Warum nicht Amman ? | ||
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Von Emmanuel Halperin, unserem Korrespondenten in Israel | ||
Neben Israel soll ein lebensfähiger palästinensischer Staat entstehen: Darüber ist man sich seit Beginn dieses Jahrtausends auf internationaler Ebene einig. Dieses Ziel wird nun in allen Verhandlungen angestrebt – sofern welche stattfinden –, ungeachtet der soliden Machtposition, welche die Hamas im Gazastreifen innehat. War nicht von „lebensfähig“ die Rede? Dann ist aber nicht beides möglich: entweder zieht man uns durch den Kakao, was natürlich sofort unterbunden werden muss, oder aber die jordanische Option setzt allmählich doch durch. Allmählich, aber nachdrücklich. Und zwar aus folgenden Gründen: Die Lebensfähigkeit eines palästinensischen Staates hängt nicht allein von der Wirtschaft ab. Wenn es nur darum ginge, das Überleben der arabischen Bevölkerung zu sichern, ihr einen gewissen Wohlstand zu gewährleisten und ihr eine handfeste Entwicklung zu ermöglichen, wäre es mit Hilfe einer massiven internationalen Unterstützung durchaus möglich, in Judäa und Samaria einen Palästinenserstaat im Miniformat ökonomisch lebensfähig zu machen. Doch die Stabilität eines solchen Staates kann dadurch nicht garantiert werden, genauso wenig wie die Tatsache, dass seine führenden Politiker und die öffentliche Meinung das geringe Ausmass dieses Fleckchens Erde akzeptieren würden (weniger als 6'000 km2) oder es annehmen würden, das Problem der Flüchtlinge nicht zu lösen, die ausserhalb dieses winzigen Territoriums leben. Falls also die gegenwärtige Führung der PLO, diskreditiert und von den USA und Israel auf mit Kraftbeanspruchung gehalten, einen solchen Kompromiss völlig überraschenderweise akzeptieren sollte, entstünde aufgrund dieser territorialen Ausgangslage unweigerlich ein Störenfried, ein Staat mit unzulänglicher Struktur, der darauf brennt, den Kampf fortzuführen. Anstatt das Problem beizulegen, hätte man eine Bombe mit Zeitzündung gebastelt. Nur ein hoffnungslos naiver Mensch würde das Gegenteil erhoffen. Und doch hat diese Naivität – die dermassen masslos war, dass man sie manchmal für Zynismus hielt – nach dem Sechstagekrieg lange die Zukunftspläne vieler israelischer Spitzenpolitiker beseelt: Sie hofften auf einen konstruktiven Dialog mit den lokalen palästinensischen Politikern, insbesondere den Bürgermeistern der grösseren Städte, mit dem Ziel, eine möglichst weit greifende administrative Autonomie zu schaffen. Dazu gehörte auch der sehr bald beerdigte Versuch, der auf den Abkommen von Camp David im Jahr 1978 beruhte. Der Fehler bestand nicht so sehr darin, weniger als die politische Souveränität anzubieten, sondern vor allem darin, das Problem nicht in seinem eigentlichen territorialen und demografischen Kontext zu betrachten, d.h. nicht verstehen zu wollen, dass jede Lösung ohne die alle zufrieden stellende Beilegung des Problems von Millionen von Palästinensern, die 1948 oder 1967 geflüchtet waren, nur vorübergehend, weil extrem labil sein könne. Für Israel und die Region wäre dies folglich noch gefährlicher als der Status quo. Lange Zeit, und bis zum Ende der 1980er Jahre, gab es noch eine weitere Option. Einige behaupten heute, sie sei fast erfolgreich verwirklich worden, was bezweifelt werden darf angesichts der hohen Komplexität des Vorhabens. Damals nannte man diese Möglichkeit die jordanische Option, und sie sah die Rückerstattung des grössten Teils des Territoriums von Cisjordanien an das Königreich Jordanien vor. Gaza sollte unter israelischer Kontrolle bleiben, ebenso das Jordantal, mit Ausnahme von Jericho und natürlich Ostjerusalem. Dieser Vorschlag traf auf den Widerstand dreier Gegner: zu ihnen zählten die israelischen Parteien, die sich ohne Federlesens für eine vollständige Annexion aussprachen, die PLO, die von Amman, dann von Beirut und später von Tunis aus alles unternahm, um als einzige legitime Vertretung der Palästinenser anerkannt zu werden, und schliesslich Jordanien, das der Meinung war, sich keine territorialen Konzessionen leisten zu können, vor allem nicht zugunsten Israels. Daher begnügt sich König Hussein letztendlich damit, sich auf sein eigenes Staatsgebiet zurückzuziehen – das mit seinen über 92'000 km2 recht gross ist – und die PLO anzuerkennen, obwohl ebendiese Organisation im September 1970 versucht hatte, sein Regime zu stürzen. In der Folge kehrte man in den Osloer Verträgen zur Option eines autonomen Gemeinwesens der Palästinenser zurück, aus dem früher oder später ein souveräner Staat entstehen sollte, da sich die PLO zum Verzicht auf den bewaffneten Kampf, sprich Terrorismus, verpflichtet hatte. Die weitere Entwicklung ist allgemein bekannt. Es wurde etwas später augenfällig, wie sehr die PLO trotz ihrer massiven Beteiligung an den Terroranschlägen, trotz den bissigen Erklärungen ihrer „gemässigteren“ Anführer (Abu Mazen verspricht immer wieder die Rückkehr der Flüchtlinge an ihre ursprünglichen Wohnorte, d.h. nach Israel) von einer noch extremistischeren Organisation, von den härtesten Islamisten überflügelt wurde. Und so steht Israel heute vor der Notwendigkeit, immer häufiger ihren guten Willen zu zeigen, um die wackelig gewordene Machtposition der PLO in Cisjordanien zu festigen, weil sie sehr wohl weiss, dass die aktuellen Verhandlungspartner nicht in der Lage sind, einen nachhaltigen Vertrag abzuschliessen, dem auch konkrete Taten folgen. Die Gespräche zwischen Olmert und Abu Mazen dienen ausschliesslich der Beruhigung: Wir sind immer noch da, regt euch nicht auf, wir machen weiter, wir tun unser Bestes: so lautet die Botschaft im Grossen und Ganzen. Israel steckt folglich in einer völlig festgefahrenen Situation und muss mit der Bedrohung seiner Existenz (durch Iran und Alliierte) leben, was über einen lokalen Konflikt hinausgeht, und muss nun zwei Ersatzlösungen ins Auge fassen. Die erste Option – sie bestand aus dem einseitigen Rückzug – führte zur dramatischen Schlappe von Gaza. Die Vorbereitungen für einen zweiten Rückzug, durch den Israel von den grossen Gebieten Cisjordaniens getrennt worden wäre, und zwar erneut ohne irgendeine Gegenleistung, wurden nach dem Krieg im vergangenen Sommer eingestellt und stehen nach der erzwungenen Islamisierung des Gazastreifens natürlich bei niemandem mehr auf der Tagesordnung. Bleibt also noch die Ersatzlösung, die in den 1970ern und 80ern so oft erfolglos vorgeschlagen wurde – die berühmte und bereits erwähnte jordanische Option. Die Fakten sind allgemein bekannt: Die jordanische Bevölkerung besteht in ihrer grossen Mehrheit aus Palästinensern. Das ihr zur Verfügung stehende Staatsgebiet ist über vier Mal grösser als das Territorium Israels und weist eine Bevölkerungsdichte von nur 48 Bewohnern pro km2 auf. Die meisten Flüchtlinge leben sowieso in Jordanien. Von 1949 bis 1967 waren die Araber Judäa-Samarias Jordanier, und es erinnert sich keiner daran, dass sie irgendwann die Schaffung eines eigenen Staates in Cisjordanien gefordert hätten. Und schliesslich hat König Hussein, wie auch Arafat, immer betont, dass die Jordanier und die Palästinenser ein einziges Volk sind. Und dabei handelt es sich nicht um eine banale Floskel. Die einzige vernünftige Definition, die es für die Palästinenser gibt, bezieht sich nämlich auf das Territorium: es sind Araber aus Palästina. Nun gibt es aber nur eine Bezugsgrösse für Palästina, das Palästina des britischen Mandats; es erstreckte sich ursprünglich über beide Ufer des Jordans. Die jordanische Option geht von einem territorialen Kompromiss aus: Israel würde den grössten Teil Ostjerusalems sowie die Regionen Cisjordaniens behalten, die der alten Demarkationslinie folgen, wo heute über 200'000 Israelis leben, und würde weiterhin die militärische Kontrolle über das Jordantal ausüben. Das Problem Gaza würde noch in der Schwebe bleiben, bis sich die politische Situation wieder entwickelt und einen Dialog zulässt. Dieser Plan hat nichts Weltbewegendes, obwohl man vor nicht allzu langer Zeit noch davon ausging, dass er besser dort bleiben sollte, wo er jetzt ist: im Friedhof für begrabene Projekte. Vor allem, weil Israel in der Zwischenzeit mit Jordanien Frieden geschlossen hat; aus diesem Grund beeilte sich Jerusalem jedes Mal, wenn die israelische Presse flüchtig eine mögliche Palästinaisierung des Haschemitenreiches angedeutet wurde, König Abdallah zu beruhigen: Wir bestehen weiterhin auf der Schaffung eines Palästinenserstaates ausserhalb von Jordanien, was der ehemalige Premierminister Schamir 1989 einen „zweiten Palästinenserstaat“ nannte, den er aber ablehnte. Doch im Rahmen der diplomatischen Kontakte der vergangenen Monate wurde die Idee in Washington und in Paris erneut aufgegriffen. Wenn man nun also endlich begreift, dass ein Palästinenserstaat im Miniformat noch mehr Schwierigkeiten aufwerfen würde und noch gefährlicher wäre als die gegenwärtige Lage, muss man zwangsläufig seinen Horizont erweitern und das Problem in seinem eigentlichen Zusammenhang beleuchten. Könnte die Schwäche der PLO, die jederzeit von der Hamas übertrumpft zu werden droht, jene nicht dazu bewegen, eine Organisationsform als Föderation oder Bundesstaat mit dem Königreich an anderen Ufer des Jordans zu akzeptieren? Könnte ein von den USA ausgeübter Druck, zusammen mit bestimmten Garantien und einer grosszügigen internationalen Unterstützung, die verantwortlichen Politiker in Jordanien nicht vielleicht davon überzeugen, gute Miene zum Spiel zu machen, solange sie ihr Regime und ihre Macht beibehalten? Wäre es in diesem territorialen Rahmen nicht recht einfach, eine gerechte und lebensfähige Lösung für die Flüchtlingsfrage zu finden und diese ständige Bedrohung Israels aus der Welt zu schaffen? Die Vorbehalte, Widerstände und Hindernisse sind nicht von der Hand zu weisen, und es handelt sich im Moment ja auch nur um einen Testballon. Doch was gestern zu Scheitern verurteilt war, kann morgen durchaus gelingen, weil es die Umstände eventuell erlauben, weil es ganz im Interesse der arabischen Welt ist - und sie fühlt es wohl -, sich endlich des selbst geschaffenen palästinensischen Auswuchses zu entledigen, um sich wichtigeren Dingen zu widmen: Dem Fortbestand der so genannten gemässigten Regimes angesichts der immer bedrohlicher werdenden iranischen und allgemeiner gesehen der islamistischen Gefahr, mit Israel als objektivem Verbündeten. |