Jerusalem und Tokio | |
Von Roland S. Süssmann | |
Wir haben das Gespräch, das wir in Tel Aviv mit S.E. ELI COHEN führten, dem israelischen Botschafter in Japan, der die einzigartige Reise der Sumo-Ringer nach Israel begleitet hatte, zum Anlass genommen und ihn gebeten, uns den aktuellen Zustand der Beziehungen zwischen Jerusalem und Tokio darzulegen. Wenn wir einen Botschafter bitten, die Beziehungen zwischen dem von ihm vertretenen Land und dem Land, in dem er seinen Posten bekleidet, zu beschreiben, erhalten wir im Allgemeinen immer dieselbe diplomatische Antwort: «Sie sind ausgezeichnet». Können Sie dies auch von den gegenwärtigen Beziehungen zwischen Jerusalem und Tokio sagen? Interessanterweise sind unsere Beziehungen von ziemlichen Hochs und Tiefs geprägt. Seit der Aufnahme der Beziehungen 1952 waren nämlich zwei Extremsituationen zu verzeichnen, und zwar 1973 und 1991. Im Jahr 1973, zum Zeitpunkt der ersten Ölkrise, litt Japan sehr unter der Situation und entschloss sich zu einer Art Boykott des jüdischen Staates. Ausser Automobilen der Marke Subaru wurde nichts mehr nach Israel exportiert. 1990 «entdeckten» die Japaner, dass Israel nicht die Ursache all dieser Probleme war, und ab diesem Moment verbesserte sich die Lage deutlich. Der Höhepunkt wurde dann im Jahr 2000 erreicht, als 18'000 japanische Touristen nach Israel kamen und das Handelsvolumen auf über 2 Milliarden Dollar kletterte, wobei die Exporte Japans nach Israel 65% ausmachten. Die aus Israel exportierten Waren betrafen in erster Linie den Sektor der Diamanten, einiger chemischer Komponenten und Bohrinstrumente. Gleich nach Beginn der zweiten Intifada brach das Handelsvolumen auf dramatische Weise bis auf 1,3 Milliarden Dollar ein. Im Verlauf von 2004/5 haben wir allerdings die Marke von 2,3 Milliarden Dollar wieder erreicht, dieses Mal stammte der grösste Teil der japanischen Käufe in Israel aus dem Bereich der Spitzentechnologie. Daneben wurden auch zahlreiche japanische Jointventures und Investitionen in die Spitzentechnologie Israels verwirklicht, doch diese Zahlen tauchen in der Handelsbilanz nicht auf. Meiner Ansicht nach werden wir im Jahr 2006 einen markanten Aufschwung unserer Beziehungen erleben. So wurden wir 2005 z. B. von 8’500 japanischen Touristen besucht, während im Juni 2006 die Zahl von 15'000 bereits erreicht wurde. Darüber hinaus werden ab November 2006 direkte Charterflüge zwischen Israel und Japan eingeführt. Wir haben ein Abkommen unterzeichnet, in dem festgelegt ist, dass nur israelische Fluggesellschaften diese Flüge ein, zwei oder drei Mal pro Woche durchführen dürfen, und zwar zum Flughafen von Hameda, der viel günstiger liegt als derjenige von Narita. Eigentlich ist diese Vereinbarung ja dank der Reise der Sumos so schnell zustande gekommen, die ursprünglich einen Charterflug hätten nehmen sollen. Dies alles beweist, dass die Kurve unserer Handelsbeziehungen gegenwärtig steil nach oben weist. Wie steht es um die Beziehungen auf politischer Ebene? Die grosse Wende fand Ende 2004 - Anfang 2005 statt. Wir erklärten den Japanern, dass ihre auf «ausgewogenen» Beziehungen im Nahen Osten basierende Diplomatie uns nicht behagte, da auf einer Seite Israel stehe, ein demokratischer Staat, und auf der anderen Terroristen, die man auch als solche zu behandeln habe. Es ist doch inakzeptabel, dass wir dafür verantwortlich gemacht und bestraft werden, dass wir es mit Terroristen zu tun haben. Zum ersten Mal in der Geschichte unserer Beziehungen hat sich die japanische Regierung, sowohl das Büro des Premierministers als auch dasjenige des Aussenministeriums, zu einer korrekten Haltung durchgerungen. Die Japaner haben begriffen, dass sie, wenn sie ihre wirtschaftliche Stärke in politische Macht umwandeln wollten, nicht länger eine einseitig pro-arabische Politik vertreten können. Auch in Bezug auf den Terrorismus haben sie ihre Einstellung verändert, da sie der Überzeugung waren, sie könnten sich in Sicherheit wiegen. Ich habe sie dann daran erinnert, dass Japan als einziges Land weltweit einen terroristischen Angriff mit chemischen Waffen erlebt hat. Ich habe sie auch darauf hingewiesen, dass anlässlich der Olympischen Spiele in Athen 300 Sicherheitsfirmen gegeneinander angetreten waren, um den reibungslosen Ablauf der Spiele zu garantieren, die nach dem WTC von New York zwingend als das nächste mögliche Ziel erschienen. Ich betonte, die Organisatoren hätten den Auftrag betreffend die gesamte Sicherheit der Spiele schliesslich einer kleinen israelischen Firma mit 30 Mitarbeitern anvertraut, und zwar aus drei Gründen: erstens besass jeder Mitarbeiter dieser Gesellschaft konkrete Erfahrungen mit derartigen Situationen; zweitens hatten diese Leute bereits alle denkbaren Fehler gemacht und konnten sich in einen Terroristen hineinversetzen; und drittens waren sie in der Lage, ein Sicherheitssystem zu einem vernünftigen Preis anzubieten und gleichzeitig den Zugang zu den Spielen einigermassen angenehm zu gestalten. Die Menschen, die nach Athen kamen, hatten wirklich keine Lust, an jeder Strassenecke Barrikaden und uniformierte Schutzleute zu sehen oder stundenlang an irgendwelchen Sicherheitskontrollen Schlange zu stehen. Die Japaner haben die Botschaft verstanden, und so begann eine intensive Zusammenarbeit beider Länder im Bereich der Sicherheit. Allmählich hat sich also ein strategisch geprägter Dialog entwickelt. Was lässt sich zum Einfluss der Araber in Japan sagen? Er existiert immer noch, stellt für uns aber kein Thema dar. Was bereitet Ihnen am meisten Sorgen? Meine Aufgabe besteht bekanntlich darin, die Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu verbessern. Dies wird mir dadurch erleichtert, dass ich recht gut Japanisch spreche und bei einer Rede von einem Text mit japanischen Schriftzeichen ablesen kann. Ich habe meinen japanischen Gesprächspartnern mitgeteilt, dass die Politik als Thema allgegenwärtig sei und in allen Konversationen automatisch irgendwann angeschnitten würde. Aus diesem Grund habe ich beschlossen, den Schwerpunkt der Beziehungen zwischen uns auf anderen Gebieten zu setzen: Wirtschaft, Tourismus, Kultur usw. Ich habe ihnen gesagt: «Wenn wir von der Verbesserung der Handelsbeziehungen oder von Kulturprojekten sprechen, stelle ich da Fragen zu Ihren Beziehungen zu Nordkorea? Weshalb erachten Sie es also als notwendig, uns bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit die Palästinenser aufzutischen?». Wenn Sie über Politik sprechen möchten, nur zu: Nordkorea ist nicht weit von Iran entfernt, und zu diesem Land können wir Ihnen viele Informationen liefern. Ich habe allen meinen Mitarbeitern aufgetragen, politische Themen zu meiden… ausser, wenn wir damit beginnen. Im Grossen und Ganzen funktioniert das ganz gut. Abschliessend möchte ich hinzufügen, dass sich die Beziehungen allmählich verbessern, dass aber noch viel zu tun bleibt. Zum Schluss noch eine persönliche Frage. Sie haben vor einigen Jahren einen Terroristen mit eigenen Händen umgebracht. Was ist damals wirklich passiert? Ich war im Büro, als ich auf der Strasse Schüsse hörte. Da es der Tag von Purim war, ging ich davon aus, es seien Kinder, die mit Knallkörpern spielen. Als ich aber ans Fenster trat, sah ich, dass es drei Terroristen waren, einer der Granaten dabei hatte. Ich nahm meine Pistole, rannte auf die Strasse und schoss auf ihn. Leider war meine Waffe plötzlich blockiert. Da bin ich ihm nachgelaufen, habe ihn gepackt und mit einem Karateschlag neutralisiert. Er fiel auf mich und seine Granate ging los. Da ich über ein wenig militärische Erfahrung verfüge, wusste ich, dass mir noch 4 Sekunden bis zur Explosion blieben. Ich weiss bis heute nicht, ob ihn mein Karategriff oder die Granate getötet haben. Ich wurde verletzt und trage bis heute einen Splitter im Körper, dessen Entfernung die Ärzte als zu riskant ansehen. Leider ist den zwei anderen Terroristen an jenem Tag gelungen, 50 Menschen zu verwunden. Stimmt es, dass Sie in Japan Karate unterrichten? Ich bin seit 1990 fünfter Dan im Karate und besitze in Japan ein Dojo, was im Land der aufgehenden Sonne immer wieder überrascht. Ausserdem bin ich in Israel die Nummer Eins und habe an der Makkabiade von 1981 die Goldmedaille errungen. Aufgrund einer Verletzung habe ich 1985 als Trainer der israelischen Mannschaft fungiert. Viele japanische Gesprächspartner fragen mich, weshalb ich einen Kampfsport ausübe, der auf einer japanischen Philosophie beruht. Ich erwidere immer wieder, dass sich Japaner und Juden in einem Punkt sehr nahe stehen: bei der Herrschaft des Geistes über die rohe physische Kraft. Um das zu erfahren, braucht man nur die Bibel zu lesen und sich unsere Helden anzusehen: Jakob, dessen Name nach seinem Kampf mit dem Engel zu Israel wurde; Israel bedeutet „den Herrn bekämpfen oder mit ihm kämpfen“; David, der Goliath besiegte, Samson, der über die Philister triumphierte, und sogar Moses. Wir kämpfen auf spiritueller, politischer, wirtschaftlicher oder militärischer Ebene. Ich bin sicher, dass ich auf diesem Weg, über die Förderung der Beziehungen im intellektuellen und sportlichen Bereich, auch zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Jerusalem und Tokio beitragen kann. |