Die Schoah in Kroatien | |
Von Professor Ivo Goldstein * | |
Der Unabhängige Staat Kroatien (1941-1945 auch unter dem kroatischen Kürzel NDH für “Nezavisna Država Hrvatska” bekannt) wurde im April 1941 nach der Besetzung Jugoslawiens durch Deutschland und Italien gegründet. Damals wurde eine extremistische Gruppe von Ustascha mit ihrem Führer Ante Paveli? an der Spitze an die Macht gebracht. Im Völkermord von 1941 bis 1945 an den Juden im damals NDH genannten Unabhängigen Staat Kroatien wurden über 30’000 Juden ermordet, und nur etwa acht- oder neuntausend überlebten den Krieg. Mit anderen Worten - es kamen 75% , bezw. 80% der Angehörigen der jüdischen Gemeinden vom Gebiet des heutigen Kroatien, bezw. Bosnien und Herzegowina um. In der kroatischen Geschichte hatte sich ein derartiges Verbrechen eigentlich nicht abgezeichnet. Zwar gab es im 19. Jh. und Anfang des 20. Jhs. antisemitische Pamphlete und Zwischenfälle, ja sogar politische Parteien mit antisemitischen Tendenzen und antisemitischer Ideologie im Programm, aber der Antisemitismus nahm nie extreme Formen - wie Pogrome oder Morde, wie etwa in Polen oder Russland- an. Wie überall in Europa kam der Anstoss für die Ermordung der Juden in Kroatien und Zagreb von der deutschen Besatzungsmacht. Die Deutschen hatten eine Gruppe an die Macht gebracht, von der sie wussten, dass sie in ihrer Ideologie und Praxis ihnen selbst sehr ähnlich sein würde. Die Ustascha-Machthaber organisierten selbst Deportationen und Morde an etwa 2’000 kroatischen und bosnisch-herzegowinischen Juden, etwas mehr als 5’000 Juden wurden von den Ustascha verhaftet und dann in enger Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten nach Auschwitz deportiert. Wäre beispielsweise der gemässigte kroatische Politiker Vladko Ma?ek mit seiner Kroatischen Bauernpartei (Hrvatska selja?ka stranka – HSS) an die Macht gekommen, wie das manche erhofft und geplant hatten, hätten allem Anschein nach die Nationalsozialisten die Verfolgung der Juden allein organisieren müsen. Die einheimische Bevölkerung war im Bezug auf diese Ereignisse weitaus schärfer differenziert als in den meisten anderen Ländern: es gab relativ mehr einheimische Mittäter an dem Verbrechen und noch mehr einheimischen Widerstand gegen die Verbrecher. Die Ustascha-Bewegung war im Grunde gegen die Serben gerichtet und verbreitete seit ihrer Gründung 1932/33 ihren Hass hauptsächlich gegen die Serben. Je enger die Bindung der Ustascha an die deutschen Nationalsozialisten und je stärker die Annäherung der Ustascha-Ideologie an den Nationalsozialismus war, um so häufiger übernahmen die Ustascha rassistische antijüdische Thesen. Sie folgten dem Beispiel der Nationalsozialisten, von denen sie auch Anleitungen erhielten und fügten ihren Plänen zur Vernichtung der Serben auch schärfere Massnahmen gegen die Juden hinzu. Alles war im Voraus geplant und hatte grosse Ähnlichkeit mit den deutschen Plänen, denn es bestanden da drei Phasen: Exkommunikation, Konzentration, Extermination. Nur wenige Tage nach dem Einmarsch in Zagreb sagte am 22. April der neuernannte Innenminister Kroatiens Andrija Artukovi? für die Deutsche Zeitung in Kroatien, der unabhängige Staat Kroatien werde “bald die Judenfrage in Kroatien so lösen, wie sie von der deutschen Regierung gelöst worden war”, wobei er hervorhob, dass “man mit aller Strenge darauf achten werde, dass die Rassengesetze in Kürze strikt eingehalten würden”. Anfang Mai äusserte sich Ante Paveli? in derselben Zeitung ähnlich:” Die Judenfrage wird radikal nach rassischen und wirtschaftlichen Standpunkten gelöst”. Nach Errichtung des Unabhängigen Staates Kroatien erliessen die Machthaber innerhalb von nur zwei Monaten etwa zwanzig antisemitische Regelungen, unter anderem auch die Rassengesetze. Die Juden konnten der Verfolgung auch durch die Taufe nicht entgehen, denn ihre Lage war klar durch die Bestimmungen über die Rassenzugehörigkeit festgelegt. Alle Juden über sechs Jahre mussten in der Öffentlichkeit ein gelbes Kennzeichen tragen, und ihre Bewegungsfreiheit war deutlich eingeengt. Gleich bei der Schaffung des Ustascha-Staates hatten die Machthaber ein Auge auf jüdischen (und serbischen) Besitz geworfen. Es wurden besondere “Gesetzesbestimmungen” erlassen, nach denen jüdisches mobiles und immobiles Eigentum zum “Staatseigentum” erklärt wurde. Verhaftungen von Juden fanden schon in den ersten Tagen der Ustascha-Regierung statt. Das Ustascha-Regime plante die letzte Phase der “Lösung der Judenfrage” sehr sorfältig. Es wurden etwa dreissig “Sammellager” oder “Durchgangslager” errichtet, wo die verhafteten Juden zeitweise untergebracht wurden, um später in Konzentrationslager oder Vernichtungslager deportiert zu werden, die gleichzeitig errichtet worden waren. Das erste davon, Danica bei Koprivnica - 90 km nordöstlich von Zagreb, wurde im April eröffnet. Bis zum Sommer entstanden Lager in Gospi?, 200 km südlich von Zagreb und im nahe gelegenen Jadovno im Velebit-Massiv, sowie die Lager Metajna und Slana auf der Insel Pag. In diesen letzteren Lagern kam es schon im Juli zu Massentötungen, aber sie mussten als Lager bald aufgegeben werden, da die Italiener, als sie von den Verbrechen erfuhren, das Gebiet militärisch besetzten. Daher wurde im Herbst 1941 auf dem Gebiet von Jasenovac und Stara Gradiška ein neuer Lagerkomplex errichtet. Dieses Lager blieb nahezu bis Kriegsende in Funktion. Dort wurde die Mehrheit der Juden aus dem nördlichen Kroatien und aus Bosnien - zwischen siebzehn- und achtzehntausend - ermordet. So waren die kroatischen und bosnisch-herzegowinischen Juden unter den ersten Opfern der “Endlösung”, denn gerade damals - im Sommer/Herbst 1941 begannen die Massenhinrichtungen von Juden auch in Teilen der Sowjet-Union, die von Nazi-Deutschland besetzt worden waren. Im August 1942 und im Mai 1943 beteiligten sich die Deutschen erstmals direkt an Deportationen aus dem Unabhängigen Staat Kroatien. Nachdem die Polizei der Ustascha zwischen fünf- und sechstausend Juden verhaftet hatte, wurden diese den Nationalsozialisten übergeben und nach Auschwitz deportiert. Nur wenige in Lager deportierte Juden überlebten Jasenovac oder Auschwitz. Nur eine geringe Anzahl von Juden vom Gebiet unter der direkten Herrschaft der Ustascha überlebten, und dies dank Zufällen oder dank ihrer besonderen Schläue oder der Schläue von Personen aus ihrem näheren Umfeld. In Zagreb überlebten etwa 800 Personen, meist aus Mischehen. Aus anderen Gebieten des Unabhängigen Staates Kroatien überlebten kaum ein-zweihundert Menschen. Der Zagreber Erzbischof Alojzije Stepinac konnte im Krieg 55 Bewohner des jüdischen Altersheimes und aus dessen umittelbaren Umgebung in Zagreb retten. Stepinac versuchte auch andere Juden zu retten, und in einer grösseren Anzahl von Fällen gelang ihm das auch. Aber Mitte 1943 stellte der Ustascha-Ideologe Danijel Crljen fest, dass die “Judenfrage mit einer Gründlichkeit und Nachhaltigkeit gelöst wurde, die alle in Sorge versetzen muss, deren Absichten die Wege der sozialen Ustascha-Revolution kreuzen”. Eine Anzahl von Juden konnte sich retten, indem sie in die italienische Zone innerhalb des Unabhängigen Staates Kroatien flohen, also in italienisch besetzte Teile Kroatiens oder weiter auf die Apeninenhalbinsel. Unter ihnen befand sich auch eine grössere Anzahl von serbischen Juden. Die weitaus grösste Anzahl von Juden konnte sich durch die Teilnahme an der Partisanenbewegung oder durch ihren Aufenthalt auf von Partisanen kontrolliertem Gebiet retten. Die nur zu bekannte Phrase, dass der “Frieden die Wunden des Krieges heilt”, trifft nicht auf die jüdischen Gemeinden von Kroatien und Bosnien und Herzegowina zu. Diejenigen, die die Vernichtung der Juden geplant hatten, hatten ihr Ziel fast völlig erreicht. Im Buch ”Der Holokaust in Zagreb” wollte ich gemeinsam mit meinem Vater Slavko (der Mitautor und Redaktor ist) beschreiben, wie es geschah, dass in einer grossen Stadt, in einer relativ ruhigen Atmosphäre (denn Zagreb lag kaum im Bereich von Kriegshandlungen) zwischen 8 und 9 tausend Einwohner, beziehungsweise zwischen 4 und 5 Prozent der gesamten Einwohnerschaft verschwinden konnten. “Der Autor verwendete umfangreiches Archivmaterial und private Unterlagen zahlreicher Personen. Erstmalig werden Archivunterlagen bearbeitet und veröffentlicht, die bisher nie Gegenstand von Untersuchungen waren. Diese Handschrift ist nicht nur eine Fundgrube von Daten und Pflichtlektüre für jeden künftigen Forscher, sie ist auch ein gründliches synthetisches historiographisches Werk über den Holokaust in Zagreb und im Unabhängigen Staat Kroatien, wie es die bisherige kroatische Historiographie und die historische Publizistik nicht hatte” (aus der Buchbesprechung von Dr. Narcisa Lengel-Krizman). Eine andere Rezensentin, Prof. Dr. Mirjana Gross schrieb:” Auf der Basis von bisher grossteils nicht verwendeten Quellen zeichnet der Autor Ereignisse, die er nicht durch moralische Wertung kommentiert. Die Tragödie ersteht nämlich aus der Beschreibung zahlreicher Einzelschicksale, die ihre Spuren in schriftlichen Quellen und in der Erinnerung überlebender Zeugen hinterlassen haben. Dieser erschütternde Text bietet eine Fülle bisher unbekannter Angaben, die die tragische geschichtliche Wirklichkeit von allen Aspekten aus betrachten.” *Professor Ivo Goldstein, Historiker an der Universität von Zagreb. |