Eine riesige Herausforderung
Von Roland S. Süssmann
Israel besitzt eine neue Regierung, das beste Team seit langem steht nun an der Spitze des jüdischen Staates. Dieses eigentliche "Dream Team" wird von Ariel Sharon geleitet, dem der amtierende stellvertretende Premierminister zur Seite steht, EHUD OLMERT, der während fast zehn Jahren Bürgermeister von Jerusalem, Hauptstadt des jüdischen Volkes, war. Zu den anderen herausragenden Mitgliedern der Regierung gehören Benjamin Netanyahu, früherer Premierminister, Schaul Mofaz, früherer Generalstabschef, und Frau Limor Livnat.
Trotz seines übervollen Terminkalenders hat uns die zweithöchste Persönlichkeit des Staates, die von einigen - auch wenn diese Funktion in der israelischen Gesetzgebung nicht existiert - als "Thronfolger" des Premierministers bezeichnet wird, sehr herzlich zu einem exklusiven Interview empfangen: das Gespräch mit Ehud Olmert, Minister für Industrie, Handel und Arbeit, wird in den wesentlichen Punkten im Folgenden zusammengefasst.
Olmert beeindruckt vor allem durch seine Einfachheit, doch ebenso bestechend sind seine Intelligenz, seine Weitsicht und sein lebhafter Verstand. In einer Epoche, in der die Regierung die Wirtschaft zu ihrem Hauptanliegen erkoren hat, drängte sich eine Begegnung mit dem Mann ganz besonders auf, dessen Ministerium die Verantwortung für die Wiederbelebung zweier stagnierender Bereiche, nämlich der Industrie und des Handels, trägt, damit er uns seine Sanierungspläne erläutert.

Können Sie uns die Situation, in der sich der israelische Handel nach dem Zusammenbruch der Industrie der Spitzentechnologie befindet, kurz beschreiben?

Was den von Ihnen angesprochenen Industriezweig betrifft, ist der Begriff "Zusammenbruch" sicher nicht ganz gerechtfertigt. In der ganzen Welt kam es zu einer ernsthaften Verlangsamung in diesem Bereich, und auch die Weltwirtschaft war von dieser Entwicklung betroffen. Israel hat tatsächlich mehr darunter gelitten als andere Länder, denn die Spitzentechnologie besass hier einen sehr viel höheren Stellenwert als anderswo; dennoch sind wir noch weit von einem Zusammenbruch entfernt, ganz im Gegenteil. Die meisten israelischen Exporte sind mit dem Sektor der Spitzentechnologie verknüpft, und im Verlauf der vergangenen Monate hat dieser Bereich einen erfreulichen Aufschwung erfahren.
Es schiene mir aber übertrieben, eine viel versprechende und rosarote Zukunft heraufzubeschwören. Unsere Aufgabe ist es nun, wenn wir uns auf eine sehr ernsthafte, fundierte und selektive Analyse der verschiedenen Sektoren der höheren Technologie stützen, die Entwicklung der Gesellschaften, die in Israel auf diesem Gebiet tätig sind, finanziell zu unterstützen. Zu diesem Zweck haben wir in meinem Ministerium eine besondere Abteilung geschaffen, welche die verschiedenen Projekte im ganzen Land prüfen soll. Die ausgewählten Unternehmen erhalten daraufhin nicht nur Subventionen als Ermutigung, sondern auch konkrete Hilfe, dank der sie ihren Bedarf zur Vergrösserung ihrer Betriebe und zur Erhöhung der Produktionskapazitäten abdecken können. Ich möchte ebenfalls erwähnen, dass wir in ganz bestimmten Fällen umfangreiche Subventionen anbieten können, und zwar für Projekte, die von ausländischen Investoren finanziert werden.

Welche Bereiche wollen Sie denn vor allem fördern?

Es ist eine recht breite Palette und es gibt eine sehr lange Liste von Produkten der Spitzentechnologie, die in Israel gefertigt werden. Ich könnte da das Unternehmen Intel erwähnen, das immer grösser wird und von uns dabei unterstützt wird, dasselbe gilt für Power Halbleiter, das zurzeit eine Produktionseinheit im Norden Israels fertig stellt, deren Bau die Investition von 1 Milliarde Dollar erfordert. Ein weiterer Bereich, den wir ganz speziell fördern möchten, sind die Telefondienstleistungen weltweit. So kontrolliert eine der grossen amerikanischen Telefongesellschaften alle ihre Dienstleistungen in den Vereinigten Staaten von einer in Jerusalem liegenden Zentrale aus, wo 700 Menschen beschäftigt sind. Ich persönlich setze mich mit besonderem Interesse für den Aufschwung der Biotechnologie in Israel ein. Meiner Ansicht nach handelt es sich um die Industrie der Zukunft und wir ermutigen sehr nachdrücklich den Aufbau neuer Industriebranchen in diesem Bereich.

Dies alles klingt wirklich sehr ermutigend, doch gegenwärtig ist die Zahl der Arbeitslosen bei den hoch qualifizierten Berufsleuten äusserst beunruhigend, was die Gefahr verstärkt, dass diese wichtigen "schlauen Köpfe" nach und nach auswandern und dem Land verloren gehen. Wie gedenken Sie dieses Ausbluten zu verhindern?

Dazu gibt es leider keine Zauberformel und wir können nur ab und zu eine Reihe von spezifischen oder persönlichen Problemen lösen. Auf etwas breitener Ebene folgt unser Vorgehen der neuen Wirtschaftspolitik, die auf den Aufschwung ausgerichtet ist. Wir müssen folglich einen guten Teil der Regierungsgelder den neuen Infrastrukturen zufliessen lassen, die dazu dienen sollen, die Expansion und das Wachstum zu fördern, so dass zwangsläufig neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Dadurch erhalten auch viele Spezialisten die Möglichkeit, in ihrem Fachgebiet eine neue Beschäftigung zu finden.

In Europa werden israelische Produkte oft stillschweigend boykottiert. Wie werden Sie diesen Schaden verhindern?

Vor kurzem trat der Fall in Grossbritannien auf, wo eine grosse Supermarktkette unsere Produkte boykottieren wollte. Nur dank immenser Anstrengungen und durch den Einsatz wichtiger Beziehungen ist es uns gelungen, dies zu unterbinden. Dies ist unsere einzige Möglichkeit, diese Bedrohung zu bekämpfen. Doch das Risiko existiert vor allem in Europa, und der einzige Weg, den Boykott wirksam zu verhindern, besteht darin, an die Tausenden von Menschen zu appellieren, die überall auf der Welt mit Israel sympathisieren. Sie sollen den Unternehmen, die uns boykottieren möchten, erklären, welche Gefahr sie dadurch laufen und wie unangenehm und folgenreich sich diese Entscheidung auf sie auswirken kann. In Amerika kommen derartige Boykottdrohungen wesentlich seltener vor, da die Unternehmen, die sie durchführen, unter Umständen der "Diskriminierung" beschuldigt würden, was für sie katastrophale Folgen haben könnte.

Eine zurückhaltende Bezeichnung verleiht Ihnen den Titel "zweiter Verantwortlicher im Regierungskabinett", was Sie de facto zur zweitwichtigsten Figur im Staat macht. Angenommen, der Premierminister beschliesst aus irgendeinem Grund, sich aus den Regierungsgeschäften zurückzuziehen; würden Sie dieselbe Politik weiterführen wie er?

Zunächst möchte ich betonen, dass Ariel Sharon topfit ist, dass er seinen Aufgaben mit Entschlossenheit und Energie nachkommt und dass ich meinerseits nur einen Wunsch hege, dass er uns nämlich noch sehr lange mit der ihn auszeichnenden Kompetenz und Weitsicht regiert. Darüber hinaus identifiziere ich mich in jeder Hinsicht mit seiner Politik.

Auch wenn er davon spricht, einen "Palästinenserstaat" zu schaffen?

Der Premierminister achtet sehr genau darauf, was er sagt, und wenn er von einem "Palästinenserstaat" spricht, muss man auch hören, was er anschliessend dazu sagt. Er hat nämlich ausdrücklich betont, dass ein derartiger Staat nur dann vorstellbar ist, wenn eine Reihe von Bedingungen erfüllt werden, d.h.: Demokratisierung, Rückzug Yasser Arafats aus der Politik, Zusammentragen sämtlicher illegaler Waffen, Beendigung der Terror- und Hasskampagne, vollständige Kontrolle des Luftraums und der Wasserressourcen durch Israel und schliesslich israelische Präsenz im Jordantal und zwischen Westjordanien und Jordanien. Erst wenn alle diese Bedingungen vollständig erfüllt worden sind, kann Israel eventuell die Schaffung eines provisorischen Palästinenserstaates ins Auge fassen. Unter diesen Umständen kann auch ich den Gedanken eines palästinensischen Staates vertreten.

Wie sehen Sie die Zukunft der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Arabern in Judäa-Samaria-Gaza und den israelischen Industriezweigen, die jene heute beschäftigen?

Dies hängt von der Entwicklung der Lage und von den politischen Lösungen ab, für die man sich entscheidet. Langfristig werden wir uns meiner Ansicht nach wirtschaftlich von der fast völligen Abhängigkeit der arabischen Arbeitskräfte lösen müssen, die in den Gebieten leben. Diese Situation ist ungesund und wir müssen sie davon abbringen, zu uns arbeiten zu kommen. Sie müssen ihren Lebensunterhalt dort verdienen, wo sie auch wohnen. Es ist nicht unsere Aufgabe, einer arabischen Bevölkerung Arbeit zu geben und ihren Lebensunterhalt zu sichern, die nicht zu Israel gehört.

Beflügelt Sie das Vorgehen von Ariel Sharon?

Ich bin, wie ich bereits sagte, nicht der Premierminister und verfolge ein einziges Ziel: ich helfe ihm bei der Erfüllung seiner Aufgabe, deren eine Priorität darin besteht, den wirtschaftlichen Aufschwung einzuleiten. Dieser Aufschwung ist eng mit der positiven Entwicklung der Sicherheitslage verbunden. Ausserdem denke ich, dass es unsere Pflicht ist, mehr für die Erweiterung der sozialen Dienstleistungen zu tun, denn ein zu grosser Teil unserer Bevölkerung leidet unter der Wirtschaftskrise und lebt unter der Armutsgrenze, was sich unbedingt ändern muss. Ich erinnere daran, dass Ariel Sharon das Ministerium geleitet hat, dem ich nun vorstehe, und dass ich mich von zahlreichen, von ihm eingeführten Neuerungen inspirieren lasse, die auch meine Vorgehensart und meine Arbeitsmethode direkt beeinflussen. In dieser Hinsicht bin ich überzeugt, dass sein Pragmatismus und sein Realitätssinn vorbildlich sind. Er vergeudet seine Zeit nicht mit unnötigem Geschwätz, er will je nach anstehenden Problemen täglich Ideen verwirklichen und umsetzen und blickt dabei ausschliesslich in die Zukunft. In diesem Sinne arbeite auch ich, so möchte ich die verschiedenen mir übertragenen Aufgaben und Pflichten erfüllen.

Was erwarten Sie von den Juden der Diaspora?

Dass sie oft und zahlreich nach Israel kommen! Natürlich träume ich von einer neuen Welle der Alyah, denn sie verkörpert einen grundlegenden Bestandteil unseres Erfolgs