Editorial
Von Roland S. Süssmann - Chefredakteur

Liebe Leserinnen, liebe Leser,
«L’obsession anti-américaine» (Die antiamerikanische Obsession) heisst das letzte Buch von Jean-François Revel, Mitglied der Académie française. Angesichts der jüngsten Ereignisse könnte dieser Titel auch so lauten: «Die antiisraelische Obsession». Die so genannten Friedensdemonstrationen haben sich sehr schnell in Veranstaltungen verwandelt, die dem jüdischen Staat feindlich sind und in denen man sich offen zum Antisemitismus bekennt. Die Horden von demonstrierenden «Friedenskämpfern», das Arafattuch um den Hals, das Symbol des arabischen Terrorismus, bekräftigen ihre Botschaft mit Hilfe von israelischen Flaggen, auf denen der Davidsstern mit schwarzen Hakenkreuzen überschmiert ist. Die moralische Perversion dieses Vorgehens, d.h. die Juden mit den Nazis gleichzusetzen, erfolgte mit der aktiven Kollaboration sämtlicher Intellektuellen und Politiker. Man schloss sich unter dem künstlichen Motto des «friedlichen Antiamerikanismus» zusammen, Seite an Seite mit den nationalistischen Rassisten, den kommunistischen Befürwortern von Diktaturen, den Muslims und den mit ihnen befreundeten Sympathisanten der arabischen Forderungen und den Globalisierungsgegnern. Wenn es darum geht, Israel an den Pranger zu stellen, werden gegensätzliche Ideologien schnell unter den Teppich gekehrt. Zynismus und Heuchelei sind nicht von der Hand zu weisen, denn keiner dieser Pazifisten ist je auf die Strasse gegangen, um gegen die Selbstmordattentate in Israel zu demonstrieren, die in 30 Monaten 800 Juden getötet und über 5'200 von ihnen schwer verletzt haben.

Wie sollen wir uns angesichts dieser Tatsache verhalten?

Die «Friedensdemos» der vergangenen Wochen haben deutlich gezeigt, dass wir, die Juden, von den «pazifistischen» Organisationen nichts Gutes zu erwarten haben. Die Wahl unseres Lagers ist folglich logisch: wir müssen Ja sagen zur Intervention der USA im Irak.

Ja, weil wir kein Recht haben, uns für den falschen Feind zu entscheiden. Es sind nicht die Vereinigten Staaten, die unsere Vernichtung, die Zerstörung des israelischen Staates und die Schaffung einer islamischen Demokratie an seiner Stelle wünschen, es ist die arabische und muslimische Welt, die dabei von Europa unterstützt wird. Hier erheben sich immer mehr Stimmen die behaupten, die Gründung Israels sei ein Fehler gewesen, der nach und nach auf elegante Weise behoben werden müsse.

Ja zu einem weltweiten und gnadenlosen Krieg gegen den Terror (auch in Syrien), der sich nie für eine gerechte Sache einsetzte, sondern dessen Ziel darin besteht, die Demokratie durch Diktatur und Anarchie zu ersetzen. Erinnern wir daran, dass der Irak direkt an den Anschlägen beteiligt ist, die seit zweieinhalb Jahren in Israel stattfinden – seien es nun Selbstmordattentate oder andere. Es entspricht einem Mythos, dass der arabische Terrorismus die Waffe der Schwachen, Frustrierten und Erniedrigten ist. Die Drahtzieher des islamischen Fundamentalismus sind Akademiker, Persönlichkeiten, die in den europäischen Kanzlerämtern und Salons als gebildet und gemässigt gelten. Dies leugnen hiesse vergessen, dass Bin Laden Ingenieur, sein Stellvertreter Ayman Zawahiri ein sehr populärer Arzt und Mohamed Atta, der den Angriff gegen das World Trade Center durchführte, ein international bekannter Architekt ist. In der gesamten arabischen Welt gewinnt der islamische Radikalismus bei Spitzenpolitikern, in Künstlerkreisen und bei Geschäftsleuten an Boden. Das Volk lässt sich umso leichter manipulieren, als die Armut und das Analphabetentum extreme Ausmasse annehmen, auch in Ägypten, das seit 24 Jahren mit Israel im Frieden lebt. Der bekannteste ägyptische Sänger, Shaban Abdel Rahim, hat fünf Millionen Platten mit dem Song «Ich hasse Israel» verkauft.

Ja, weil die Intervention im Irak die Welt daran erinnert, dass der Terrorismus, unter dem die jüdische Bevölkerung in Israel leidet, nichts gemein hat mit einem Kampf für Freiheit oder mit einer Form des Widerstands gegen eine Besatzungsmacht. Er ist nichts anderes als die feigste und hinterhältigste Art, israelische Juden - Säuglinge und Greise - umzubringen und zu verstümmeln.

Ja, weil es keinerlei Unterschied gibt zwischen einem Terroranschlag in New York, Bali, Djerba oder Jerusalem.

Ja ebenfalls, weil sechs Millionen unserer Glaubensbrüder ermordet wurden dank der Unterstützung der Europäer für Hitler; es kann nicht angehen, dass sie heute Saddam beschützen.

Ja schliesslich auch, weil W. Bush durch sein Eingreifen im Irak die Welt daran erinnert, dass das Gute, das in der objektiven Wahrheit zum Ausdruck kommt, und das Böse nicht das Gleiche sind, letzteres symbolisiert durch die «moralische Relativität», die Saddam oder Arafat das Recht verleiht «andere Meinungen und Methoden» zu vertreten und Massaker anzuordnen, um sich durchzusetzen. In dieser Hinsicht stellt sich die Frage, ob die Art und Weise, mit der man mit Saddam umspringt, nicht auch auf Arafat anzuwenden ist. Stehen ihm ein Teil von Israel, eine eigene Armee und astronomische Summen wirklich zu, weil er nur Juden umbringt?

Doch unser Ja spricht sich zwar bedingungslos für eine Intervention im Irak und ihre ideologischen Beweggründe aus, muss aber vernünftig bleiben und darf keinen Blankoscheck für neuerliche Druckausübung der internationalen Gemeinschaft auf Israel darstellen. Es weist alles darauf hin, dass die USA ihren Kampf gegen den Terror zwar zu Ende führen wollen, doch nicht bereit sind, ihre Bemühungen zur Einführung der Demokratie konsequent durchzuziehen, da sie die mit ihnen befreundeten Potentaten vor Ort schützen möchten. Amerikas Nahostpolitik war schon immer reich an Widersprüchen und Paradoxen, je nachdem, welche Interessen es gerade verfolgt. Die USA sind nur in einem Punkt konsequent geblieben: sie haben immer gewünscht, dass die jüdischen Städte und Dörfer in Judäa-Samaria-Gaza dem Erdboden gleichgemacht und ihre Einwohner ausgewiesen werden. Keine einzige amerikanische Regierung hat sich aber eindeutig zur Bedeutung der Idee geäussert, die vor kurzem in einer Erklärung von Bush aufblitzte: «Die arabischen Staaten müssen den Terrorismus ablehnen und die Entstehung eines friedliebenden und demokratischen Palästinas fördern, dessen Ziel die friedliche Koexistenz mit Israel sein wird». Bedeutet dies im Klartext, dass sich die USA bei ihren arabischen Alliierten, insbesondere Saudi-Arabien und Ägypten, darum bemühen werden, dass diese den Terror nicht mehr finanzieren? Werden sie diese Staaten bitten, die arabischen Flüchtlinge aufzunehmen, die seit 55 Jahren als politische Waffe gegen Israel in Kloaken gepfercht leben? Es ist zu befürchten, dass die Forderungen der Amerikaner gegenüber den Arabern sich auf ihr Einverständnis mit einem antisemitischen, von der PLO eingesetzten Pseudo-Minister beschränken, ohne zu verlangen, dass diese Organisation sich eine neue, verantwortungsbewusste Führung zulegt. Sie werden sich mit einigen oberflächlichen politischen Retuschen zufrieden geben. Der neue «Friedensfahrplan» wurde übrigens auf dieser Grundlage ausgearbeitet.
Ganz egal, wie der Krieg im Irak ausgeht, Israel wird mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Die neue Regierung wird keine unbesonnenen Risiken eingehen, um den Interessen der Amerikaner in dieser Region entgegenzukommen. Das jüngste Debakel der Linken hat bewiesen, dass das Konzept des Eintauschs von Gebieten gegen einen hypothetischen und selbstverständlichen Frieden ein Reinfall war. Vor jeder Verhandlung, bei der von Israel Eingeständnisse verlangt werden, muss im Vorfeld von den arabischen Politikern der ernsthafte Wunsch nach Frieden bewiesen werden. Sie müssen die Anerkennung der Souveränität und das grundlegende Recht Israels auf Selbstverteidigung akzeptieren, auch wenn letzteres noch zu oft, auch von den USA, angezweifelt wird. Israel wird auch jede Parallele zwischen einer Beilegung der irakischen Frage und seinem zukünftigen Verhältnis zu den Arabern ablehnen, die zwar in Israel, aber in PLO-kontrollierten Zonen leben.

In diesen wirren Zeiten herrscht eine Gewissheit vor: uns wird das Privileg zuteil, in einer Epoche zu leben, in der es einen jüdischen Staat gibt. Dadurch tragen wir die Verantwortung dafür, ihm zu wirtschaftlicher Blüte zu verhelfen, indem wir vermehrt investieren, und ihn auch geistig zu unterstützen, indem wir die jüdische Erziehung fördern.

Das gesamte Team von SHALOM wünscht Ihnen alles Gute zu Pessach.

Roland S. Süssmann
Chefredakeur - September 2003