Die Ustascha | |
Von Roland S. Süssmann | |
Jede Gemeinschaft hat für alles Mögliche «ihren» Spezialisten: ihren Arzt, ihren Anwalt oder auch ihren Bettler, und davon macht Zagreb keine Ausnahme. Diese Gemeinde besitzt «ihre» Besonderheit in der Person von Dr. ALEKSANDER TOLNAUER, «ihrem» Experten für die Ustascha, diese nationalistische und antisemitische Organisation, die Hand in Hand mit den deutschen und italienischen Besatzern zusammen arbeitete und ab April 1941 und bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs die Kontrolle über Kroatien besass. Fassen wir kurz den historischen Hintergrund zusammen, vor dem die Ustascha die Macht ergriff. Am 25. März 1941 unterschrieb Jugoslawien das Dreimächteabkommen und stellte sich damit direkt auf Hitlers Seite. Zwei Tage später wurde die amtierende Regierung durch einen Putsch des serbischen Generals Dusan Simovic gestürzt. Am 6. April 1941 griffen die deutschen Kampfflugzeuge Belgrad an, die italienischen Streitkräfte drangen in Dalmatien ein und die ungarischen und bulgarischen Truppen überfielen Jugoslawien. Die jugoslawische Armee ergab sich nach weniger als 2 Wochen. Im Mai existierte der jugoslawische Staat als solcher nicht mehr und das Territorium wurde zwischen den Achsenmächten aufgeteilt. Es entstanden zwei von den Deutschen eingesetzte Marionettenstaaten: Serbien und der unabhängige Staat Kroatien, zu dem auch Bosnien-Herzegowina gehörte. Das Land litt nicht nur unter der Besetzung durch eine fremde Macht, sondern wurde auch von einem heftigen Bürgerkrieg heimgesucht. In dieser chaotischen Situation übernahm die Ustascha, dieser Zusammenschluss kroatischer Faschisten unter der Leitung von Ante Pavelic, die Macht mit der Unterstützung der Muslime, wobei sie Tausende von Serben umbrachten. Das Schicksal der Juden war von der Region in der sie lebten unabhängig; auf sie wartete der Plan der vollständigen Vernichtung. Im unabhängigen Staat Kroatien lagen die Angelegenheiten der Juden voll und ganz in der Hand der Ustascha. In welcher Lage befand sich die jüdische Gemeinschaft bei der Machtergreifung der Ustascha? Ich möchte daran erinnern, dass die Ustascha schon immer eine Terrororganisation war. Die Mitglieder der 1929 gegründeten kroatischen Geheimgesellschaft «Ustascha» haben 1934 das Attentat gegen Alexander I,. den König der Serben, geplant. Während des Zweiten Weltkriegs wurden sie von Mussolini und den Deutschen buchstäblich gebeten, die Macht in Jugoslawien an sich zu reissen. Sie etablierten sich dort und begingen ihre Greueltaten ohne in den Krieg zu ziehen, in direkter Zusammenarbeit mit den Deutschen. Sie trafen demnach am 10. April 1941 ein, und am 30. April wurden bereits die ersten antijüdischen Gesetze verabschiedet und umgesetzt, kraft deren die Juden aus dem Handel und aus der Geschäftswelt, aus allen gesellschaftlichen und kulturellen Bereichen ausgeschlossen wurden. Am 22. Mai 1941 befahl die Ustascha, alle Juden müssten den gelben Stern tragen, obwohl diese Pflicht im deutschen Reich erst am 1. September eingeführt wurde! Der gelbe Stern ist folglich eine kroatische Erfindung! Die jüdische Gemeinschaft war sehr reich und bedeutend; am 1. Mai 1941 informierte die Ustascha sie darüber, sie habe, falls die Juden nicht belästigt werden sollten, einen «Beitrag» von einer Tonne Gold oder den entsprechenden Gegenwert in Form von Geld oder Schmuck bereitzustellen! Gleichzeitig führten die Mitglieder der Ustascha-Brigaden die ersten Pogrome und regelmässige Plünderungen der jüdischen Wohnungen durch. Die Gemeinde trug die geforderte Summe zusammen, jeder spendete etwas. Wir verfügen heute über die Liste dieser Spenden; mein Onkel väterlicherseits stiftete ein Kilo Gold und zwei Diamanten. Am 13. Mai 1941 sammelten die Ustaschi das Ergebnis ihrer Erpressung ein und verhängten sofort eine Ausgangssperre und ein strenges Verbot für die Juden von Zagreb, sich frei zu bewegen. Die Bevölkerung liess diese Ereignisse ohne mit der Wimper zu zucken über sich ergehen. Anschliessend wurde das erste Lager in Yadowno auf der kleinen Insel Pag geschaffen, wohin die ersten Juden deportiert und an Ort und Stelle sofort ermordet wurden. Diese Schreckenstaten sollten jedoch erst einen Vorgeschmack der Entwicklung geben, die schliesslich zu vollständigen physischen Vernichtung der Juden im unabhängigen Staat Kroatien führen würde. Die jüdische Gemeinschaft von Zagreb wies natürlich eher liberale und reformierte Züge auf, vor allem was die Intelligentsija betraf, doch die meisten ihrer Mitglieder hing sehr an «ihrer» Synagoge. Die Ustascha ordnete jedoch ihre Zerstörung an und begann am 10. Oktober 1941 damit, das Gebäude Stein für Stein abzubrechen, was Anfang März 1942 beendet wurde. Wie wurde die Ermordung der Juden von Kroatien organisiert? Man darf nicht vergessen, dass nicht nur die Juden systematisch deportiert wurden, auch die Serben und Zigeuner erlitten dieses Schicksal. Es gab eine Reihe von kleineren Lagern, vom Arbeitslager bis zum Vernichtungslager. Das grösste und bekannteste von ihnen war Jasenovac, das Auschwitz von Kroatien, in dem 85'000 Menschen auf grausamste Weise umgebracht wurden. Das Lager war effektiv bekannt für die barbarischen Taten, die sich hier abspielten: die Exekutionen fanden mit Messern und Äxten statt, es gab keine Gaskammern, da es der Ustascha nicht gelungen war, sie in Betrieb zu nehmen. Die Juden mussten auch Dämme gegen die Überschwemmungen des hiesigen Flusses, der Sava, bauen, wobei diese Arbeiten im Wasser stehend und unter entsetzlichen Hygienebedingungen auszuführen waren. Die Qualen und Krankheiten infolge dieser Ausbeutung kann man sich ohne weiteres vorstellen. Wir wissen nicht genau, wie viele Juden von der Ustascha-Regierung umgebracht worden sind. Seit dem Beginn des Krieges waren nämlich zahlreiche deutsche und österreichische Juden zu ihren Familien oder zu Freunden nach Kroatien geflüchtet, ohne sich bei der jüdischen Gemeinschaft anzumelden. Es steht nur fest, dass vor dem Krieg 39'000 Juden in Kroatien und 9'000 in Bosnien-Herzegowina lebten. Fast 85% der Bevölkerung sind ausgelöscht worden. Man muss sich klar machen, dass die Ustascha-Regierung eisern dazu entschlossen war, ihr Werk der Zerstörung auf die grausamste Weise zu Ende zu führen. Die letzten Juden wurden 1944 verfolgt und ermordet, als die Verantwortlichen des unabhängigen Staates Kroatien schon auf sehr wackeligen Beinen standen. Ich wäre nicht aufrichtig, wenn ich nicht sagen würde, dass sich in der Verwaltung der Ustaschi auch Juden befanden, die zum Katholizismus übergetreten und nicht besser waren als ihre Kollegen. Einige Juden, die katholische Frauen geheiratet hatten, konnten auf diese Weise jedoch auch gerettet werden… oft gegen Bezahlung. Es ist ausgeschlossen, alle Verbrechen, die während der Schoah gegenüber den Juden von Kroatien begangen wurden, vollständig aufzuzählen. Überall in Europa melden sich heute aber revisionistische und vor allem negationistische Bewegungen zu Wort. Wie steht es damit in Kroatien? Seit dem ersten Tag des Amtsantritts von Franjo Tudjman (1990), dem Leader der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft, hat der Revisionismus wie eine Woge das Land überflutet; man könnte es folgendermassen zusammenfassen: «Ja, natürlich haben die Schoah und die dadurch ausgelösten Greueltaten stattgefunden. Doch die Kroaten können nichts dafür, denn sie wurden durch die deutsche Besatzungsmacht dazu gezwungen, den Juden gegenüber so zu handeln.» Es erschienen daraufhin unzählige Stellungnahmen und Artikel in der Presse, welche diese These unterstützten, indem die einen bewiesen, dieser oder jener Ustascha-Angehörige habe jüdische Wurzeln, und die anderen daran erinnerten, der eine oder andere Ustascha-Minister habe eine jüdische Ehefrau gehabt usw. Wir erlebten eine abgekartete Kampagne, deren Ziel darin bestand, die vom unabhängigen Staat Kroatien und ihrem Polizeiregime der Ustascha begangenen Verbrechen zu verharmlosen oder gar abzustreiten, und zwar nicht nur im Rahmen des Völkermordes an den Juden, Serben und Zigeunern, sondern auch gegenüber den Kroaten, die diesem Regime Widerstand leisteten. Trotz seiner nationalistischen Tendenzen war Tudjman in Wirklichkeit ein Kommunist, der eine einheitliche kroatische Gesellschaft schaffen wollte, deren Vergangenheit und Geschichte des Leidens allen gemeinsam und identisch gewesen sein soll: Kroaten, Serben, Zigeunern, Juden und Orthodoxen. Natürlich war diese Erklärung für die Leitung der jüdischen Gemeinde inakzeptabel. Wir hatten bereits lange Jahre des kommunistischen Revisionismus überstanden, nun musste die historische Wahrheit um jeden Preis ans Licht gebracht und verbreitet werden. Dr. Ognjen Kraus, Präsident der Gemeinschaft, Professor Ivo Goldstein, ein international bekannter Historiker, ich selbst und einige andere haben den Stier bei den Hörnern gepackt und damit begonnen, alle internationalen jüdischen Organisationen aufzurütteln, damit sie Druck auf das Regime ausüben und diesen Initiativen Einhalt gebieten. Auf lokaler Ebene haben wir in einer allgemeinen Stimmung der Feindseligkeit ein Seminar mit dem Titel «Antisemitismus – Holocaust – Antifaschismus» organisiert, das die historische Wahrheit auf der Grundlage der Tatsachen allein darlegen sollte, frei von jeder Ideologie. Dank dieser Veranstaltung und dank unseres unermüdlichen Einsatzes ist die Tätigkeit der revisionistischen Bewegung deutlich zurückgegangen. Dazu muss man auch sagen, dass die historische Reise unseres Präsidenten Stjepan Mesic nach Israel sich zu unseren Gunsten ausgewirkt hat. Glauben Sie, dass die Bitten um Verzeihung, die Ihr Präsident vor der Knesset beim jüdischen Volk ausgesprochen hat, in Wirklichkeit die antisemitischen und revisionistischen Ideen der zehnjährigen Regierungszeit Tudjmans enthalten? Zu dieser Frage möchte ich keinen direkten Kommentar abgeben, sondern einen Auszug aus der Erklärung von Präsident Mesic zitieren, der meines Erachtens eindeutig ist: «…während einer kurzen Zeit hat ein unglückliches und schlecht ausgearbeitetes Konzept, das einen Zusammenschluss aller Kroaten bewirken sollte, im Kampf um die Unabhängigkeit und unmittelbar danach dazu geführt, dass einerseits düstere Seiten unserer Geschichte verleugnet und andererseits in eben diesen Seiten Beispiele gesucht wurden, die als Vorbilder dienen konnten.» Welches Schicksal erwartete die Mitglieder der Ustascha nach dem Krieg? Viele von ihnen sind mit der Unterstützung des Vatikans nach Südamerika geflohen, denn hier ist die Kirche stark nationalistisch ausgerichtet. Es kam zu zahlreichen Prozessen und parallel dazu zu einer Reihe von «Unfällen», die vielen Beamten und Kollaborateuren der Ustascha bei zufälligen Begegnungen mit den Agenten der Geheimpolizei von Tito zustiessen… Letztere haben keinen Prozess bekommen. |