«Gipfeltreffen» | |
Von Roland S. Süssmann | |
Eine Reise in ein laizistisches, muslimisch-schiitisches Land, das überdies eine parlamentarische Demokratie besitzt, kommt nicht alle Tage vor. Und wenn der Chefredakteur eines europäischen jüdischen Magazins, das sich für die Werte des authentischen Judentums und das unveräusserliche Recht des jüdischen Volkes am gesamten Territorium Israels einsetzt, dann auch noch vom Parlamentsvorsitzenden dieses Staates herzlich empfangen wird, stellt dies ein einzigartiges Ereignis dar, das einer Erwähnung wert ist. Als ich in Begleitung des jüdischen Abgeordneten Yevda Abramov im Parlamentsgebäude von Aserbaidschan das wunderbare, reich vertäfelte Büro von OQTAY S. ASADOV, dem Vorsitzenden des Milli Mejlis (Nationalversammlung) und der ranghöchsten Person Aserbaidschans nach Staatspräsident Ilham Aliyev, betrat, überwältigte mich der sehr reale und zugleich absurde Aspekt dieses besonderen Augenblicks, vor allem weil das Gespräch in russischer Sprache stattfand und simultan? ins Hebräische gedolmetscht wurde! Nach den üblichen Begrüssungsfloskeln überflog Oqtay S. Asadov in der Diskussion mit mir die politische und geopolitische Situation der Region und schnitt die grossen Gefahren der Gegenwart an. Vergessen wir nicht, dass das an Erdöl und Naturgas reiche Land zwei mächtige Nachbarn besitzt: Russland im Norden und Iran im Süden... Dann gelangten wir zum zentralen Thema unseres Gesprächs, zur Lage der jüdischen Gemeinschaft in Aserbaidschan und zu den Beziehungen zwischen diesem Land und Israel. Aufgrund diverser Aufenthalte kennt Asadov Israel recht gut und ist sich des Potenzials und der positiven Auswirkungen bewusst, die eine Verstärkung der Beziehungen zwischen beiden Ländern nach sich ziehen könnte. Er betonte die Bedeutung erfolgreicher Handelsbeziehungen und der in der Folge intensiveren politischen Kontakte, die bereits heute ausgezeichnet sind. Er meinte auch, nach Ansicht des gegenwärtigen Präsidenten und der Regierung stelle die totale Glaubensfreiheit eine äusserst wichtige Konstante dar. Es wird alles unternommen, damit sich die Juden, die schon immer als fester Bestandteil der aserbaidschanischen Nation galten, sich bei der Ausübung ihrer Religion und bei der Identifikation mit Israel äusserst wohl fühlen. In Aserbaidschan wird keine noch so geringfügige Äusserung von Antisemitismus geduldet, ganz egal, aus welchen Kreisen diese stammt. Als beispielsweise im Dezember 2004 Avaz Zeynalli, der Chefredakteur der Zeitung Xural, versuchte, eine Ausgabe von Mein Kampf zu verbreiten, die er aus dem Türkischen ins Aserbaidschanische hatte übersetzen lassen, wurde er sofort verhaftet. Gleichzeitig schickte die Regierung ein Polizeikommando der Einheit zur Bandenbekämpfung in die Büros der Zeitung, um alle bereits gedruckten Exemplare des Buches zu beschlagnahmen. Am selben Tag veröffentlichte der Staatspräsident folgende Erklärung: «Im Verlauf seiner gesamten Geschichte, auch in der Zeit unter sowjetischem Regime, hat Aserbaidschan die Juden immer respektiert. Die ethnische und religiöse Toleranz stellt eine Priorität dar, die von allen Bewohnern Aserbaidschans geachtet wird». Das Treffen erwies sich als ermutigend und konstruktiv. Im Grunde enthielt es die offizielle Quintessenz dessen, was ich im Laufe dieser Reise in Aserbaidschan feststellen konnte: die amtierende Regierung und die Bevölkerung hegen im Allgemeinen keine Feindseligkeit gegenüber ihren jüdischen Mitbürgern, denen sie Respekt und Bewunderung entgegenbringen. Diese Kombination widerspiegelt sich ebenfalls in den offiziellen Beziehungen zu Israel. |