Editorial - April 2007
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Tritt er zurück? Oder doch nicht? Diese Frage drängt sich jeweils auf, sobald Israel und die Politik dieses Landes erwähnt werden. Wieso aber gilt Ehud Olmert als der unbeliebteste Premierminister in der gesamten Geschichte Israels, obwohl die Sicherheitslage gefestigt und die Konjunktur stabil ist? Die Antwort ist in der Art und Weise zu suchen, wie er den zweiten Libanonkrieg geführt hat, der einen seiner wesentlichen Ziele verfehlte, nämlich die Befreiung der als Geiseln gefangen gehaltenen Soldaten Ehud Goldwasser und Eldad Regev. Ob Ehud Olmert an der Macht bleibt, besitzt gegenwärtig keine grössere Bedeutung, denn die Situation vor Ort erweist sich als äusserst kompliziert. Das katastrophale Management des letzten Kriegs durch die Regierung Olmert hat bei den Arabern den Eindruck entstehen lassen, sie hätten einen militärischen Sieg über Israel errungen. Folglich sind sie erstmals seit 1973 davon überzeugt, dass Israel verletzlich ist und mit Waffengewalt vernichtet werden kann. Natürlich wird Israel durch einen schwachen Premierminister noch anfälliger, denn Schwäche fordert Druck von aussen geradezu heraus.
Doch heute steht Israel vor einer neuen politischen und militärischen Situation von erdrückender Tragweite, deren Folgen erst mit der Zeit abwägbar werden: es ist die Schaffung einer Einheitsregierung von PLO und Hamas! Der Grundgedanke der Osloer Abkommen bestand darin, mit den "gemässigten Elementen" der palästinensischen Araber zu verhandeln, die bereit wären, eine Art Modus vivendi mit Israel zu finden. Die verschiedenen israelischen Regierungen haben trotz der Lügen von Arafat, trotz der Täuschungsmanöver der PLO weiterhin mit dieser Terroristenorganisation und der daraus entstandenen, euphemistisch "palästinensische Autonomiebehörde" genannten Institution verhandelt, die sich heute offiziell mit der Hamas zusammentut. Die Tatsache, dass letztere gewählt worden ist, stellt für M. Abbas eigentlich keinerlei Verpflichtung dar, sie zu seiner Alliierten zu machen. Eine Verbindung zwischen Fatah und Hamas verkörpert einen enormen Rückschritt: es kommt der offiziellen Ankündigung gleich, dass alles, was die PLO erklärt und ausgehandelt hat, im Grunde null und nichtig ist, u.a. die Anerkennung Israels, den Verzicht auf Gewalt und Terror, die Zustimmung zu den zwischen Autonomiebehörde und Israel unterzeichneten Vereinbarungen sowie die Verpflichtung, die eingegangenen Auflagen zu erfüllen (einschliesslich der Roadmap). Kurz, die PLO von gestern, die vor den todbringenden Illusionen von Oslo existierte, hat ihre Maske der Zurückhaltung fallen lassen und die seit 14 Jahren zugestandenen einseitigen Konzessionen Israels mit Füssen getreten.
Um die Grundlagen dieser neuen politischen Ausgangslage wirklich zu begreifen, soll kurz an die Vorgänge vor Ort erinnert werden. Iran unterstützt die islamistischen Bewegungen, 40% der diversen kämpfenden Splittergruppen der Fatah werden direkt von der Hisbollah finanziert. Und was noch gefährlicher ist: der Premierminister der Hamas wendet sich nicht mehr über das Parlament an die palästinensische Bevölkerung, sondern am Freitag aus einer Moschee heraus. Auf militärischer Ebene erschafft die Hamas in Gaza einen neuen Südlibanon und betreibt dort Fabriken für Raketen und Waffen. Heute gilt Gaza als der Ort in der Region, wo die Leute über die meisten Waffen verfügen, übertroffen einzig von Somalia. Eine vor kurzem veröffentlichte Schätzung ging von 100'000 Maschinengewehren und automatischen Waffen aller Art aus sowie von 30 Tonnen TNT im freien Umlauf. Die Hamas entwickelt derzeit Systeme zur Bekämpfung von Panzern, Flugzeugen und Missiles, dank denen sie im Falle eines Angriffs die israelischen Streitkräfte neutralisieren könnte. Gleichzeitig befestigt die Hamas die Städte von Gaza, indem sie ein unterirdisches Verbindungsnetz schafft, wie es auch im Südlibanon existierte. Für Israel stellt sich demnach die Frage, ob man Gaza sofort angreifen oder lieber noch zuwarten soll. Vergessen wir nicht, dass Israel im Libanon beschlossen hatte zu warten, mit dem allgemein bekannten Resultat.
Ägypten hingegen hatte gleich nach der Ausweisung der Juden aus Gaza 100 Militärexperten vor Ort entsandt, um wenigstens eine gewisse Form der Stabilität zu gewährleisten und eine übermässige Aufrüstung der Terrororganisationen zu verhindern. Diese Präsenz ist heute auf zwei Generäle zusammengeschrumpft, sie sich aus Angst um ihre persönliche Sicherheit meist in Tel Aviv aufhalten!
Unter diesen Umständen erscheint die Idee im Herzen Israels einen palästinensischen Staat zu gründen, immer absurder. In den palästinensischen Zonen gibt es gegenwärtig zwei ganz unterschiedliche Situationen: in Gaza kontrolliert die Hamas Waffen und finanzielle Mittel, in Judäa-Samaria hat die PLO immer ein Wörtchen mitzureden.
Ehud Olmert wurde aufgrund eines Programms des einseitigen Rückzugs gewählt. Der zweite Libanonkrieg (die direkte Folge des Rückzugs aus Gaza), wie auch die zweite Intifada (Konsequenz aus dem einseitigen Abzug aus dem Libanon unter Barak im Jahr 2000) setzten einen Schlussstrich unter die positiven Erwartungen aus der Politik der Einseitigkeit. Der Westen hat begriffen, dass Hisbollah und Hamas nicht einfach "andere Terroristenorganisationen" sind, sondern in Wirklichkeit eine "Stellvertreter-Armee", die den Krieg im Namen Irans gegen den Westen führt, eine Armee, die ihre Befehle, Finanzmittel und Waffen aus Teheran bezieht, wobei Damaskus, die schiitischen Aufständischen in Irak usw. ebenfalls direkt daran beteiligt sind. Seltsamerweise bewirkt genau diese Tatsache, dass Israel nun einige objektive gemeinsame Ziele mit Saudi-Arabien teilt, das trotz des herzlichen Empfangs von Mahmud Ahmadinejad durch König Abdullah in Riad in erster Linie einen iranischen Angriff fürchtet, was natürlich überhaupt nicht auszuschliessen ist, und sei es nur wegen des Niedergangs der iranischen Infrastruktur für Erdöl. Saudi-Arabien profitiert davon, um erneut seinen so genannten Friedensplan zu lancieren, der seit 2002 in einer Schublade dahinmoderte, weil ihn A. Sharon damals radikal ablehnte. Dieser Plan besteht aus zwei Etappen. Erstens: vollständiger Rückzug Israels von den für seine Verteidigung wesentlichen Grenzlinien, wie Golanhöhen, Judäa, Samaria und Jerusalem, und die Zustimmung Israels zur Niederlassung von Millionen von feindlich gesinnten Arabern, die sich als "palästinensische Flüchtlinge" bezeichnen und in den seit 1948 bewusst beibehaltenen Flüchtlingslagern in Jordanien, Syrien und im Libanon geboren wurden. Zweitens: nach Erfüllung dieser selbstmörderischen Bedingungen durch Israel soll ein so genannter Friedensvertrag unterzeichnet werden, der normale Beziehungen (jedoch nicht diplomatischer Art) mit dem nicht mehr zu verteidigenden jüdischen Staat vorsieht. Der saudische Plan erwähnt mit keinem Wort den Verzicht auf Terroranschläge oder auf Gewaltakte gegen israelische Zivilisten.
Welche Karten kann Israel unter diesen Umständen ausspielen? Es verfügt über zahlreiche Trümpfe, und auf regionaler Ebene ist eine interessante Entwicklung zu beobachten: die Verstärkung des strategischen Zusammenschlusses zur Bekämpfung des Iran, nämlich die militärische Achse Baku-Istanbul-Jerusalem-Washington. Da der jüdische Staat weltweit als Militär- und Wirtschaftsmacht anerkannt ist, hat er in dieser Koalition eine entscheidende Rolle zu übernehmen, was auch seine Position auf militärischer, politischer und wirtschaftlicher Ebene sowie in Bezug auf die Energieversorgung stärken wird.
Israel verfügt vielleicht nicht über die Regierung, die es verdient, jedoch über die Bevölkerung, die es verdient. Es sind beeindruckende und vorbildliche Männer, Frauen und Kinder. Jahrelang wollten uns die Schlagzeilen weismachen, die Israelis seien des Kämpfens müde, sie hätten keine Lust mehr, für den Zionismus und ihr Land zu sterben. Doch die Bevölkerung hat einmal mehr der ganzen Welt gezeigt, dass sie mehr denn je dazu entschlossen ist, für die Verteidigung der wahren Werte eines authentischen jüdischen und demokratischen Staates zu kämpfen und zu leiden.
Mit diesem Beispiel vor Augen ist es nun an uns, den Juden der Diaspora, uns unserer Verantwortung zu stellen, d.h. das Judentum mit Hilfe der jüdischen Erziehung zu verstärken und gegen die Assimilierung und gemischte Ehen anzukämpfen, damit uns die zukünftigen Generationen nichts vorwerfen können.
In diesem Sinne wünscht Ihnen das gesamte Team von Shalom ein wunderschönes Pessach-Fest.

Roland S. Süssmann
Chefredakteur