Ein Zigarettchen Gefällig? | |
Von Rabbiner Schabtai A. Rappoport * | |
Der bekannte Anwalt K. ist 42 Jahre alt. Seine Kanzlei war kürzlich an der Verteidigung eines Tabakherstellers beteiligt, der von Personen verklagt wurde, die nach langjährigem Rauchen an Krebs erkrankt waren. In der Anklage hiess es, der Hersteller sei zumindest teilweise für die verheerenden Folgen dieses Lasters verantwortlich. K., der sich durchaus hie und da eine Zigarette genehmigt und sich dabei hervorragender Gesundheit erfreut, begann sich Fragen zu stellen: Verstösst der Verkauf von Zigaretten wirklich gegen die Ethik? Darf man überhaupt rauchen? Es ist natürlich verboten, ein Leben zu gefährden, das Leben anderer ebenso wie das eigene. Doch fällt das Rauchen effektiv in diese Kategorie von Verboten? Ist man demnach berechtigt zu rauchen, wenn dies andere Menschen belästigt, insbesondere wenn es ihrer Gesundheit schaden könnte? Gemäss der Halachah ist es verboten, einen Ofen zu betreiben, wenn der ständig ausgestossene Rauch die Nachbarn belästigt (Schulchan Aruch Choschen Mischpat 155, 36-37), selbst wenn dieser Ofen den Broterwerb der ihn betreibenden Person sichert. Folglich ist es bestimmt untersagt, Rauch auszustossen, der die Gesundheit anderer gefährdet, nur weil man damit seinem Laster frönt. Raw Mosche Feinstein hält fest, dass man an einem öffentlichen Ort nicht rauchen soll, wo der Rauch andere Personen stören könnte, selbst wenn man nicht als einziger an diesem Ort raucht und die anderen sich weigern, dieser Aufforderung nachzukommen (Igrot Mosche Choschen Mischpat, 2. Teil, 18). Infolge dieses Beschlusses hörten die Menschen in der orthodoxen Welt auf, in den meisten Bate Midrasch (Studiersälen) und anderen öffentlichen Orten zu rauchen. Ist es aber auch untersagt, privat zu rauchen, weil dies die Gesundheit des Rauchers selbst gefährdet? Und was ist mit denen, die Zigaretten herstellen und verkaufen: müssen sie darauf verzichten, um nicht andere zum Rauchen zu animieren? Was das Risiko für den Raucher selbst angeht, gibt es allem Anschein nach drei halachische Kategorien. Zur ersten gehören die Risiken, die man für sich persönlich eingehen darf, denn «der Herr behütet die Unmündigen » (Psalm 116, 6). Dieser Vers bedeutet, dass der Mensch sich bei gewissen Risiken auf den göttlichen Schutz berufen darf. Die zweite Kategorie umfasst Essgewohnheiten oder ungesunde Verhaltensweisen, die Krankheiten hervorrufen oder den vorzeitigen Tod bewirken können. Der Mensch wird aufgefordert, diese Art von Risiko zu vermeiden, indem er ein gesundes Leben führt, doch es gibt eigentlich kein strenges Verbot in dieser Hinsicht. Die dritte Kategorie beinhaltet Handlungen oder Unterlassungen, die zum Tod führen können: sie sind streng verboten, und derjenige, der das Verbot missachtet, wurde zur Zeit des Sanhedrin dafür ausgepeitscht. Die erste Kategorie wird im Talmud genannt; als Beispiele werden eine Frau erwähnt, die zu Beginn der Pubertät ein Kind gebärt (Abhandlung Yewamot 12b), die Aderlasse, die an astrologisch unheilvollen Tagen durchgeführt wurden (Schabbat 129b), sexuelle Beziehungen am 90. Tag der Schwangerschaft (Nidda 31a) usw. Diese Fälle werden von Maimonides nicht erwähnt, mit einer einzigen Ausnahme - dem Verzehr von Trauben oder Feigen in der Nacht, ohne zuvor das Obst auf Bissstellen untersucht zu haben -, doch davon soll später noch die Rede sein. Für Maimonides scheinen alle diese Handlungen absolut zulässig zu sein, weil das ihnen zugeschriebene Risiko von einer esoterischen Quelle stammt und folglich jenseits des medizinischen Wissens der Menschen liegt. In diesem Zusammenhang wird von «Unmündigen» gesprochen, zu denen alle Menschen gehören, die aufgrund verfügbarer medizinischer Informationen handeln. Die Gebote der zweiten Kategorie sind im Kodex von Maimonides aufgeführt (Gesetze über die menschlichen Merkmale, Kapitel 4). Er legt sie folgendermassen dar: «Seinen Körper bei guter Gesundheit zu bewahren und ihn vor allen Gefahren zu schützen verkörpert einen der Wege des Ewigen, denn ein kranker Mensch hat keinen Zugang zu dem, was sich auf G'tt bezieht; daher ist der Mensch verpflichtet, sich von allem fern zu halten, was seine Gesundheit beeinträchtigen kann, und er muss ein gesundes und präventives Verhalten an den Tag legen.» Auf die Einführung folgen zahlreiche Anweisungen. Diese zweite Kategorie zählt sämtliche Gesundheitsmassnahmen auf, die zur Zeit des Talmuds und in der Epoche von Maimonides bekannt waren, und muss heute im Lichte des modernen medizinischen Wissens und im Hinblick auf aktuelle Verhaltensweisen betrachtet werden. Die dritte Kategorie wird in Die Gesetze über den Mörder und die Bewahrung des Lebens von Maimonides in den Kapiteln 11 und 12 behandelt. Grundlage ist das biblische Gebot: «Wenn du ein neues Haus baust, so mache ein Geländer ringsum auf deinem Dache, damit du nicht Blutschuld auf dein Haus ladest, wenn jemand herabfällt» (Deuteronomium 22, 8). Von diesem Gebot lässt sich ableiten, dass wir uns jedes Gegenstandes in unserem Besitz entledigen sollen, der ein Leben gefährden könnte, und jede Handlung unterlassen sollen, die eine lebensgefährliche Bedrohung darstellt. Darüber hinaus wird auch die indirekte Unterstützung solcher Gefahren, wie der Verkauf von Waffen an Menschen, die diese illegal verwenden wollen, vom folgenden Gebot formell verboten: «Du wirst kein Hindernis aufstellen? vor einem Blinden», wobei der Blinde eine Person bezeichnet, die aufgrund ihrer falschen Neigungen nicht in der Lage ist, den Weg der Wahrheit auszumachen (Maimonides, ib., Kap. 12, 12-14). Wie kann man zwischen den Handlungen der zweiten Kategorie, die keinem expliziten Verbot unterworfen sind, und denjenigen in der dritten Kategorie unterscheiden? Diese Unterscheidung scheint nicht statistischer Art zu sein. In den Gesetzen über die menschlichen Merkmale (Kapitel 4, 9) definiert Maimonides bestimmte Lebensmittel der zweiten Kategorie als «so übel wie ein tödliches Gift», obwohl er deren Verzehr gestattet. Wasser hingegen, dass sich kurze Zeit in einer Umgebung befand, wo es vom Gift einer Schlange hätte verseucht werden können, ist streng verboten, und dieses Wasser zu trinken gilt als ein Risiko, das in die dritte Kategorie fällt, auch wenn es statistisch gesehen äusserst selten ist. Der Verzehr einer Frucht mit Bissstellen, die von einer Giftschlange stammen könnten, gehört in dieselbe Kategorie; dies trifft auch auf eine Frucht zu, die von einem Vogelschnabel angepickt wurde, weil diese Löcher einen Schlangenbiss vertuschen können. Jedoch ist nach Maimonides das Essen von Trauben und Feigen im Dunkeln gestattet - auch wenn man dann nicht prüfen kann, ob die Frucht Löcher aufweist. Und dies beruht nicht auf dem Vers «der Herr behütet die Unmündigen», sondern man geht aus irgendeinem Grund davon aus, dass eine bereits gepflückte Frucht nicht von einer Schlange angebissen wird. Auch in diesem Fall ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein mit Löchern versehenes Stück Obst giftig ist, statistisch gesehen äusserst gering. Die Unterscheidung scheint also folgendermassen zu funktionieren: Nahrungsmittel oder Verhaltensweisen aus der zweiten Kategorie - von denen einem abgeraten wird - beinhalten kaum Risiken, wenn es sich um Sonderfälle handelt. Der Verzehr von altem Käse oder gepökeltem Fleisch (Gesetze über die menschlichen Merkmale 4, 9) stellten einst keine ernsthafte Gefahr dar. Nur das regelmässige Essen solcher Lebensmittel galt als riskant. Das biblische Gebot, ein Geländer um das Dach herum zu bauen, und die daraus abgeleiteten Verbote der Weisen (Verbot ein Risiko einzugehen) sind nur für Handlungen und Unterlassungen gültig, die unter Umständen zu einem gewaltsamen und plötzlichen Tod führen. Sie gehören der dritten Kategorie an und sind daher strikt untersagt. Das Rauchen hingegen ist wohl eher der zweiten Kategorie zuzuordnen. Nur das gewohnheitsmässige Rauchen stellt für einen gesunden Menschen eine Gefahr dar. Daraus kann man ableiten, dass man aus zwei Gründen nicht rauchen soll: weil es dringend empfohlen wird, die Laster der zweiten Kategorie zu vermeiden, und weil die Gesetze betreffend den widerspenstigen und abtrünnigen Sohn (Deuteronomium 21, 18), die in der letzten Ausgabe von SHALOM vorgestellt wurden, es untersagen einer Tätigkeit zu frönen, die vielleicht eine Sucht nach sich zieht. Man kann also behaupten, dass die Herstellung und der Verkauf von Zigaretten sich kaum vom Verkauf von altem Käse unterscheiden, der ja erlaubt ist. Da aber das Rauchen auch die Gesundheit von Nichtrauchern in Mitleidenschaft ziehen kann - die sich nicht für das Inhalieren von Rauch entschieden haben - und dies formell verboten ist, und da man auch weiss, dass die meisten Raucher sich nicht darauf beschränken, nur in den eigenen vier Wänden zu rauchen, sollte ein gottesfürchtiger Mensch davon absehen, durch die Tabakindustrie Gewinn zu erwirtschaften. * Rabbiner Schabtai Rappoport leitet die Yeschiwah "Schwut Israel" in Efrat (Gusch Etzion). Er hat vor kurzem die letzten beiden Bände der Responsen herausgegeben, die von Rabbiner Mosche Feinstein, s.A., geschrieben wurden. Er entwickelt gegenwärtig eine Datenbank, die alle aktuellen Themen der Halachah umfasst. Richten Sie Ihre Fragen oder Kommentare an folgende E-Mail-Adresse: shrap@bezeqint.net |