Das Jüdische Museum Von Budapest | ||
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Von Roland S. Süssmann | ||
Was hat am meisten Ähnlichkeit mit einem jüdischen Museum? Ein anderes jüdisches Museum, könnte die Antwort lauten. Doch das stimmt nicht, da jedes jüdische Museum auf der ganzen Welt etwas Besonderes ist und eine Botschaft (die nicht immer leicht zu entziffern ist) sowie eine bestimmte Atmosphäre vermittelt. Dies hängt weder von der Grösse der Institution ab, noch von den finanziellen Mitteln, die zur Verfügung stehen, und auch nicht von den Ausstellungsobjekten. Die Atmosphäre eines Museums ist von zwei Elementen abhängig: von der Einstellung bei der Planung und von der pädagogischen Tragweite, die ihm seine Gründer zu verleihen hofften. Es stimmt: überall sind Kultgegenstände, mit Stickereien verzierte Textilien für den religiösen Gebrauch, Manuskripte und Gemälde usw. zu sehen. Weshalb also hängen die Gemeinschaften so sehr an ihrem jüdischen Museum und bemühen sich, sie bekannt zu machen, damit sie besichtigt werden? Dafür gibt es zahlreiche Gründe, doch der wichtigste ist zweifellos die Tatsache, dass die Museen in den meisten Fällen die lebendige Erinnerung an grausam vernichtete Gemeinden darstellen. Jeder Gegenstand erzählt stumm, aber dennoch beredt eine Geschichte, jeder Gegenstand war Zeuge von glücklichen Momenten, von Familientragödien oder Katastrophen in der Gemeinde, jeder Gegenstand sagt dem Besucher: «Ich bin das jämmerliche Überbleibsel dessen, was noch vor weniger als 65 Jahren eine lebendige und blühende jüdische Gemeinschaft war». Das jüdische Museum von Budapest zeichnet sich in erster Linie durch die Besonderheit aus, dass es neben der berühmten Synagoge der Dohany-Strasse liegt, in dem Haus, in dem Theodor Herzl geboren wurde. Das 1932 eingeweihte Gebäude war so gebaut worden, dass es sich perfekt in die Umgebung der Synagoge einfügte. Obwohl es zu den bekanntesten der Welt gehört, soll vor dem Besuch des Museums noch kurz etwas zu dieser aussergewöhnlichen Kultstätte gesagt werden. Die Dohany-Synagoge ist die zweitgrösste Europas; sie umfasst nämlich 3’500 Sitzplätze und 3’500 Stehplätze. Sie wurde am 6. September 1859 eröffnet und gehört der neologischen Glaubensausrichtung an. Während der Schoah wurde die Synagoge von den Deutschen in ein Konzentrationslager verwandelt und Eichmann besass im ersten Stock ein Büro. Heute besichtigen Tausende von Touristen aus aller Welt die Dohany-Synagoge, die somit zu einer obligatorischen Sehenswürdigkeit bei einer Sightseeing-Tour durch Budapest geworden ist. Am Schabbat und an den jüdischen Feiertagen finden G’ttesdienste nach neologischem Ritus statt. Auch das Museum an sich verlangt nach einem kurzen historischen Abriss. Es wurde von den bekannten ungarischen Architekten Laszlo Vago und Ferenc Farago entworfen und 1932 eröffnet, obwohl seine Schaffung schon im Mai 1910 von der Israelitischen Literaturgesellschaft Ungarns formell beschlossen worden war. Während der Schoah hatte man die Sammlung des Museums in den Kellern des Nationalmuseums versteckt, denn das Gebäude war von der Armee für die Unterbringung eines Teils der Arbeitsbrigaden beschlagnahmt worden, dieser Uniform tragenden Einheiten für Zwangsarbeit, die sich ausschliesslich aus jungen Juden zusammensetzten. Interessanterweise grenzte das Museumsgebäude nach der Einrichtung des Ghettos in Budapest infolge seiner Lage direkt an das Ghetto und an die freie Zone der Stadt. Unter dem Museum war ein geheimer Durchgang gegraben worden, so dass viele Menschen ihre Reise in die Freiheit hier antreten konnten. Den Besucher beeindrucken in erster Linie das konsequente Konzept und die Eleganz der Ausstellung sowie die direkte Interaktion zwischen dem Rhythmus der Präsentation und dem eigentlichen jüdischen Leben. Das Museum bildet ein grosses Ganzes, das bemerkenswert gut strukturiert ist und in dem nichts dem Zufall überlassen wurde. Der Geist, der hinter den ausgestellten Gegenständen steckt, ist eng mit einem pädagogischen Ansatz verknüpft. So widmet sich der erste Raum dem Hauptthema «Schabbat», weil diesem Ruhetag im Kalender und im Rhythmus des jüdischen Lebens so viel Bedeutung zukommt. In der Mitte des Raumes befindet sich ein riesiger würfelförmiger Schaukasten, in dem Stücke im Zusammenhang mit dem Schabbat zu sehen sind, wie beispielsweise Schabbat-Öllampen, silberne Kerzenleuchter, fein ziselierte oder gravierte Kiddusch-Becher oder auch (man umgeht den Kubus in einer bestimmten Richtung) Objekte bezüglich der Feier zur Beendigung von Schabbat, Hawdalah, wie z.B. Schachteln für den Duft der Gewürze, Kerzenständer (und farbige Kerzen) usw. Im Raum befinden sich ausserdem Gegenstände für die G’ttesdienste am Schabbat, Torah-Rollen und die dazugehörigen Ziergegenstände, sowie auch aus Synagogen stammende Textilien. Der zweite Raum belehrt die Besucher über die Welt der jüdischen Feiertage. Auch hier verläuft die Ausstellung in einem Decrescendo, indem zunächst die Elemente der wichtigsten Feste – Jom Kippur und Rosch Haschanah - präsentiert werden (Schofarot, weisse Gebetsgewänder, besondere Gebetsbücher usw.), gefolgt von Sukkoth. In der Mitte des Saales steht ein gedeckter Seder-Tisch. In den Vitrinen um diesen herrlichen Tisch herum sind Objekte in Bezug auf Pessach im Allgemeinen und auf den Seder im Besonderen zu sehen: illustrierte oder illuminierte Haggadoth, silberne Kiddusch-Becher oder Becher, die für den Propheten Elias bestimmt sind, und vor allem eine wunderbar Serie von Seder-Platten aus ungarischem Herend-Porzellan, speziell für Matzoth bestimmte Platten sowie reich bestickte Samtdeckchen, mit denen die Matzoth während des Seders (dreilagig) oder bei festlichen Familienessen bedeckt werden. Anschliessend kann man Schaukästen bestaunen, in denen an Chanukkah verwendete Kultgegenstände (Leuchter, Kreisel usw.) und an Purim (oft üppig illuminierte und handgeschriebene Megiloth, Knarren aus Holz oder aus Silber, verzierte Teller für Festmahle usw.) ausgestellt sind. Im dritten Raum geht es um den jüdischen Lebenszyklus ausserhalb der offiziellen Feiertage, er reicht von der Geburt bis zum Tod. Hier sind alle Gegenstände zu sehen, die den frommen Juden betreffen: Beschneidungsmesser, Tefillin (Gebetsriemen), Hochzeitsbaldachin, Instrumente der Bestattungsgesellschaft u.a. Der letzte Ausstellungssaal ist der Schoah gewidmet, hier werden die Ereignisse anlässlich der Vernichtung der jüdischen Gemeinschaft Ungarns mit Hilfe von Dokumenten und Fotos in chronologischer Reihenfolge dargestellt. Eine kleine Sammlung von Gemälden zu klassischen jüdischen Sujets oder mit den Porträts jüdischer Persönlichkeiten vervollständigt die Ausstellung. Im zweiten Stock befindet sich ein Raum für wechselnde Ausstellungen. Auf den Stufen, die von einem Stockwerk zum nächsten führen, stehen einige Grabsteine, von denen einer mit einer Menorah verziert ist und aus dem 3. Jh. stammt. Er wurde in Esztergom entdeckt, einer Kleinstadt im Norden von Ungarn, deren gesamte jüdische Bevölkerung während der Schoah deportiert wurde. Wie in allen Museen ist der grösste Teil der Sammlung nicht zugänglich. Er besteht zumeist aus Gegenständen, die nach der Deportation eines grossen Teils der jüdischen Bevölkerung aus den Synagogen im ganzen Land gerettet wurden. Es kommt allerdings auch heute noch vor, dass eine Familie dem Museum jüdische Kultusgegenstände schenkt. Die Besichtigung des Museums nimmt nicht allzu viel Zeit in Anspruch. Der pädagogische Anspruch muss aber unterstrichen werden, denn in jedem Raum sind knappe Erklärungen betreffend das Fest oder die Tradition zu finden, die in diesem Raum dokumentiert wird. Das Museum wir jährlich von 160'000 Personen besucht. Gemäss einigen Statistiken gilt es somit als der am zweitötfesten besuchte Ort in Ungarn. Viele Klassen aus ungarischen Schulen begeben sich ins Museum, auch wenn der geführte Rundgang nicht zum offiziellen Lehrplan gehört. Abschliessend können wir sagen, dass das jüdische Museum von Budapest selbst für diejenigen, die schon viele jüdische Museen in aller Welt besichtigt haben, interessant und lehrreich ist. Es ist zwar klein, doch es widerspiegelt die würdige Haltung der ungarischen Juden, welche die Traumata ihrer jüngsten Geschichte überlebt haben. |