Eliminieren Ja – Einschnitt Nein! | ||
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Von Roland S. Süssmann | ||
Als ich einigen befreundeten Ärzten davon erzählte, fiel ihre ungläubige Reaktion einstimmig aus: «Glaub nicht alles, was man so sagt…». Was war denn so unglaublich an dem, was ich ihnen berichtet hatte? Ich hatte von einem neuartigen Eingriff gesprochen, dank dem man Uterusfibrome und gewisse Tumorarten ohne chirurgische Inzision entfernen konnte! Ich hätte ebenso gut vorschlagen können, die Kerne aus einem Apfel zu entfernen, ohne ihn zu zerschneiden! Doch diese grandiose Erfindung existiert nicht nur, sondern wird auch in einer Reihe von Krankenhäusern rund um den Globus bereits praktiziert, insbesondere in der berühmten Mayo Clinic in den USA, im Saint Mary’s Hospital in London, im Sheba Medical Center von Tel Aviv, im Iseika Hospital in Osaka usw. Die Methode ist unter der Bezeichnung HIFU (High Intensity Focused Ultrasound) bekannt, das entsprechende Gerät heisst ExAblate 2000. In ihrer Ausgabe vom 19.-26. August 2002 veröffentlichte Business Week die 25 Ideen, welche die medizinische Welt nachhaltig prägen würden. Der Untertitel dieser Serie lautete «Die neuen Behandlungsmethoden sollen weniger invasiv, kürzer, kostengünstiger und effizienter werden». Auf dem 21. Platz wurde die israelische Erfindung beschrieben: «In der Welt der medizinischen Forschung heisst einer der Schlüsselbegriffe minimally invasive therapies». Dieses Konzept umfasst eine weite Palette von Technologien, zu denen auch die hoch auflösende Bildgebung, die Robotertechnik, Miniatursensoren (siehe SHALOM Nr. 36 zum Thema Given Imaging), Hochleistungs-Schallwellen, die Manipulation von Stammzellen usw. gehören. Ziel dieser Forschungsarbeiten ist es, chirurgische Eingriffe durch Techniken zu ersetzen, in denen Einschnitte völlig überflüssig sind. Um Genaueres über dieses «merkwürdige Gerät» zu erfahren, das allmählich die meisten Hysterektomien und Absetzungen der Brustdrüse ersetzen soll, haben wir ein Gespräch mit Dr. DOV MAOR geführt, einem Wissenschaftler und Forscher bei InSightec, der israelischen Gesellschaft, die ExAblate 2000 erfunden hat und es weiterentwickelt. Können Sie uns, bevor wir uns mit dem Produkt Ihrer Firma befassen, in knappen Worten das Unternehmen InSightec beschreiben? Wir sind ein privates Unternehmen, das mit zwei Partnern zusammen arbeitet, nämlich Elbit Medical Imaging und General Electric Medical Systems. Zu Beginn des Jahres 1993 wurde die grundlegende Technologie von ExAblate von einem jüdischen Arzt entwickelt, der bei GE Corporate and Development tätig war. 1999 wurden die Technologie und die ersten Prototypen zu uns nach Haifa überwiesen. Zu diesem Zeitpunkt nahmen wir die klinische Zusammenarbeit mit einigen Spitälern auf, während die Forschung und die Fertigstellung der Geräte noch im Gange war. Dank diesem zweigleisigen Vorgehen konnten wir schneller und vor allem wirtschaftlicher arbeiten. Können Sie uns kurz erklären, worin das System ExAblate 2000 genau besteht? Jeder weiss, wie die Echographie funktioniert: mit Hilfe von Schallwellen, die durch den Körper gesendet werden, erzeugt das entstandene Echo ein Bild des betreffenden Körperinneren. Dieses Verfahren ist harmlos für den Körper, da die Energiemenge äusserst gering ist. Der Gedanke, den Ultraschall als therapeutisches Instrument zu verwenden, beruht auf dem genauen Gegenteil: man verwendet ein Maximum an absorbierbarer Energie, um Gewebe zu zerstören. Es handelt sich dabei natürlich um eine sehr präzise Operation, die auf einen ganz bestimmten Punkt ausgerichtet ist. Man kann sich dieses Vorgehen veranschaulichen, indem man es mit jemandem vergleicht, der eine grosse Lupe in die Sonne hält, um mit der Sonnenenergie Papier für ein Lagerfeuer anzuzünden. Solange die Energie sich auf die ganze Lupe verteilt, entsteht keinerlei Wirkung, doch sobald sie sich auf einen einzigen Punkt konzentriert, wird sie gebündelt und entwickelt eine direkte Wirkung und hohe Temperaturen. Unser Gerät funktioniert nach demselben Prinzip, ausser dass die Energie des Ultraschalls, im Gegensatz zum Licht, leicht die Haut und Gewebeschichten durchdringt und in einem Brennpunkt im Körperinneren zusammentrifft. Die von uns erzeugte Energie wird von einer zu Beginn recht breiten Platte direkt auf einen bestimmten Punkt im Körper gelenkt. Wenn sie ihr Ziel erreicht, besitzt sie eine Temperatur von 60 bis 80 Grad, was innerhalb von 1 bis 2 Sekunden die unwiderrufliche Zerstörung des anvisierten Gewebes durch thermale Nekrotisierung bewirkt. Bei diesem Verfahren ist es wichtig, dass man die Begrenzung des zu zerstörenden Gewebes sehr genau und präzise festlegen kann und dass es keine «Grauzone» gibt, die daran zweifeln lässt, ob nun das gesamte kranke Gewebe zerstört wurde oder eben nicht. Einzig und allein die anvisierte Stelle wird von der derart in den Körper eingeführten Energie getroffen. Dies heisst, dass die Strecke, die der Energiestrahl im Körper zurücklegt, wenn er das betreffende Gewebe endgültig zerstört, in keinster Weise in Mitleidenschaft gezogen wird und dass der Strahl auf der Haut weder Verbrennungen noch andere Spuren dieses Eingriffs hinterlässt. Können Fibrome oder Tumore in jeder Grösse zerstört werden? Der Durchmesser eines Brennpunkts liegt im Schnitt zwischen 5 und 20 mm. Nach der Zerstörung eines Elements kann man sich dem nächsten zuwenden und das Verfahren so oft wiederholen, wie es sich als notwendig erweist. Muss ein grösseres Volumen mit zahlreichen einzelnen Stellen behandelt werden, wird ein Behandlungsplan entworfen, auf dem die Zahl der «Schüsse», die zur vollständigen Vernichtung des Tumors erforderlich sind, festgelegt wird. Dazu muss man wissen, dass der ExAblate auch auf dem Einsatz der Computertomographie (RMN) beruht, die neben dem Herstellen von Bildern auch die Temperaturmessung in jedem Körperteil ermöglicht. Man darf nicht glauben, dass es für jeden Fibrom- oder Tumortyp, den es zu zerstören gilt, ein immer gleiches Verwendungsschema gibt. Die zu verwendende Energiemenge muss vom Gerät gemessen werden und ist je nach Fall, je nach Patient, je nach Gewebe unterschiedlich. Derselbe Tumor kann auf zwei verschiedenen Seiten sogar zwei unterschiedliche Temperaturen aufweisen. Es handelt sich folglich um ein hoch kompliziertes Gerät, bei dem die RMN-Technologie direkt mit dem Ultraschall kombiniert wird. Diese hoch präzise Technik macht es möglich, noch viel zielgerichteter vorzugehen, als wenn ein Chirurg einen Körper öffnet um im Innern nachzusehen, was dort los ist. Oft ist der Unterschied zwischen gesundem und krankem Gewebe nämlich minimal. Was bedeutet dies nun konkret für den Patienten? Zunächst muss man wissen, dass es ein ambulanter Eingriff ist. Da das Verfahren nicht ganz schmerzfrei ist, erhält der Patient ein leichtes Sedativum und ein Analgetikum, denn er sollte wach bleiben. Man gibt ihm auch einen Knopf, den er jederzeit betätigen kann, um den Eingriff sofort zu beenden, falls dieser zu schmerzhaft würde. Wir legen in jedem Fall zwischen jedem «Schuss» eine Pause von 60 bis 90 Sekunden ein, damit die betroffene Stelle wieder abkühlen kann. Im Allgemeinen gehen wir davon aus, dass ein Patient, dessen Behandlung um 9 Uhr morgens beginnt, gegen Mittag fertig ist, sich ausruht, gegen 14 Uhr nach Hause geht und am nächsten Tag wieder arbeiten gehen kann. Würden Sie heute behaupten, dass man mit dem ExAblate 2000 jeden Tumor behandeln kann? Obwohl wir schon grosse Fortschritte gemacht haben und immer mehr Erfolge verzeichnen können, bleibt uns noch viel klinische Arbeit. Ich denke, dass es uns mit der Zeit wahrscheinlich gelingen wird, alle Tumore zu behandeln, doch dies ist heute noch nicht der Fall. Jede Art von Tumor erfordert jahrelange Forschung und zahlreiche klinische Tests. Wir haben mit einer nicht karzinomatösen Form von Tumor begonnen, den Uterusmyomen. Es ist allgemein bekannt, dass es heute, wenn die Symptome zu schwerwiegend werden, keine sanfte Methode zur Behandlung dieses Problems gibt. In der Regel schlägt man einfach eine Hysterektomie vor, eine radikale Methode, die neben den Risiken eines chirurgischen Eingriffs auch dazu führt, dass die Patientin infolge der Operation viele Tage lang nicht arbeiten kann, bevor sie wieder gesund ist. Gegenwärtig konzentrieren wir unsere Bemühungen ganz besonders auf die Erforschung von Lebertumoren, und zwar aus zwei Gründen: erstens bewegt sich die Leber, wenn wir atmen, und zweitens befindet sich ein grosser Teil der Leber unterhalb der Rippen und ist somit schwer zugänglich. Wir haben bereits Lösungen gefunden und mit der Behandlung von ersten Patienten angefangen. Unser zweites wichtiges Forschungsgebiet befasst sich mit den Knochentumoren. Wie Sie sicher wissen, entwickeln viele Menschen mit Krebserkrankungen der Organe Knochenmetastasen. Diese extrem schmerzhaften Tumore werden heute zum Teil mit Hilfe von Bestrahlungen behandelt, obwohl dieses Verfahren eine Reihe von Nachteilen aufweist. Wir setzen uns demnach heute besonders für die Bekämpfung dieser Tumore ein, doch wir forschen auch im Bereich anderer Knochentumore. Unsere weiteren Forschungsschwerpunkte sind im Moment die Brust-Fibroadenome (in mehreren medizinischen Zentren weltweit werden gegenwärtig fortgeschrittene klinische Versuche durchgeführt), die benigne Hyperplasie der Prostata und Leberhämangiome. Auch für die operative Entfernung bösartiger Tumore an Brust, Leber, Nieren, Schilddrüse, Bauchspeicheldrüse und Prostata sind klinische Tests im Gange. Tumore an Dickdarm und Lunge stellen ein grosses Problem für uns dar, denn der Ultraschall durchdringt die Gase nicht und ich bin nicht sicher, ob es uns gelingen wird, diese Erkrankungen irgendwann zu behandeln. Man darf aber nicht vergessen, dass alles, was von uns entwickelt wird, ganz neu ist. Bis heute haben wir über 30 Erfindungen patentieren lassen. Vielleicht werden wir daher auch für scheinbar unlösbare Probleme etwas finden, auch wenn es zurzeit unwahrscheinlich wirkt. Wir haben ausserdem die so genannte «CE»-Genehmigung erhalten, so dass das Produkt in Europa vertrieben werden kann. Wie steht es um Gehirntumore? Sie sprechen da ein grundlegendes Thema an. Bevor man das Gehirn erreicht, muss man, wie Sie wissen, den Schädel öffnen und einen Teil des Gehirns durchdringen, bevor man die erkrankte Stelle erreicht. Der Gedanke, das Gehirn ohne konkreten Eingriff zu behandeln, ist natürlich sehr verlockend. Das einzige Problem besteht aus der Tatsache, dass der Ultraschall nur schwer durchkommt. Ein grosser Teil der Energie wird nämlich absorbiert, es gelangt nur ein Teil an die betreffende Stelle. Wir haben bereits eine Methode entwickelt, dank der wir mit einem speziellen Gerät direkt ins Gehirn eindringen können, ohne den Schädel anzutasten. Zurzeit steht ein Prototyp unseres Geräts in einem Krankenhaus in Boston, in den kommenden Monaten werden wir mit den ersten klinischen Tests beginnen, für die wir die Genehmigung der berühmten FDA bekommen haben. Erfordert der Einsatz des Geräts eine spezielle medizinische Ausbildung, und wenn ja, haben Sie auch ein Ausbildungsprogramm entwickelt? Im Allgemeinen wird der Eingriff nicht von Chirurgen durchgeführt, sondern von Radiologen, vor allem, wenn letztere für die intervenierende Radiologie ausgebildet wurden, wie z.B. für die Angiographie. Es handelt sich dabei übrigens um einen Teil der medizinischen Revolution, die gegenwärtig stattfindet: irgendwann wird die ausschliessliche Aufteilung nach Organen aufgehoben sein. Heute darf eine Hysterektomie nur durch einen Gynäkologen durchgeführt werden. Mit unserem System kann ein Fibrom aber durch einen Radiologen entfernt werden… Ungeachtet der Veränderung, die das auf beruflicher Ebene darstellt, stellt sich auch die Frage nach Wirtschaftlichkeit und Verdienst. Es geht allerdings nicht darum, den einen oder anderen Beruf in den Hintergrund zu drängen, sondern darum, Wege der Zusammenarbeit zu finden, dank denen ein Patient so behandelt werden kann, dass er möglichst wenig Schmerzen leidet. Was das Technische angeht, so geben wir beim Verkauf eines Geräts einen zweitägigen Einführungskurs und beauftragen einen unserer Experten mit der Unterstützung des neuen Teams, bis es alles im Griff hat. Darüber hinaus haben wir eine ausführliche technische Dokumentation herausgegeben. Wie viel kostet eine Behandlung und wird dies von den Krankenkassen übernommen? Im Schnitt kostet eine so genannte «Sitzung», die im Allgemeinen zur Eliminierung des gesamten kranken Gewebes ausreicht, 5'000 Euro. Leider werden diese Kosten heute noch nicht von den Versicherungen übernommen. Dazu kommt überdies, dass Ärzte immer eher konservativ sind und gern etwas abwarten, wenn etwas Neues auf den Markt kommt. Doch die Ärztegemeinschaft ist sich der Tatsache bewusst, dass hier eine bedeutende Neuerung ins Haus steht. Wir haben vor kurzem den «European 2004 IST Grand Prize» gewonnen, bei dem von 430 Kandidaten aus 28 Ländern drei Sieger gekürt werden. Wir gehörten zunächst zur Auswahl der 20 Besten und schafften es dann in die Spitzengruppe mit drei Unternehmen. Der IST Prize zeichnet die Basisprodukte aus, die als beste technologische Innovation gelten. Abschliessend muss man sich klar machen, dass der ExAblate 2000 den Krebs nicht heilt, sondern in bestimmten Fällen einen chirurgischen Eingriff ersetzen kann, was bereits einen riesigen Fortschritt darstellt. Im Fall von Brustkrebs beispielsweise wird der Tumor bei den Patientinnen mit Hilfe des ExAblate entfernt, dann durchlaufen sie eine herkömmliche Therapie. |