Sensibilität und Entschlossenheit
Von Roland S. Süssmann
Frage: Hat die israelische Armee ihre wesentliche Pflicht, nämlich die Verteidigung des jüdischen Staates, verletzt, indem sie die Vertreibung von Juden aus Gusch Katif manu militari unterstützte? Die Antwort lautet eindeutig NEIN! Die Hauptrolle von Tsahal ist der Schutz des Landes und seiner Einwohner, und genau das hat die Armee weiterhin getan, als sie einen verfluchten Auftrag erfüllte und Juden auf die Strasse stellte. Vergessen wir nicht, dass Israel von 300 Millionen Feinden umgeben ist und ausserdem 3 Millionen Feinde auch im Landesinneren aufweist. Während der gesamten Operation in Gusch Katif blieb die Armee auf der Hut, und wenn es während diesen düsteren Tagen einer arabischen Gruppierung in den Sinn gekommen wäre, einen Angriff zu lancieren, wäre die Reaktion der israelischen Verteidigungsarmee blitzschnell und sehr gezielt ausgefallen.
Wir wollten besser verstehen, mit welcher Einstellung Tsahal diese so schwierige und sozusagen widernatürliche Mission erfüllt hat, und haben daher Brigadegeneral GERSCHON HACOHEN, der die gesamte Operation meisterhaft geleitet hat, gebeten, uns sein Vorgehen zu erläutern.

Sie haben als Militärexperte, der selbst aus einer frommen Familie stammt, bestimmt ein unerträgliches Dilemma durchlitten. Es drängt sich nun als erstes die Frage auf, wie Sie Ihre Mission wahrgenommen haben.

Im Grunde denke ich nicht, dass es einen wesentlichen Unterschied zwischen dieser und einer anderen militärischen Operation gibt. Jede Aktion ist einzigartig in ihrer Art und muss als separates strategisches Phänomen gesehen werden. Im Verlauf des Ersten und des Zweiten Weltkriegs wurden viele Kämpfe verloren, weil einige Generäle Angriffstaktiken anwenden wollten, die sich in anderen Kriegen bewährt hatten. Erfolge wurden aber erst dann verzeichnet, als die Verantwortlichen begriffen, dass sie einer neuen, ganz anderen Situation gegenüberstanden, die aus einer neuen Perspektive beurteilt werden musste. Hierin lag eine der Stärken von Allenby und Lawrence von Arabien, der unter seinem Kommando diente. Dies galt ebenfalls für den Durchbruch der westlichen Front in Europa während des Zweiten Weltkriegs. Ich meinerseits glaube, dass die uns vorliegenden Fakten unbedingt immer wieder analysiert werden müssen und dass wir erst dann erfolgreich sein können, wenn wir erfasst haben, welches die Besonderheit jeder einzelnen Operation ist. Genau so habe ich im Fall von Gusch Katif gehandelt: ich habe von Anfang an meine Mission wie eine ganz besondere militärische Operation angesehen. Wir waren vier Generäle, die alles unternommen haben, um ein Blutvergiessen zu verhindern. Es gab einerseits keine Toten und Verletzten, andererseits konnten auch Unfälle vermieden werden. Unser Ziel war es, möglichst viel Zurückhaltung an den Tag zu legen. Wir wollten um jeden Preis die Entstehung eines gewaltsamen Konflikts vermeiden. In keinem einzigen Augenblick sahen wir unsere Gegner als unsere Feinde, wir haben nie aus den Augen verloren, dass wir unseren Brüdern gegenüberstanden - denn für viele von uns handelte es sich tatsächlich um Brüder oder nahe Familienangehörige. Leere Schlagworte lagen uns also fern. Ganz besonders wichtig war uns die Tatsache, diesen Auftrag so auszuführen, dass die Kluft, die sich allmählich zwischen zwei Teilen der israelischen Gesellschaft auftat, nicht tiefer wurde. Wir mussten in der Lage sein, diese Kluft irgendwie zu überbrücken. Dieses Ziel wurde in eindeutiger Form schriftlich in den Befehlen des Generalstabs ausgedrückt. Wir haben folglich keine Anstrengung gescheut, damit unsere Operation in vorbildlicher Weise ablaufen konnte, und haben durch unser Handeln für eine grosse Überraschung gesorgt. Unser Ansatz und unsere Vorgehensweise sollten von allen verstanden werden, so dass wir die einzelnen Etappen nicht zu erläutern brauchten. Ich würde dies mit einer Statue vergleichen, die in einer Stadt aufgestellt wird, wie beispielsweise die «Bürger von Calais» von Rodin. Wenn die Bedeutung oder der Sinn noch erklärt werden müssen, hat der Künstler sein Ziel nicht erreicht. Wir wussten doch alle, dass sich die gesamte Operation irgendwie wie auf einer «Bühne» abspielen würde, auf der wir die Schauspieler wären, beobachtet von 8'000 internationalen Journalisten. Diese waren angereist, um der Welt zu zeigen, wie die Juden mit ihren Glaubensbrüdern in einer Art Bürgerkrieg umspringen. Ich darf allerdings ohne mich zu rühmen behaupten, dass wir eine noch nie da gewesene Realität geschaffen haben. Ein solches Phänomen hat es in der Geschichte noch nie gegeben. Es entsprach einer echten Konfrontation und einem für uns sehr schmerzhaften, tiefen Konflikt. Und dennoch haben wir es geschafft, auf beiden Seiten die Grenzen festzulegen, innerhalb deren sich die Ereignisse abgespielt haben, so dass kein Blut geflossen ist. In diesem wesentlichen Element ist die geistige Einstellung enthalten, mit der wir gearbeitet haben, nämlich die Kombination eines grundlegend jüdischen Verhaltens mit den Anforderungen einer Militäroperation.

In Bezug auf den jüdischen Ansatz haben wir erfahren, dass Sie im Tagesbefehl, den Sie am Tag der Operation an Ihre Leute verteilten, als erstes den Propheten Jeremia zitierten. Stimmt das?

Ja, richtig. Für die Soldaten sowie für uns alle ist es nämlich schwer, die Distanz zu verstehen, die zwischen den Versprechungen des Propheten und der Realität liegt. Ich denke dabei an die letzten Sätze des Propheten Amos: «Denn ich will die Gefangenschaft meines Volks Israel wenden, dass sie die verwüsteten Städte wieder aufbauen und bewohnen sollen, dass sie Weinberge pflanzen und Wein davon trinken, Gärten anlegen und Früchte daraus essen. Denn ich will sie in ihr Land pflanzen, dass sie nicht mehr aus ihrem Land ausgerissen werden, das ich ihnen gegeben habe, spricht der Herr, dein G'tt.» (Amos 9, 14-15). Wir sollten nun eine Operation durchführen, die dieser Prophezeiung radikal widerspricht. Daher wollte ich allen, dem einfachsten Soldaten bis zum Generalstabschef, begreiflich machen, dass die Zerstörung, die wir anrichten würden, im Rahmen der Erlösung des jüdischen Volkes und Israels stattfindet und wir in der Hoffnung handeln, dass eine der Prophezeiungen Jeremias sich erfüllt. Es handelt sich um einen Satz, der übrigens nur wenige Zeilen vor dem Schluss der Haftarah zu finden ist, die wir am zweiten Tag von Rosch Haschanah lesen und in dem zunächst von Zerstörung die Rede ist (was zeigt, dass dieser Begriff in gewisser Weise in der heiligen Schrift akzeptiert wird) und in dem der Prophet Folgendes sagt: «So spricht der Herr: Man hört Klagegeschrei und bittres Weinen in Rama. Rahel weint über ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen über ihre Kinder, denn sie sind dahin.» (Jeremia 31, 15). Es folgt dann das Versprechen des zweiten Satzes, der in dem Vers enthalten ist, den ich oben auf meinen Tagesbefehl zu Beginn der Evakuierungen gesetzt habe: «Und gleich wie ich über sie gewacht habe, auszureissen und einzureissen, zu verderben und zu zerstören und zu plagen, so will ich über sie wachen, zu bauen und zu pflanzen, so spricht der Herr.» (Jeremia 31, 28). Sehen Sie, für uns ist die Zerstörung der jüdischen Städte und Dörfer keine Zerstörung, wie sie die Römer anrichteten, keine Vernichtung, sondern eine Etappe in einem Prozess des Wiederaufbaus in der zionistischen Auslegung des Wortes. In diesem Sinne haben wir also gehandelt.

Hat Ihnen diese Hoffnung die Aufgabe erleichtert?

In gewissem Sinne ja, obwohl es keinesfalls ein leichter Auftrag war. Ich habe mir immer gewünscht, dass diese Zerstörung ihren jüdischen Charakter bewahrt. Auch wenn ich mich jetzt wiederhole, möchte ich betonen, dass die israelische Armee ihre Mission mit dieser Einstellung und gemäss folgenden Worten erfolgreich zu Ende geführt hat: «Es stimmt, wir zerstören hier Häuser, doch es handelt sich um eine Etappe im Prozess der Erlösung des jüdischen Volkes in seinem Land Israel».

Glauben Sie, dass es richtig war, die Armee in etwas einzubeziehen, was in erster Linie einfach eine gross angelegte Polizeiaktion mit dem Ziel war, ein vom israelischen Parlament verabschiedetes Gesetz umzusetzen?

Meiner Ansicht nach verlangt es die moderne Form der Kriegsführung, dass in der Vergangenheit existierende Abgrenzungen und Unterschiede zwischen Polizei- und Armeemissionen völlig bedeutungslos werden - sie besitzen keinen Bezug zu unserer aktuellen Realität. Zur Veranschaulichung meiner Worte möchte ich ein Beispiel anführen, das sich in Israel zugetragen hat. Als im Jahr 1987 die erste Intifada anfing, verkündeten die links stehenden Parteien sofort lautstark, es handle sich um ein Problem der fortgeschrittenen Kriminalität und es sei Aufgabe der Polizei, etwas dagegen zu unternehmen. Sehr schnell haben wir festgestellt, dass es sich um eine Form des Guerillakrieges handelt und dass die Armee eingreifen muss, ohne aber die Polizei auszuschliessen. Diese Gewaltentrennung stammt aus der Politikwissenschaft, insbesondere aus der französischen Schule von Foucauld, doch für mich ist es keine Wissenschaft, sondern nur eine gewisse politische Ideologie, die heute überholt ist. In Wirklichkeit haben sich die Zeiten geändert, die Situationen sind anders, und die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Armee gehört immer mehr zur Tagesordnung. Man muss sich klar machen, in welchem Sinne wir gehandelt haben. Ich persönlich fühle mich wie ein «Ritter, der seinem Königreich dient». Als solcher ist es meine Pflicht, das «Reich» zu schützen, unabhängig von der Herkunft der Drohungen, stammen sie nun aus dem Landesinnern oder von aussen. Zum Abschluss dieses Themas möchte ich sagen, dass weltweit alle grossen Armeen heute versuchen, die verschiedenen Einheiten zusammen arbeiten zu lassen. Uns ist es leicht gefallen, die diversen Hindernisse zu überwinden, und wir haben zwei völlig unterschiedliche Organisationen zu einem grossen Ganzen zusammengeführt. Dies hat vor allem auf Kommandoebene perfekt funktioniert. Wir waren uns alle der Tatsache bewusst, dass wir eine immense Verantwortung tragen. Wir haben wirklich etwas Ungewöhnliches miterlebt.

Trotz allem war die israelische Armee nicht darauf vorbereitet worden, wenigstens nicht in moralischer Hinsicht, Juden aus ihren Häusern zu vertreiben. Glauben Sie, dass diese Operation die Armee geprägt hat oder dass es sich letztendlich für sie um einen Vorfall mit geringerer Bedeutung handelt, um einen Sturm im Wasserglas?

Die Einwohner von Judäa-Samaria-Gaza haben in dem Moment die grösste Überraschung erlebt, als ihnen bewusst wurde, dass ihnen nicht eine Bande von hart gesottenen Kerlen gegenüberstand, sondern Soldaten und Polizisten, die in einer durch und durch brüderlichen Einstellung das Gesetz durchsetzten. Sie dachten, sie könnten mit einer Motivation auftreten, mit einer geistigen Energie, die durch eine gewisse Ideologie legitimiert wäre, und mit der Sicherheit, ein gutes Recht darauf zu haben, ihre auf israelischem Boden errichteten Häuser zu verteidigen. Sie dachten vor Soldaten zu stehen, die nur aus der Pflicht heraus handeln würden, das Gesetz in Kraft zu setzen, die aber von keinerlei Motivation oder geistigen Energie angetrieben wären. Zu ihrem Erstaunen mussten sie feststellen, dass sowohl die Polizei als auch die Armee enorme spirituelle Energie ausstrahlten. So standen sich beide Gruppen gegenüber, jede von ihnen erfüllt von einer Form der authentisch jüdischen Kraft des Geistes. Ich denke, diese Erkenntnis seitens der Siedlerbewegung von Judäa-Samaria-Gaza stellte den Wendepunkt in diesem Konflikt dar. Sobald sie sich durchgesetzt hatte, entstanden die ersten Bande von gegenseitigem Verständnis zwischen den beiden Parteien. Diese beiden identischen Energien konnten sich nicht bekämpfen, und die Verantwortlichen der Siedlerbewegung der Gebiete verstanden, dass die Soldaten und Polizisten in Wirklichkeit denselben Kampf führten wie sie.

Man muss zugestehen, dass diese Einstellung für Tsahal unüblich ist. Wie ist es Ihnen gelungen, Ihren Truppen diesen Geist einzuhauchen?

Diese geistige Einstellung war in der Armee im Grunde bereits vorhanden, man musste sie nur an die Oberfläche holen. In dem Moment, da ich mit der Leitung dieser Operation beauftragt wurde, war mir dies nicht bewusst. Ich habe diese Tatsache erst begriffen, als ich die Kommandanten der Truppen, Bataillons und Brigaden kennen lernte und sah, mit welcher Einstellung sie an diese Aufgabe herangingen. Sie sahen sie als aussergewöhnliche Mission für die Zukunft des Staates Israel an. Darüber hinaus hegten sie keinen Groll gegen die Einwohner der Gebiete. Für sie war dieser Auftrag viel wichtiger als die einfache Tatsache, ein in der Knesset verabschiedetes Gesetz in Kraft treten zu lassen. Von da an musste man dieser Operation eine jüdische Ausrichtung geben, eine besondere Sensibilität entwickeln und die Leute speziell ausbilden. Wir haben also spezialisierte Truppen für die Evakuierung der Synagogen trainiert, andere dafür ausgebildet, eine Familie aus ihrem Heim zu entfernen, während der Vater betet und die Mutter Kleinkinder füttert usw. Im Verlauf des Trainings haben wir Situationen dieser Art geschaffen und wie ein Theaterstück einstudiert. Die eine Hälfte der Soldaten und Polizisten spielte die Familienmitglieder, die andere die Streitkräfte bei der Evakuierung. Sie haben alle so toll mitgespielt, dass ihnen keine Situation vor Ort mehr fremd war. Dank diesem nationalen Psychodrama war es möglich, innerhalb unserer Streitkräfte ein tiefes Verständnis für die Lage entstehen zu lassen, was die Ausführung des Auftrags erleichtert hat.

Was haben Sie empfunden, als Sie erfuhren, dass Sie für die Leitung dieser Operation vorgesehen waren?

Ich wurde ja nicht wirklich persönlich ausgesucht, sondern meine Einheit. Mir blieb demnach keine andere Wahl, als mich an die Arbeit zu machen, denn keine andere Einheit von Tsahal war fähig, diese Aufgabe zu übernehmen. Meine Einheit wäre mit oder ohne mich als Kommandanten dazu ausgewählt worden. Ich habe also begonnen, die Lage zu studieren, was nicht ganz ohne war. Obwohl ich aus einer gläubigen Familie stamme, bin ich nicht mehr sehr fromm. Ich musste mich also über eine Reihe von Dingen informieren, die in der religiösen Gesellschaft Israels aktuell sind: mit welcher Einstellung funktioniert sie, welche diversen Tendenzen existieren, welche verschiedenen Sitten und Gebräuche usw. Ich habe Rabbiner um Rat gefragt, die mir ihr Ohr geliehen haben.

Sind Sie der Meinung, die israelische Armee sei nach dem Rückzug dieselbe wie vor diesen Ereignissen?

Ganz bestimmt nicht, und in gewisser Weise hat sie sich wohl sogar verbessert. Sehen Sie, es gibt einen Unterschied zwischen einem Krieger und einem Soldaten. Ein Krieger ist fähig, eine ihm auferlegte militärische Verteidigungs- oder Angriffsmission erfolgreich auszuführen. Ein Soldat hingegen ist in erster Linie jemand, der seinem König oder seinem Premierminister gegenüber loyal ist. Er nimmt einen Auftrag an, auch wenn er seinen Überzeugungen widerspricht. Es ist uns gelungen, einen Rahmen zu schaffen, in dem jeder Soldat seine inneren Spannungen kontrollieren konnte, weil seine Überzeugungen der Forderung in die Quere kamen, eine ihm aufgetragene Aufgabe pflichtgetreu und loyal auszuführen. Die Armee wurde eigentlich aus einer Gruppe von Kriegern in eine Einheit von Soldaten verwandelt, und zwar mit der oben beschriebenen Einstellung.

Es gibt heute zahlreiche Armeeoffiziere, darunter sehr hochrangige, die aus national-religiösen Kreisen stammen, aus denen sich übrigens der grösste Teil der Bewohner von Gusch Katif zusammensetzt. Diese Gesellschaft hat nun ein Trauma erlitten. Glauben Sie, dass die nächste Generation mit derselben Begeisterung in der Armee dienen wird wie die frommen Offiziere, die gegenwärtig im Militär sind?

Ich denke schon. Als Beweis möchte ich Ihnen einen Brief zitieren, den ich im Laufe der Evakuierung von Jugendlichen aus der Synagoge von Neve Dekalim von einem meiner Offiziere erhalten habe. Es handelt sich um einen frommen Kommandanten aus der Brigade der Golani, der in einem Dorf in Samaria lebt. Er schrieb Folgendes: «Ich möchte Ihnen sagen, dass ich in Ihrem Verhalten ein Vorbild sehe, dem ich sowie Dutzende von anderen Offizieren gerne folgen werden». Man muss verstehen, dass diese Leute mit der Armee eine richtige Liebesgeschichte eingegangen sind. Sie haben nun eine dramatische Krise durchgemacht, sie standen vor einem schrecklichen Dilemma. Doch sie mussten alle lernen, mit diesen Dissonanzen zu leben? die auch in einigen der reichen Harmonien von Bach vorkommen und in keiner Weise die Schönheit der Musik beeinträchtigen.

Einige Rabbiner haben die Soldaten aufgefordert, die Ausführung der Befehle zu verweigern. Diesem Aufruf wurde aber kaum Folge geleistet. Gibt es denn heute innerhalb der Armee Stimmen, die verlangen, dass die gläubigen Soldaten ausgeschlossen werden?

Ich wünsche mir, dass es die Armee schafft, sich von all den existierenden Spannungen zu befreien, und dass sie einen Weg findet, niemanden auszuschliessen. Es trifft zu, dass eine Bewegung entstehen könnte, die den Ausschluss der gläubigen Soldaten verlangt. In meiner Eigenschaft als Befehlshaber, unter anderem auch der Brigade der Golani, kann ich behaupten, dass die frommen Männer unter meinem Kommando ein Gleichgewicht finden konnten, um ihr Leben innerhalb der Armee ohne Hintergedanken oder bitteren Beigeschmack fortzusetzen. Der Gedanke, sich von frommen Soldaten in der Armee zu trennen, wird heute extrem selten geäussert.

Sind Sie der Ansicht, dass der einseitige Rückzug aus Gusch Katif auf strategischer Ebene sinnvoll war?

Wenn jemand diese Operation aus strategischer Sicht beurteilen möchte, indem er eine Prognose in Bezug auf die Zahl der Terroranschläge erstellt, die nach dem Rückzug stattfinden könnten, beweist er damit, dass er eine nur sehr engstirnige Vision der militärischen Fragen in unserer Region besitzt. Diese können nicht mit Hilfe von Statistiken zu Terroranschlägen beurteilt werden, man muss vielmehr eine Gesamtvision von der Realität vor Ort haben. Ich denke, dass unsere Sicherheit und unsere Fähigkeit, diese zu bewahren, von der Stärke unserer nationalen Einigkeit abhängig sind. Diese ist bedeutend wichtiger als die Kontrolle über diesen oder jenen Hügel oder strategisch wichtigen Punkt, der vielleicht in Bezug auf die militärische Topografie seine Daseinsberechtigung hat. Ich persönlich musste mich nie mit Fragen zum Grund der Evakuierungen befassen und noch weniger mit den Konsequenzen, welche der Rückzug auf den gegenwärtigen Konflikt haben konnte.
Ich wurde ausgewählt, um diese Evakuierung der Einwohner aus Gaza zu leiten und mein Auftrag musste korrekt ausgeführt werden. Ich wusste seit dem Beginn, dass meine Arbeit darin bestehen würde, über die Art der Durchführung dieser Operation zu entscheiden. Das kann man mit einem Theaterbesucher vergleichen, der sich eine griechische Tragödie ansieht. Er weiss von Anfang an, wie es ausgehen wird, er fragt sich nur, wie das Stück gespielt wird. Die Tatsache, dass es die israelische Armee trotz dieser schrecklichen Mission geschafft hat, ihre innere Kraft zu bewahren, lässt bei mir die Vermutung zu, dass wir diese Erfahrung in eine neue Quelle der Energie und Stärke verwandeln können.

Haben Sie es sich während Ihrer Militärkarriere träumen lassen, dass Sie irgendwann einen derartigen Auftrag erfüllen müssen?

Nein, doch in allen Armeen gibt es Unvorhergesehenes. Während Jahren hat z.B. die amerikanische Armee mit dem Ziel trainiert, die UdSSR in Europa bekämpfen zu müssen, und 1991 stand sie plötzlich im Wüstensand Iraks. Die Soldaten, die sich auf einen Defensivkrieg gegen die Streitkräfte des Warschauer Paktes vorbereitet hatten, mussten auf einmal einen Offensivkrieg im Irak führen.

Es wird oft gesagt, die Einwohner von Gusch Katif seien letztendlich recht gefügig und kooperativ gewesen, doch wenn die Regierung beschliessen sollte, sich einseitig aus gewissen Gegenden von Judäa-Samaria zurückzuziehen, würde der Widerstand viel hartnäckiger, ja sogar blutig ausfallen. Was denken Sie?

Es ist nicht auszuschliessen, dass eine israelische Regierung diesen Beschluss fassen wird. Wie ich bereits sagte: Es gibt kein «einheitliches Muster» für eine militärische Operation. Wenn die befehlshabenden Kommandanten bei einer eventuellen Evakuierung in diesen Regionen unser Vorgehen einfach kopieren, werden sie zwangsläufig scheitern.

Welchen Einfluss wird diese schwierige Phase, die Israel soeben durchgemacht hat, letztendlich auf die israelische Gesellschaft haben?

Man spricht oft von Spaltung, und ich verleugne nicht, dass einige Risse entstanden sind. Ich meinerseits vertrete einen viel positiveren Ansatz, der sich auf meine Beobachtungen vor Ort stützt. Ich glaube, dass die Vertreter des weltlichen und des religiösen Zionismus sich einander angenähert haben. Ich zitiere dazu ein Beispiel, das ich anlässlich der Demonstrationen in Kfar Maimon verfolgen konnte. Während zahlreiche gläubige Menschen innerhalb des Dorfes demonstrierten, standen auf der anderen Seite des Gitters junge Polizeikadetten und Soldaten, die Söhne oder Cousins der Demonstranten. Mein Bruder befand sich innen, sein Sohn aussen. In diesem Augenblick habe ich begriffen, dass ein Teil der zionistischen Bewegung seine Herausforderung erfolgreich angenommen hatte, dass aber die Verantwortlichen des gläubigen Zionismus die Verantwortung dafür übernommen hatten, beide Seiten zu vertreten, um die zarten Bande zu bewahren, die wir zwischen den beiden Teilen der Gesellschaft geknüpft hatten: auf der einen Seite standen die Menschen, die sich gegen einen Regierungsbeschluss auflehnten, auf der anderen ihre Kinder, welche die Loyalität gegenüber der nationalen Souveränität aufrecht hielten. Meiner Ansicht nach entsteht hier eine Bewegung, die mit der Zeit eine Wende herbeiführen könnte.
Abschliessend möchte ich sagen, dass der letztendlich positive Ablauf der Evakuierung, insbesondere die Vermeidung eines Blutvergiessens, was einer nationalen Katastrophe gleichgekommen wäre, einfach ein Wunder ist.