Glavni Rabinat u Hrvatskoj
Von Roland S. Süssmann
Das Telefon klingelt. Ein junger Israeli, Rabbi KOTEL DADON, Grossrabbiner von Kroatien, nimmt den Anruf entgegen und beginnt ein lebhaftes Gespräch… auf Kroatisch. Dieser zunächst überraschende Umstand wirkt weit weniger ungewöhnlich, sobald man diesen dynamischen und unternehmungslustigen Rabbiner besser kennen gelernt hat. Trotz aller Unterschiede weisen die Länder Osteuropas eine Gemeinsamkeit auf, nämlich das zaghafte Wiederaufleben des jüdischen Lebens auf den Ruinen der Gemeinschaften, die zwar auf eine lange Vergangenheit zurückblicken, vom Nationalsozialismus und später vom Kommunismus aber zertrümmert wurden. Es ist allgemein bekannt, dass die letztgenannte politische Doktrin je nach Land unterschiedlich streng gehandhabt wurde und sich sowohl in den Gemeinden als auch bei den einzelnen Menschen direkt auf den jüdischen Alltag auswirkte.
Das Leben der Gemeinschaft in Kroatien entsprach vor der Ernennung des Rabbis Kotel Dadon im Jahr 1998 mehr demjenigen eines Kulturklubs als einer jüdischen Gemeinde im eigentlichen Sinne. Um die Tätigkeit und Vorgehensweise dieses jungen Rabbiners voller Tatendrang besser zu verstehen, haben wir ihn in Zagreb getroffen, wo er sich dem Kreuzfeuer unserer Fragen gerne gestellt hat.

Können Sie uns in Kürze die gegenwärtige Situation Ihrer Gemeinschaft beschreiben?

Kroatien umfasst heute insgesamt neun Gemeinden, wobei die wichtigste von ihnen sich in Zagreb befindet. Ich amte als Grossrabbiner von Kroatien und bin der einzige Rabbiner des Landes (dabei schwingt Stolz in seiner Stimme mit). Ich bin 1998 hierher gekommen und bin der allererste Rabbiner, der seit der Schoah hier ernannt wurde. Auf geistlicher Ebene war das jüdische Leben auf ein absolutes Mindestmass reduziert. Sofort nach meiner Ankunft habe ich daher damit begonnen, sozusagen aus dem Nichts ein religiöses Gemeinschaftsleben aufzubauen.

Können Sie uns einige Worte zu Ihrem bisherigen Lebensweg sagen, bevor Sie uns ausführlich von dem berichten, was Sie erreicht haben? Wie sind Sie nach Zagreb gekommen?

Ich besitze ein Diplom in Rechtswissenschaft der Universität Bar Ilan und erwarb mein Diplom als Rabbiner (Smicha) an der Yeschiwah «Hamidah Hasfradit» des Rabbiners Katsin von Jerusalem. 1993 sagte mir mein Rabbiner, dass die jüdische Gemeinschaft von Kroatien, das sich damals mitten im Krieg befand, nach einem Vorsänger für die hohen Feiertage von Rosch Haschanah und Jom Kippur suchte. Ich hatte doch etwas Bedenken, mich in ein Kriegsgebiet zu begeben, doch mein Rabbiner hat mich überredet und so entstand eine wunderbare Beziehung zwischen den Mitgliedern der Gemeinde und mir. Zwischen zwei Festen habe ich ein Seminar für jüdische Studien und für Hebräisch organisiert und man hat mich jedes Jahr erneut eingeladen. 1995 beendete ich mein Studium als Rechtsanwalt und Rabbiner, doch ich hatte keinesfalls die Absicht, in diesem Bereich zu arbeiten. Ich hatte meine Ausbildung zum Rabbiner zusätzlich zum Rechtsstudium mit dem Ziel absolviert, gewisse Aspekte des israelischen Rechts besser zu verstehen. Doch die kroatische Gemeinschaft nahm regelmässig Kontakt mit mir auf und bot mir einen Posten als Rabbiner in ihrem Land an. Während den drei darauffolgenden Jahren reiste ich häufig als Gastrabbiner nach Kroatien. 1997 wurde die Renovierung der berühmten Synagoge von Dubrovnik feierlich in Angriff genommen, was mich tief berührte. Gleichzeitig drängten mich das Joint Distribution Committee, die Gemeinde von Zagreb… und meine Frau dazu, den Posten hier anzunehmen, was ich letztendlich denn auch tat. Ich begann im September 1998 hier zu arbeiten, und im November fand eine besonders bewegende Einsetzungszeremonie statt. Für die Sprache stellte ich sofort einen Lehrer an, und dank einer gewissen Begabung habe ich sehr schnell Kroatisch gelernt. Heute arbeite ich ausschliesslich in dieser Sprache und unterrichte auch auf Kroatisch.

Der wesentliche Teil Ihrer Tätigkeit besteht aus dem Aufbau oder dem Wiederaufbau eines sogenannten normalen Gemeinschafts- und Religionslebens. Wie gehen Sie dabei vor und was unternehmen Sie konkret?

Eine meiner ersten Aktionen betraf die koschere Ernährung. Ich organisierte die rituelle Schächtung von Schafen und Rindern, und seither werden alle Anlässe der Gemeinschaft streng koscher durchgeführt. Dank der Pinkus Foundation können wir verschiedene Aktivitäten anbieten, insbesondere ein koscheres Schabbat-Mahl einmal pro Monat, zu dem wir zahlreiche Familien einladen. Im selben Sinne bieten wir auch am Schabbat Mahlzeiten für junge Leute an, an denen im Schnitt 40 bis 50 Personen teilnehmen.
Hinsichtlich der Ausbildung haben wir eine Reihe von wöchentlich stattfindenden Grundkursen zu den jüdischen Feiertagen, zum Bibelstudium und für Hebräisch organisiert. Ich habe drei junge Mädchen zum Studium ins Machon Gold nach Israel geschickt, wo sie ein in Israel staatlich anerkanntes Lehrerinnen-Diplom erworben haben. Wir verfügen bereits über einen Kindergarten, der von vielen nichtjüdischen Kindern besucht wird, und wir hoffen, ab dem Schuljahr 2002 eine jüdische Primarschule eröffnen zu können, und zwar in dem Gebäude, in dem sich vor dem Zweiten Weltkrieg die damaligen Büros des Grossrabbinats befanden und das von der kroatischen Regierung vor kurzem der Gemeinschaft zurückerstattet wurde.

Sie haben gesagt, das jüdische Wissen sei hier sehr bescheiden, was höchstwahrscheinlich bedeutet, dass die hebräische Sprache überhaupt nicht mehr bekannt ist. Wie laufen die Gottesdienste ab?

Als ich hier eintraf, standen wir effektiv vor einem Problem, denn die Leute, welche die Synagoge aufsuchten, konnten dem Gottesdienst überhaupt nicht folgen, da sie nur hebräische Gebetsbücher besassen, die sie nicht lesen konnten. Ich beschloss, sofort Gebetsbücher in phonetischer Schrift drucken zu lassen, so dass die Gläubigen dem Gottesdienst folgen konnten; gleichzeitig erklärte ich ihnen die Bedeutung des Gebets. Mit der Zeit habe ich mehrere Gebetsbücher drucken lassen, zunächst diejenigen für Schabbat, dann diejenigen für die hohen Festtage. In letzteren habe ich neben dem transliterierten Text auch eine Übersetzung ins Kroatische eingefügt. Heute steht uns eine recht vollständige Palette von Gebetsbüchern zur Verfügung und alle können problemlos am Gottesdienst teilnehmen. An einem ganz normalen Freitag zählen wir zwischen 30 und 50 Besucher, wobei diese Zahl anlässlich eines Schabbat-Essens auch auf hundert steigen kann. Während den Feiertagen empfangen wir ca. zweihundert Menschen. An Pessach veranstalten wir einen grossen Sederabend für die Gemeinde, an dem ungefähr hundert Personen teilnehmen, da keine privaten Sedarim stattfinden.

Sie erwähnten ein gewisses Wiederaufleben des jüdischen Lebens, doch letztendlich ist dies eine recht technische Angelegenheit. Wie sieht es auf der Ebene der echten jüdischen Identität aus?

Man muss sich wirklich bewusst machen, dass die jüdischen Gemeinden sich jahrelang nicht als religiöse Gemeinschaft sahen, sondern als soziokulturelle Gruppe. Erst mit dem Ende des Kommunismus und dem Erstarken der Minderheiten und der religiösen Zugehörigkeit waren die Juden gezwungen, sich zu ihrer Identität zu bekennen. Die Kroaten sind katholisch und die Serben orthodox. Was aber sind die Juden? Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Assimilierung im gesamten Ex-Jugoslawien sehr bedeutend ist. Sie können sich vorstellen, dass der Kommunismus und das Nichtvorhandensein eines Rabbiners die Situation nicht erleichtert haben. Daher möchte ich Ihnen mit Hilfe von zwei sehr einfachen, konkreten Beispielen antworten. Seit meiner Ankunft habe ich eine einzige Eheschliessung durchgeführt und es gab eine einzige echte Beschneidung, diejenige meines Sohnes… im Februar 2000. Ich habe vor kurzem eine Chewrah Kadischah organisiert, was eine ziemlich umständliche Angelegenheit ist, denn alles, was mit dem Tod zu tun hat, untersteht den städtischen Behörden. Ausserdem haben wir einige Konvertierungen in direkter Zusammenarbeit mit dem Grossrabbiner von Wien und einem Vertreter des Grossrabbinats in Israel durchgeführt. Man muss begreifen, dass wir in einem Land wie dem unsrigen ganz einfach nicht funktionieren können, wenn wir Konvertierungen ablehnen. Wir sind jedoch sehr vorsichtig und erklären unseren Kandidaten, dass die Tatsache zum Judentum überzutreten nicht einem Beitritt zu einem Kulturklub gleichzusetzen ist, sondern einem mit Verantwortung verbundenen Engagement entspricht usw.
Ich weiss ebenso wenig wie alle anderen, was die Zukunft bringen wird. Ich setze Keimlinge aus, damit es nach meiner Abreise, die natürlich nicht in unmittelbarer Zukunft vorgesehen ist, hier ein fest verankertes jüdisches Leben geben kann, das noch viele Jahre lang unter der Führung eines anderen Rabbiners weiter bestehen wird. Heute hat die jüdische Bevölkerung von Kroatien die Tatsache akzeptiert, dass sie als Gemeinschaft ohne die Präsenz eines Rabbiners nicht mehr funktionieren und existieren kann. Dieser Vorgang braucht viel Zeit, ist jedoch unumstösslich. Um das Ausmass und die Langsamkeit der Veränderung zu verstehen, muss man sich daran erinnern, dass der Kommunismus 1989 zusammenbrach und dass ich erst ca. zehn Jahre später mein Amt antrat. Aufgrund meiner täglichen Tätigkeit bin ich überzeugt, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden und dass wir der Zukunft mit konstruktivem Optimismus entgegen sehen können, gesetzt den Fall, dass sich die Gemeinde ganz besonders um die jüdische Ausbildung und Erziehung bemüht. Wenn die jüngere Generation ihre Wurzeln nicht kennt und nicht weiss, was ein Jude ist und welches die Grundlagen und Hintergründe unserer Identität sind, sieht die Zukunft meines Erachtens nicht sehr rosig aus. Wir arbeiten aber nach Kräften an einer Stärkung der jüdischen Identität, und daher setze ich grosse Hoffnungen auf die Eröffnung unserer neuen jüdischen Primarschule.

Abschliessend können wir sagen, dass Grossrabbiner Kotel Dadon nach dem biblischen Motto handelt, in dem Realismus und Hoffnung zusammen treffen, und das lautet: «Hüter Israels, bewahre den Rest Israels; lass nicht zu, dass das Volk Israels zugrunde geht, das täglich ruft: Höre, Israel (Schemah Israel)».