu führen, gegenüber der Verpflichtung des Individuums, eine Anstrengung zu leisten - gilt auch für das Schulwesen. Jeder Jude ist gehalten, seinen Kindern die Torah selbst beizubringen, wenn er dazu in der Lage ist, oder einen fähigen Lehrer herbeizuziehen, doch all dies im Rahmen seiner finanziellen Mittel. Eine Gemeinde ist jedoch verpflichtet, das bestmögliche Erziehungssystem zu schaffen und zu pflegen, auch wenn dies enorme Ausgaben voraussetzt. Aus den "Gesetzen zur Lehre der Torah" von Maimonides geht hervor, dass eine ausgezeichnete Ausbildung für jeden Juden ein elementares Bedürfnis darstellt, das von der Gemeinschaft erfüllt werden muss.
In seinen Responsen (Kap.VII) fordert Rabbiner Yehuda Ben Eliezer Mintz (15. Jahrhundert), dass einige wenige Mitglieder einer Gemeinde oder gar ein Mitglied allein die gesamte Gemeinschaft verpflichten können, die gemäss dem jüdischen Gesetz als notwendig geltenden Ausgaben zu decken. Dieses Recht des Individuums entspringt zwangsläufig seiner rechtlichen Verpflichtung gegenüber der Gemeinde, die in erster Linie aus der Aufgabe besteht, diese auf den Grundlagen der Torah zu erbauen. Diese Pflicht obliegt nicht der Gruppe von Menschen, welche die Gemeinde bilden, sondern jedem einzelnen Mitglied, wenn er die Möglichkeit dazu besitzt.
Daher muss P. versuchen, in den Erziehungsrat gewählt zu werden und alle seine Mittel und Fähigkeiten zur Veränderung des Systems einzusetzen. Er besitzt somit das Recht und gleichzeitig die Pflicht tätig zu werden.
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