Alyn

Von Roland S. Süssmann
Von David Ben Gurion stammt folgender Ausspruch: «Wer in Israel nicht an Wunder glaubt, ist einfach nicht realistisch». Diese scherzhafte Feststellung könnte leicht für das Krankenhaus ALYN Woldenberg Family Hospital umgeschrieben werden, das Rehabilitationszentrum für Kinder und Jugendliche in Jerusalem, wo täglich Wunder stattfinden. In jeder Krankengeschichte, in jedem Fall stecken sowohl eine Tragödie als auch eine wunderbare Quelle der Hoffnung und der Ermutigung.
Da ist Ariel, der 15 Monate alte Junge, der von einer arabischen Rakete an Kopf und Rückgrat schwer verletzt wurde und heute allein gehen kann; Tarko, der mit 12 Jahren nach Israel eingewanderte junge Äthiopier, der nach der Erkrankung an Kinderlähmung nur an einer Krücke, bestehend aus einem Baumast, gehen konnte… heute, sechs Jahre später, spielt er als Kapitän der Fussballmannschaft von Mevassereth Zion und bereitet sich auf sein Studium an der medizinischen Fakultät vor. Es gäbe unzählige Beispiele, doch in diesem Artikel möchten wir Ihnen einfach die Klinik ALYN ans Herz legen, und dabei kurz auf die zahlreichen Rehabilitationsmöglichkeiten hinweisen, die in diesem Krankenhaus praktiziert werden, um Sie vielleicht zu einer Unterstützung zu bewegen.
Es gibt auf der Welt zahlreiche Rehabilitationszentren für Kinder und Jugendliche, doch das ALYN ist in seiner Art einzigartig. Bevor wir aber zu beschreiben versuchen, was die Besonderheit des Zentrums ausmacht, drängt sich kleiner historischer Exkurs auf. «ALYN» ist die Abkürzung der hebräischen Wörter «Agudah Le’ezrath Yeladim Nechim» (Vereinigung für die Unterstützung behinderter Kinder). Diese Organisation wurde 1932 vom amerikanischen Orthopädiechirurgen Dr. Henry Keller gegründet, der sich in Israel niedergelassen hatte. Damals beschränkte sich seine Tätigkeit auf die Verwaltung einer kleinen Klinik in Jerusalem. Zu Beginn der 50er Jahre übernahm das ALYN ein ehemaliges Kloster in der Umgebung von Jerusalem, um die wachsende Zahl von behinderten Menschen unterzubringen; der Ort erwies sich jedoch als völlig ungeeignet für invalide Kinder. Daher wurde es unumgänglich, ein Krankenhaus zu schaffen, das sowohl modern war als auch den Bedürfnissen behinderter Kinder entsprach. 1971 öffnete das Spital ALYN endlich seine Tore, nachdem man lange Jahre finanzielle Mittel gesammelt und es geplant hatte.
Heute ist das ALYN das einzige Rehabilitationszentrum, das unter demselben Dach alle Dienstleistungen– medizinischer, paramedizinischer und erzieherischer Art – anbietet, die für eine möglichst umfassende Rehabilitation notwendig sind. Das ALYN verfügt ausserdem über das einzige pädiatrische Lungen-Rehabilitationszentrum in Israel. Somit steht ein einzigartiges Programm für Kinder zur Verfügung, die zeitweilig oder ständig an ein Atmungsgerät angeschlossen leben müssen. In den anderen medizinischen Zentren werden die Patienten in der Intensivstation betreut, wo nichts unternommen wird, um ihnen ihre Unabhängigkeit im Rahmen ihrer Behinderung zu ermöglichen. Darüber hinaus blickt ALYN auf langjährige Erfahrung bei der Behandlung seltener orthopädischer Probleme, neuromuskulärer Schädigungen, Arthrogryposis, aller Erkrankungen im Zusammenhang mit zerbröckelnden Knochen (die in einigen Fällen beim geringsten Aufprall zerbrechen), der Bogenschlussanomalie (genetische Missbildung, die aus Rissen in einem oder mehreren hinteren Wirbelbögen besteht, bei denen zusätzlich Komplikationen durch eine Hernie der Hirnhäute und des Knochenmarks auftreten können), usw. Jeder Fall wird einzeln untersucht, je nach den Besonderheiten wird dann nach Lösungen gesucht. Das ALYN hat ausserdem in seinem fachübergreifenden Ansatz der Rehabilitation ein Konzept eingeführt, das sich allmählich weltweit durchgesetzt hat. Die Forschung, die Experimente und die Errungenschaften des ALYN sind Gegenstand von internationalen Publikationen und bilden die Grundlage für Behandlungen, von denen Kinder auf der ganzen Welt profitieren. Das ALYN besitzt ein extrem erfinderisches technisches Team, dessen Ergebnisse zu zahlreich sind, um hier aufgezählt zu werden. Eine Erfindung ist es aber wert, hier kurz aufgeführt zu werden. Ein Jugendlicher aus einer orthodoxen Familie war von einem Tag auf den anderen fast vollständig gelähmt. Die einzige Bewegung, die er noch ausführen konnte, war das Heben und Senken der Schultern. Als er im ALYN eintraf, beantwortete er praktisch keine Fragen mehr und reagierte auf niemanden. Zufällig sagte seine Grossmutter, die ihn besuchte, einem der Pfleger, der Junge interessiere sich sehr für Informatik. Das technische Team machte sich sofort an die Arbeit und schuf eine Computermaus, die mit den Schultern bedient werden konnte. Vor dem Jungen wurde ein Computerbildschirm installiert und man erklärte ihm, wie er die Maus betätigen könne. So begann seine Rehabilitation, heute lebt der junge Mann wieder bei seiner Familie und es geht ihm blendend.
Doch in ALYN weiss man auch, wie man Schwierigkeiten begegnet, die für Israel ganz typisch sind. So stellte sich zu dem Zeitpunkt, als die gesamte Bevölkerung sich mit Gasmasken ausrüsten sollte, ein Problem für die Patienten, die an ein Atmungsgerät angeschlossen sind. Dr. Eliezer Be’eri, Leiter der Abteilung für respiratorische Rehabilitation des ALYN, und sein Team erfanden ein Verbindungsstück, das mit den Filtern der Gasmaske aus der Armee kompatibel war. Letztere bestellte 20'000 Stück davon und verteilte sie in den Spitälern und an die Menschen, die an medizinische Atmungsgeräte angeschlossen sind.
Neben den täglichen Dienstleistungen bietet das ALYN auch ein Zentrum für die sexuelle Rehabilitation sowie eine Abteilung für die Beratung beim Kauf spezieller Autositze, die an eine spezifische Behinderung angepasst sind. In diesem Zusammenhang gibt es Kurse für Eltern und Pfleger, in denen man ihnen zeigt, wie sie ein behindertes Kind korrekt ins Auto setzen. Ein Programm für die Miete von Sitzen oder von Gurten erspart den Familien bedeutende Ausgaben für einen Gegenstand, den sie oft nur beschränkte Zeit brauchen.
Die Liste der Abteilungen und Dienste im Zentrum ALYN ist unendlich lang, diese reichen von einem Zentrum für Tagesbetreuung über einen Sozialdienst, eine psychologische Beratung (sowohl für die Kranken als auch für die Familien) und ein hervorragendes biomechanisches Labor bis zu einem Therapieschwimmbad. Die jüngste Einrichtung ist wohl auch die eindrücklichste: es handelt sich um ein unabhängiges Wohnquartier innerhalb des Krankenhauses selbst. Es besteht aus zwei Teilen, durch die eine breite Strasse führt, an der sich auf der einen Seite die Wohnungen für die Kranken befinden, die an ein Atmungsgerät angeschlossen sind, und auf der anderen Seite die Unterkünfte für die gelähmten Patienten, die nicht auf eine derartige Maschine angewiesen sind. In diesem Zentrum können bis zu 35 Patienten leben, davon 13 mit Anschluss an ein Atmungsgerät. Es wird alles unternommen, um die Bedürfnisse dieser schwer behinderten Menschen zu erfüllen, wobei der Schwerpunkt ganz besonders auf den Schutz der Privatsphäre eines jeden einzelnen gelegt wird. So ist jede Tür mit einem Namensschild und einem individuellen Briefkasten versehen, jede «Wohnung» verfügt über separate Schlafzimmer, ein gemeinsames Wohn-/Esszimmer, eine kleine Küche und gegebenenfalls über ein oder zwei Badezimmer; jeder Raum ist natürlich vollständig mit allen notwendigen Geräten und medizinischen Einrichtungen ausgestattet.
Diese kurze Reportage wäre unvollständig, wenn wir die Abteilung für Orthophonie unerwähnt liessen, wo die Behandlung für den Wiedererwerb der Sprache auf Hebräisch, Arabisch, Russisch und Englisch erfolgt.
Bleibt nun noch die finanzielle Frage, die – wie immer – eine Quelle ständiger Sorge für eine so grosse Institution darstellt. Im Jahr 2004 beläuft sich das Betriebsbudget auf US$.8'600'000,--, die eigentlich von den staatlichen und privaten Krankenversicherungen sowie von den Ministerien für soziale Angelegenheiten und für Gesundheit abgedeckt werden sollten. Da das Gesundheitsministerium seinen Beitrag drastisch gesenkt hat, muss das ALYN, das normalerweise nur für das Entwicklungsbudget Spender suchen musste (das 2004 die Summe von US$.2'700'000,-- ausmacht), nun seine Sponsoren bitten, den zusätzlichen Betrag von US$.2'600'000.-- aufzubringen, der ihm ursprünglich vom Gesundheitsministerium zugesichert wurde.
Dazu muss gesagt werden, dass gegenwärtig 235 Menschen im ALYN arbeiten, darunter 54 Freiwillige aus Israel und aus dem Ausland. In Bezug auf die Patienten sprechen die Zahlen für sich: 93 Menschen sind hospitalisiert, 74 belegen ein Bett im Rahmen der Tagesbetreuung und insgesamt 11'500 Patienten, Juden und Araber, Israelis oder speziell aus dem Ausland angereiste Menschen, werden jährlich im ALYN betreut!!!
Da ist jeder Kommentar überflüssig.