Das Jüdische Leben | ||
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Von Roland S. Süssmann | ||
Die Tatsache, dass es in Aserbaidschan ein «jüdisches Leben» gibt, sorgt an sich schon für Verwunderung, ist gleichzeitig vielen gar nicht bekannt. Wer hätte gedacht, dass in einem laizistischen muslimisch-schiitischen Land nicht nur völlige Glaubensfreiheit herrscht, sondern dass sich auch niemand daran stösst, wenn sich die aserbaidschanischen Juden 100%ig mit Israel identifizieren? Ich habe zahlreiche jüdische Gemeinschaften überall auf der Welt besucht, doch nirgendwo sah ich in den Büros der Gemeindeverantwortlichen oder -sekretäre so viele nationale und israelische Fahnen und Symbole einträchtig nebeneinander hängen. Die jüdische Gemeinde von Aserbaidschan, deren Mitglieder zu rund 75% in Baku leben, besteht im Wesentlichen aus zwei Kategorien: den Juden persischer Abstammung, bekannt unter der Bezeichnung Juhuro - Jehudim Harririm - Bergjuden, und den aschkenasischen Juden. Es existiert ebenfalls eine kleine Gemeinschaft von aus Georgien stammenden Juden. Erinnern wir kurz daran, dass sich die Bergjuden erst in Baku niederliessen, nachdem sie mehrere hundert Jahre lang am Fusse des Kaukasus gelebt hatten, wo sie es ihren muslimischen Nachbarn - Bauern und Bergbewohnern - gleichtaten, deren Lebensweise sie angenommen hatten, ohne dabei auf ihre Sitten und Gebräuche, ihre Traditionen, ihre Kultur und die Forderungen eines frommen Daseins als Juden zu verzichten. Es war ihnen gelungen, sich in die aserbaidschanische Gesellschaft einzugliedern und dabei mit ihrer Identität und ihren zutiefst jüdischen Überlieferungen eng verbunden zu bleiben. In Baku gibt es heute drei Synagogen (ein aschkenasische, einne harriritische und eine georgische), eine kleine Jeschiwah, eine jüdische Schule namens «Hebrew Language School», die von ca. 300 Schülern besucht wird, sowie ein israelisches Zentrum, das zahlreiche Ausbildungsprogramme anbietet. Die Bereiche Wohltätigkeit und Gesundheit sowie einige kulturelle Aktivitäten werden von der Frauenvereinigung organisiert. Wir wollten mehr über das aktuelle Leben der Juden in Baku erfahren und führten zu diesem Zweck ein Gespräch mit SCHIMON IHILOV, dem Präsidenten der jüdischen Kultusgemeinden von Aserbaidschan, was aber eigentlich nicht sehr aussagekräftig ist, da es keine Dachorganisation der einzelnen Gemeinden gibt. Als Leiter der grössten Gemeinde von Baku wird Ihilov jedoch hier als wichtige Persönlichkeit angesehen, der vom Staatspräsidenten empfangen wird und viele weltweit bedeutende Entscheidungsträger getroffen hat. Ihilov vertritt das aserbaidschanische Judentum bei den jüdischen Organisationen und allen Veranstaltungen mit internationalem Charakter. Wie definieren Sie die gegenwärtige jüdische Gemeinschaft Aserbaidschans? Wenn ich den jüngsten Statistiken Glauben schenke, leben in Aserbaidschan rund 30'000 Juden, doch in Wirklichkeit ist fast die Hälfte ausgewandert, um im Ausland Arbeit zu suchen. Dazu muss man wissen, dass fast 90% der hier ansässigen Juden aus den Bergen stammen. Die Aschkenasim und die Georgier haben sich grösstenteils nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere in den Jahren 1946-47 hier niedergelassen. Heute zeichnet sich unsere Gemeinschaft dadurch aus, dass sie nur ganz wenige berufstätige Menschen zählt und sich aus alten oder ganz jungen Menschen zusammensetzt, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Dies stellt kein Hindernis für den tadellosen Betrieb aller Dienstleistungen der Gemeinde dar, ausserdem finden dreimal täglich Gottesdienste statt. Interessant ist ebenfalls die Tatsache, dass man regelmässig mit Anträgen für die Konvertierung zum Judentum an uns herantritt. Weshalb? Die Leute, die sich mit dieser Bitte an uns wenden, haben ein einziges Ziel vor Augen: sie wollen die Bedingungen für eine Ausreise nach Israel erfüllen. Solche Anträge lehnen wir selbstverständlich immer ab. Sie sagen, Ihre Gemeinde bestehe in erster Linie aus Menschen, die nicht erwerbstätig sind. Wie gewährleisten Sie denn Ihre Finanzierung? Wir erhalten finanzielle Unterstützung aus Europa und den USA. Unsere Tätigkeit beschränkt sich ja auch auf die Verwaltung der Gemeinde und hat mit der Sozialhilfe, den sonstigen Angeboten und Kursen für die Jugend nichts zu tun. Wie steht es um den Antisemitismus und die Beziehungen zu den anderen religiösen Institutionen? In der Vergangenheit hat der Antisemitismus in Aserbaidschan nie ein grosses Problem dargestellt. Wir beobachten aber ein erneutes Aufflackern des Islamismus und des aserbaidschanischen Nationalismus, wobei beide Strömungen mit starken antiarmenischen und antirussischen Gefühlen einhergehen. In diesen Kreisen gelten die Juden manchmal als Angehörige des russischen Volksstamms, so dass sie durchaus an den Pranger gestellt werden können, allerdings nicht, weil sie Juden sind, sondern weil sie, sicher zu Unrecht manchmal, nicht als echte Aseris angesehen werden. Im Gegensatz zu vielen anderen ehemaligen sowjetischen Republiken gibt es in unserem Land praktisch keinen aktiven Antisemitismus, doch wir bleiben trotz allem auf der Hut. Der Kampf gegen den Antisemitismus erfolgt vor allem über unsere ausgezeichneten Beziehungen zum Staatspräsidenten. Vor jeder Auslandsreise nimmt der gegenwärtige Präsident, wie schon sein verstorbener Vater, Kontakt mit mir auf, damit ich ein Treffen mit der jüdischen Gemeinschaft des von ihm besuchten Landes organisiere, vor allem in den USA. Unsere Beziehungen zu den anderen Religionen kann ich als gut bezeichnen, wir pflegen regelmässige Kontakte. Seit ich vor drei Jahren an die Spitze der Gemeinde berufen wurde, hatte ich nie mit Ablehnung oder Feindseligkeit der anderen Glaubensführer zu kämpfen. Wie sehen Sie die Zukunft Ihrer Gemeinschaft? Wir kennen, wie ich bereits sagte, keinerlei Probleme im Hinblick auf die Ausübung unseres Glaubens oder den Antisemitismus. Unsere Zukunft ist eng mit der Entwicklung der Lage in diesem Land verknüpft. Sobald es der Wirtschaft besser geht und die jungen Leute wieder Arbeit in Aserbaidschan finden, werden sie auch hier bleiben wollen und dadurch unsere Gemeinden verstärken. Sollte aber die gegenwärtige Situation andauern und der Stellenmarkt so ausgetrocknet bleiben, wird unsere Jugend ihr Glück anderswo versuchen, und in diesem Fall sieht die Zukunft wohl weniger rosig aus. Doch zurzeit wirkt die Lage noch nicht katastrophal, und ich habe guten Grund zu glauben, dass sie sich allmählich verbessern wird. Ich vertrete daher einen realistischen Optimismus und gebe mich keinen Illusionen hin, obwohl ich davon ausgehe, dass es mit unserer Situation trotz allem leicht aufwärts geht. Abschliessend können wir bestätigen, dass Schimon Ihilov trotz der schwarzen Brille, die er aufgrund einer Augenkrankheit ständig tragen muss, ? die Situation des aserbaidschanischen Judentums erstaunlich hellsichtig erfasst. Die Gemeinde aus Georgien Die Synagoge der aus Georgien stammenden und in Baku lebenden Juden wurde 1947 erbaut. Zu Beginn befand sie sich in einem ehemaligen Militärdepot, das zwei Räume, einen drei Meter tiefen Keller und einen kleinen, drei Meter hohen Saal umfasste. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR sammelten die Gemeindeverantwortlichen Geld, um endlich eine richtige Synagoge und ein Gemeindezentrum zu errichten. Zwischen 1992 und 2003 konnte man schliesslich dank den Spenden, zu denen auch die grosse Moschee von Baku beigetragen hatte, dieses neue Zentrum eröffnen, zu dem eine grosse Synagoge, ein Bethaus (das auch als aschkenasische Synagoge dient), eine Mehrzweckhalle, eine Bibliothek, ein Unterrichtszimmer sowie einen Ort für die rituelle Schlachtung von Geflügel gehören. Während der Woche finden täglich drei Gottesdienste statt, und am Schabbat besuchen rund 120 Menschen die Synagoge. Die Gemeindemitglieder haben im Schnitt zwei Kinder, es werden aber häufig gemischte Ehen geschlossen. Die Gemeinde bietet für Kinder und Erwachsene Kurse über das Judentum an, die im Allgemeinen rege besucht werden. Während eines Gesprächs mit Genady Zelmanovitch, dem Gemeindepräsidenten der aus Georgien stammenden Juden, teilte er uns insbesondere mit: «Die Entwicklung unserer Gemeinschaft erfolgt langsam, aber stetig. Wir sind recht optimistisch, was die Zukunft angeht, sind uns aber bewusst, dass der Aufschwung unserer Gemeinschaft eng mit der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes zusammenhängt. Heute lassen sich zwar fast keine Juden aus Georgien mehr hier nieder, doch unsere Gemeinde steht allen offen. Heute sind übrigens viele unserer Mitglieder Aschkenasim». Die Jeschiwah von Baku Neben der Synagoge der aus Georgien stammenden Juden befindet sich eine kleine Talmudakademie, an der rund 30 junge Leute studieren. Sie stellt die eigentliche Fortführung einer kleinen jüdischen Schule dar, die von Rabbi Mosche Hodael geleitet wird; sie wurde vor 12 Jahren eröffnet und zählt heute ca. 130 authentisch jüdische Schüler. Diese Schule ist Teil der Aktivitäten einer amerikanischen orthodoxen Gruppierung namens Vaad L'Hatzolas Nidcheï Yisroel. Diese Primar- und Sekundarschule entspricht dem staatlichen Lehrplan bis zur Matura bei parallel angebotenen jüdischen Fächern. Die Schule ist demnach staatlich anerkannt, die Kurse in Judaistik, jüdischer Tradition und Geschichte gehören zum offiziellen Lehrplan. Es ist eine gemischte Schule, eine echte Jeschiwah mit Schlafsälen sowie eine Beth-Yacov-Schule für junge Mädchen befinden sich in Bau. Anlässlich einer Unterhaltung mit Rabbiner Hodael erfuhren wir Folgendes von ihm: «Während langen Jahren fand nur ein sehr beschränkter religiöser Unterricht statt, wenn überhaupt. Heute sind wir dank unseren Kursen in Judaistik in der Lage, die zukünftigen geistlichen und politischen Führungspersönlichkeiten von Aserbaidschan auszubilden. Einige unserer ehemaligen Schüler, die 12 Jahre lang von uns betreut wurden, fungieren übrigens bereits als Lehrer und Betreuer von Jugendlichen. Dies ist natürlich sehr motivierend und viel versprechend für die Zukunft». Die Palette der Tätigkeiten dieser amerikanischen Organisation in Baku wäre unvollständig ohne die Erwähnung der koscheren Küchen und der Bäckerei, die täglich 300 Mahlzeiten für betagte und behinderte Menschen herstellen. Ausserdem werden vor Pessach vom Vaad des Landes tonnenweise Mazzoth und literweise Traubensaft geliefert. Bis heute stellt dieser Ausschuss die einzige Quelle für die Einfuhr von koscheren Produkten nach Aserbaidschan dar. Der Vaad ist nicht nur in Baku präsent, er verfügt in der Person von Rabbi Adam Davidov auch über eine Vertretung in Krasnaya Sloboda; er fungiert als Rabbiner der Ortschaft und bietet zusammen mit seiner Frau ein umfassendes jüdisches Studienprogramm an, das von den jungen Leuten der Stadt nach der Schule besucht wird. Die Gruppe Chava In einem Land, in dem die Stellung der Frau noch nicht so fortschrittlich ist wie in den meisten westlichen Ländern, schien es uns besonders interessant zu erfassen, wie die Situation der jüdischen Frauen aussieht. Zu diesem Zweck wollten wir die Organisation CHAVA in Baku kennen lernen. Bevor wir die zahlreichen und vielfältigen Aktivitäten dieser Gruppe vorstellen, möchten wir uns wärmstens für den Empfang bedanken, den wir erfahren durften. Wir wurden zu einem üppigen Mittagsmahl eingeladen, das sich ausserdem als sympathisch und sehr lehrreich erwies. Die Damen hatten keine Mühe für uns gescheut und ein wahres Festessen vorbereitet, für das sie speziell eine Challah gebacken hatten, damit ich den Segen «Hamotzi» über des Brot sagen konnte; sie empfingen uns mit allen im Orient üblichen Ehrbezeugungen für Gäste, mit Brot und Salz. Und schliesslich trugen sie ein koscheres Mahl mit aserbaidschanischen jüdischen Spezialitäten auf und sorgten damit für einen Höhepunkt unserer Reise. Chava begann vor 10 Jahren als jüdische Hilfsorganisation für betagte Menschen, deren Hauptziel es war, den Hilfsbedürftigen praktisch täglich eine warme Mahlzeit anzubieten. Diese Tätigkeit fand in direkter Zusammenarbeit mit dem «Vaad L'Hatzolas Nidcheï Yisroel» statt. Die verantwortlichen Damen organisierten im Rahmen von Chava für ihre Schützlinge auch Festmähler an Schabbat und an anderen jüdischen Feiertagen. Andere Organisationen boten ebenfalls Mahlzeiten an, doch Chava wartete daneben mit jüdischen intellektuellen Aktivitäten und allen möglichen Programmen auf, dank denen die Teilnehmer sich nicht mehr einfach als Empfänger von Hilfsleistungen vorkamen, sondern als Mitglieder eines Klubs, in dem neben den Aktivitäten eben ein Essen serviert wurde. Parallel dazu fanden wegen des sehr lückenhaften staatlichen Gesundheitswesens Gratiskonsultationen durch Ärzte für all jene statt, die an den Programmen von Chava teilnahmen. Als Beweis dafür, dass die Juden den Staat in seinen Schwierigkeiten unterstützen wollten, bot Chava an, (nichtjüdische) aserbaidschanische Flüchtlinge aus Armenien aufzunehmen, die vor dem Krieg in Nagorny Karabach geflohen waren. Diese diversen Hilfsleistungen zugunsten von Flüchtlingen erstreckten sich über sechs Jahre, in deren Verlauf die jüdische Gemeinschaft die Betroffenen nicht nur kräftig unterstützte, sondern ihnen vor allem als Vorbild diente. Als die entsprechenden Regierungsstellen nämlich die Vorgehensweise von Chava sahen, beschlossen sie, ihre Unterstützung für Flüchtlinge zu verstärken. Nach sechs Jahren wurden die wichtigsten Aktivitäten mit rein sozialem Charakter der Gruppe Chava vom American Jewish Joint Distribution Committee übernommen, das bereits seit 1994 in Aserbaidschan tätig war. Heute leistet Chava zwar immer noch ihren Beitrag zur sozialen Arbeit, sieht ihre Hauptfunktion aber darin, sich für Frauenfragen und die Rechte der Frau einzusetzen. Obwohl die aserbaidschanischen Frauen mit denselben Problemen zu kämpfen haben, wie sie überall auf der Welt auftreten, müssen sie mit einer zusätzlichen Schwierigkeit fertig werden. Nach dem Untergang des sowjetischen Reiches und der Schaffung eines unabhängigen Staates wanderten nämlich zahlreiche Männer, oft mitsamt ihren ganzen Familien, nach Israel aus oder suchten in Russland oder Deutschland eine Arbeit; ihre Frauen und Kinder waren davon ausgenommen und mussten zurückbleiben. Viele Frauen standen also plötzlich allein da. Selbst diejenigen unter ihnen (bei weitem nicht die Mehrzahl), die einen Beruf gelernt hatten, konnten sich nur schwer in die neue aserbaidschanische Gesellschaft eingliedern, da die Wirtschaftslage nicht viele Arbeitsplätze bereithielt. Chava beschloss daher, sie zu unterstützen, in erster Linie durch die psychologische Betreuung von Müttern und Kindern in Problemsituationen. Doch vor der Aufnahme dieser Hilfsleistungen mussten die Schwierigkeiten und Bedürfnisse dieser Frauen in Not zunächst erfasst und evaluiert werden. Um ihnen ein Dasein in Würde zu ermöglichen, verschaffte Chava ihnen eine einfache Berufsausbildung, so dass sie eine Stelle finden konnten, meist in den Bereichen Gesundheit und häusliche Betreuung von betagten oder krebskranken Menschen. Die Frauen sollten auch wieder ein wenig Freude am Leben haben. Daher bietet Chava ihnen Kurse in Kosmetik an, lädt sie zu Massagen oder zu kulturellen Anlässen aller Art ein. Im Laufe des Mittagessens erklärte Solmaz Yusifova, die Präsidentin von Chava: «Man muss sich klar machen, dass wir in einer noch recht primitiven Gesellschaft leben. Der Ehemann besitzt oft sehr umfassende Rechte, erschreckend viele Frauen werden geschlagen, auch in der jüdischen Gesellschaft. Wir bemühen uns nach Kräften, den Frauen, zu denen wir Kontakt haben, etwas die Augen zu öffnen. Die Situation ist dermassen schlimm, dass wir den Männern dankbar sind, die ihren Frauen eine berufliche Tätigkeit gestatten. Dies ist bei weitem nicht immer selbstverständlich, und zwar nicht nur auf dem Land, sondern auch hier in Baku. Einer der Gründe für unseren Erfolg besteht übrigens aus der Tatsache, dass unser Angebot den teilnehmenden Frauen während einigen Stunden pro Tag ermöglicht, der Kontrolle und oft auch der fast permanenten Nötigung durch ihre Ehemänner zu entfliehen. Wir leben zwar in einer parlamentarischen Demokratie, doch was die Mentalität angeht, entwickelt sich alles sehr langsam». Chava bietet neben den oben erwähnten Programmen eine vielfältige Palette von Aktivitäten an: psychologische Hilfe für Frauen in der Menopause, ein Ausbildungsprogramm über die Gesundheit bei Kindern, in dem auf eine bessere Lebenshygiene und auf die Gefahren im Zusammenhang mit Drogen aufmerksam gemacht wird, dazu Kurse für jüdische Küche, israelische Volkstänze, jüdische Traditionen, Hebräisch usw. Die soziale Arbeit Nach der Auflösung der Sowjetunion begann das American Jewish Distribution Committee, besser bekannt unter dem Namen JOINT, in allen ehemaligen sowjetischen Republiken seine Tätigkeit aufzunehmen. In Aserbaidschan ist diese Institution seit 1994 aktiv. Zu Beginn befanden sich die Zentren für die Lebensmittel- und Medikamentenverteilung in den Synagogen, wo die hilfsbedürftigen Gemeindemitglieder alle notwendigen Unterstützungsleistungen anfordern konnten. 1999 wurde unter dem Namen Chesed Gerschon ein bedeutendes Gemeindezentrum eröffnet. Es handelt sich dabei um eine Wohltätigkeitsorganisation mit mehreren Funktionen, die im Rahmen der jüdischen Gemeinschaft tätig ist. Die äusserst vielfältigen Aktivitäten können in drei Kategorien eingeteilt werden: Freiwilligenarbeit, jüdische Werte und Arbeit in der Gemeinde. Gegenwärtig unterstützt Chesed rund 1'700 Menschen, unter ihnen Rentner, Invalide, bedürftige Familien usw., und ist in den wichtigsten Städten des Landes tätig, d.h. in Baku, Guba, Khachmaz, Primorsk, Kirkova, Zakatali, Gandja, Oguz, Sumgait und Privolnoje. Dies bedeutet, dass Chesed auch in den entferntesten Ortschaften, wo nur wenige Juden leben, präsent ist. Die Sozialhilfe ist sehr umfassend, da sie die simple Verteilung von Lebensmittelpaketen und warmen Mahlzeiten, die medizinische Betreuung, die Finanzierung von Medikamenten, von gemieteten medizinischen Apparaten, chirurgischen Eingriffen, Reparaturen in den Wohnungen oder von elektrischen Haushaltsgeräten beinhaltet, daneben aber auch warme Kleidung, Heizmaterial und in gewissen Fällen Ferien-, Erholungs- oder Genesungsaufenthalte bezahlt. Die Gruppe Chesed bietet darüber hinaus eine ganze Palette von kulturellen Aktivitäten an und beteiligt sich auch an der Finanzierung von bestimmten Projekten in den jüdischen Schulen, am Wiederaufbau der Synagogen oder an akademischen Programmen mit jüdischer oder israelischer Ausrichtung. Das Gemeindezentrum von Baku wird im Schnitt von 350-400 Personen täglich aufgesucht, die auf diese Weise direkt oder indirekt in irgendeiner Weise von der Unterstützung durch das Joint profitieren. In einem kurzen Gespräch mit Lala Quaraqash, der Direktorin des Joint in Aserbaidschan, erfuhren wir Folgendes: «Die Arbeit des Joint wird in Aserbaidschan sehr geschätzt, und zwar nicht nur im Rahmen der jüdischen Gemeinschaft. Wir werden von zahlreichen freiwillig mitarbeitenden Aserbaidschanern unterstützt, die uns jeden Tag bei allen möglichen Tätigkeiten beistehen, insbesondere im Bereich der Sozialhilfe». Das Kulturzentrum Alexander Sherovsky leitet das jüdische Kulturzentrum von Baku und ist Verwaltungsratsmitglied des jüdischen Gemeindezentrums, das er auch mitgegründet hat. Das Zentrum umfasst ein Theater, das im jüdischen Leben von Baku eine zentrale Rolle spielt, weil hier alle kulturellen jüdischen und israelischen Aktivitäten stattfinden, die erst seit dem Untergang des sowjetischen Regimes gestattet sind. Dazu muss man wissen, dass zahlreiche im Theater der Gemeinde abgehaltene Veranstaltungen unter dem Patronat des Staates stattfinden und dass der Präsident manchmal persönlich daran teilnimmt. So kam er beispielsweise an Chanukkah, um eine Kerze anzuzünden. Darüber hinaus wird das Theater aufgrund des hohen Niveaus der Programme vom Staat finanziell unterstützt, wobei der Betrag jedes Jahr anlässlich eines Treffens zwischen dem Präsidenten und Alexander Sherovsky festgelegt wird. Allerdings gibt es gegenwärtig in Aserbaidschan keine jüdischen Theaterschriftsteller, in Israel hingegen leben einige jüdische Autoren aus Aserbaidschan, deren Stücke regelmässig im jüdischen Gemeindetheater von Baku gespielt werden. Dies erwiderte Alexander Sherovsky auf unsere Frage nach seinen Zukunftsplänen: «Ich möchte in Baku ein echtes jüdisches Theater ins Leben rufen. Ich denke, dass beim Publikum ein Bedürfnis und eine Nachfrage nach einer derartigen Institution bestehen. Man darf nicht vergessen, dass viele Juden an den russischen Theaterhäusern tätig waren, und zwar in allen Funktionen. Ich bin überzeugt, dass die meisten dieser Personen begeistert wären, im Rahmen eines richtigen jüdischen Theaters zu arbeiten. Ausserdem bin ich überzeugt, dass wir mit Hilfe der Kultur verschiedene Ziele erreichen können: Annäherung der Menschen unterschiedlicher Abstammung, Verbindung der Juden mit dem Judentum und Förderung der geistigen Offenheit für neue Inhalte und der Akzeptanz des Anderen in all seiner Andersartigkeit». |