Im Auge des Hurrikans

Brigadegeneral Noam Tivon. Foto Bethsabée Süssmann
Von Roland S. Süssmann
Die Sicherheitslage in Judäa und Samaria wirkt sich direkt auf die Sicherheit der israelischen Bürger im ganzen Land aus. Seit drei Jahren hat die Hamas in Gaza die Macht übernommen und verstärkt täglich ihre Präsenz und ihren Einfluss in Cisjordanien. Darüber hinaus gelangen regelmässig riesige Mengen an Waffen in diese Gebiete, wo eine mässige, aber unaufhörliche terroristische Aktivität sowohl in Cisjordanien als auch in Gaza jeden Tag eine Bedrohung für die Zivilbevölkerung Israels darstellt. Glücklicherweise bemüht sich die Armee um effiziente Präventivmassnahmen. Wir wollten uns von jemandem die verschiedenen Aspekte der Situation vor Ort erklären lassen und sind aus diesem Grund nach Bethel gereist, an den Sitz des Zentralkommandos von Tsahal für Judäa und Samaria. Dort wurden wir von Brigadegeneral NOAM TIVON empfangen, dem Befehlshaber der israelischen Streitkräfte in diesen Regionen.
Brigadegeneral Tivon wurde 1963 im Kibbuz Tzora geboren. Dieser ehemalige Major der Fallschirmspringer und später der Region von Hebron besitzt ein Lizentiat für Geschichte der Universität Haifa sowie ein Diplom für Öffentliche Verwaltung der Universität Harvard.


Ihre Leute und Sie erfahren bei Ihren Einsätzen täglich, wie es in Judäa und Samaria um die Sicherheit vor Ort steht. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Die Situation in den Gebieten, für die ich zuständig bin, ist extrem labil und erfordert nicht nur permanente Aufmerksamkeit, sondern auch ein Know-how, das die Sicherheit garantiert und gleichzeitig verhindert, dass Öl ins Feuer geschüttet wird. Unsere Haupttätigkeit besteht im Kampf gegen den Terrorismus. Ich denke, dass die bisher von der Armee und den Nachrichtendiensten erzielten Ergebnisse vorzüglich sind. Profis aus der ganzen Welt kommen ja zu uns, um unsere Methoden und unser Know-how zu studieren. Als der Terror 2002 einen Höhepunkt erreichte, wurden über 400 Israelis durch Anschläge ermordet, deren arabische Urheber aus Judäa und Samaria stammten. Dieses Jahr war das härteste für den Staat Israel, sowohl in Bezug auf die Zahl der Opfer als auch in Bezug auf die Sicherheitslage an sich. Die Menschen gingen nicht mehr aus dem Haus, Busse und Cafés blieben leer und es kamen praktisch keine Touristen mehr. Die wirtschaftlichen Folgen dieser Situation waren verheerend. Sechs Jahre danach sieht die Lage völlig anders aus. 2007 kamen in Judäa-Samaria vier Personen durch Attentate ums Leben, 2008 waren es fünf, wobei die meisten Anschläge in Jerusalem selbst stattfanden. Es kam allerdings auch in Dimona zu einem Anschlag, der von Terroristen aus Cisjordanien verübt wurde. In den meisten Fällen waren die Täter israelische Araber. Dies bedeutet im Klartext, dass die Bürger in Judäa-Samaria, aber auch im restlichen Land in grosser Sicherheit leben. Dieser Umstand ist nicht nur auf den Einsatz der Armee zurückzuführen, sondern auch auf die Arbeit des Nachrichtendienstes, der militärischen Grenzpolizei (Grünmützen), der Polizei und der Zivilschutzdienste, mit denen wir Hand in Hand arbeiten. Unser Erfolg basiert in erster Linie auf der totalen Handlungsfreiheit, welche die Armee überall in Judäa-Samaria geniesst. In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass wir bei unseren Operationen streng darauf achten, einzig und allein Personen anzugreifen, die als Terroristen aktiv sind, und Zivilpersonen und Familien verschonen. So haben wir 2007 70 Terroristen getötet, 2008 waren es rund 50 und im Jahr 2009 bisher etwa 15. Wir arbeiten hier mit den besten Einheiten der Armee, wie z.B. der Elite der Fallschirmspringer, sowie mit den Spezialeinheiten zur Terrorbekämpfung zusammen.
Das zweite Element, das uns enorm hilft, ist der Sicherheitszaun, trotz der Demonstrationen, die wöchentlich gegen diese Einrichtung stattfinden. Da die Sicherheit weniger gefährdet ist als noch vor wenigen Jahren, können wir uns heute auch erlauben, den Alltag der arabischen Bewohner der Region zu vereinfachen. Wir haben vor kurzem eine ganze Reihe von Sperren aufgehoben, insbesondere rund um Nablus (Schekhem): Diese Ortschaft war dermassen fest in den Händen der Terroristen, dass wir sie vollständig abriegeln mussten. Es ist uns gelungen, ihre Aktivitäten zu unterbinden und konnten danach die Stadt wieder öffnen. Auf diese Weise konnte die Bevölkerung die lokale Wirtschaft wieder zu neuem Leben erwecken. Sie sehen, der Rückgang der Terroranschläge geht mit der täglichen Lebensqualität der arabischen Einwohner Hand in Hand.
Der dritte Aspekt unseres Erfolgs ist den Fähigkeiten und dem Know-how unserer Leute zuzuschreiben. Alle Soldaten, die in Judäa-Samaria Militärdienst leisten, erhalten eine besondere Ausbildung; wir bringen ihnen bei, wie sie in verschiedenen Situationen reagieren sollen, die ihnen bei ihrer Tätigkeit in dieser Region begegnen können. Wir lehren sie, wie sie mit Demonstranten umgehen, wie sie der arabisch-palästinensischen Bevölkerung begegnen, unter welchen Umständen sie jemanden verhaften oder gehen lassen, wie sie die Menschenwürde eines Häftlings bewahren, wann eine Sperre geöffnet oder errichtet wird usw. Es kommt übrigens des Öfteren vor, dass ein Soldat, der praktisch allein ist, derartige Entscheidungen mit schwer wiegenden Konsequenzen fällen muss. Normalerweise wird ein Soldat bei seinem Eintritt in die Armee dazu ausgebildet, wie er im Krieg gegen ein benachbartes arabisches Land zu kämpfen hat. Man muss sich klar machen, dass die heute herrschende relative Ruhe nicht an einem einzigen Tag entstanden ist. Sie ist das Ergebnis der Bemühungen, welche alle Befehlshaber vor mir sowie Hunderte von Soldaten Tag für Tag unternommen haben, entweder in ihrem normalen Militärdienst, oder im Wiederholungskurs (Miluim), und dabei keine Anstrengung gescheut haben, um den israelischen Staatsbürgern einen sorglosen Schlaf zu ermöglichen. Wir sind effektiv an einem Punkt angelangt, wo man behaupten kann, dass der Terrorismus den Alltag und die normalen Geschäfte der Israelis nicht mehr beeinträchtigt. Wir möchten nämlich sicher sein, dass ein Israeli, sei er nun in Judäa-Samaria oder in einem anderen Landesteil ansässig, morgens in sein Auto steigen kann und nicht mehr daran denken muss, ob er Opfer eines Anschlags wird oder ob er abends wieder heil nach Hause kommt, sondern nur über den Stau auf den Strassen schimpfen und an seine Arbeit denken kann. Dass er einfach ein gewöhnliches Leben führt. Wenn ich höre, dass dies zutrifft, dann weiss ich, dass ich meine Arbeit richtig geleistet habe.

Welche Beziehungen unterhalten Sie zu den jüdischen Einwohnern von Judäa-Samaria?

Im Gegensatz zu einigen negativen Aussagen in der israelischen Presse sind die Beziehungen zwischen der Armee und den israelischen Bürgern, die in den Regionen leben, für die ich sicherheitstechnisch zuständig bin, ausgezeichnet. Wir arbeiten hier sowieso unter den strengen Anweisungen einer klar umrissenen Politik, die besagt, dass die Schaffung neuer Vorposten verboten ist. Wir setzen das Gesetz hier genau nach Wortlaut um, und wenn derartige Posten geschaffen werden, evakuieren wir die Bewohner und zerstören ihre Infrastrukturen. Diese Aufgabe wird nicht von den Soldaten erledigt, sondern von der Polizei und der Grenzpolizei. Das heisst natürlich nicht, dass wir täglich gegen die Verantwortlichen der Besiedlung von Judäa-Samaria kämpfen, weit gefehlt. Wir unterhalten, wie bereits erwähnt, ausgezeichnete Beziehungen zu diesen Kreisen und kooperieren in zahlreichen Bereichen. In dieser Gesellschaft gibt es allerdings eine Randgruppe, die recht extrem ist und uns viel Kopfzerbrechen bereitet. Es sind Personen, welche die Autorität des Staates und das Gesetz nicht akzeptieren und die Armee ständig herausfordern. Daraus ergeben sich heftige Zusammenstösse, die wir gern vermeiden würden. Diese Konfrontationen sind nämlich auf physischer, aber auch auf psychologischer und moralischer Ebene für alle Beteiligten sehr unangenehm, in erster Linie für unsere Soldaten. Gleichzeitig müssen wir uns Woche für Woche mit den linken Anarchisten auseinandersetzen, die Steine auf die Soldaten werfen und uns permanent provozieren. Es ist nicht die Aufgabe der Armee, politische Ansichten zu vertreten, wir sollen nur für die Einhaltung des Gesetzes und die Umsetzung der Beschlüsse der amtierenden israelischen Regierung sorgen. Die Lage in den Gebieten ist allerdings weit weniger turbulent, als es in der Presse jeweils scheint, doch wenn Extremisten durch ihre Handlungen gegen das Gesetz des Landes verstossen oder wenn gewisse Leute die Ordnungskräfte angreifen, dann müssen wir handeln, damit Recht und Ordnung ohne allzu grosse Konsequenzen wieder hergestellt werden können. Doch solche Ereignisse sind immer mit heftigen Emotionen verbunden und werden von den Beteiligten als schmerzlich empfunden. Ich darf durchaus behaupten, dass unsere Soldaten und Befehlshaber im Allgemeinen viel Gelassenheit und Kaltblütigkeit an den Tag legen, was nicht immer einfach und auch nicht selbstverständlich ist. Wir geben ihnen die Mittel, um sowohl auf physischer als auch auf psychologischer Ebene standzuhalten, doch es muss schon klar sein, dass unsere Leute es mit anderen Israelis zu tun haben und dass diese Tatsache sie extrem belastet. Natürlich haben wir es sowohl im linken wie auch im rechten Spektrum mit einer Minderheit zu tun, doch man darf die Bedeutung und die Gefährlichkeit dieser Minderheiten nicht unterschätzen. Man kann nicht die gesamte Bevölkerung von Judäa-Samaria mit diesen Rechtsextremisten in einen Topf werfen, so wie man auch nicht die gesamte israelische Linke für die Taten der linken Anarchisten verantwortlich machen kann.

Die jüdische Präsenz in Judäa-Samaria wird bei nicht von allen Mitgliedern der israelischen Gesellschaft gut geheissen. Sind die hier eingesetzten Soldaten tatsächlich immer mit ganzem Herzen dabei?

Ein wesentlicher Faktor unseres Erfolgs besteht just aus der sehr hohen Motivation unserer Leute. Sie begreifen, dass ihr Militärdienst hier eigentlich heisst, dass sie ihre Häuser und ihre Familien beschützen. Unsere Soldaten stammen aus allen Teilen des Landes und vertreten alle Strömungen. Wir gelten als die grösste Einheit, denn wir bestehen aus sechs Bataillonen, von denen die wichtigsten folgende sind: "Menasche" in Jenin, "Ephraim" in Tulkarem, "Schomron" in Schechem, "Benjamin" in Ramallah usw. Dazu muss man wissen, dass die Männer regelmässig ausgewechselt werden und dass jene, die in ihren Bataillonen einen Wiederholungskurs absolvieren, sie in einem festgelegten Turnus ersetzen. Die Vielseitigkeit aller Soldaten ist ebenfalls wichtig. Unsere Leute sind alle in der Lage, in Gaza um den Sieg zu kämpfen, aber auch den Anforderungen an unseren Standorten in Judäa-Samaria gerecht zu werden. In diesem Sinne führen alle Waffengattungen während ihrer Stationierung bei uns ihre normale Ausbildung fort. Die Männer sind bereit, an der Front zu kämpfen, sie sind motiviert und jederzeit in bester physischer Verfassung.

Durch Ihre regelmässigen Interventionen sind die Terroristen bestimmt gezwungen, immer wieder ihren Aufenthaltsort zu ändern. Wo ist denn der Terrorismus gegenwärtig am aktivsten?

In den letzten zwei Jahren waren Jenin, wo sich der islamische Dschihad niedergelassen hatte, und Schechem, wo sich Elemente der Hamas und der Tanzim-Miliz aufhielten, die problematischsten Ortschaften für uns. Dank unserer diversen Interventionen konnte ihre Infrastruktur zerstört werden. Heute befindet sich die brenzligste Zone in Hebron, einer sehr frommen Stadt, wo die Hamas recht fest verwurzelt ist. Wir betreiben hier die reinste Fleissarbeit, Tag für Tag, Nacht für Nacht, Stunde um Stunde. Wir dringen in die Städte und Dörfer ein, verhaften die Verdächtigen, befragen sie, werten die Informationen aus und zerstören dann die Infrastrukturen der Terroristen. Diese Tätigkeit erfolg in aller Diskretion, ohne Kameras und ohne dass nach unseren Einsätzen jedes Mal ein grosser Zeitungsbericht erscheint. Wir brauchen viel Geduld, und manchmal ist es eine mühsame, langweilige Arbeit, die viel Zeit erfordert, doch wir lassen nicht locker und geben niemals auf. Wir müssen uns auch an die neuen Gegebenheiten vor Ort gewöhnen, an die Entwicklung der arabisch- palästinensischen Gesellschaft und an die Erwartungen der Politik.

Der Besucher, der erstmals seit anderthalb Jahren wieder nach Judäa-Samaria reist, ist überrascht von der stark angestiegenen Zahl von Moscheen in den arabischen Dörfern. Heisst das, das die Hamas in der Region stärker geworden ist?

Ich glaube nicht, dass dies der Fall ist. Seit der Machtübernahme durch die Hamas in Gaza beobachten wir ein interessantes Phänomen innerhalb der palästinensischen Autonomiebehörde. Die Verantwortlichen haben begriffen, dass sie der Hamas mit Misstrauen begegnen müssen. Daher haben sie begonnen, diese Organisation ernsthaft zu bekämpfen, nachdem sie sie in den vergangenen Jahren einfach gewähren liessen. Vor kurzem konnten wir in Kalkilia ein eindrückliches Beispiel dafür erleben, als es Agenten der PA gelang, einige Hamas-Terroristen zu schnappen, die sich versteckt hielten und nach denen wir ebenfalls fahndeten. Sie haben sie knapp vor uns aufgespürt. Der Graben zwischen PA und Hamas wird also immer breiter. Ich kann allerdings nicht behaupten, dass die Streitkräfte der PA mit uns zusammenarbeiten. Sie organisieren ihre militärischen Aktivitäten aufgrund ihrer eigenen direkten Interessen. Als Fachmann muss ich zugeben, dass sie wesentlich effizienter geworden sind, als sie es früher mal waren. Wir pflegen einen regelmässigen Austausch, und im Moment arbeiten sie nicht gegen uns. Sie begnügen sich damit, gegen die Hamas vorzugehen und in den Zonen, die ihrer Kontrolle unterstehen, für Recht und Ordnung zu sorgen. Man muss jedoch wissen, dass einzig und allein Tsahal für die Sicherheit in Judäa-Samaria zuständig ist und dafür die Verantwortung trägt. Wir delegieren keine Einsätze und keinerlei Verantwortung an Dritte. Wir zählen ausschliesslich auf uns und greifen, wie gesagt, überall dort und zu dem Zeitpunkt ein, wo es uns notwendig erscheint.
Was die Vervielfältigung der Moscheen angeht, erleben wir im gesamten muslimischen Raum eine wieder erstarkende Frömmigkeit, und die palästinensischen Araber machen diese Entwicklung eben mit.
In diesem Zusammenhang ist es interessant zu wissen, dass wir das Leben der arabischen Einwohner in der Region auch deshalb nach Kräften zu erleichtern versuchen, weil wir verhindern möchten, dass die Hamas durch finanzielle Zuwendungen (zugunsten von Familien) noch mehr Anhänger gewinnt. Wenn die Menschen weiterhin einem Beruf nachgehen und ihre Frauen und Kinder sowie ihre betagten Eltern ernähren können, sind sie nicht auf die finanzielle Unterstützung der Hamas angewiesen. Das Ziel der Hamas besteht nämlich darin, in Judäa-Samaria einen "Staat im Staat" zu schaffen. Mit Hilfe enormer Summen bietet sie den palästinensischen Arabern jene Hilfe an, welche die palästinensische Autonomiebehörde nicht leistet: Betreuung von Kranken, Schulen, Sozialhilfe aller Art. Auf diese Weise sichert sich die Hamas die Treue der Menschen, die sie gleichzeitig auch kontrolliert. Dieser Ansatz hat im Südlibanon mit dem Hisbollah und in Gaza perfekt funktioniert. Heute versuchen die Chefs der Hamas, in Judäa-Samaria auf die gleiche Weise vorzugehen.

Welches sind gegenwärtig Ihre grössten Herausforderungen?

Zunächst möchten wir verhindern, dass der Terrorismus in dieser Region erneut aufflammt. Judäa-Samaria ist heute eine Gegend, die sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene im Zentrum der politischen Aufmerksamkeit steht. Wir sind die Armee und keine politische Partei. Unsere Pflicht ist es daher, die Sicherheit zu gewährleisten und gleichzeitig die politischen Beschlüsse des Staates Israel, d.h. der amtierenden Regierung umzusetzen. Es geht darum, Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten. Da dieses Gebiet aber politisch dermassen brisant ist, versucht jede Seite die Gunst der Armee zu erlangen. Wir müssen aber unbedingt frei von jeder Beeinflussung bleiben. Wir erhalten unsere Anweisungen von der Befehlszentrale des Landes, die sie wiederum vom Generalstabschef bekommt, der die Richtlinien der Regierung umsetzt. Das ist gar nicht so einfach, denn abgesehen davon, dass jede unserer Aktionen von der ganzen Welt unter die Lupe genommen wird, umfasst der militärische Einsatz in Judäa-Samaria für unsere Leute einen extrem eindrücklichen psychologischen und sentimentalen Aspekt, was in anderen Regionen Israels nicht immer der Fall ist. Unter diesen Umständen fällt es einem manchmal schwer, einen kühlen Kopf zu behalten und das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: den Krieg gegen den Terrorismus, den Schutz von Leib und Leben unserer in Judäa-Samaria ansässigen oder durchreisenden Staatsbürger. Für diese Ziele setzen sich meine Männer Tag und Nacht ein.

Wie sehen Sie die Zukunft?

Als Erstes muss ich betonen, dass wir keinesfalls kurz vor einem erneuten Rückzug stehen, der die Vertreibung zahlreicher Juden einschliessen würde, wie dies in Gusch Katif der Fall war. Meines Erachtens stehen wir aber in Bezug auf unsere Beziehungen sowohl zu den palästinensischen Arabern als auch zu den jüdischen Einwohnern an der Schwelle zu einer kritischen Phase für Judäa-Samaria. Für den einfachen Soldaten ist dies nicht spürbar, da seine einzige Aufgabe darin besteht, die Verteidigung zu sichern. Auf meiner Ebene und noch weiter oben liegen die Dinge komplizierter, denn zu unseren Pflichten gehört es eben auch, Ratschläge zu erteilen, die letztendlich zu wegweisenden politischen Entscheidungen führen und sich direkt auf die Zukunft dieser Region auswirken können. Da wir hier leben und die Gegebenheiten vor Ort so gut kennen, ist es an uns, eine sehr genaue Einschätzung der hiesigen Realität zu liefern, die sich beständig verändert. Wir müssen rückwirkend, aber vor allem vorausschauend begreifen und analysieren, wie und warum es zu diesen manchmal rasanten und grundlegenden Veränderungen kommt. Dies betrifft einerseits die Entwicklung der jüdischen Siedlungen, andererseits die Beziehungen Israels zur PA. Zeitweise, wie z.B. gerade jetzt, kommt diesem Aspekt unserer Mission eine enorme Bedeutung zu.

Hat sich auf technischem Niveau irgendetwas an der Art der Waffen verändert, welche die arabischen Terroristen einsetzen?

Wir achten in Judäa-Samaria darauf, dass sie über keinerlei käuflichen oder selbst gebauten Raketen oder über Waffen zur Panzerabwehr verfügen. Jeder, der sich solche Waffen verschafft oder sie zu verwenden bzw. selbst gebaute Bomben mit starkem Sprengkopf herzustellen versucht, wird von uns sofort verhaftet oder getötet. Wir bekämpfen selbstverständlich den Schmuggel von Waffen, deren Schlagkraft über diejenige eines Maschinengewehrs M.16 hinausgeht. Ich sage immer, dass wir den Stand der hier - vor allem bei den Arabern - im Umlauf befindlichen Waffen auf dem Niveau der M.16 beibehalten möchten, um nicht unsere F-16 einsetzen zu müssen. Die Polizei der PA ist übrigens nur zur Ausrüstung mit Kalaschnikows oder 9-mm-Pistolen berechtigt. Sobald eine Waffe diese Grösse oder Feuerkraft übersteigt, wird sie von uns konfisziert. Wir setzen uns nach Kräften für die Einschränkung des Schmuggels mit Waffen und Sprengmaterial ein. Zurzeit sind unsere Bemühungen erfolgreich. In den vergangenen zwei Jahren haben wir uns vor allem auf die Jagd nach Sprengsätzen konzentriert, die aus einer ursprünglich harmlosen Quelle stammen. So können beispielsweise landwirtschaftliche Düngemittel im Handumdrehen in leistungsfähigen Sprengstoff verwandelt werden. Dasselbe gilt für Azeton, das für die Maniküre bestimmt ist. Man muss sich klar machen, dass der Terrorismus heutzutage nicht mehr Sache von Amateuren ist, sondern vom Iran, von Syrien, vom Hisbollah und der Hamas organisiert, finanziert und beliefert wird. Die grössten Summen zur Finanzierung stammen natürlich aus dem Iran, obwohl Saudi-Arabien und die Staaten vom Persischen Golf ihm kaum nachstehen. Der Geldtransfer erfolgt in grossen Mengen über alle möglichen und denkbaren Kanäle (als Bargeld, als Entschädigung, über diverse Methoden der Geldwäscherei usw.) und wird überall in den terroristischen Zentren der palästinensischen Araber verteilt. Dasselbe geschieht mit dem immer raffinierteren Know-how fürs Töten.

Wie gehen Sie gegen diese Machenschaften vor?

In Bezug auf das Know-how der Terroristen greifen wir sofort militärisch ein und zerstören alle uns bekannten Infrastrukturen. Bei den finanziellen Transfers konnten wir dank eines sehr ausgeklügelten Vorgehens unserer Nachrichtendienste direkt gegen die entsprechenden bürokratischen Einrichtungen dieser Organisation in Judäa-Samaria intervenieren. Ausserdem haben wir die Sommerferienlager, die Schulen und Wohltätigkeitszentren der Hamas geschlossen. Diese Organisation besitzt meines Erachtens eine gewisse Macht in der Region, und wir können sie nicht ausschliesslich mit militärischen Mitteln bekämpfen. Wir überwachen die Wirtschaftsprüfer, die Anwälte, Ärzte und Vermögensverwalter ihrer Sozialgelder. Diese Leute sind zwar nicht bewaffnet, sind aber dennoch äusserst gefährlich und agieren im Rahmen eines radikalen Islamismus. Wir bemühen uns nach Kräften, die Hamas zu schwächen, sei es in den Schulen, in den Universitäten, kurz, überall dort, wo ihre Mitglieder in direkten Kontakt zur arabisch-palästinensischen Bevölkerung treten.
Wir stehen vor einer riesigen Herausforderung, denn sollte die Hamas in Judäa-Samaria an die Macht gelangen, gerät Israel in eine Situation, die viel schwieriger zu handhaben ist als heute. Meine Aufgabe ist es also, die Hamas daran zu hindern, in politischer, militärischer oder ziviler Hinsicht Fuss zu fassen. Früher gingen wir nur gegen den militärischen Zweig der Hamas vor, heute bekämpfen wir auch ihr Handeln, das man fast als staatlich bezeichnen könnte. Die Machtübernahme in Judäa-Samaria durch die Hamas würde im Klartext bedeuten, dass eine radikal-islamische Entität geschaffen wird, was für uns extrem gefährlich wäre. Natürlich geben wir deswegen den Kampf auf militärischer Ebene nicht auf. Ende Mai haben wir in Hebron einen der Hamas-Chefs verhaftet, der eine Reihe von Attentaten in Jerusalem veranlasst hatte. Seit zehn Jahren schon fahndeten wir in der Region nach ihm. Dank unserer Interventionen hat die Hamas im letzten Jahr nicht an Boden zulegen können. Wir setzen unseren Kampf Tag für Tag in allen oben genannten Bereichen fort. Solange Tsahal in Judäa-Samaria präsent ist, wird sie nicht zulassen, dass sich die Region in ein "Hamastan" verwandelt, wie dies in Gaza passiert ist.

Haben Sie bereits Instruktoren oder Agenten aus dem Iran oder von der libanesischen Hisbollah entdeckt oder verhaftet, die in Judäa-Samaria aktiv waren?

Im Moment noch nicht, und jede Person, die aus Gaza hierher einzudringen versuchte, würde sofort verhaftet und ausgewiesen werden. Die Grenze ist hier hermetisch abgeriegelt, illegale Bewegungen sind kaum möglich. Ausserdem profitieren wir im Kampf gegen den Terror, insbesondere im Kampf gegen die Hamas, von einer ausgezeichneten Zusammenarbeit mit Jordanien, das diese Organisation sehr fürchtet.

Man hört immer wieder vom unrechtmässigen Häuserbau von jüdischen Vorposten. Gibt es illegale Gebäude, die von palästinensischen Arabern errichtet wurden? Gehen Sie gegebenenfalls auch gegen solche vor?

Es gibt tatsächlich eine immer grössere Zahl von illegalen arabischen Häusern, vor allem in der Umgebung von Jerusalem. Wir intervenieren dann, wenn diese Gebäude die Sicherheit gefährden, d.h. wenn sie nahe an Strassen oder an einer Stelle stehen, die wir für ungeeignet erachten.

Sie haben die unaufhörlichen Veränderungen erwähnt, die in Judäa-Samaria stattfinden. Ist es kürzlich zu so einer unerwarteten Entwicklung gekommen?

Da gibt es mehrere Elemente. Zahlreiche Personen, die noch gestern als Terroristen operierten und deren Ziel es war, blutige Anschläge gegen Israel durchzuführen, haben vorübergehend ihre Aktivitäten eingestellt; wenn wir sie aufspüren, verhaften wir sie, besonders wenn sie jüdisches Blut auf den Händen haben. Doch die arabisch-palästinensische Gesellschaft ist sich, wie wir, vollkommen bewusst, dass die ganze Welt diese Region aufmerksam beobachtet. Die Verantwortlichen setzen alles daran, um einen guten Eindruck zu machen, und aus genau diesem Grund bekämpfen sie auch die Hamas. In dieser Gegend müssen wir aber immer auf der Hut sein, wir dürfen nie locker lassen, müssen die Veränderungen rechtzeitig erkennen und sofort richtig reagieren. Zur Veranschaulichung möchte ich das Beispiel anführen, das wir die "isolierten Terroristen" nennen. Es handelt sich um Leute, die eines schönen Morgens aufstehen und dann, weil sie religiös indoktriniert wurden, weil ihnen ihr Leben kompliziert erscheint oder auch weil ihr Vater sie geschlagen hat, beschliessen einen Juden zu töten. Wir verhaften pro Monat ungefähr ein Dutzend solcher Typen. Wenn wir sie nicht ausfindig machen, bevor sie zur Tat schreiten, beklagen wir die Ermordung eines Kindes in Bat Ayin, wie dies Anfang Juni 2009 passiert ist, oder sonst einen blutigen Anschlag. Es ist offensichtlich, dass die Personen, die religiöse Indoktrination erfahren haben, zum Töten und zum Sterben hierher kommen. Unser Problem ist es, dass wir über keinerlei vorgängige Information zum geplanten Attentat verfügen. Es gibt nur einen Weg, diese Taten zu vereiteln, nämlich die Verstärkung der Sicherheit von jüdischen Siedlungen und Strassen.

Denken Sie, dass uns eine dritte Intifada bevorsteht?

Ich glaube nicht. Während der militärischen Operation in Gaza vom vergangenen Januar gab es sozusagen keine antiisraelischen Demonstrationen seitens der in Judäa-Samaria lebenden Araber. Doch wir sind auf jede mögliche Entwicklung gefasst, ein derartiges Szenario wird von uns vorbereitet und mit unseren Leuten trainiert.
Abschliessend möchte ich noch sagen, dass sich unsere Mission hier so zusammenfassen lässt: Wir müssen Augen und Ohren ständig offen halten und eine Länge Vorsprung auf unsere Feinde haben.