Demokratie und Scharia | |
Von Roland S. Süssmann | |
Am vergangenen 8. Juli lief eine diskrete Information über die Fernschreiber. Sie besagte, die PLO habe beschlossen, dass der zukünftige "palästinensische Staat" demokratisch sein würde und eine auf der "Scharia" basierende Verfassung haben würde; die Scharia ist das kanonische islamische Recht, welches das religiöse, politische, soziale und private Leben regiert. Um die tatsächliche Bedeutung einer derartigen Erklärung besser zu verstehen, haben wir Professor MOSCHE SHARON interviewt, eine weltweite Koryphäe für arabische Sprache und Kultur und Professor für islamische Geschichte an der hebräischen Universität in Jerusalem. Sind die Begriffe "Scharia" und "Demokratie" überhaupt kompatibel? Bevor ich auf Ihre Frage antworte, möchte ich erwähnen, dass das Wort "Scharia" eigentlich "Weg" bedeutet, die vorgeschriebene Strasse des richtigen Lebens und Verhaltens. Diesen Namen trägt nun das islamische Recht, das auf einer völlig freien Interpretation des heiligen Ritus durch Experten beruht, die nie gewählt worden sind, sondern gemäss den Regeln desselben heiligen Ritus ernannt werden. Dieser Umstand öffnet allen Exzessen und Grausamkeiten Tür und Tor. "Demokratie" und "Scharia" sind demnach zwei Konzepte, die sich diametral widersprechen, denn die bestehenden Gesetze der Scharia können kein einziges demokratisches Element enthalten. Ich nehme dazu als Beispiel die Stellung der Frau, die sich gemäss den Gesetzen der Scharia nicht scheiden lassen darf. Der Mann kann sie wegschicken, doch sie hat keinerlei Möglichkeit, sich aus einer unglücklichen Ehe zu befreien. Die Stellung der Ehefrau wird als niedriger angesehen als diejenige ihres Mannes, so wie auch die Frau im allgemeinen weniger gilt als der Mann. Gleichzeitig verfügen die Doktoren des Gesetzes, die "Ulemas", über eine absolute Macht und können im Namen des göttlichen Gesetzes irgendeine unanfechtbare Verfügung diktieren, auch wenn diese sich direkt auf die Familie, die Gesellschaft oder den Staat auswirkt. Im Rahmen einer Demokratie dienen freie Wahlen ja dazu, einen Wechsel der politischen Führung, die Wahl einer Gesellschaftsform oder der Gesetze zu ermöglichen. Dies alles existiert nicht in der Scharia. Die Imams (religiöse Würdenträger) und die Ulemas besitzen ihre Position dank dem Gesetz der Scharia und nicht aufgrund einer Entscheidung des Volkes. Man muss sich klar machen, dass die Demokratie den Willen der Bevölkerung ausdrückt, dass die Scharia aber als die Verkörperung des göttlichen Willens angesehen wird und daher über die Demokratie gestellt wird. Daher ist es unmöglich, einen "demokratischen Staat mit einer Verfassung auf der Grundlage der Gesetze der Scharia" schaffen zu wollen. Eine Gesellschaft muss folglich eine radikale Entscheidung treffen: entweder wird sie von einem demokratischen System regiert oder aber von den Gesetzen des Islams. Ausserdem muss betont werden, dass die Ulemas wahre Diktatoren einer Theokratie und ihre Beschlüsse unwiderruflich sind und nicht angefochten werden können. Im Gegensatz zu einer Demokratie, in der die Institutionen und Behörden vom Volk bestimmt und ernannt werden, erhalten die Ulemas ihre Legitimität durch das islamische Gesetz. Dies bedeutet nicht nur, dass sie nicht gewählt sind und daher auch nicht wiedergewählt werden können, sondern auch, dass sie keine staatliche Institution vertreten. Diese Männer werden in Koranschulen ausgebildet und von ihren Vorgesetzten ernannt. In seiner berühmten Rede über den Nahen Osten hat Präsident Bush den Wunsch ausgedrückt, die Demokratie in der arabischen Welt zu fördern. Nach dem, was Sie uns soeben erklärt haben, handelt es sich dabei anscheinend um eine "mission impossible". Glauben Sie, dass in den arabischen Ländern ein Demokratisierungsprozess entstehen könnte? Sie sprechen da den klassischen und oft wiederholten Fehler des Westens an, der Begriffe verwendet, die er seinem eigenen Sprachgebrauch entnimmt, um damit Sachverhalte in einer anderen Gesellschaft und einer anderen Kultur zu bezeichnen, insbesondere im Nahen Osten. Der berühmte Professor Bernard Lewis hat diese Einstellung übrigens sehr treffend beschrieben: "Wir hören einem auf Cricket spezialisierten Reporter zu, wie er einen Baseball-Match kommentiert und dabei die im Cricket übliche Terminologie benutzt." Im Orient sind die Beziehungen zwischen der Regierung und den Bürgern nicht diejenigen einer gewählten Behörde gegenüber ihrer Wählerschaft, sondern diejenigen einer Regierung, der die Bevölkerung zu Gehorsam verpflichtet ist. Auf Arabisch nennt man diese Beziehung "Bay'ah" und es bedeutet, dass der Staatschef erwartet, dass die unter seiner Macht lebenden Untertanen ihm regelmässig ihre Treue bestätigen, im Schnitt alle fünf Jahre. Was wir im Westen Wahlen nennen, ist in der arabischen Welt nichts anderes als die Erneuerung des Schwurs von Gehorsam und bedingungsloser Treue gegenüber einem Herrscher! Wegen dieser Zurschaustellung von Unterstützung und Unterwerfung erhalten die arabischen Staatschefs durchschnittlich 99.6% der "Stimmen". Jedes Ergebnis, das unter diesem Prozentsatz liegt, wird von den Politikern als katastrophal erachtet. Wenn in einem arabischen Land Wahlen stattfinden, gibt es nicht mehrere Kandidaten, unter denen jeder Stimmbürger aufgrund seiner Überzeugungen frei wählen kann. Wenn also Präsident Bush von Demokratie im Orient spricht, bezeichnet er zwei völlig widersprüchliche und unvereinbare Dinge, nämlich die Demokratie im amerikanischen und europäischen Sinne, und das in der arabischen Welt geltende System "Bay'ah". Eine echte Demokratie könnte in den arabischen Staaten erst dann entstehen, wenn man zuvor alle Systeme der nationalen Funktionsweise verändert, was absolut ausgeschlossen ist. In dieser Hinsicht muss auch hervorgehoben werden, dass politische Veränderungen in der arabischen Welt nur mit Gewalt und Blutvergiessen durchgesetzt werden. Da, wo wir von einer "Wahl" sprechen, meinen sie "Revolution". Der neue starke Mann nimmt anschliessend die Treuebekundungen des Volkes entgegen. Dies erfolgt in einer "Bay'ah"-Zeremonie, die wir fälschlicherweise "Wahlen" nennen und die immer erst nach einem Putsch abgehalten wird. Ich muss auch in Erinnerung rufen, dass der Islam eine Religion ist, die mit dem Schwert in der Hand geboren wurde und keine Friedensbotschaft vermittelt. Ihr Ziel ist die Eroberung der Welt, und das Vorgehen einer Organisation wie Al Quaedah zeigt deutlich, dass sie vor nichts zurückschreckt, um dieses Ziel zu erreichen. Parallel dazu bemüht sich die arabische Propaganda heute besonders um die Verbreitung der Überzeugung, der Islam sei die beste Religion der Welt, was nur einer Weiterführung seiner ursprünglichen Botschaft entspricht, die ihn zum einzigen wahren Glauben macht. Der Unterschied zwischen den freien Wahlen in einer Demokratie und dem Gelöbnis von Gehorsam und Treue einem Herrscher gegenüber ist den Spezialisten für die arabische Sprache und Kultur in den verschiedenen Büros der Staatschefs bekannt und verständlich. Weshalb akzeptieren sie die Kombination "Demokratie - Scharia"? Dieses Vorgehen ist sehr gefährlich für den israelischen Staat. Leider sind die europäischen Länder zum Schluss gekommen, dass die Schaffung des jüdischen Staates ein Fehler war, der korrigiert werden muss. Die Existenz Israels sei sowohl moralisch als auch politisch unsinnig, man müsse die Welt davon befreien. Die Ausradierung Israels muss jedoch auf elegante Weise geschehen, denn nach der Schoah ist der Einsatz von Gewalt und Brutalität gegenüber Juden nicht mehr akzeptabel. Deshalb ermöglicht die Idee, der Welt zu zeigen, wie sehr die arabischen Regimes im Allgemeinen und die PLO im Besonderen echte Demokratien sind, die freie Wahlen abhalten usw., die Zulassung aller, auch der extremsten Ansprüche der Araber. In diesem Sinne unterstützen die Europäer aktiv die Forderung nach Evakuierung von jüdischem Land in Israel und vor allem die friedliche Invasion eines Landes durch die Rückkehr ziviler arabischer "Flüchtlinge", die in diese neue Demokratie integriert werden sollen, die jedoch u.a. eine Verfassung auf der Grundlage der Gesetze der Scharia besitzt... Zum Erreichen des Ziels, d.h. die allmähliche Auflösung Israels, sind die Europäer bereit, jeden Vorschlag seitens der Araber zu akzeptieren und ihn politisch und finanziell zu unterstützen, und sei er noch so unrealistisch, wie z.B. die Schaffung einer islamischen Demokratie. Glücklicherweise sind die Amerikaner zur Zeit noch nicht derselben Ansicht. Die unmittelbaren Nachbarn von Israel sind also mehr oder weniger theokratische Diktaturen. Wie kann der jüdische Staat unter diesen Umständen Friedensverträge mit diesen Staaten unterschreiben? Die islamische Welt im Allgemeinen und die arabischen Nachbarländer von Israel im Besonderen verfolgen ein einziges Ziel: die Zerstörung des jüdischen Staates. Es gibt keine Möglichkeit für diese jüdische und demokratische Insel, im Kreise der muslimischen Staaten in dieser Region der Welt akzeptiert zu werden. Um oben genanntes Ziel zu erreichen sind alle Mittel erlaubt: militärische Angriffe, Terrorismus oder, wenn es nicht anders geht, die Diplomatie. Dazu gehört die Tatsache, Friedensverhandlungen zu führen oder gar Friedensverträge zu unterzeichnen, die in Wirklichkeit nichts anderes sind als zusätzliche Vernichtungswaffen. Man muss sich vor Augen halten, dass die Existenz eines jüdischen Staates für die Moslems einen Rückschlag für den Islam darstellt, einen Fehler im Lauf der Geschichte, der unbedingt mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln ausgemerzt werden muss. Auf diplomatischer Ebene gehen sie auf zwei Arten vor. Erstens wird versucht, Israel auf dem internationalen Parkett zu isolieren, zweitens wird innerhalb von Israel eine grundlegende Arbeit geleistet, damit der hebräische Staat durch den Druck der eigenen Bevölkerung gezwungen ist, Verträge zu unterschreiben, die seine Existenz durch eine Verringerung des Staatsgebiets und der strategischen Tiefe gefährden. Denken Sie, dass die arabischen Staaten bei der Unterzeichnung der Friedensverträge mit Israel nicht ehrlich waren? Unter sich sprechen die Araber nie von "Friedensverträgen", aus dem einfachen Grund, dass solche mit einem nicht islamischen Land gar nicht abgeschlossen werden können. Die einzige Art von Abkommen, die abgeschlossen werden kann, ist die "Hudnah", ein Vertrag zwischen Moslems und Nichtmoslems, dessen Gültigkeit auf eine Zeitspanne von höchstens zehn Jahren beschränkt ist. Ausserdem kann die "Hudnah" vom muslimischen Staat einseitig annulliert werden, sobald dieser sich mächtig genug fühlt, die bewaffneten Kämpfe wieder aufzunehmen. Es ist nicht Ziel des Vertrags, den Feind zu akzeptieren oder in Frieden mit ihm zu leben, sondern es geht nur darum, ihn zu schwächen. Denken Sie, dass in der muslimischen Welt eine grundlegende Revolution erwartet werden kann, wie wir sie in der UdSSR erlebt haben, und dass ein völliger Zusammenbruch der islamischen Theokratien erfolgen oder herbeigeführt werden kann? Keinesfalls, denn der Kommunismus war der Bevölkerung aufgezwungen worden, während der Islam tief in jedem Moslem verwurzelt ist. Es wäre dasselbe, von einem fundamentalistischen Christen zu verlangen, das Christentum mit den Methoden der Revolution zu vernichten. Doch das Christentum bezieht sich nur auf das religiöse Leben der Menschen, die Gesetze, die das Leben des Staates lenken, sind weltlich. Dies ist im Islam nicht der Fall: hier regiert die Religion das Leben des Individuums, der Familie, der Gesellschaft, der Wirtschaft, der Kultur und des Staates. Darüber hinaus ist es eine Religion, die keinerlei Hinterfragung der Dinge toleriert, was als "Beylah Keifah" bezeichnet wird. Abschliessend möchte ich sagen, dass der Islam in allen arabischen Ländern die Staatsreligion ist und dass die Scharia die Grundlage des Rechtssystems darstellt; deswegen können nur diejenigen Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia nicht widersprechen und die sich nach ihr ausrichten. Dies ist in Ägypten und Jordanien der Fall, während in Saudiarabien die Scharia das einzige Recht des Landes verkörpert. Wenn die westlichen Länder und vor allem Israel nicht verstehen, was dies bedeutet, begehen sie einen sehr schwerwiegenden Fehler, dessen Folgen vernichtend sein können. |