Solidarität - Wo bist Du ?
Von Roland S. Süssmann
Das berühmte King David Hotel, das Juwel der israelischen Tourismusindustrie und der weltweiten Hotellerie, thront weiterhin majestätisch im Zentrum von Jerusalem. Wenn man das Gebäude so von weitem sieht, kann man sich nicht vorstellen, welche menschliche Tragödie sich hier, wie in den meisten israelischen Hotels, seit Ende September 2000 abspielt: die Lobby und die Restaurants bleiben leer, einige Stockwerke sind geschlossen, zahlreiche Mitarbeiter werden entlassen. Seit diesem unheilvollen Datum, als Arafat Israel erneut den Krieg erklärte, geht der Tourismus im jüdischen Staat immer mehr zurück. Zu Beginn redeten sich alle ein, es sei nur eine vorübergehende Flaute. Doch sehr rasch blieben die Touristen Israel fern, so dass zwei Wochen nach dem Beginn der arabischen Ausschreitungen, am Frühstück vor dem Sukkoth-Fest 2000, im herrlichen Speisesaal des prestigeträchtigen Hotels nur drei Tische besetzt waren. Kurz darauf setzten die Entlassungen ein.
Wir wollten uns ein Bild von der Situation des Tourismus in Israel im Allgemeinen sowie in Jerusalem und im Hotel King David im Besonderen verschaffen und sind zu diesem Zweck mit CHAIM SHKEDI zusammengetroffen, einem eminenten Fachmann der Touristikbranche und Direktor des berühmten Hotels.

Könnten Sie zu Beginn kurz daran erinnern, wie es gekommen ist, dass die in Israel verkauften Hotelübernachtungen so dramatisch zurückgegangen sind?

Das Jahr 2000 kündigte sich als ausgezeichnet für den Tourismus in Israel an. Nach einigen schwierigen Jahren waren wir optimistisch, wir begannen daran zu glauben, dass es mit dem Tourismus wieder aufwärts gehen würde, was durch mehrere vielversprechende Vorzeichen angekündigt wurde. Gleich nach dem Einsetzen der arabischen Feindseligkeiten haben wir sofort begriffen, dass dies fatale Folgen haben würde, und leider hat uns dieses Gefühl nicht getäuscht. Sehr schnell trafen während Sukkoth die ersten Annullationen ein. Der Oktober 2000 war zwar noch mehr oder weniger annehmbar, doch der November erwies sich als einer der schlechtesten Monate, die wir seit langem erlebt hatten. Wir erhielten nicht nur zahlreiche Absagen, sondern konnten auch keine einzige neue Buchung verzeichnen. Gegen Mitte des Winters, als vor allem die amerikanischen Juden das Ausmass der Katastrophe erfasst hatten, wurden erste Solidaritätsaktionen organisiert (wo waren aber die Schweizer Juden, die wie immer durch Abwesenheit glänzten? Anm.d.Red.). Sie schafften es, einige tausend Amerikaner nach Israel zu bringen, so dass wir genug Reserven besassen, um den Winter zu überstehen. Als nun die Monate vergingen, mussten wir einsehen, dass die neue Intifada keine vorübergehende Krise darstellen würde, sondern eine neue Situation verkörperte, mit der wir leben und an die wir uns gewöhnen mussten, deren Ausgang aber unvorhersehbar blieb. Während sechs oder sieben Monaten war keine Besserung der Lage abzusehen, die sich dann jedoch stabilisierte. Wir konnten nun mit einer Auslastung von ungefähr 30% rechnen. Dies ist natürlich alles andere als gut, doch wir können damit überleben.

Entspricht dieser Prozentsatz der durchschnittlichen Anzahl Übernachtungen in Israel im Allgemeinen ?

Jerusalem ist schlechter dran als der Rest des Landes, doch das King David weist die höchste Rendite der Stadt auf. Dies lässt sich dadurch erklären, dass alle Hotels in Israel ihre Preise deutlich nach unten korrigieren mussten. Die wenigen Touristen, die heute noch nach Israel reisen, können sich folglich das King David zu einem Preis leisten, der ihrem Budget entspricht, was davor nicht der Fall war. Wenn jemand im besten, oder sagen wir im früher teuersten Hotel der Stadt wohnen kann und dafür ebenso viel zahlt wie in einem anderen Etablissement, wäre er dumm, darauf zu verzichten. Im Gegensatz zu dem, was man annehmen könnte, machen offizielle Delegationen nur 3 bis 4% unserer Kundschaft aus. Wir können uns nicht immer auf sie verlassen, denn sie annullieren sehr oft in letzter Minute. Darüber hinaus benutzen sie in den meisten Fällen nur die Zimmer und nur selten die anderen Dienstleistungen des Hotels. Natürlich trägt ihre Präsenz sehr zur Bereicherung des Hotelalltags bei, doch was den Unterschied ausmacht, sind die Kunden, die aus eigenem Antrieb ins King David kommen, seien es nun Einzelpersonen oder Gruppen, alles Juden. Wir konnten die interessante Feststellung machen, dass wir früher oft den Monat mit hohen Reservationsquoten begannen, die im weiteren Verlauf deutlich zurückgingen, während heute zu Beginn des Monats nur recht wenige Buchungen vorliegen und wir am Ende doch den Durchschnitt des vorangehenden Monats erreichen.

Es kommen heute also andere Kunden ins Hotel und es ist interessant zu sehen, dass es nun viel mehr Israelis sind als früher. Auch hier kann man sich fragen, ob dieses Phänomen nur im King David zu beobachten ist, oder ob es sich um einen allgemeinen Trend handelt, der sich gegenwärtig in Israel entwickelt.

Vor der Intifada waren im Schnitt 7 bis 9% unserer Kunden Israelis. Heute liegt dieser Anteil zwischen 25 und 35%, denn wir haben begriffen, dass wir ohne diese Kundschaft nicht überleben könnten. Wir haben daher auf preislichem Niveau alles unternommen, damit Gruppen von Israelis Ferien, Wochenenden, berufliche Seminare usw. im Hotel verbringen können. Ich denke, dass sich die Hotelbranche auf diese Weise über etwas sehr Gesundes und Positives klar wird. Es ist für niemanden mehr ein Geheimnis, dass die israelische Bevölkerung harte Zeiten durchmacht. Wenn wir es einer bestimmten Bevölkerungsschicht ermöglichen, auf andere Gedanken zu kommen, dem grauen Alltag zu entfliehen, indem sie ein Wochenende oder ein paar Ferientage in einem Hotel verbringt, das sie sich normalerweise nicht leisten könnte, tragen wir auf bescheidene Weise dazu bei, die Stimmung einiger unserer Mitbürger aufzuheitern. Meiner Ansicht nach treffen wir zwei Fliegen auf einen Schlag: einerseits ist es uns so möglich weiterzubestehen, und andererseits entdecken die Israelis, die von diesen Angeboten profitieren, oft ihr eigenes Land neu und haben Gelegenheit, eine angenehme Zeit in einem Luxushotel zu verbringen, was ihnen sicher ebenso viel Freude macht wie uns. Dazu muss man wissen, dass die Situation der israelischen Hotellerie ohne die inländischen Touristen noch viel miserabler wäre. Ich denke beispielsweise an Eilat, wo bis zum Beginn der Intifada pro Woche 40 europäische Charterflüge landeten, während es heute nur noch einer ist. So wurde die letztjährige Weihnachtssaison durch unsere israelischen Kunden gerettet.

Hat Sie diese Situation veranlasst, das Hotel anders zu organisieren?

Wir haben uns zwar an die neuen Gegebenheiten angepasst und haben effiziente Neuerungen eingeführt, die sich aufdrängten: leider betraf das zunächst eine Reduktion der Anzahl Angestellten und der Betriebskosten auf ein absolutes Minimum. Dennoch haben wir beschlossen, uns weiterhin dafür einzusetzen, damit der hohe Stand der Hotellerie, an den unsere Kundschaft gewöhnt ist, nicht mehr als wirklich notwendig gesenkt wird. Wir verzichten z.B. auf fast den gesamten Blumenschmuck, der früher von allen bewundert und genossen wurde.

Hat sich auch die Art der Arbeit verändert?

Es gibt, wie in allen Situationen, Vor- und Nachteile. Ich glaube, dass eine der positivsten Auswirkungen darin besteht, dass wir – wenn auch auf die harte Tour – gelernt haben, effizienter zu sein, um Erfolg zu haben. Natürlich sind wir schon immer den klassischen Leitsätzen des Metiers gefolgt, wie etwa dem Motto «der Kunde hat immer Recht und wir sind abhängig von ihm», doch zur Zeit haben alle unsere Mitarbeiter eingesehen, dass ihr berufliches Überleben und die Möglichkeit, ihre Familien zu ernähren, direkt vom Kunden und vor allem davon abhängt, wie sie selbst arbeiten, nämlich besser, schneller, effizienter. Die Arbeit, die früher von zehn Personen erledigt wurde, wird heute von zwei Angestellten gemacht, und das noch rascher, energischer und angemessener.
Einer der negativen Punkte ist sicher die Tatsache, dass wir, wie bereits erwähnt, unsere Kosten senken mussten. Wir verstehen uns aber weiterhin als Luxushotel, in dem die Kundschaft das gewisse Etwas erwarten kann, weswegen sie gern in diese Art von Hotels kommt. Es ist nun unsere Aufgabe, ein Gleichgewicht zu finden, so dass wir die Kosten reduzieren können, ohne dass die Kunden merken, dass wir ihnen das «gewisse Etwas» «vorenthalten». Wir haben beispielsweise unsere Abteilung des Concierge aufgehoben, auf die wir so stolz waren. Sie war die beste in ganz Israel, denn sie wurde von jungen Profis betrieben, die sympathisch, effizient, mit ausgezeichneten Manieren versehen und mehrsprachig waren und ausserdem über ein sehr vollständiges Computersystem verfügten, das regelmässig mit den kleinsten Wünschen unserer Stammkunden aktualisiert wurde. Heute sind es die Angestellten an der Rezeption, die diese Aufgabe erfüllen, sie tun auch ihr Bestes, doch es sind natürlich keine Fachleute mehr. Wir besassen ebenfalls ein «Butler»-System in den Zimmern, das von den Leuten sehr geschätzt wurde, die Hilfe beim Auspacken ihrer Koffer wünschten oder sonst eine individuelle Dienstleistung benötigten; unsere Abteilung für sogenannte allgemeine Dienste stand rund um die Uhr zur Verfügung und ging auf alle Kundenwünsche ein. Alle diese Dienstleistungen, die nicht absolut unerlässlich sind, aber ein Viersternehaus von einem Luxushotel unterscheiden und von einer gewissen Kundschaft sehr geschätzt werden, mussten aufgehoben oder sehr stark vereinfacht werden. Und schliesslich mussten wir auch das «Régence» schliessen, unser Nobel-Grillrestaurant, in das wir viel Geld gesteckt hatten und das für seine «à la carte»-Menüs berühmt war. Ich hoffe, es an Pessach wieder eröffnen zu können, doch das ist noch nicht endgültig entschieden.

Glauben Sie, dass Sie angesichts der Situation irgendwann gezwungen sein könnten, das Hotel zu schliessen?

Ich denke nicht, denn wir haben ein Budget für 2002 aufgestellt, in dem eine Auslastung von 30 bis 35% vorgesehen ist und das uns gar einen kleinen Gewinn ermöglicht. Ich bin etwas optimistischer als noch vor zwei Monaten. Letztendlich werden die Juden der Diaspora irgendwie das Bedürfnis verspüren nach Israel zu reisen, sei es nun für die Religion, die Familie, die Ideologie oder aus anderen Gründen. Seit ungefähr fünfzehn Monaten sind sie nun ziemlich frustriert, und ich bin überzeugt, dass sie diesem Wunsch sehr bald wieder nachgeben werden. Zur Zeit arbeiten wir mit einem auf das Nötigste reduzierten Team, d.h. mit 190 Angestellten, von denen 60 nur Teilzeit arbeiten, anstelle von den 320 bis 350 Mitarbeitern in den guten Jahren.
Betrachtet man die allgemeine Situation, so mussten in Israel wohl einige Hotels geschlossen werden, laut den angeführten Zahlen sollen es ungefähr fünfzig sein, was einem Anteil von 20% unserer Branche entspricht. Nach einer genaueren Analyse stellt man jedoch fest, dass die Hotels, die geschlossen wurden, keine eigentlichen Hotels im strengen Sinne waren, so dass letztendlich nur sieben grosse Häuser den Betrieb eingestellt haben, was aber auch schon schlimm genug ist.

Wir befinden uns im jüdischen Staat, und es fällt einem auf, dass sie arabische Angestellte behalten, während jüdische Mitarbeiter entlassen werden. In einem arabischen Staat würden mit Sicherheit als Erstes die Juden ihren Job verlieren. Können Sie uns erklären, weshalb Sie in Israel «mehr Güte» zeigen müssen?

Ihre Beobachtung trifft zu, doch so einfach ist das alles nicht. Es ist uns ein besonderes Anliegen, auch dem arabischen Bevölkerungsteil, die einen Fünftel unserer Mitbürger ausmacht, Arbeit zu geben, denn wenn diese Menschen keine Stelle haben, könnten sie sich in ihrer Untätigkeit gegen uns wenden. Auf moralischer Ebene gehe ich davon aus, dass sie rechtlich vollwertige Bürger von Israel sind und daher auch dasselbe Recht auf Arbeit besitzen wie wir alle. Ein Drittel unserer Angestellten sind also Araber. Dazu muss auch gesagt werden, dass es viele Verrichtungen gibt, die ein Jude ablehnen würde. Und schliesslich brauchen wir auch eine Reihe von Nichtjuden, die am Schabbat arbeiten, und uns ist es lieber, dass unsere Angestellten an ihren religiösen Feiertagen nicht arbeiten. Wir versuchen also zu vermeiden, dass die Araber am Freitag, die Juden am Schabbat und die Christen am Sonntag beschäftigt werden.

Sie haben also zahlreiche arabische Mitarbeiter. Wie gewährleisten Sie die Sicherheit im Hotel?

Alle unsere arabischen Angestellten werden regelmässig von den Behörden kontrolliert und wir haben selbst eine Reihe von betriebsinternen Systemen entwickelt, um sie im Auge zu behalten. Wir beschäftigen nur israelische Araber, d.h. niemanden aus den Gebieten. Ausserdem haben wir in einer einzigen Abteilung die Zahl der Mitarbeiter erhöht, nämlich in derjenigen für Sicherheit, wo wir die Zahl der Mitarbeiter fast verdreifacht haben. Ich bin aber überzeugt, dass unsere Angestellten dankbar dafür sind, eine Arbeit zu haben und ihre Familien ernähren zu können.

Es gibt keinen Zweifel: eine Reise nach Israel stellt keine Heldentat oder Wohltätigkeit dar: es geht nur darum unsere Pflicht zu erfüllen und somit unsere Solidarität an den Tag zu legen.