Jevrejski Istorijski Muzej
Von Roland S. Süssmann
Jedesmal, wenn ich ein Museum betrete, werde ich von der Erkenntnis überwältigt, dass jede einzelne dieser ehrwürdigen Institutionen eine Botschaft vermitteln möchte. Manchmal springt diese ins Auge - manchmal fällt sie diskreter aus - doch diese Botschaft ist immer vorhanden und wendet sich an den Besucher, dessen Aufmerksamkeit sie zu erregen sucht. Es wäre ein schwerwiegender Fehler, in den Schaukästen nur eine Ansammlung stummer Gegenstände zu sehen. Als ich das "JEVREJSKI ISTORIJSKI MUZEJ", das jüdische historische Museum von Belgrad, betrat, wollte ich natürlich in Erfahrung bringen, welche "Botschaft" auf mich wartete. Wie in zahlreichen Ländern Mittel- und Osteuropas entdeckte ich in den etwas angejahrten Mauern dieses Museums die Erinnerung an eine blühende jüdische Welt sowie den Beweis ihrer fast vollständigen Zerstörung. Die Botschaft konnte nicht deutlicher sein: "In diesem Land haben wir gelebt, gearbeitet, gefühlt, Glück und Leid erlebt - es gibt uns nicht mehr - vergesst uns nie."
Diese Spuren des jüdischen Beitrags zum Aufschwung Jugoslawiens sowohl auf wirtschaftlicher und politischer als auch auf künstlerischer und literarischer Ebene sind unübersehbar. Wie alle jüdischen Museen der Welt verfolgt das Museum in Belgrad auch ein didaktisches Ziel und bietet dem nichtjüdischen Besucher eine ganze Palette von Gegenständen und Erklärungen in Bezug auf jüdische Traditionen an, die den Lebensweg begleiten, von der Beschneidung über die Bar-Mitzvah und die Hochzeit bis zur Bestattung. Diese Ausstellung besteht übrigens aus Kultusobjekten, die in den Synagogen und Haushalten verwendet wurden und aus all den Orten stammen, wo es jüdische Gemeinschaften in Jugoslawien gab. Die meisten der ausgestellten Gegenstände gehen auf das 18. und 19. Jahrhundert zurück. Am Eingang des Museums befindet sich eine grosse dreidimensionale Landkarte, auf der die Standorte der jüdischen Gemeinden in Jugoslawien vor dem Auseinanderbrechen der Föderation eingezeichnet sind.
Innerhalb des jüdischen Museums von Belgrad ist aber die Zeit irgendwie stehen geblieben. In den Ausstellungen ist nämlich kaum vom heutigen Jugoslawien die Rede, das nur noch Serbien und Montenegro umfasst, sondern vielmehr von den jüdischen Gemeinden aus allen Teilen der ehemaligen jugoslawischen Föderation. Das Museum wurde 1948 als historische Abteilung der jüdischen Gemeinschaft gegründet und erst 1959 in ein eigentliches Museum verwandelt; zu diesem Zeitpunkt wurde der erste Teil der ständigen Ausstellung eröffnet. Letztere erfuhr 1969 eine Erweiterung und hat sich seitdem nicht mehr verändert. Auf dem gesamten Gebiet der früheren Föderation Jugoslawien existiert kein einziges anderes jüdisches Museum.
Im Verlauf der vergangenen 2'000 Jahre sind die Juden in mehreren Wellen nach Jugoslawien eingewandert. Dank archäologischen Funden konnte festgestellt werden, dass die Juden zur Zeit der Römer vor allem in den Gebieten von Mazedonien, Slowenien und Dalmatien lebten, jüdische Grabsteine wurden u.a. in Mursa bei Osijek, in Salona bei Split und in Stobi in Mazedonien gefunden. Bestimmte Anzeichen lassen die Vermutung zu, dass die Juden im Verlauf der Jahrhunderte ihr Leben immer gemäss den religiösen Regeln organisiert und dazu Institutionen gegründet haben, die ihnen ein Leben unter Einhaltung der rituellen Vorschriften ermöglichten. Neben den materiellen Spuren, die eine sehr frühe jüdische Präsenz beweisen (Synagogen, Häuser, Strassen, Friedhöfe), haben die Rabbiner der jüdischen Gemeinden in Slowenien auch Schriften hinterlassen, die uns heute einen Einblick in das Leben der Juden von damals gewähren. Im Allgemeinen wurden diese Zeugnisse in Form von "Responsa" veröffentlicht, die in Wirklichkeit die Antwort der Rabbiner auf die zahlreichen Fragen frommer Natur darstellten, die ihnen aus dem ganzen Land zugeschickt wurden. Diese Bücher, wahre Anthologien der Diskussionen über die Art und Weise, die Gesetze oder die jüdischen Traditionen in den verschiedenen Regionen zu befolgen, verkörpern die Grundlage der Forscher, welche die Geschichte und das Leben der Juden auf dem ehemaligen jugoslawischen Staatsgebiet verstehen wollen. So gab im Jahr 1925 der Rabbi H. Schulsinger eine Studie über die gesetzlichen und wirtschaftlichen Aspekte des jüdischen Lebens in Stajerska, Korsuka und Kranjska zwischen 1371 und 1496 heraus; Grundlage für seine These war ein vom Rabbiner Isrlein aus Maribor verfasstes Buch. Dasselbe gilt für Untersuchungen über das Leben der Juden in Sarajevo, Skopje, Bitolj, Stip usw. Ein 1884 in Livorno veröffentlichtes Werk mit Responsa, das sich auf das Leben der Juden von Split bezieht, gehört ebenfalls zum Inventar des Museums.
Die Geschichte der Juden in Jugoslawien ist ebenso reichhaltig und vielschichtig wie diejenige des Landes. Obwohl das religiöse Leben und die Traditionen durch die Jahre hindurch keine wesentliche Veränderung erfuhren, haben die verschiedenen Bewegungen, welche die Entwicklung der jugoslawischen Gesellschaft prägten, das jüdische Leben nachhaltig beeinflusst. Im Rahmen des Museums wird dies sehr deutlich anhand von Fotos und Bilder nachgewiesen, die hauptsächlich vom Beginn des 20. Jahrhunderts datieren. Zu dieser Zeit hatten sich zahlreiche jugoslawische Juden bereits assimiliert und emanzipiert, sie kleideten sich wie ihre nichtjüdischen Mitbürger. Nur eine verschwindend kleine Zahl von Sepharden hatte die traditionellen Kleider beibehalten, nämlich den "Tukado" für die Frauen und den "Fez" für die Männer. Auf den Fotos kann man mit Leichtigkeit erkennen, dass nur die betagten Menschen diese Kleidungsstücke tragen. Fotos aus Bosnien und Mazedonien wiederum zeigen, dass die älteren Männer den Fez bis zu Beginn der Schoah aufsetzten. Die Evolution der Kleidergewohnheiten wird auch auf dem Friedhof ersichtlich, wo bestimmte Gräber mit Fotos der Verstorbenen verziert sind.
Im Museum wird einem die Bedeutung der Bilder besonders bewusst, denn diese ermöglichen dem Besucher, den allmählichen Rückgang der Frömmigkeit und der Observanz religiöser Traditionen in Jugoslawien zu beobachten. Es besteht Einigkeit darüber, dass die allgemeine Schulpflicht, die Emanzipation der Frau und ihre allmähliche Integration in die Arbeitswelt nicht nur in der Entwicklung des Familienlebens, sondern auch beim Verzicht auf alte Traditionen eine entscheidende Rolle gespielt haben. In dieser Hinsicht kann man die interessante Feststellung machen, dass die jüdischen Vereinigungen im Gemeindeleben einen und auch bei der Bewahrung gewisser Gebräuche einen wichtigen Platz einnehmen. So genannte "humanitäre" Organisationen kümmerten sich um die Kranken. Natürlich kam auch der "Chewrah Kadischah", der Bestattungsgesellschaft, eine erstrangige Funktion zu. Doch neben den Gesellschaften, welche die Armen, die Kranken, die Sterbenden und die Toten betreuten, gab es auch eine ganze Reihe von Gruppierungen mit diversesten Aktivitäten, wie beispielsweise den Damenklub, verschiedene Sportvereine, Organisationen für jüdische Studien und sogar eine Gruppe namens "Oneg Schabbat", die es sich zum Ziel gesetzt hatte, sich nach Kräften für die Erhaltung der Traditionen einzusetzen. Das Gebäude, in dem die Räumlichkeiten dieser Vereinigung in Belgrad untergebracht waren, steht immer noch. Das Museum präsentiert auch einige Zeugenberichte im Zusammenhang mit den jüdischen Organisationen politischer Ausrichtung; die wichtigste von ihnen war "Haschomer Hazair", der zionistisch ausgerichtet und links stehend war. Obwohl einige Traditionen dank den jüdischen Vereinigungen gerettet werden konnten, ist es doch unbestritten, dass immer mehr jüdische Familien in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg nur noch ganz wenige Sitten und Gebräuche einhielten. Viele von ihnen besuchten die Synagoge nur noch zu ganz seltenen "hohen" Feiertagen und begingen höchstens das eine oder andere traditionelle Fest mit einem Mahl.
Ein grosser Teil des Museums befasst sich zwar mit dem Leben des Individuums und der Familie bei den jugoslawischen Juden, doch es existiert auch eine bedeutende Abteilung zur jüngeren Geschichte, die wiederum durch Fotos veranschaulicht wird. Die Tatsache, dass die Juden in den Rängen der Partisanen kämpften, darunter insbesondere Mosche Pijade, einer der engen Mitarbeiter von Tito, wird sehr deutlich dokumentiert. Dasselbe gilt auch für eine Gruppe von jüdischen Partisanen, die in einem Lager in Rab eine Brigade ins Leben gerufen hatten und sich dann dem Kampf gegen die Nazis und ihre einheimischen Komplizen anschlossen.
Der Besuch des Museums endet mit der Schoah, dem Massaker fast aller Juden von Jugoslawien und der Zerstörung der Synagogen und anderer Symbole der jüdischen Präsenz im ganzen Land. Eine Ecke ist auch den Persönlichkeiten vorbehalten, die nach der Schoah versuchten, das jüdische Leben neu aufzubauen.
In einem äusserst interessanten Buch über das Leben der Juden in Jugoslawien wird auf didaktisch wertvolle, präzise und intelligente Weise über ihre religiösen Traditionen sowie ihre Bekleidungs- und Ernährungsgewohnheiten berichtet. Ich möchte diesen Artikel mit einem Zitat abschliessen, das am Ende eines wichtigen Kapitels dieses Werks mit dem Titel "Observance of Tradition Among the Yugoslav Jews" steht und von der Autorin Milicia Mihailovic, der Kuratorin des Museums, stammt: "Nach dem Ende des Kriegs hatten sich die Menschen vollkommen verändert. Die kleine Gruppe der Überlebenden hatte ihre Frömmigkeit verloren. Nur einige Greise begaben sich noch in die Synagoge. Diejenigen, die den Traditionen treu bleiben wollten und das neue jüdische Leben ablehnten, wanderten zwischen 1948 und 1952 nach Israel aus. Die jugoslawischen Juden haben sich somit völlig von ihren religiösen Verpflichtungen gelöst. Als 1950 die Synagoge von der Solunska-Strasse in Belgrad, eines der ältesten Gebäude der Stadt, das bereits auf den Plänen des 18. Jahrhunderts zu finden ist, zerstört wurde, kam aus jüdischen Kreisen kein einziger Protest. Hatten sie es nicht bemerkt oder wollten sie diese Tatsache ignorieren? Vielleicht hofften sie, ihr Schweigen würde ihnen andere Vorteile verschaffen, deren sie dringender bedurften...?".
Ein Rundgang durch das "Jevrejski Istorijski Muzej" hilft dem Besucher, die Entwicklung und die Vernichtung der jüdischen Gemeinschaft in Jugoslawien besser zu verstehen. Die Ausstellungsobjekte und die Botschaft des Museums bringen vor allem Verzweiflung zum Ausdruck.
Das Museum wird in erster Linie von Akademikern besucht, die sich für jüdische Fragen und Geschichte interessieren, ab und zu auch von Schulen. Neben der ständigen Sammlung veranstaltet die Institution regelmässig wechselnde Ausstellungen zu jüdischen Themen, die in der Regel in der Öffentlichkeit regen Anklang finden. Darüber hinaus hat das Museum eine Reihe von historischen Werken herausgegeben, von denen eines besonders wichtig ist, da es vierzig Zeugenberichte von Überlebenden enthält, die elf während des Zweiten Weltkriegs benutzte Fluchtwege beschreiben.
KLADOVO
Das jüdische historische Museum von Belgrad veranstaltet regelmässig wechselnde Ausstellungen. Eine von ihnen trägt den Titel "Kladovo - Transport" und zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich mit der Ermordung in Jugoslawien von über tausend aus Österreich stammenden Juden während des Zweiten Weltkriegs befasst. Die Ausstellung zur Erinnerung an diese Ereignisse, die zunächst unter dem Titel Kladovo -Eine Flucht nach Palästina in Österreich gezeigt wurde, kam ins Nationalmuseum von Belgrad, weil sie zu umfangreich für das jüdische Museum von Belgrad war.
Doch was versteht man unter dem Transport von Kladovo? Es handelt sich um die Geschichte von Juden aus Wien und verschiedenen europäischen Ländern, die im Jahr 1939 vor der Verfolgung durch die Nazis fliehen und nach Israel auswandern wollten. Da sie wussten, dass Grossbritannien, das damals Palästina kontrollierte, nur ganz wenige Einreisegenehmigungen verlieh, beschlossen sie diese administrative Auflage zu ignorieren und aufzubrechen. Im Herbst 1939 schifften sich ca. 1000 Menschen für die Destination Palästina ein. Drei Schiffe, König Nikola II, König Dusan und Königin Maria wurden für diesen Fluchtversuch gechartert, der von zionistischen Jugendgruppen organisiert wurde. Bei Kladovo, einer Stadt an der rumänischen Grenze, war die Donau dermassen dick zugefroren, dass die Schiffe ihre Fahrt zum Schwarzen Meer nicht fortsetzen konnten. Die Reisenden mussten in Kladovo Halt machen, wo sie ab Ende 1939 zehn Monate lang auf ihren Schiffen wohnten. An dieser Stelle muss daran erinnert werden, dass das kleine Königreich Jugoslawien 1939 eines der letzten freien Staaten Europas war und dass sich die ansässige jüdische Gemeinschaft nach Kräften bemühte, um den von überall her eintreffenden jüdischen Flüchtlingen zu helfen. In Kladovo unternahmen die jugoslawischen Juden alles, um den auf ihren Schiffen festsitzenden Flüchtenden erste Unterstützung zukommen zu lassen und den weiteren Verlauf ihrer Reise zu organisieren. Doch die rumänischen Behörden verweigerten ihnen hartnäckig das Durchreiserecht. Im September 1940 wurden die Unglücklichen in die Stadt Sabac am Fluss Sava geschafft, die unter deutscher Besatzung stand. Die Männer wurden im nahen Dorf Zasavica sofort umgebracht, die Frauen und Kinder wurden im Februar 1942 auf einem Fussmarsch nach Belgrad getrieben. Im Mai desselben Jahres kamen alle in plombierten, mit einem roten Kreuz versehenen Lastwagen durch Vergasung ums Leben! Die Flüchtlinge des Transports von Kladovo gehörten in Jugoslawien zu den ersten Opfern der Schoah. 1051 starben in diesem Massenmord!