Yuval Steinitz
Von Roland S. Süssmann
In den ersten Jahren der Publikation von SHALOM hatten wir eine Rubrik unter dem Titel «Junge Leader in Israel» ins Leben gerufen, in der wir junge Politiker, Ärzte, Forscher, Musiker, Unternehmer usw. vorstellten. Wir hatten für diese Artikel insbesondere Benjamin Begin, Ehud Olmert und Benjamin Netanyahu interviewt. Heute möchten wir diese Chronik weiterführen: unser erstes Porträt ist YUVAL STEINITZ gewidmet, dem Präsidenten des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung in der Knesset.
Steinitz wurde 1958 geboren und erlangte die Doktorwürde in Philosophie an der Hebräischen Universität von Jerusalem und an der Universität von Tel Aviv. Er lehrte zwei Jahre lang Philosophie an der Hochschule von Haifa und veröffentlichte vier Werke über Philosophie, von denen «Invitation to Philosophy» in Israel sehr erfolgreich war und in 24 Auflagen erschien. Yuval Steinitz hat ausserdem zahlreiche Artikel in der grossen nationalen und internationalen Presse publiziert, einschliesslich der New York Times; seine bevorzugten Themen befassen sich mit der strategischen Position Israels, den strategischen Überlegungen der Araber und den Beziehungen zwischen den israelischen Medien und der Demokratie. Er ist traditionalistischer, aber nicht frommer Jude, verheiratet und Vater von drei Kindern.

Sie nehmen heute eine wichtige Position auf der parlamentarischen Bühne in Israel ein. Wie sind Sie zur Politik gekommen?

Ich habe nicht die herkömmliche Laufbahn absolviert, da ich aus der akademischen Welt komme. Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts habe ich eine Reihe von grundlegenden Veränderungen durchgemacht, deren wichtigste mein Wechsel vom linken ins rechte Lager darstellte. Während den 1980er Jahren gehörte ich als aktives und bedeutendes Mitglied der Bewegung «Frieden jetzt» an, nahm an vielen Demonstrationen teil, sowohl für den Friedensprozess als auch für die Schaffung eines Palästinenserstaates. Erst ein Jahr nach der Unterzeichnung der Osloer Verträge, jedoch noch vor dem Einsetzen der erneuten Terrorwelle, wurde mir bewusst, dass es sich eigentlich nicht um einen Friedensprozess handelte, sondern um eine Entwicklung in Richtung Krieg. Mir wurde ebenfalls klar, dass die Idee, Land gegen Frieden einzutauschen, völlig sinnlos war und dass für Arafat und die Palästinenser diese Formel in Wirklichkeit bedeutete: «Land im Tausch gegen Krieg, Terrorismus und Aufruf zu Hass». Ende 1994 begann ich also alle meine Überzeugungen über Bord zu werfen und wechselte von der Bewegung «Frieden jetzt» zum Likud, wo ich Benjamin Netanyahu unterstützen wollte. Ich befand mich zu jenem Zeitpunkt in einer recht schwierigen Lage, da wir uns in einer Phase der Euphorie befanden und ständig an irgendwelchen Feiern mit Arafat teilnahmen. Meine Freunde verstanden mich nicht. Erst ein Jahr später, als die Selbstmordattentate sich immer mehr häuften, stiess ich auf ein wenig mehr Verständnis. Ich war das erste Mitglied aus dem akademischen Milieu und der erste Linksaktivist, der öffentlich den Fehlschlag des Osloer Prozesses eingestand. Ich war in der Tat der erste überzeugte Verfechter von Oslo, der seine Meinung radikal und in aller Öffentlichkeit geändert hatte. Die zweite bedeutende Umwälzung in meinem Leben fand 1999 statt, als ich beschloss, die Universität zu verlassen und in die Politik einzutreten. Mein Hauptbeweggrund, der mich zu diesem Schritt veranlasste, bestand aus der Tatsache, dass mir das Schicksal Israels und die Fragen der Sicherheit, die z.T. die politische Debatte an sich bei weitem übersteigen, sehr am Herzen lagen. Ich wurde 1999 in die Knesset gewählt und zum Leiter des Unterausschusses für Verteidigungsplanung ernannt, den ich drei Jahre lang geführt habe. An den letzten Wahlen erreichte ich den neunten Platz auf der Likud-Liste und wurde an die Spitze des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung der Knesset berufen.

Sie haben demnach eine tief greifende Veränderung durchgemacht?

Eher auf pragmatischer als auf ideologischer Ebene. Mir waren die Gefahren bewusst geworden, die uns durch die Art und Weise drohten, wie die links stehenden israelischen Regierungen die Osloer Verträge behandelten, indem sie alle arabischen Überschreitungen im Bereich der Rüstungskontrolle und alle Aufrufe zum Hass bei der Jugend und in den Schulen ignorierten. Irgendwann ging ich davon aus, dass schon nur die Fortführung des Osloer Prozesses eine ernsthafte Gefahr darstellte, und zwar nicht nur für unsere Sicherheit, sondern auch für unsere Existenz. Durch meinen Eintritt in den Likud wollte ich zur Suche nach Lösungen beitragen, um den Schaden vielleicht in Grenzen zu halten. Mit diesem Gedanken haben wir anlässlich der Verhandlungen von Wye den Begriff der Gegenseitigkeit eingeführt, der in der Terminologie von Oslo völlig fehlte. Die Abkommen wurden letztendlich ja nicht verwirklicht, weil unser Vertragspartner seine Verpflichtungen nicht einhielt. In der berühmten «Road Map», der ich mit vielen Vorbehalten gegenüber stehe und die wir nie hätten akzeptieren sollen, stellt übrigens der Begriff der Gegenseitigkeit einen Grundpfeiler dar, um den herum der Plan konzipiert wurde.

Was halten Sie von der Idee des Premierministers betreffend einen einseitigen israelischen Rückzug?

Es handelt sich hierbei um einen Gedanken, den wir so oder so berücksichtigen sollten. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir kein Gegenüber haben. Wenn wir die Natur und die jüdische Mehrheit im Staat Israel aufrechterhalten wollen, müssen wir uns von der arabischen Bevölkerung trennen, brauchen jedoch auch unbedingt grosse territoriale Sicherheitszonen, um uns verteidigen zu können. Die einzige Möglichkeit, diese beiden Bedingungen miteinander zu kombinieren, besteht aus einem einseitigen Rückzug. Wenn sich eine derartige Bewegung auf die Zone von Gaza allein beschränken sollte, würde ich sie durchaus unterstützen. Auch wenn die von uns eventuell evakuierten Gebiete von den Arabern benutzt würden, um aufzurüsten, stünden wir aufgrund der Topographie dieses Gebiets nicht vor einem grösseren Sicherheitsproblem, welches das gesamte Land beträfe. Ganz anders ist es in Judäa und Samaria, denn wenn die Araber von einem einseitigen Rückzug profitieren, um iranische Waffen zu importieren oder um eigene Waffen herzustellen, wären hiervon Jerusalem und Tel Aviv bedroht.

Wie wird sich Ihrer Ansicht nach die Situation in Bezug auf Sicherheit entwickeln?

Ich glaube, dass wir auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig handeln müssten. Zunächst wäre es unumgänglich Arafat nach Tunis auszuweisen und ihn persönlich zu betrafen, wenn schon nicht für seine Verbrechen, dann wenigstens für die Verletzung internationaler Abkommen. Dann müssten wir unsere Positionen in Judäa und Samaria verstärken und parallel dazu den Palästinensern die Möglichkeit geben, während einer 4-jährigen Probezeit unter Beobachtung in Gaza eine provisorische Körperschaft zu schaffen. Danach könnte, wenn sich ein Trend zu einer friedlichen Koexistenz abzeichnete, ein neuer Verhandlungsprozess ins Auge gefasst werden. Wenn wir jedoch einen Anstieg des Terrors und der Kriegshandlungen feststellen sollten, würden wir sie aufs härteste bekämpfen. Ich denke, dass sie es verstehen würden, wenn wir unsere Positionen dann bekräftigten und sie links liegen liessen. Ich bin also für einen auf Gaza beschränkten, einseitigen Rückzug, der Symbol für eine Botschaft der Entschlossenheit und der Stärke wäre und eine Art Strafe darstellte für die politische Spitze der Palästinenser, weil sie ihre durch Unterschrift eingegangene Verpflichtung gebrochen haben. Bestünde aber der Vorschlag darin, eine Reihe von Siedlungen in Judäa–Samaria zu verlassen, wäre ich dagegen. Darüber hinaus würde ein Rückzug aus Gaza auch nicht bedeuten, dass alle jüdischen Bewohner umgesiedelt werden müssten. Der Fall jeder einzelnen Ortschaft müsste in Bezug auf Sicherheitsüberlegungen überdacht werden. Ich glaube, dass die einseitige Rückzugsbewegung, wie sie der Premierminister vorschlug, den ersten Nagel im Sarg der «Verträge» von Genf darstellte. Man muss sich klar machen, dass diese Initiative extrem gefährlich ist und direkt auf die Vernichtung des Staates Israel zuführen würde, wenn man sie auch nur ansatzweise umsetzte. Es ist nämlich überhaupt keine Friedensinitiative, sondern ein Plan, der eine neue Etappe des Konflikts in die Wege leiten möchte. Es besteht kein Zweifel daran, dass die «Verhandlung» über die Zahl der arabischen Flüchtlinge, die sich in Israel niederlassen dürften, ein sofortiger Auslöser von bewaffneten Konflikten wäre. Ausserdem wurde diese Initiative mit Hilfe einer stark verkürzten Präsentation als eine «Friedens¬initiative» dargestellt, obwohl es sich in Wirklichkeit um eine Krieg fördernde Initiative handelt.

Im Laufe des Jahres 2003 fanden im Nahen Osten einige wichtige Änderungen statt. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Sie wirkt auch heute noch recht unübersichtlich und es ist noch viel zu früh, um zu beurteilen, ob Syrien oder Iran ihre Politik wirklich umgestellt haben. Wir wissen noch nicht, ob es nichts anderes ist als neue langfristige strategische Entscheidungen oder eine Reihe taktischer Schachzüge, mit denen man sich vom Druck der USA befreien will. Was Libyen betrifft, hat sich bereits gezeigt, dass die politische Führung eine Wahl getroffen hat, die einer radikalen politischen und strategischen Veränderung entspricht. Den Erklärungen folgten konkrete Taten in Bezug auf Abrüstung, Bekämpfung des Terrorismus oder auch Entschädigung der Opfer des Anschlags auf den Flug Pan Am 103. Es ist demnach durchaus denkbar, dass es Libyen ernst meint. Genau das Gegenteil ist in Syrien der Fall: dieses Land hat Verhandlungen mit uns eigentlich nie abgelehnt, sofern wir ihre Bedingungen von Anfang an alle akzeptieren. In meinen Augen müsste Assad, um seine neue Einstellung glaubwürdig zu vermitteln, dem Vorbild von Präsident Sadat folgen und in der Knesset seine Zustimmung zu einem jüdischen Staat im Nahen Osten verkünden. Zurzeit hat Syrien kein einziges Büro einer Terrororganisation in Damaskus geschlossen, es hat weder den Hizbollah entwaffnet, der seinen Sitz im Libanon hat, noch seine Verantwortung bei der Unterstützung des internationalen Terrorismus in Vergangenheit und Gegenwart zugegeben. Gegenwärtig stellt Irak keine Gefahr für Israel dar, was aber nicht bedeutet, dass das Land in fünf Jahren nicht immer noch feindlich uns gegenüber eingestellt ist, selbst wenn es zu einer westlich ausgerichteten Demokratie wird. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die neue irakische Luftwaffe bis dann amerikanische Kampfflugzeuge besitzt und zu einer Bedrohung für Israel wird, wie heute Saudi Arabien und Ägypten.

Glauben Sie im Ernst, dass Ägypten eine Bedrohung für Israel darstellt?

Ja, und zwar eine der gefährlichsten für uns! Ägypten verfügt über ein riesiges Arsenal an konventionellen Waffen und vertritt eine zutiefst israelfeindliche Politik. Der Aufruf zum Hass, der sowohl über die Regierungspresse als auch über andere Kanäle erfolgt, ist extrem heftig und offen antijüdisch. Die Gehirnwäsche der Offiziere in der ägyptischen Armee beruht auf einer einzigen Losung: «Haltet euch bereit für einen bewaffneten Konflikt gegen Israel». Ägypten symbolisiert übrigens hervorragend die Frage der Demokratisierung im Nahen Osten und einer grundsätzlichen Revision der Einstellung und der Beziehungen mit der westlichen Welt im Allgemeinen und mit Israel im Besonderen.

Sie sind sich der Gefahren anscheinend sehr wohl bewusst. Was unternehmen Sie zu Ihrem Schutz?

Zu dieser Frage gibt es mehrere Antworten. Die erste betrifft die Nachrichten¬dienste, die zweite die Aufrüstung direkt. Einer der wichtigsten Aspekte hat damit zu tun, wie wir die vom Nachrichtendienst gelieferten Informationen verarbeiten und wie dieser Dienst funktioniert. Früher bestand unser Ziel in erster Linie darin, Informationen über das militärische Potential der direkten Nachbarländer zusammen zu tragen, vor allem um dadurch Überraschungsangriffe auszuschliessen. Wir richteten unser Augenmerk nicht speziell auf Länder wie Libyen, Iran oder Saudi Arabien, denn letztendlich hätten diese Staaten im Falle eines Konflikts unseren unmittelbaren Feinden nur Hilfstruppen liefern können. Heute haben sich die Anforderungen verändert angesichts des Vorhandenseins von Marschflugkörpern mit nuklearem Gefechtskopf. Länder aus der zweiten oder dritten Zone, die keine direkte Grenzlinie zu uns aufweisen, könnten zu einer überaus grossen Gefahr für uns werden. Wir sind daher gezwungen, sowohl unsere Arbeitsweise anzupassen als auch die Doktrin unseres Nachrichtendienstes. Es geht darum zu wissen, wie ein kleines Land wie Israel, das schliesslich nur über beschränkte Mittel verfügt, sich möglichst viele Auskünfte über immer mehr Länder und in immer zahlreicheren Bereichen verschaffen kann.
In Bezug auf die Ausrüstung der Armee, hat Israel im Verlauf der 80er Jahre, als das Kampfflugzeug Lavie aufgegeben wurde, den strategischen Entschluss gefasst, keine schweren Waffen mehr zu bauen. Unsere Militärindustrie sollte sich von nun an vermehrt auf die Herstellung von Subsystemen konzentrieren, wie beispielsweise taktische Raketen aller Art (Boden-Luft, Luft-Luft, Luft-Boden, Meer-Meer, Meer-Land, Raketenabwehr, Panzerabwehr usw.), elektronische Waffen und andere. Es war beschlossen worden, dass wir in diesen Bereichen nicht nur den Vorteil gegenüber unseren feindlichen Nachbarn bewahren würden, sondern auch dass unsere Produkte die besten der Welt sein würden. Heute stehen wir vor einem grossen Problem, denn Länder wie Ägypten und Saudi Arabien erhalten dieselben Flugzeuge, Panzer und Helikopter geliefert wie unsere Streitkräfte. Ein kleines Land wie Israel ist gezwungen, ständig einen entscheidenden qualitativen Vorteil zu wahren, vor allem angesichts der umgebenden Nationen. Man darf nicht vergessen, dass das Verhältnis gegenwärtig 1 Israeli zu 60 Bewohnern eines arabischen Nachbarstaates beträgt. Unsere einzige Möglichkeit ein Gegengewicht zu schaffen liegt darin, immerwährend technisch an der Spitze zu stehen. Daher ist das amerikanische Kampfflugzeug F-16, das nach Ägypten verkauft wird, nicht mehr dasselbe, sobald es einmal mit unserer Elektronik ausgerüstet wurde. Jedes Flugzeug unserer Militärflotte verfügt über eine Ausrüstung, die eine oder zwei Generationen Vorsprung auf die neuesten amerikanischen Produkte besitzt, die oft an arabische Länder verkauft werden. Die Luftstreitkräfte Ägyptens und Saudi Arabiens führen gemeinsame Manöver durch und besitzen ein viel grösseres Flugzeugarsenal als wir; dennoch ist ihnen die «Israel Air Force» weitaus überlegen. Wir haben eine einzige Ausnahme für den Panzer Merkava gemacht, der heute als der beste weltweit gilt und in jeder Hinsicht dem raffiniertesten amerikanischen Panzerfahrzeug und den deutschen Produkten überlegen ist. Die Merkava III und IV feuern mit unglaublicher Präzision und Kraft, sie verfügen über den besseren Schutz für die Soldaten und sind mit einzigartigen elektronischen Systemen ausgerüstet, so dass einige den Merkava IV ohne zu zögern mit einem von uns ausgerüsteten Kampfflugzeug vergleichen. Wir möchten aber die Zahl der Panzer in unserer Armee deutlich reduzieren, einerseits wegen der bemerkenswerten Effizienz der Merkavas, und andererseits weil wir über andere Waffentypen verfügen, welche die abgeschafften Panzer ersetzen könnten.
Ein weiteres sehr ehrgeiziges Projekt, an dem unsere Militärindustrie intensiv beteiligt ist, sieht die Entwicklung von Militärsatelliten vor; in diesem Bereich stehen wir hinter den USA weltweit an zweiter Stelle.
Und schliesslich werden wir eine neue Militärdoktrin in Bezug auf den Einsatz der Marine in unsere Verteidigungsstruktur einführen: die Idee besteht darin, das Mittelmeer zur Erweiterung unserer strategischen Tiefe zu benutzen. Es ist ein riesiges Projekt, das eine grundsätzliche Hinterfragung unseres gesamten nationalen Verteidigungskonzepts erfordert.