Der Bioterrorismus
Von Dr. Dany Shoham *
Bioterrorismus kann folgendermassen definiert werden: bewusster, gezielter (oder angedrohter) Einsatz von Keimen, Viren oder Giftstoffen gegen die Zivilbevölkerung oder gegen wirtschaftliche bzw. logistische Infrastrukturen, um auf diesem Weg politische, soziale, religiöse, finanzielle, ideologische oder persönliche Ziele zu erreichen. Dies erfolgt über Einschüchterung, Nötigung oder Verbreitung von Angst.
Bio-Verbrechen, Bio-Sabotage oder biologischer Krieg sind Begriffe, die alle mehr oder weniger dem Bioterrorismus zuzuordnen sind, wenn auch kleine Abweichungen vorliegen. Der Begriff „Bio-Verbrechen” betont zwar den illegalen Aspekt von Bioterrorismus, umfasst aber auch eine Reihe von Handlungen, wie beispielsweise den Besitz oder den Transport von bestimmten Mikroorganismen, die gegen die geltenden nationalen oder internationalen Bestimmungen oder Abkommen verstossen. Die biologische Sabotage bezeichnet den tatsächlichen Einsatz von biologischen Substanzen mit dem Ziel der operationellen Sabotage, hinter der meist Guerillas stecken. Mit dem Terminus „biologischer Krieg“ ist hauptsächlich eine militärische Konfrontation gemeint, in deren Verlauf Bio-Waffen verwendet werden, obwohl sie im weitesten Sinne auch gegen eine bestimmte Zivilbevölkerung gerichtet sein kann und dann eindeutig der Definition von Bioterrorismus entspricht.
Der Einsatz von Krankheitserregern bei landwirtschaftlichen Tieren oder Pflanzen verkörpert eine weitere Form des Terrorismus, den landwirtschaftlichen Bioterrorismus (Agro-Terrorismus). Der immer einfachere Zugang zu sanften Drogen – zumeist organischen Toxinen – führt zu einer zusätzlichen Variante, zum Narkoterrorismus.
Da man natürliche und künstlich ausgelöste Epidemien kaum voneinander unterscheiden kann, dienen die in der Natur auftretenden Fälle als nützliches Modell für die Untersuchung der Funktionsweise und der Auswirkungen der durch Bioterrorismus ausgelösten Epidemien. Von der Tatsache ganz zu schweigen, dass diverse Infektionskrankheiten, vor allem diejenigen viraler Art, oft unberechenbar und verheerend sind und wiederholt auftauchen können. Daher wäre es empfehlenswert, die an diversen Orten aufgetretenen grossen natürlichen Epidemien des vergangenen Jahrzehnts sorgfältig zu studieren: das hämorrhagische Fieber Ebola, Aids, die atypische Lungenentzündung SARS, die West-Nil-Enzephalitis, die Vogelgrippe, Cholera. In Europa traten während des Mittelalters riesige Pest- und Pockenepidemien auf. In jüngster Vergangenheit wurden viele landwirtschaftliche Tiere in Europa von furchtbaren Epidemien wie Maul- und Klauenseuche, Vogelgrippe und Schleimhautentzündungen (Blauzungenkrankheit) heimgesucht.
Bioterrorismus kann von einem Staat oder von nichtstaatlichen Organisationen ausgehen. Bioterroristische Anschläge durch einen Staat können manchmal von Saboteuren durchgeführt werden, die mit dem betreffenden Staat zusammenarbeiten oder auf eigene Faust vorgehen, dabei aber die institutionelle Unterstützung eines Landes erhalten, das sich der späteren Folgen vollkommen bewusst ist. Programme und Pläne für Bio-Sabotage wurden in Deutschland, Japan, in der UdSSR, den USA, in Südafrika und Irak entdeckt.
Bioterroristische Angriffe werden aber auch ohne jede offizielle Hilfe einer Regierung von bestehenden Terrororganisationen, zeitlich beschränkten Gruppierungen oder einzelnen Individuen geplant und durchgeführt. Es ist allgemein bekannt, dass Al Kaida sich sehr darum bemüht, Krankheitserreger oder Giftstoffe in ihren Besitz zu bringen, um diese später für Bioterror einzusetzen.
Ein ganz besonderer Stellenwert im um sich greifenden Bioterrorismus ist dem Versand von Briefumschlägen mit Anthrax im September 2001 zuzuschreiben; diese Anschläge kamen einen qualitativen Höhepunkt gleich, mit dem niemand gerechnet hatte, obwohl im Vorfeld einige Indizien und Informationen darauf hingewiesen hatten. Die Vorgehensweise erwies sich als recht ausgeklügelt, wenn man bedenkt, dass die Milzbranderreger ausserhalb der USA hergestellt worden waren. Bis heute gilt die Verbreitung von Briefumschlägen mit Anthraxsporen per Post als weltweit schwerwiegendster Fall von Bioterrorismus. Dieser Fall bewies, wie perfekt die Verbrecher ihr Handwerk beherrschten (unabhängig von der Präparierung des Anthraxpulvers an sich, einer hoch komplizierten Angelegenheit), und zwar in diverser Hinsicht: nicht kontrollierbare Vorbereitung von Briefumschlägen mit Anthrax; wiederholter, nicht kontrollierbarer Versand; nicht nachvollziehbare Zustellung der Umschläge an die verschiedenen Destinationen; keine erkennbaren Fingerabdrücke der Urheber des Verbrechens; kein Hinweis darauf, ob die Sabotage von einem Staat oder jemand anderem in Auftrag gegeben wurde.
Die heftigen Reaktionen auf die Anthrax-Angriffe von 2001 führten in den USA zu enormen Anstrengungen: die Behörden versuchen ab sofort sich die notwendigen Kompetenzen für den Umgang mit bioterroristischen Ereignissen anzueignen. Das Wissen um die Gefahr von Bioterror ist in den letzten Jahren gestiegen, man bereitet sich nun viel besser auf derartige mögliche Angriffe vor.
Vor einem Monat zeigte sich der Vizepräsident der nationalen Sicherheitskommission des British Institute for Public Policy Research – es gilt als einer der prestigereichsten Think Tanks Grossbritanniens, als Forschungszentrum auf höchstem Niveau und Quelle für innovative politische Ideen – äusserst besorgt über den Einsatz von Krankheitserregern zu terroristischen Zwecken. „Wir müssen dem Bioterrorismus und der potenziellen Verwendung von biologischen Substanzen hartnäckig die Stirn bieten. Es wird der Kampf des Jahrhunderts sein.” Die britische Regierung hat de facto die Bedrohung durch Bioterrorismus im Strategieplan 2008 für die nationale Sicherheit anerkannt.
Seit 2004-2005 wurden überall in Europa dank der New Defense Agenda oder NDA (später umgetauft in Security and Defense Agenda, SDA) grosse Fortschritte erzielt: Es handelt sich um ein Diskussionsforum für alle Fachleute der NATO, der EU, der Weltgesundheitsorganisation sowie für die nationalen Ministerien, Industriebosse und Journalisten, die sich auf dieser Plattform über Sicherheits- und Verteidigungsfragen austauschen. Die NDA will Europa auf die Bedrohung durch Bioterrorismus aufmerksam machen und eine Reihe von Empfehlungen für Politiker in Bezug auf Prävention und Schutz bei Angriffen herausgeben.
An der Tagung der NDA im Jahr 2004 wurde hervorgehoben, dass die Labors für epidemiologische Forschung der Industriestaaten sich der Sicherheitsprobleme angesichts der steigenden Gefahr von Bioterrorismus nicht ausreichend bewusst sind.
Die NDA-Tagung 2005 bot die Gelegenheit, die Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA im Bereich des Bioterrorismus zu festigen. Eine der logischen Schlussfolgerungen aus den Tagungsbeiträgen war die unerlässliche Verstärkung des Teamworks. Trotz einiger interessanter Ansätze gab es aber nur wenige Zeichen für eine echte Kooperation, und das Gespenst der „unterschiedlichen Wahrnehmung der Gefahr“ stand düster über den Gesprächen. Dieser Eindruck wurde an der SDA-Tagung 2006 noch vertieft.
Interpol und die Vereinigung European Homeland Security befassen sich sehr intensiv mit der Bedrohung durch den Bioterrorismus. Interpolpräsident Jackie Selebi liess kürzlich verlauten: „Von allen wahrscheinlichen Folgen eines bioterroristischen Anschlags müssen wir ganz besonders den Ausbruch allgemeiner Panik, die vorübergehende Lähmung der Regierungsfunktionen, den Stillstand privater Unternehmen und gar zivile Unruhen ins Auge fassen. Der Bioterrorismus scheint sich besonders gut für kleine, gut informierte Gruppierungen zu eignen. Ein Labor in der Grösse einer gewöhnlichen Küche reicht aus; die hergestellte Waffe kann kleiner sein als ein Toaster und den Terroristen stehen immer mehr Optionen zur Verfügung.“ Er warnte ebenfalls vor bioterroristischen Angriffen auf Tiere und auf die Nahrungsmittelkette.
Ronald Noble, Generalsekretär von Interpol, fügte hinzu: „Nur wenige kriminelle Bedrohungen können für die Länder, Regionen und Völker dieser Welt gefährlicher sein als der Bioterrorismus. Es gibt kaum einen Bereich, in dem die Polizei so schlecht ausgebildet ist wie in jenem der Prävention von bioterroristischen Anschlägen oder der Reaktion auf diese Anschläge. Die Terroristen haben die erklärte Absicht, Bio-Waffen einzusetzen. Diese Gefahr erfordert sofortige Massnahmen.“
Als französischer Innenminister hatte Dominique de Villepin die Schaffung einer der UNO angeschlossenen Organisation vorgeschlagen, die für die Überwachung der biologischen Substanzen, die als potenzielle Waffen dienen könnten, zuständig wäre und diese von den Terroristen fernhalten sollte. In diesem Vorschlag war nicht vorgesehen, diesem Organ Inspektionsbefugnisse zu erteilen; er betonte jedoch, dass biotechnologische Unternehmen, Labors, Krankenhäuser und Universitäten dazu verpflichtet seien, die Einstellung neuer Mitarbeiter, die Arbeit mit Krankheitserregern und den Zugang zu heiklen Zonen strenger zu kontrollieren.
In Israel hat der Generaldirektor des Gesundheitsministeriums eine übergeordnete Organisationskommission ernannt, um die Lücken zu füllen und die Vorbereitung des Gesundheitssystems im Falle einer aussergewöhnlichen Pandemie zu verbessern. Diese Agentur, der sieben Subkommissionen zur Seite stehen, erliess Vorschriften für ein derartiges Szenario und legte die Kommunikationsverfahren zwischen den einzelnen beteiligten Organen sowie ein Ausbildungsprogramm für das medizinische Personal fest. Die verschiedenen Aspekte der bioterroristischen Gefahren werden im israelischen Zentrum für Krankheitskontrolle des Gesundheitsministeriums, im medizinischen Zentrum von Tel Haschomer und im Forschungszentrum für Bioterrorismus an der Universität von Tel Aviv untersucht.
Es scheint, dass es ein bemerkenswertes Zusammenwirken in den letzten zehn Jahren ermöglicht hat, die riesigen Herausforderungen zu erkennen, vor die uns der Bioterrorismus stellt: nicht oder nicht mehr als geheim klassierte, auf dem Internet zugängliche Information; die nationale Wiedergeburt der ehemaligen sowjetischen Republiken – insbesondere der ganz teilweise oder muslimischen – und die Auswirkungen des sowjetischen Erbes im Bereich der biologischen Waffen: hoch komplexe Installationen oder Ausrüstungen, Sammlungen von Kulturen, viele arbeitslose Experten und teilweise islamische Ausrichtung; die allgemeine Ausdehnung des internationalen Terrors; der Aufstieg der Al Kaida, ihre Entschlossenheit, ihre radikale Philosophie und ihre unbegrenzten finanziellen Ressourcen; die globale Stärkung des Islam und seine fundamentalistische Tendenz; die bedeutenden Durchbrüche in den Naturwissenschaften und im Ingenieurswesen; das immer häufigere Auftreten oder die Rückkehr von Infektionskrankheiten überall auf der Welt.
Die fortlaufende Integration all dieser interaktiven Faktoren wird auf konzeptueller und praktischer Ebene zweifellos die Zukunft des Bioterrorismus bestimmen. Sollte gegenwärtig tatsächlich eine neue Rasse von internationalen anarchistischen Terroristen entstehen, die nicht zwangsläufig mit der Al Kaida in Beziehung stehen, wie dies einige behaupten, könnten ihre Aktionen unter Umständen katastrophale und weitreichende Folgen haben.
Die Entwicklung oder gar Festlegung von grossen Linien für eine defensive Position, die alle Aspekte der bioterroristischen Gefahr einschliesst, ist objektiv völlig unmöglich. Selbst wenn man ausschliesslich natürliche (nicht künstlich hergestellte) Krankheitserreger und Toxine betrachtet und sich darauf einigt, dass Anthrax, Pocken, Pest, Vogelgrippe, Rizin und Botulinum die Priorität besitzen, müssen noch einige entscheidende Fragen beantwortet werden: Wie soll man sich auf jede dieser Substanzen vorbereiten? Soll man andere potenzielle Substanzen des Bioterrorismus völlig ignorieren? Wenn nein, wie gut soll man sich jeweils auf jede Serie von Erregern vorbereiten?
Zur effizienten Lösung dieser Probleme müssen unbedingt drei wichtige Elemente zusammentreffen: methodische Überwachung durch die Nachrichtendienste, systematische Globalisierung der Bio-Sicherheit und kreative wissenschaftliche Forschung. Fehlen diese Massnahmen ist ein biologischer Angriff gegen den Westen nur noch ”eine Frage der Zeit“, sagt Henry Crumpton, Koordinator im amerikanischen Staatsdepartement für Terrorbekämpfung. Seiner Meinung nach ist die Gefahr, die von einem derartigen Anschlag ausginge, grösser als die Folgen eines nuklearen Angriffs.

*Dr. Dany Shoham ist Forschungsleiter am Zentrum Begin-Sadat (BESA) für strategische Studien der Universität von Bar Ilan. Sein Fachgebiet ist die Untersuchung des chemischen und biologischen Kriegs in den arabischen Ländern und im Iran. Dr. Shoham, ehemaliger Oberstleutnant des militärischen Nachrichtendienstes, besitzt einen Doktortitel in medizinischer Mikrobiologie der Universität Tel Aviv. Er hat zahlreiche Artikel über Virologie und chemische und biologische Waffen veröffentlicht, darunter auch ein Buch: „Chemical and Biological Weapons in the Arab Countries and Iran – An Existential Threat to Israel?“.