Friede - Sicherheit - Wohlstand? | |
Von Roland S. Süssmann | |
Obwohl der zionistische Traum auf einem ausschliesslich religiösen Fundament beruht, bleibt er doch die einzige grosse ideologische Bewegung vom Anfang des 20. Jahrhunderts, die bis heute überlebt und sich in eine Realität mit unglaublichem Erfolg verwandelt hat. Es war aber ein langwieriger und extrem schwieriger Vorgang, dessen Entwicklung Höhen und Tiefen erlebt hat. Regelmässig wird er durch zwei Konstanten erschüttert - die Unsicherheit und die grundlegenden Fragen -, die immer wieder mit unterschiedlicher Dringlichkeit auftreten. Spricht man heute von Israel und den Entwicklungen im Nahen Osten, drängen sich sogleich zwei Fragen auf: Welche Konsequenzen wird der Rückzug sowohl auf innenpolitischer als auch auf internationaler Ebene haben, und was kann man von den Arabern nach Arafats Tod erwarten? Wir wollten einige Erklärungen für diese Fragen und andere Themen und haben uns zu diesem Zweck an S.E. BENJAMIN NETANYAHU gewandt, den ehemaligen Premierminister und aktuellen Finanzminister des Staats Israel. Wie sehen Sie die Zeit nach der Ära Arafat? Israel hat schon immer drei Ziele verfolgt: Frieden schliessen, in Sicherheit leben und den eigenen Wohlstand sichern. Der erste Punkt hängt nicht von uns allein ab, sondern von unseren Nachbarn, und es leuchtet ein, dass mit der früheren politischen Führung keinerlei Frieden möglich war, da Arafat diesen radikal ablehnte. Er hatte seinen Terrorkrieg gegen uns ausgelöst, um Israel seine Bedingungen diktieren zu können. In Bezug auf die neue Regierung wird uns erst die Zukunft sagen, welche Absichten sie wirklich verfolgt. Auf den ersten Blick scheinen die führenden Politiker sich für einen anderen Ansatz zu entscheiden, doch es muss sich erst weisen, ob sie auch wirklich handlungsfähig sind. Wir werden es recht bald durch die Feststellung erfahren, ob sie die notwendigen Schritte unternehmen, um die Terrororganisationen zu zerschlagen. Zum heutigen Zeitpunkt deuten einige Zeichen darauf hin, dass im Vergleich zu Arafat in diesem Bereich eine Verbesserung stattgefunden hat, doch der Weg bis zur endgültigen Lösung ist noch sehr lang. Was die Sicherheit betrifft, ist sie ganz allein unsere Sache, und wir unternehmen alles Erforderliche, um Terroranschläge zu vereiteln. Der Bau des Sicherheitszauns erweist sich dabei als ausgesprochen positiver Beitrag und wir werden die Fertigstellung vorantreiben. Es ist uns immerhin gelungen, die Terroranschläge um 80% zu reduzieren, doch die verbleibenden 20% sind natürlich immer noch zu hoch. Und schliesslich hängt die Frage des Wohlstands von unserer Fähigkeit ab, eine freie Marktwirtschaft zu entwickeln. Ich möchte daran erinnern, dass sich die Wirtschaft des Landes in einem katastrophalen Zustand befand, als ich mein Amt antrat (siehe SHALOM Nr.41). Ich erklärte dem Sozialstaat den Krieg und kürzte die staatlichen Ausgaben drastisch, auch bei der Verleihung sozialer Vorteile. Ich habe staatliche Monopole privatisiert (Häfen, Banken usw.), die Steuern gesenkt und vieles mehr. All diese Elemente haben bewirkt, dass wir heute von einer negativen Entwicklung zu einer Wachstumsrate übergegangen sind, die von weniger als 1% auf über 4% gestiegen ist, nämlich auf 4,5%. Ich denke, dass ein Israel mit einer starken Wirtschaft ein gewichtiges Argument darstellt, um die Verhandlungen mit unseren Feinden in Gang zu bringen. Sie sprechen von Frieden, Sicherheit und Wohlstand, doch was haben diese zweifellos positiven Konzepte mit dem Plan des einseitigen Rückzugs von Israel zu tun? Sind Sie mit anderen Worten der Ansicht, dass Sie Ihre Bemühungen für die Sanierung der Wirtschaft fortsetzen können, wenn zwischen den Israeli ernsthafte Meinungsverschiedenheiten - oder gar Gewalttätigkeiten - ausbrechen? Gerade weil ich das fürchte, was nach dem Abzug in der israelischen Gesellschaft passieren könnte, habe ich mich so für die Durchführung eines Referendums eingesetzt, was von der Knesset leider abgelehnt wurde. Ich glaube nämlich, dass es mit diesem Instrument nicht nur möglich gewesen wäre, den Rückzugsplan völlig objektiv zu ratifizieren, sondern dass es zweifellos auch dazu beigetragen hätte, die in Israel durch diese Operation geschlagenen Wunden zu heilen. Ich bin überzeugt, dass schon nur die Aussicht auf eine Volksabstimmung die heute herrschenden Spannungen deutlich reduziert hätte: der Rückzugsplan wäre vom grossen Teil der israelischen Bevölkerung besser und eindeutiger akzeptiert worden. Dadurch, dass wir den Rückzug weiterhin ohne Durchführung eines Referendums planen, ist nicht auszuschliessen, dass es zu gewalttätigen Zusammenstössen kommen wird, was alles andere als wünschenswert ist, und dass unsere gesamte Bevölkerung eine traumatische Erfahrung durchmacht. Hoffentlich wird uns dies eine Lehre sein, so dass wir unsere Vorgehensweise gegenüber unseren Mitbürgern überdenken, bevor wir in Zukunft andere Rückzugspläne durchführen. Als ich 1998 Premierminister war, hatte man vor den Vereinbarungen von Weye davon gesprochen, die Kontrolle über eine Region an Arafat zu übertragen, ohne dass dort ein jüdisches Dorf geräumt oder ein Jude umgesiedelt worden wäre. Die Umstände wären wesentlich einfacher gewesen als heute. Ich hatte die Organisation eines Referendums vorgeschlagen, doch leider hat die Knesset nicht auf mich gehört. Interessanterweise hatte Itzchak Rabin eine Abstimmung befürwortet, als er sich aus dem Golan zurückziehen wollte, und auch Ehud Barak hätte dieselbe Idee vertreten, wenn die Gespräche von Camp David II erfolgreich verlaufen wären. Ich glaube, dass die Räumung ohne vorherige Volksabstimmung letztendlich eine tiefe Wunde in unserer Gesellschaft hinterlässt und dass dies alle positiven Errungenschaften, die wir insbesondere auf wirtschaftlicher Ebene erreicht haben, ernsthaft gefährdet. Es herrscht der Eindruck vor, dass vor allem zwei Gründe dazu geführt haben, dass der Rückzugsplan aus Gusch Katif konkret werden konnte: die Region wurde von den rechts stehenden Regierungen (Begin, Shamir und Sie selbst) nie als etwas anderes angesehen denn als Tauschpfand, und die Realität vor Ort führte dazu, dass die Gegend nie wirklich besiedelt wurde. Glauben Sie, dass der Beschluss des einseitigen Abzugs in derselben Weise gefällt worden wäre, wenn heute 50'000 Juden in Gusch Katif leben würden? In Bezug auf die Besiedlung von Gusch Katif war nie die Rede davon, dort die Niederlassung zahlreicher Juden zu fördern, und zwar aus dem einfachen Grund, weil es sich um eine landwirtschaftliche Gegend handelt und es in Israel nicht massenhaft Bauern gibt. Darüber hinaus wurde Gusch Katif nie als fester Bestandteil des jüdischen Territoriums von Israel wahrgenommen. In Wirklichkeit besitzt diese Region nicht die Aura von Judäa oder Samaria. Die starke Präsenz arabischer Einwohner in dieser Zone setzte der Begeisterung in Bezug auf ein Besiedlungsprogramm durch Juden immer eine Art Dämpfer auf. Einige waren der Meinung, wir würden ewig hier bleiben, andere dachten, wir würden das Gebiet im Rahmen eines ausgehandelten Vertrags verlassen, und schliesslich gab es jene mit der Überzeugung, man müsse sich um jeden Preis aus dieser Gegend zurückziehen. Diese letztgenannte Möglichkeit wurde nun von der Regierung gewählt. Vor viereinhalb Jahren startete Arafat die Intifada mit allen Toten, Verletzten und zerstörten Familien, welche diese Terrorwelle mit sich brachte. Glauben Sie nicht, dass die Tatsache, dass die jüdische Regierung infolge dieser Aggression beschliesst, Juden, unter Umständen gewaltsam, aus ihren Häusern zu vertreiben, eine Art Kapitulation Israels darstellt? Unsere Regierung hat den Plan sicher nicht in diesem Sinne ausgearbeitet. Sie haben aber schon Recht, die andere Vertragspartei kann den einseitigen Rückzug durchaus als einen ermutigenden Sieg ansehen. Zu diesem Thema erklärte die Hamas übrigens: «Der Terrorismus zahlte sich aus, um die Israeli aus dem Libanon zu vertreiben, heute zahlt er sich aus, um sie aus Gaza zu vertreiben. Setzen wir unseren Kampf mit Hilfe des Terrors fort und sie werden auch die Westbank, Jerusalem und Tel Aviv verlassen». Um die Verbreitung einer solchen Idee sofort zu unterbinden, schlug ich vor, dass wir parallel zum einseitigen Rückzug auch einige einseitige Entscheidungen betreffend die Siedlungsblocks in Judäa und Samaria treffen. Wir sollten beschliessen, einige Ortschaften auf der einen Seite des Sicherheitszauns zusammenzuziehen, um dadurch die Lücken aufzufüllen, die zu viel Raum zwischen den jüdischen Siedlungen lassen. Dies bedeutet natürlich nicht, dass wir auf irgendetwas verzichten werden, was auf der anderen Seite des Sicherheitszauns liegt. In meinen Augen ist es sehr wichtig, dass wir sowohl vor Ort als auch auf diplomatischer Ebene alles in unserer Macht Stehende unternehmen, um uns zu vergewissern, dass im arabischen Lager nicht der Eindruck entsteht, der einseitige Rückzug sei der geeignete Moment zur Förderung des Terrorismus. Glauben Sie, dass der Rückzug einen Präzedenzfall darstellt und die Evakuierung anderer jüdischer Siedlungen und Bewohner oder gar die Schaffung eines palästinensischen Staates rechtfertigt? Für mich gewiss nicht. Heute beunruhigt mich eher die Tatsache, dass wir das Modell «einseitiger israelischer Rückzug» geschaffen haben, das die Aufhebung jüdischer Dörfer ohne jegliche Gegenleistung beinhaltet. Es wird in Zukunft sehr schwer sein, die PLO davon zu überzeugen, dass in unserer Vorstellung die Räumung von 21 jüdischen Siedlungen in Gaza und von 4 Ortschaften in Samaria in Wirklichkeit einfach den «letzten Schritt» darstellte. Wir müssten gegenwärtig alles tun, um die Kontrolle über den grössten Teil des Gebietes von Cisjordanien zu behalten. In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass ? dieses Territoriums unbewohnt sind, für uns jedoch höchste Bedeutung in sicherheitstechnischer, strategischer und historischer Hinsicht besitzen. Was Ihre Frage zum «Palästinenserstaat» angeht: ein derartiges Projekt wäre für uns nur dann akzeptabel, wenn die Staatsgründer in jeder Form auf die Vernichtung des jüdischen Staates verzichten und sich aufrichtig die friedliche Koexistenz mit uns wünschen. Heute ist dies nicht der Fall, ganz im Gegenteil. Wie Präsident Bush treffend sagte, müssen im politischen System der palästinensischen Behörde erst grundlegende Reformen durchgeführt werden. Die Zerschlagung einiger terroristischer Splittergruppen reicht bei weitem nicht aus. Es trifft zwar zu, dass Mahmud Abbas bis heute nicht zum Terrorismus aufruft, wie dies Arafat tat, doch gleichzeitig rührt er auch keinen Finger, um die Terrororganisationen wirklich zu bekämpfen. Daher würde die Gründung eines Staates, der nach der Vernichtung von Israel strebt, keinesfalls den Friedensinteressen in der Region dienen. Welche Grenzen würde denn dieser Staat aufweisen, wenn er effektiv gegründet würde? Sie sprechen da den springenden Punkt des Problems an, nämlich die Frage, wer diese Grenzen kontrollieren wird. Man muss sich klar machen, dass wir sämtliche Waffentransfers oder Personen überwachen müssen, die in dieses Gebiet eindringen würden. Wenn wir ihnen nämlich freie Hand lassen, würde dies ihren natürlichen Trieb uns zu vernichten noch anfachen. Aus diesem Grund wehre ich mich im Rahmen des einseitigen Rückzugs aus Gaza nachdrücklich dagegen, dass wir die berühmte «Philadelphi»-Linie aufgeben, die zwischen Israel und Ägypten liegt. Es weist alles darauf hin, dass wir Ägypten eigentlich nicht vertrauen können. Dies wurde dadurch bewiesen, dass Mitte März, als wir die Situation noch kontrollierten, Strela-Raketen nach Gaza geschmuggelt wurden. Können wir unter diesen Umständen wirklich die Kontrolle über die Grenzen an die PLO oder Ägypten abtreten, ohne den jüdischen Staat in Gefahr zu bringen? Was innerhalb der Gebiete unter der Aufsicht der palästinensischen Behörde passiert, ist in meinen Augen nicht wirklich wichtig; was zählt, ist das, was an den äusseren Grenzen dieses Gebildes geschieht, ganz egal, ob es nun Staat genannt wird oder nicht. Es ist fast unmöglich, den Finanzminister des Staates Israel zu interviewen, ohne ihm nicht wenigstens eine Frage zur Wirtschaft zu stellen. Es gibt bekanntlich zwei Arten der Immigration in Israel: diejenige aus den armen Ländern, deren Bürger staatliche Unterstützung beantragen müssen, um sich niederlassen zu können, und die potenzielle Immigration aus den reichen Ländern, die zahlreiche Juden verlassen, um in Steuerparadiese zu ziehen. Was unternehmen Sie konkret, um eher die Einwanderer der zweiten Kategorie anzuziehen? Wir haben verschiedene Steuern drastisch gesenkt und auch eine Reihe von steuerlichen Massnahmen ergriffen. Heute gehört Israel weltweit zu den Ländern, die im Bereich wirtschaftlicher Reformen die schnellsten Fortschritte verzeichnen. Wir werden nicht auf halbem Weg innehalten. Ich bemühe mich nach Kräften, den alten Witz zu widerlegen, der besagt: «Wie kommt man in Israel zu einem kleinen Vermögen? Indem man mit einem grossen einreist!». Heute ist bereits das Gegenteil der Fall, es werden in Israel Vermögen geschaffen, und zwar sowohl von lokalen und ausländischen Investoren als auch von den neuen Einwanderern. |