Es ist mitternacht Dr. Chouraqui!
Von Roland S. Süssmann
Ein italienischer Aristokrat führt Freudentänze auf, neben ihm rezitiert ein alter Rabbiner im Rollstuhl Psalmen. Dieses Bild mag absurd und unwirklich erscheinen, doch es entspricht einer Szene, die tatsächlich stattgefunden hat. Wo um alles in der Welt war das? Und warum ist dieser Prinz so glücklich? Das «bestgehütete Geheimnis» betrifft im Allgemeinen die Adresse eines Restaurants, eines Hotels oder einer Konditorei, die in der Öffentlichkeit noch unbekannt sind, aber aussergewöhnliche Produkte oder Leistungen anbieten. Heute werden wir Ihnen nun ein «Geheimnis» enthüllen, das leider noch viel zu gut geheim gehalten wird und es verdient, mehr Menschen mitgeteilt zu werden: es geht um die Behandlungsmethoden von Dr. SCHMUEL CHOURAQUI, dessen Klinik in Bne Beraq in Israel liegt.
Welches ist denn nun das besondere Fachgebiet von Dr. Chouraqui? Er behandelt eine schreckliche Erkrankung, die arterielle Insuffizienz mit unterschiedlichen Ursachen, die in der Regel auf Diabetes oder eine Infektion zurückzuführen ist und die Amputation bestimmter Gliedmassen, meist der Zehen oder des Fusses, nach sich ziehen kann. Durch seine Behandlungsmethoden rettet Dr. Chouraqui den grössten Teil der gefährdeten Glieder, letztes Jahr hat er 225 Amputationen verhindert…, darunter die Beinamputation des italienischen Aristokraten, der zu Beginn des Artikels erwähnt wurde und der in der bescheidenen Klinik in einem orthodoxen Vorort von Tel Aviv einen Freudentanz aufführte.
Doch wer ist Dr. Chouraqui? Ein extrem begabter Mensch, dessen menschliche Qualitäten nur von seiner Herzlichkeit und seiner ansteckenden Freundlichkeit übertroffen werden und der mit sehr wenig sehr viel erreicht. Schmuel Chouraqui hat in Paris und New York Medizin studiert und arbeitete in der Abteilung für Reanimation im Krankenhaus Beaujon bei Professor Jolys. Dann praktizierte er als Armeearzt und nahm zunächst als Oberstleutnant, dann als Oberst an zwei Kriegen (Tschad und Iran-Irak) teil. Während 15 Jahren war er in Frankreich tätig, wo er eine eigene Praxis besass; dort heiratete er auch eine Anwältin, mit der er zwei Kinder hat. 1989, nach der «Teschuwah» (Entscheidung für die strenge Auslegung des jüdischen Glaubens als Lebensform), beschloss das Paar seine Zelte in Paris abzubrechen und sich in Israel niederzulassen. Zunächst wollte es in ihrem Dasein, das ganz auf die Karriere ausgerichtet war, «eine Pause» einschalten und Zeit in das Studium der Torah investieren, kurz, das Leben auf geistigere Fragen konzentrieren. Dr. Chouraqui hat sich also in einem «Kollel» (Talmudakademie für Erwachsene) eingeschrieben. Wie gross war nicht sein Erstaunen, als ihm die Rabbiner sagten, er solle seine Zeit nicht dem Studium widmen, sondern vielmehr sein Wissen und seine Erfahrung als Arzt in den Dienst seiner Glaubensbrüder in Israel stellen. Um letzte Klarheit darüber zu erlangen, ging er zu Raw David Abuhassira, der ihm wortwörtlich sagte: «Studieren wirst du im zukünftigen Leben. Hier besteht deine Aufgabe darin, der Bevölkerung von Israel zu helfen». Ungläubig bat ihn Dr. Chouraqui, seine Antwort zu wiederholen, was der Raw auch prompt tat. Ermutigt durch diese Worte und erfüllt von einer neuen Berufung stürzte sich unser Arzt mit Leib und Seele in die Arbeit. Zu Beginn kooperierte er ohne allzu grosse Begeisterung mit Dr. Lipo aus Jerusalem, Spezialist für die Behandlung von Verletzungen an den Beinen und Füssen infolge von arterieller Insuffizienz. Drei Monate später und nach einem Autounfall, der ihn beinahe das Leben gekostet hätte, beschloss er, seine Arbeit in Jerusalem nicht fortzusetzen und wieder in den Kollel einzutreten. Dabei hatte er aber nicht mit der Hartnäckigkeit der Rabbiner gerechnet, die ihn veranlassten, seine eigene Praxis im Herzen von Israel zu eröffnen, in der Nähe seines Wohnorts Raanana. Sehr schnell wurde Dr. Chouraqui aufgrund seines guten Rufs, der ihm vorauseilte, täglich von rund dreissig Patienten «überrannt», die alle dasselbe Leiden aufwiesen und aus allen Teilen des Landes kamen. Doch nach einem Jahr musste Dr. Chouraqui umziehen, da sich die Nachbarn über den Lärm beklagten: zu jeder Tages- und Nachtzeit trafen vor dem Haus Ambulanzen mit den Kranken ein. Er fand eine Wohnung mit einer Fläche von 80m2, die er zusammen mit einem Freund in ein kleines Spital mit einem Warteraum und drei Behandlungs¬zimmern verwandelte. Nach einem Jahr war aber auch dieser Ort zu klein geworden und er bezog die aktuellen Räumlichkeiten.
Ein Besuch in dieser Praxis erweist sich als äusserst erbaulich. In einem Raum, der kaum mehr misst als 40 m2, sitzen während Stunden zwischen 30 und 50 Personen, eine Infusion im Arm. Für einen Laien und Nichtmediziner ist der Anblick der manchmal bis auf die Knochen offenen Wunden recht eindrücklich und offenbart die unermessliche Arbeit von Dr. Chouraqui.

Wir möchten das Ausmass Ihrer Aufgabe besser verstehen. Können Sie uns ein Beispiel anführen für Ihren neuartigen Ansatz, der den herkömmlichen, vorschnellen Lösungen in Form einer Amputation widerspricht?

Zu einem gewissen Zeitpunkt bat man mich um meine Meinung über den Zustand des Beines eines kleinen, 12-jährigen Mädchens. Es war Orit Cohen, eines der in Kfar Darom bei einem Terroranschlag gegen einen Schulbus schwer verletzten Kinder (dieser Ort liegt im Gusch von Gaza). Die berühmtesten Mediziner Israels hatten sich für eine Beinamputation beim Mädchen ausgesprochen, die jedoch meiner Meinung nach nicht notwendig war. Da mir meine Ansicht nicht ausreichte, bat ich «Kav Le Haim» (Organisation für krebskranke Kinder) um Hilfe, um innerhalb einer Nacht andere ärztliche Diagnosen zusammen zu tragen, die ebenfalls von der beim Kind geplanten Amputation abrieten. Die Angelegenheit weitete sich aus und wurde in der Presse ausführlich diskutiert. Es war eigenartig, dass der bekannte Professor, der von der Höhe seines Wissens aus die Familie von der Notwendigkeit einer Amputation überzeugt hatte, plötzlich nicht mehr operieren wollte, als die kleine Orit auf dem OP-Tisch lag. Er hat die Beweggründe für seine Entscheidung nie erklärt. Als die gesamte israelische Presse ihn auf unsere Anregung dazu befragen wollte, antwortete er nur: «Wir sind auch nur Menschen, wir können uns mal irren…». Diese Episode ist ein typisches Beispiel für ein klassisches Problem, das nicht nur in Israel, sondern überall auf der Welt sehr verbreitet ist, insbesondere in den Industrieländern: die voreilige Lösung der Amputation. In den Entwicklungsländern gibt es oft keine andere Möglichkeit als zu amputieren; hier handelt es sich nicht um eine technische Frage, sondern um eine Frage der fehlenden Mittel und des nackten Überlebens. Der Beweis für diese Behauptung zeigt sich in den Zahlen, denn seitdem wir dieses Problem in Israel ans Tageslicht brachten, haben wir die Zahl der amputierten Gliedmassen um über 25% senken können! Zu mir kommen Kranke aus aller Welt, was deutlich beweist, dass dieses Problem nicht nur in Israel ein Thema ist. Immer mehr Ärzte unterstützen uns in unserem Ansatz, darunter auch Professor Itamar Raz, Inhaber des Lehrstuhls für Diabetologie in Israel, der insbesondere erklärte: «Wir arbeiten nicht gern an einem Bein, das erbärmlich riecht, dem Patienten schreckliche Schmerzen verursacht und eine langwierige, repetitive, anstrengende und vornüber gebeugte Tätigkeit von uns verlangt». Und dies beschreibt in wenigen Worten genau das, was wir tun, und es stimmt, dass ein grosser Teil unserer Arbeit aus dem mühseligen Reinigen der Wunden besteht – dank dem wir das Bein retten können.

Können Sie uns auf sehr vereinfachte Weise die technische Seite erklären und uns erläutern, wie die Behandlung tatsächlich abläuft?

Ein Patient, der erstmals in meine Praxis kommt, wird zunächst fotografiert (wir besitzen eine der weltweit grössten Sammlungen von Aufnahmen vaskulärer Wunden), bevor wir ihn auf vaskulärer und infektiöser Ebene behandeln. Im vaskulären Bereich kann kein Kranker in unseren Kreislauf aufgenommen werden, wenn zuvor nicht ein Doppler erstellt wurde (Messung der Blutzirkulationsgeschwindigkeit durch Dopplereffekt – Geschwindigkeitsmessung), was den vaskulären Index für seine Beine ergibt. Wir befragen ihn zu seinen klinischen Symptomen, wie z.B. das Kribbeln in den Beinen und andere Zeichen der neurologischen Pathologie in Bezug auf Diabetes. Es handelt sich um Symptome, die wir alle erkennen können, wie Krämpfe, das Hinken beim Gehen, ein brennendes Gefühl an den Beinen in einer kalten Umgebung usw. Diese Phänomene, insbesondere das Kribbeln und Prickeln in den Beinen, sind liegend viel deutlicher zu fühlen. In der Regel sind diese Wahrnehmungen das Ergebnis eines sehr starken Drucks in den Beinen, der zur Verschliessung der kleinen Kapillaren führt (feinste Blutgefässe, letzte Verästelungen des Kreislaufsystems, die Arteriolen und kleinste Venen miteinander verbindet). Ich habe entdeckt, dass durch eine Veränderung des orthostatischen Blutdrucks die von uns verwendeten gefässerweiternden Mittel, wie Ilomedin oder Prostaglandin (3. Generation) in winzigen, stark verdünnten (fast 1:10) Dosen, besser wirken, so dass deren Nebenwirkungen umgangen werden können. Es traten keine allergischen Reaktionen gegen die verwendeten Produkte auf und mir sind auch keine anderen Fälle von Allergien bekannt. Das vaskuläre Problem ist demnach von höchster Bedeutung, denn wenn wir die Patienten früh genug sehen, können wir die zweite Phase des Leidens vermeiden, die Infektion. Bevor ich aber auf diesen Aspekt eingehe, möchte ich betonen, dass eine vaskuläre Behandlung mit den oben erwähnten Mitteln den Patienten so auf eine Angiographie vorbereiten kann, dass Vorfälle mit dem Platzen bestimmter Blutgefässe infolge der Ausdehnung des in das Gefäss eingeführten Dilatators vermieden werden. Es handelt sich eigentlich um eine Stärkung der Arterien und Gefässe vor dem Katheterisieren. In gewissen Fällen ermöglicht unser System eine Umgehung des Katheterisierens, da wir schon aufgrund dieser regelmässigen Dilatation zufrieden stellende Ergebnisse erzielen. Die Frage der Vaskularisierung ist demnach äusserst wichtig; wir hatten Patienten mir riesigen offenen Wunden an den Beinen, die dank der Tatsache, dass sie wieder eine normale Blutzirkulation erlangten, nicht nur geheilt wurden, sondern auch keinen Rückfall erlitten.

Können Sie auch im Ausland lebende Menschen behandeln?

Dies erweist sich als schwierig, denn der Patient muss regelmässig in meine Praxis kommen. Ich kann Ihnen aber den Fall eine Dame zitieren, die im Krankenhaus Saint-Antoine in Paris hospitalisiert war und deren grosser Zeh so stark angegriffen war, dass die Ärzte ihn amputieren wollten. Man muss sich vor Augen führen, was eine derartige Operation neben dem physischen Trauma auch auf psychologischer Ebene bedeutet. Ich wurde nach Paris zu dieser Patientin gerufen, um die Situation zu beurteilen. Die Frau kam zwei Tage später mit mir nach Israel und innerhalb eines Monats hatten wir die Infektion des Knochens (Osteomyelitis) behandelt und sie konnte mit vollständigem Fuss wieder abreisen. Die französischen Ärzte waren so überrascht, dass sie ein Scanning ihrer Zehen erstellten und zum Schluss kamen, dass der Knochen vollkommen geheilt war und ein normales Knochengewebe aufwies. Diese Patientin erhielt neben der Behandlung mit Antibiotika während eines Monats einmal täglich eine Ozontherapie. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Ozontherapie, die so lange von vielen Ärzten verteufelt wurde, heute Gegenstand zahlreicher Untersuchungen und Anwendungen ist.

Der zweite Aspekt Ihrer Intervention findet folglich in Bezug auf die infektiöse Ebene statt. Welche Technik wenden Sie bei der Behandlung an?

Da wir vor einem vaskulären Problem stehen, verkörpert jede Infektion im Fuss für die Bakterien eine Art «leckere Suppe», die vom zuckerhaltigen Milieu bei einem Kranken ohne Abwehrkräfte bis zur ungenügenden Vaskularisierung reicht. Daher haben wir eine Statistik über die Bakterien erstellt, die für diese Probleme verantwortlich sind. Die Pseudomonas beispielsweise steht zuoberst, was die Schwere der Auswirkungen betrifft, doch gilt an und für sich nicht als das grösste Problem, denn eine gute Vaskularisierung des Fusses ist ausreichend, damit sie sich selbsttätig behandelt und keine Antibiotika eingesetzt werden müssen. Der bakteriologische Abstrich ist von grosser Bedeutung. Er muss mit besonderer Sorgfalt vorgenommen werden, denn ein Labor mit ausreichend Erfahrung kann die zu behandelnden und nicht zu behandelnden Keime unterscheiden. Wir haben eine Reihe von Techniken entwickelt, die eine Identifikation des vorherrschenden Keimes ermöglichen, der nicht unbedingt auch der am stärksten infizierende sein muss, denn es liegen oft Multiinfektionen vor (Klebsiella, Proteus, B-Streptokokken, Staphylokokken usw.). Es leuchtet daher ein, dass die Antibiotika-Behandlung wesentlich ist. Wir machen alle 2 Wochen einen Bakterienabstrich in der Wunde, und zwar so tief wie möglich, bis hin zur Knochenentnahme, um auf diese Weise ein umfassendes Bild der Infektion zu erhalten. Wir nehmen keine Lokalanästhesie vor, da Diabetiker eine so genannte «neurologische Pathologie» aufweisen, die zu einer Betäubung des Fusses führt. Falls aber eine Lokalanästhesie notwendig ist, führen wir sie natürlich durch. Die Probleme mit den Schmerzen treten hinterher, in der Mitte der Behandlung wieder auf; wenn die Empfindungsfähigkeit in den Fuss zurückkehrt und der Patient schmerzempfindlich wird, stellt dies für uns ein sehr positives Zeichen dar, denn es bedeutet, dass der Fuss wieder lebt.

Werden Ihre Behandlungen von den israelischen Krankenkassen übernommen?

Es wird nur der erste Besuch bezahlt, doch hier treten Unterschiede zwischen den verschiedenen Krankenkassen des Landes auf. Der Rest der Behandlung gilt als privat und muss vom Patienten finanziert werden. Deswegen bin ich ständig auf der Suche nach finanziellen Mitteln. Ich habe mit einem weiteren schwer wiegenden Problem zu kämpfen, denn in jeder Region sind spezielle Ärzte für die Verteilung der Antibiotika zuständig, und sie allein entscheiden willkürlich darüber, wer sie bekommt. Zur Veranschaulichung meiner Worte möchte ich das Beispiel eines Kranken zitieren, der an einer Pseudomonas-Infektion litt, bei der dreimal täglich eine Antibiotika-Infusion zu je ca. 105.- Schekel pro Behandlung erforderlich ist, ganz zu schweigen von den Kosten für die Krankenpflege; insgesamt betragen die Kosten fast 450 Schekel pro Tag, d.h. ungefähr US$ 100.-, und dies einen Monat lang. Von meiner lokalen Kundschaft kann sich fast niemand eine solche Behandlung leisten. Wir haben also eine Vereinigung gegründet, welche die Behandlung der Menschen übernimmt, die sie nicht selbst zahlen können. Wohlhabende Leute haben keine Probleme, denn sie übernehmen die Kosten selbst. Wir verfügen über eine Antibiotika-Behandlung, die aus finanziellen Gründen nicht angewendet wird. Doch das Retten eines Beines beläuft sich nur auf rund 30'000 Schekels, während eine Amputation und ihre Konsequenzen die Gesellschaft innerhalb von 10 Jahren fast 1 Million Schekel kostet! Dazu kommt die Tatsache, dass der Mensch, dessen Bein wir gerettet haben, in den meisten Fällen seine Arbeit wieder aufnehmen kann und für die Gesellschaft und den Staat wieder produktiv wird, anstatt eine Belastung darzustellen.

Wir haben erfahren, dass Sie sich nicht damit begnügen, die Ärmsten unter Ihren Patienten zu behandeln, sondern dass Sie diese auch ernähren. Worum geht es bei dieser Aktion der Nahrungsmittelverteilung, um die Sie sich kümmern?

Eines Tages traf ein Kranker bei uns ein, der an der Ferse eine bis auf den Knochen offene Wunde aufwies. Als ich den Zustand seines Fusses sah, war ich sehr skeptisch im Hinblick auf die Heilungsaussichten. Ich äusserte meine Zweifel ihm gegenüber. Er war natürlich sehr enttäuscht, und die Familie, die ihn begleitet hatte, begann mir alle Schande zu sagen und bezeichnete mich insbesondere als unfähig. Ich forderte die Familie dann energisch auf, das Gebäude zu verlassen, und erklärte dem Patienten seine Situation und die effektiven Heilungschancen. Er beschloss das Risiko auf sich zu nehmen und die Behandlung bei mir zu wagen. Ich stand noch am Anfang meiner Tätigkeit in Israel, meine Arbeitsbedingungen waren sowohl auf technischer Ebene als auch in Bezug auf die Räumlichkeiten und das Personal sehr schwer. Ich verfügte nur über einen einzigen Krankenpfleger, Mosche, der noch heute hier ist. Ich konnte das Bein des Mannes retten. Beim Verlassen der Klinik fragte er mich, wie er mir seine Dankbarkeit zeigen könne. Ich riet ihm, in die Synagoge zu gehen, sich zur Torah rufen zu lassen und das Gebet von Gomel aufzusagen, den Dankessegen an den Herrn, als Er uns aus einer besonders gefährlichen Lage das Leben rettete. Er antwortete mir, dass dies nichts für ihn sei, da er weder gläubig noch fromm sei. Ich fragte ihn nach seinem Beruf, und er erwiderte, er sei Gemüsehändler in Bat Yam. Da gab ich ihm den Rat, einen Rabbiner aufzusuchen, der ihm eine Not leidende Familie in Bat Yam angeben werde, der er einmal im Monat Gemüse schenke könne. Am darauf folgenden Donnerstag fuhr er mit einem Lastwagen auf den Parkplatz meiner Praxis und lud Kisten mit Obst in mein Wartezimmer. Er stellte seine Ware ab und sagte mir beim Weggehen: «Du wirst schon jemanden finden, dem du die Früchte geben kannst». Angesichts der riesigen Mengen haben meine Mitarbeiter und ich die Kisten ins nächste Rabbinat geschleppt. Unterwegs kam mir die Idee, Raw Sissa in Herzliah aufzusuchen, der eine Synagoge von mausarmen Juden aus Tripolis leitet, und er freute sich sehr. Dann tauchte – welch Überraschung – mein Gemüsehändler am nächsten Donnerstag wieder mit einer Ladung auf und sagte: «Ich habe mich mit meinem Geschäftspartner abgesprochen, wir werden jede Woche wieder kommen!». Ich rief mehrere Rabbiner an und bat sie, mir die Namen von Familien in Geldnöten zu faxen. Zusammen mit drei Freunden haben wir die Verteilung der Ware organisiert, und nach einiger Zeit schickten mir die Rabbiner neue Listen. Ich ersuchte meinen Freund darum, mir mehr Obst und Gemüse zu liefern, was er mit grossem Vergnügen tat. Er ging auf den Markt, wo sich zahlreiche Händler einverstanden erklärten, Nahrungsmittel zu verschenken. An jedem Donnerstagabend packe ich nun mit Freunden Kisten ein und verteile das, was mein ehemaliger Patient uns gebracht hat, an rund zwanzig Familien.

Wieviele Familien unterstützen Sie gegenwärtig?

Nach drei Monaten haben wir eine Vereinigung gegründet, um diese Verteilung in geordnete Bahnen zu lenken. Der Ehemann meiner Sekretärin willigte ein, sich um die gesamte Organisation zu kümmern. Mit der Zeit verlängerte sich die Liste der «Stammkunden» auf rund hundert Familien pro Woche. Darüber hinaus kümmern wir uns um Jugendliche, die vom rechten Weg abgekommen und auf der Strasse gelandet sind; wir bieten ihnen in einem kleinen Moschaw bei Raanana Kost und Logis an, wo sie auch umerzogen werden, wo sie einen Beruf lernen und fromm werden. Dies hat dazu geführt, dass heute fünfzig junge Leute wieder ein anständiges Leben führen, als vollwertige Mitglieder in die israelische Gesellschaft integriert wurden und gar selbst Familien gegründet haben, da wir im letzten Jahr 25 Eheschliessungen feiern konnten. Unsere Aktion wird fortgesetzt, denn heute vertrauen neben den 50 Jugendlichen auch rund 100 Familien auf uns, um den Schabbat und die Woche mit korrektem Essen zu verbringen. In bestimmten Fällen liefern wir auch Materna-Milch, Baby-Windeln und, vor allem im Winter, Kleider.
An jedem Donnerstagabend stehen unsere Kisten bereit für die Verteilung. Sie werden von unseren Kindern gepackt, darunter auch von meiner 14-jährigen Tochter und ihren Freundinnen, die zum grössten Teil zu den von uns unterstützten jungen Leuten gehören. Am Ende des Abends werden die Kartons von erwachsenen Freiwilligen abgeholt und verteilt.

Dr. Chouraqui ist weit mehr als einfach Arzt. Sein Vorbild erinnert uns daran, dass Israel nicht nur aus Politik, Wirtschaft und Religion besteht, sondern aus einer Gemeinschaft von phantastischen Menschen, für die Nächstenliebe kein Fremdwort ist. Dr. Schmuel Chouraqui achtet weder auf die Anstrengung, noch auf seine Müdigkeit oder seine Zeit. Man kann sich ohne weiteres vorstellen, dass einer seiner Assistenten am Ende eines mit Arbeit voll gepackten Tages, an dem er sich nach Kräften für das Wohl seiner Patienten eingesetzt hat, zu ihm kommt und den Titel des berühmten Buches von Gilbert Cesbron über Dr. Schweitzer in einer Variante zitiert: «Es ist Mitternacht, Dr. Chouraqui…».

(Fotoreportage: Bethsabée Süssmann)