Injektionen ohne Nadel | |
Von Roland S. Süssmann | |
Sich am Morgen eine Injektion setzen, am Abend schon wieder und womöglich tagsüber zwei weitere Injektionen - so sieht der oft unangenehme Alltag aus, der für Hunderttausende von Diabetikern zur Pflicht geworden ist. Gegenwärtig haben sie keine andere Möglichkeit, sich das Insulin zu messen, dank dem sie ihren Blutzuckergehalt auf dem erforderlichen Niveau halten können. Doch dieses bisher lästige Verfahren könnte in der Medizin bald der Vergangenheit angehören. An der Universität Ben Gurion des Negev in Beer Schewah hat nämlich Professor JOSEPH KOST eine neue Technik zur Messung des Blutzuckers mit Ultraschall namens SonoPrep entwickelt. Um die Funktionsweise und die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten dieses Geräts besser zu verstehen, haben wir Professor Kost in Beer Schewah aufgesucht. Können Sie uns in knappen Worten erklären, was der Gegenstand Ihrer Forschungsarbeiten ist und welche Ziele und Anwendungen diese heute effektiv ermöglichen? Die Haut des Menschen ist bekanntlich undurchlässig. Meine Idee bestand darin, sie an einer bestimmten Stelle und für eine beschränkte Zeit durchlässig zu machen. Es geht darum, die Undurchlässigkeit vorübergehend aufzuheben, was uns eine Reihe von Möglichkeiten eröffnet, von denen zwei wesentlich sind: die Einführung von Medikamenten ohne Injektion (ermöglicht auch Lokalanästhesien) und die Abnahme bestimmter Körperflüssigkeiten zu Analysezwecken. Dieses Verfahren erfolgt durch die Einwirkung von Ultraschall während ca. 15 Sekunden auf einer kleinen Hautstelle, was völlig schmerzfrei ist und keine Spuren hinterlässt. Aus technischer Sicht muss man wissen, dass die äussere, extrem dünne Hautschicht aus abgestorbenen Zellen und Fettzellen besteht und eigentlich ein wenig wie eine Mauer aus Ziegelsteinen und Mörtel aufgebaut ist, die eine quasi undurchdringliche Barriere darstellt. Der Ultraschall führt vorübergehend zu einer Umstrukturierung der Schicht und bahnt den Molekülen somit einen Weg. Sobald die Haut durchlässig geworden ist, kann man auf die behandelte Zone einen Sensor aufsetzen, der z.B. den Blutzuckergehalt messen kann. Er ist in der Lage, ständig den Zuckergehalt der interstitiellen Körperflüssigkeit zu ermitteln, der mit demjenigen im Blut identisch ist, und diese Information an einen kleinen Sender in Form eines Beepers zu übertragen. Auch dieser kann so programmiert werden, dass er einen Alarmton sendet, wenn der Zuckergehalt fällt oder einen gewissen Wert übersteigt. Vor allem Kinder sind sehr anfällig und ihr Blutzuckergehalt kann insbesondere nachts sehr rasch fallen, ohne dass es jemand merkt. Mit unserem System können Kinder nun ruhig schlafen, denn der Sensor würde sie im Problemfall sofort wecken oder die Eltern warnen. Man muss sich bewusst sein, dass diese Information sehr viel vollständiger und genauer ist als diejenige, über die Diabetiker verfügen, die sich vier bis sechs Mal täglich eine Nadel setzen. Die in diesem Moment durchgeführte Messung zeigt den bei der Blutabnahme aktuellen Zuckergehalt, wie beispielsweise einen bestimmten Gesichtsausdruck zum Zeitpunkt einer Fotoaufnahme. Durch diese Art der Messung erhält man zwar eine genaue Zahl, aber keinerlei Angabe dazu, in welche Richtung sich der Zuckergehalt entwickelt; es gibt keinen Hinweis darauf, ob er gerade steigt oder fällt. Misst jemand z.B. einen Anteil von 80 Milligramm pro 100 Milliliter, was physiologisch gesehen als ein wenig tief gilt, sagt diese Zahl in Wirklichkeit nicht viel aus. Besteht nämlich der Trend zu einem sehr raschen Absinken des Zuckergehalts, kann der Anteil nur eine Viertelstunde oder halbe Stunde später schon bei 40 Milligramm liegen, was wirklich gefährlich ist und wo sofort gehandelt werden muss. Entwickelt sich der Gehalt aber in positiver Richtung, muss nichts unternommen werden. Mit dem aktuellen Beobachtungssystem bemüht sich der Patient nach Kräften, sich zu schützen, ist es aber letztendlich nicht in ausreichendem Masse. Daher haben wir ein System entwickelt, mit dem der Zuckergehalt pausenlos beobachtet wird, und zu diesem Zweck machen wir die Haut innerhalb von 15 Sekunden für eine Zeitspanne von 12 bis 24 Stunden durchlässig. Der Sensor, den wir auf der derart behandelten Hautstelle befestigen, ermöglicht einerseits ein ständiges Verfolgen der Entwicklung, wie ich es oben beschrieben habe, und andererseits das Verabreichen der erforderlichen Glukose und vor allem der am besten geeigneten Pflege oder Ernährung. Beim gegenwärtigen Stand der Forschung sind die Sensoren nur 12 Stunden lang funktionstüchtig, aber wir sind dabei neue Messfühler für 24 Stunden auszuarbeiten. Diese Technologie, die Frucht fast zwanzigjähriger Forschungsarbeit, wurde in enger Kooperation mit Bob Langer vom MIT entwickelt. Wir haben vor rund acht Jahren eine Gesellschaft zur Kommerzialisierung und Entwicklung namens Sontra gegründet, die ihren Sitz in Franklin in Massachussetts hat (die Aktie wird an der Nasdaq unter dem Kürzel SONT gehandelt). Was die Sensoren und Spender von Glukose angeht, haben wir einen Forschungsvertrag mit dem bekannten Unternehmen Bayer abgeschlossen, mit dem wir die Entwicklung gemeinsam betreiben. Es ist natürlich viel angenehmer, die tägliche Dosis Glukose über einen auf die Haut geklebten Patch zu erhalten als über eine Spritze. Doch dies trifft vor allem für jene Medikamente zu (einschliesslich der Proteine) , die nicht oral eingenommen werden können und bei denen unser System, «Transdermal Drug Delivery» genannt und auf Ultraschall basierend, eine entscheidende Rolle spielt, und sei es nur bei der Schmerzreduktion anlässlich der Verabreichung gewisser Medikamente. Welche anderen Anwendungen gibt es? Bei der Verabreichung von Medikamenten besteht eine der Anwendungen aus der raschen lokalen Anästhesie. Heute muss man bei jedem kleinen Eingriff, wie der Einführung eines Katheters oder der Durchführung einer Biopsie, die betroffene Stelle lokal betäuben; dies geschieht mit Hilfe einer Salbe, die erst nach rund einer Stunde anfängt zu wirken. Mit dem Einsatz von Ultraschall kann dieses Verfahren auf fünf Minuten reduziert werden, wir denken sogar an eine Verkürzung auf zwei Minuten. Wir haben für diese Technik bereits die Genehmigung der FDA erhalten. Man muss sich vor Augen führen, dass diese Zustimmung weit über die Genehmigung unseres Geräts hinausgeht, sie bedeutet die Anerkennung unserer Technologie und öffnet die Türen zu unzähligen Injektionen und Eingriffen, die nun ohne Nadel erfolgen können. Dies ist in der Pädiatrie besonders wichtig und nützlich, wo sich die Kinder ganz speziell vor der Spritze fürchten. Es gibt aber auch andere mögliche Anwendungen bei der Verabreichung von Medikamenten, wie beispielsweise die Wirkung von Analgetika, man denke nur an opiumhaltige Mittel, die man oft Krebspatienten gibt, die aber erst nach 18 Stunden wirken; dank SonoPrep kann diese Reaktionszeit beträchtlich verringert werden. Ein weiteres wichtiges Anwendungsgebiet betrifft die Impfungen, deren Durchführung ohne Nadel und ohne Schmerz sowohl aus wissenschaftlicher wie auch aus kommerzieller Sicht ein neues, durchaus interessantes Gebiet darstellt. Kann das System der «Transdermal Drug Delivery» auch in der Chemotherapie eingesetzt werden? Der Ultraschall macht die Haut durchlässig. Sobald dies geschehen ist, wird jede Verabreichung von Arzneimitteln möglich. Man muss allerdings wissen, dass jedes neue Medikament oder neue Verabreichungstechnik zuerst von der FDA genehmigt werden muss, was im Fall der Chemotherapie noch nicht der Fall ist. Es gibt aber schon zahlreiche Medikamente in Form von Patches, diese Technologie ist heute allgemein bekannt. Ausserdem glaube ich kaum, dass wirklich alle Medikamente ausnahmslos auf diese Weise eingenommen werden können. Sie erwähnen diverse medizinische Einsatzmöglichkeiten «ohne Nadel und ohne Schmerz». Gilt dies auch für die herkömmliche Blutanalyse? Im Moment noch nicht. Dafür gibt es viele technische Gründe, darunter z.B. die Menge an Material, die für eine Analyse erforderlich ist usw., doch es sind auch kommerzielle Überlegungen. Im Gegensatz zum Blutzucker ist es nämlich nicht notwendig, die kontinuierliche Entwicklung des Cholesterinspiegels zu kennen. Der grosse Markt für unsere Entdeckung besteht folglich nicht aus den Routineanalysen. Ich behaupte nicht, dass dies mittelfristig ausgeschlossen ist, doch wir konzentrieren uns bei unserer Forschung momentan nicht auf diese Linie. Neben der Forschung auf dem Gebiet, von dem Sie uns bisher berichtet haben, leiten Sie auch die Abteilung für chemische Technik an der Universität Ben Gurion. In welchem Bereich sind Sie gegenwärtig tätig? Wir sind ein Team von ca. 15 Forschern und befassen uns im Moment mit der Gentherapie. Wir versuchen einen Weg zu finden, DNA in Zellen zu implantieren, um auf diese Weise beschädigte Zellen zu reparieren, Krebszellen zu töten oder DNA in bestimmte Zellen einzuführen, damit sie dort gewisse Moleküle produzieren können. Es ist beispielsweise denkbar, eine Form von DNA einzupflanzen, die Insulin produzieren kann, und so gewisse Formen von Diabetes zu behandeln. In Bezug auf diese Forschungsarbeiten befinden wir uns aber im Moment erst im Stadium der klinischen Versuche. Den grossen Durchbruch erhoffen wir uns natürlich im Bereich der Krebsbekämpfung. Dazu gehören sehr umfassende Tätigkeiten, zu denen sowohl Systeme der Medikamentenverabreichung über Polymere zu rechnen sind als auch die Übertragung von Genen ohne die Beteiligung von Viren, ein umfangreiches Programm an sich, und vieles mehr. Glauben Sie, dass Ihre beiden Forschungsprojekte - der Ultraschall und die Gentherapie - letztendlich zu einer einzigen Behandlung von Krebs zusammengeführt werden können? Das ist nicht ausgeschlossen, doch diese Möglichkeit liegt noch in weiter Ferne, da beide Bereiche sich völlig unabhängig und getrennt voneinander entwickeln. Was ich sagen kann ist Folgendes: Patienten in aller Welt werden demnächst von den positiven Auswirkungen zweier Forschungsbemühungen profitieren, die Errungenschaften im Zusammenhang mit dem Ultraschall stehen ja bereits teilweise zur Verfügung. |