Das Leben geht weiter | |
Von Roland S. Süssmann | |
In allen Demokratien gibt es eine Handvoll Männer und Frauen, die sich für ein Leben zu Gunsten eines Ideals entscheiden und sich eine Existenz im Rahmen einer als gerecht empfundenen Sache aufbauen möchten. In Israel trifft dies ganz besonders auf die Bewohner der jüdischen Gebiete von Judäa, Samaria und Gaza zu, die sich heute mehr denn je für die Entwicklung derjenigen Regionen des Landes einsetzen, die von strategisch höchster Bedeutung sind. Dieser Bevölkerungsgruppe, die von der jüdischen wohlmeinenden Linken, sowohl in Israel als auch in der Diaspora, als «Fanatiker und Radikale» beschimpft und bezeichnet wird, trifft heute in diesen Kreisen allmählich auf etwas Verständnis, ja man unterstützt sie manchmal sogar. Die Bewegung, welche die Besiedlung der jüdischen Territorien anstrebt, wird heute natürlich immer noch nicht vollkommen akzeptiert; von einem linksradikalen französischen Juden wurde diese merkwürdige Entwicklung in einer Chronik folgendermassen zusammengefasst: «Jede friedliche Lösung setzt die Aufhebung zu 80% der jüdischen Siedlungen voraus», was bedeutet, und dies ist etwas ganz Neues, dass der Gedanke, 20% von ihnen beizubehalten, sich nun langsam durchsetzt, obwohl dies natürlich immer noch weit ungenügend ist. Die Besiedlung der jüdischen Gebiete von Judäa, Samaria, Gaza, «YESHA» genannt – YEhudah-SHomron-Aza –, wird seit Januar 2002 von BENZY LIEBERMANN geleitet, einem Rechtsanwalt, der schon immer der Organisation angehört. Seit dreieinhalb Jahren steht Benzy an der Spitze des Regionalrates von Samaria: diese Region macht auf Grund ihrer Grösse fast 10% der Gesamtfläche von Israel aus und umfasst 33 Ortschaften, in denen ca. 60'000 Juden leben. Können Sie uns in wenigen Worten die gegenwärtige Situation vor Ort zusammenfassen? Trotz der Abkommen von Oslo, Kairo und Wye, welche die Interessen der Araber und der PLO in den Vordergrund stellten und deren Endziel die Schaffung eines palästinensischen Staates auf unserem Territorium war, hat sich unsere Bevölkerung mehr als verdoppelt. Dies trifft vor allem für das Zentrum von Samaria zu, wo 1993 insgesamt 8'000 Menschen lebten. Heute sind es fast 20'000 Personen. Ausschlaggebend an diesem Beispiel ist die Tatsache, dass unser Kampf nicht nur auf politischer, sondern auch auf praktischer Ebene vor Ort erfolgreich ist. Die tägliche Realität bestätigt nämlich das alte Prinzip, nach dem die Regionen, in denen sich zahlreiche Juden nachhaltig niedergelassen haben, nicht Gegenstand von Verhandlungen sein können. Als Beweis dient mir dazu die nördliche Region von Samaria, in der nur ganz wenige jüdische Siedler wohnen und die heute gemäss den Abkommen zum grössten Teil unter der Herrschaft von Arafat steht. Es stimmt, dass die jüdischen Ortschaften dieser Zone nicht aufgehoben wurden, doch das Leben der Einwohner ist problematischer geworden und verlangt nach verstärktem Schutz. Die israelische Präsenz an diesen Orten ist äusserst wichtig. Die dort lebenden Juden (in Schaked, Dotan, Chermesch usw.) haben ihre Häuser nämlich auf den Hügeln, welche auf der westlichen Flanke hoch über der Stadt Um El Fakchem liegen, in der israelische Araber leben, auf der östlichen Flanke dominieren sie die Stadt Jenin, die sich in den Händen der PLO befindet. Unsere Präsenz hat bisher verhindert, dass in dieser zentralen Region des Landes ein territoriales oder politisches Zusammenwachsen zwischen den israelischen Arabern und der PLO stattfinden konnte. Vor ungefähr zwanzig Monaten hat Arafat uns aber erneut den Krieg erklärt und legt uns jetzt neue, extrem harte Lebensbedingungen auf, auch wenn die Schwierigkeiten von Region zu Region anders ausfallen. Das Reisen ist schwieriger geworden, die Leute benutzen nur ungern die Strasse, wenn es nicht unbedingt notwendig ist. Gleichzeitig machen wir die interessante Feststellung, dass sich alle darum bemühen, ein so normales Leben wie möglich zu führen. Kurz, das Leben geht weiter. Zum Schutz unserer Bevölkerung haben wir Transporte in gepanzerten Fahrzeugen organisiert, gewisse Regionen werden etwas weniger regelmässig bedient, doch viele Menschen fahren immer noch ihren Privatwagen, insbesondere Frauen sind oft allein unterwegs. Im Grossen und Ganzen wachsen und bauen wir weiter… und verkaufen weiterhin den Wohnraum, den wir auf dem Markt anbieten. Wer sind die Menschen, die sich in Ihrer Region niederlassen, und wer zieht letztendlich fort? Es stimmt, dass die Entwicklung, die in den vergangenen sieben Jahren erfolgte, d.h. vor dem Wiedereinsetzen der arabischen Gewalt, sich verlangsamt hat. Damals stieg die Bevölkerung im Schnitt um 14% pro Jahr, während dieser Anstieg im letzten Jahr deutlich geringer ausfiel. Wir beobachten jedoch ein sehr interessantes Phänomen. Die Leute verlassen vor allem diejenigen Ortschaften, in denen sie sich ausschliesslich auf Grund der Lebensqualität oder aus wirtschaftlichen Gründen niedergelassen hatten. Diejenigen Dörfer, die aus ideologischen Grundsätzen entstanden sind, kennen dieses Problem nicht, und ausserdem erleben sie einen oft erstaunlichen Aufschwung. Es ist unsere Aufgabe, jede dieser Ortschaften dabei zu unterstützen, so normal wie möglich weiterzuleben. Dies ist natürlich von Ort zu Ort unterschiedlich, und unser Vorgehen verlangt sehr viel Flexibilität, Initiative und Phantasie, da es nicht für die gesamte Region identisch sein kann. In einer Ortschaft muss beispielsweise eine Umfahrungsstrasse gebaut werden, in einer anderen drängt es sich auf, noch mehr gepanzerte öffentliche Transportmittel anzubieten, während in einer dritten eine Reihe von Gemeindestellen neu eingerichtet werden müssen usw. Seit Anfang Januar dieses Jahres stehen Sie an der Spitze von YESHA. Welche Funktion über Sie genau aus? YESHA ist eine Dachorganisation, in der 24 Regionalräte und Gemeinden zusammengefasst sind. Diese Institution besitzt zwei Hauptziele. Das erste besteht darin, die Besiedlung der jüdischen Gebiete in Judäa, Samaria und Gaza zu fördern, indem so viele Juden wie möglich ermutigt werden, sich hier niederzulassen. Dies heisst auch, dass wir die Voraussetzungen bereit stellen müssen, die es ihnen erlauben, diesen Schritt zu unternehmen, dass wir also Wohnraum und eine Infrastruktur in Form von Strassen und Einrichtungen zur Verfügung stellen müssen, was natürlich nur in direkter Zusammenarbeit mit der Regierung erfolgen kann, sowohl auf technischer als auch auf finanzieller Ebene. Im Verlauf des letzten Jahres haben wir vor allem die Fragen der Sicherheit in den Vordergrund gestellt. Es ist fast unmöglich für eine Dachorganisation Ausgaben auf sich zu nehmen, wie z.B. die Anschaffung von gepanzerten Fahrzeugen. YESHA besitzt keinen offiziellen Status, wird aber als einzige zentralisierte Organisation anerkannt, welche die Interessen der Juden in diesen Regionen wahrnimmt. Ihr eigentliches Ziel besteht darin, die Ideologie des religiösen Zionismus zu verwirklichen, d.h. die allgemeine Entwicklung, die Besiedlung und die Bebauung sämtlicher jüdischer Gebiete in Israel. Der zweite Teil unserer Tätigkeit besteht aus der Pflicht, den Dialog mit den Israelis aufzunehmen und ihnen unser Vorgehen zu erklären. Es handelt sich um Informationsarbeit, die mit aller Gründlichkeit erfolgen muss. In den vergangenen zehn Jahren sah die israelische Bevölkerung die Bewohner unserer Regionen einerseits als ein Hindernis für den Frieden und andererseits als einen Teil der Bevölkerung, deren Schicksal niemanden interessierte. Der Frieden mit den Arabern schien in Greifweite zu liegen, warum sollte man sich unter diesen Umständen um einige «Erleuchtete» kümmern, die sich mit der Bibel in der einen und der Waffe in der anderen Hand auf diesen Hügeln niederliessen, die man sowieso demnächst an Arafat abzutreten hatte? Diese Einstellung hat dazu geführt, dass die Beziehungen zwischen den Bewohnern von YESHA und dem grössten Teil der israelischen Bevölkerung immer distanzierter wurden, es gab praktisch keine direkte Kommunikation mehr zwischen den beiden Teilen unserer Gesellschaft. Es ist jedoch äusserst wichtig, dass die meisten Israelis begreifen, dass die Bewegung zur Besiedlung unserer Regionen für die gesamte Nation lebenswichtig ist, dass sie eine Verteidigungsmauer für die Küstenregionen darstellt, wo die meisten Israelis leben, und dass sie genauso Teil der zionistischen Bewegung und Ideologie ist wie die Bautätigkeit und die Entwicklung von Tel Aviv, Haifa oder Hadera. Wenn wir es nicht schaffen, zwischen uns Solidarität entstehen zu lassen, stehen wir sehr schnell vor sehr schwerwiegenden internen Problemen. Darüber hinaus würden derartige Diskussionen eine grosse Gefahr für uns alle darstellen, sobald eines Tages die Friedensverhandlungen mit den Arabern erfolgreich verlaufen. Heute ist die Bevölkerung, die an die Illusionen von Oslo glauben wollte, zutiefst enttäuscht und sucht nach einer neuen konstruktiven Botschaft. Es ist folglich unsere Pflicht, ihr dieses Element zu liefern, indem wir alle möglichen Veranstaltungen organisieren, die von der einfachen, informellen Versammlung über Solidaritätskundgebungen bis zu Konferenzen reichen. Leider hat unsere Geschichte gezeigt, dass die Juden den Ernst der Lage erst dann erkennen, wenn die Nichtjuden ihnen das Leben schwer machen. In den letzten Jahren haben wir festgestellt, dass es uns die Hartnäckigkeit von Hafez El Assad ermöglicht hat, den Golan zu behalten, und dass die Gewalttätigkeiten von Arafat den Israelis, die uns ablehnten, zeigten, dass die Besiedlung unserer Regionen kein grundlegendes Problem darstellen. Sie haben begriffen, dass es für Arafat inakzeptabel ist, dass eine jüdische und zionistische Gemeinschaft auf dem Landesgebiet von Israel existiert. Arafat duldet uns weder in Hebron, noch in Bet El oder in Tel Aviv. In den vergangenen 18 Monaten hat Arafat, dem Israel praktisch alle unsere Gebiete sowie die Hälfte von Jerusalem angeboten hatte, bewiesen, dass er ganz einfach nicht in Frieden mit uns zusammen leben will und dass es für ihn ausgeschlossen ist ein Abkommen zu unterschreiben, welches das Ende der Feindseligkeiten bedeuten würde. Diese Tatsache hat diejenigen erschüttert, die in den letzten zehn Jahren blind an die Versprechungen von Oslo geglaubt haben. Wir haben uns natürlich nicht hier niedergelassen, weil es in Kischinev Pogrome oder weil es die Schoah gegeben hat, und wir setzen die Entwicklung unseres Landes im Allgemeinen und diejenige unserer Regionen im Besonderen auch nicht aufgrund der Ausschreitungen von Arafat fort. Unsere Bindung an dieses Land reicht sehr viel tiefer und verkörpert den Hauptgrund für unsere Präsenz hier. Es stellt sich nun die konkrete Frage, ob diese von Ihnen vermittelte Botschaft von den Israelis akzeptiert wird, die Sie letztendlich nicht sonderlich achten oder Ihnen gar feindlich gegenüber stehen. Wie ich bereits sagte, ist es heute an uns, die ideologische Leere auszufüllen, in der die israelische Gesellschaft steckt. Dies gibt uns die Gelegenheit, uns Gehör zu verschaffen, und wir müssen um jeden Preis erfolgreich sein. Diese Arbeit kann nur erfolgen, indem wir von Stadt zu Stadt gehen und mit unseren Mitbürgern sprechen. Wir besitzen ein besonderes Programm, das gegenwärtig eingeführt und aktiviert wird; wir haben übrigens hervorragende Erfahrungen mit den Mitgliedern eines sehr schicken Country Clubs im Norden von Tel Aviv gemacht, wo die «High Society» Israels wohnt. Sie haben uns aufgesucht und wir werden eine Reihe von Informationsveranstaltungen mit ihnen durchführen. Dies bedeutet nicht, dass zwischen uns und der Linken eitel Sonnenschein herrscht und dass alle Meinungsunterschiede aus der Welt geschafft wurden, doch es besteht die Chance, dass unser Anliegen angehört und unterstützt wird. Wie sehen Sie die Zukunft und was möchten Sie in den kommenden zwei Jahren erreichen? Mein Hauptziel besteht darin, dass sich so viele Juden wie möglich in unseren Regionen niederlassen, denn wenn wir geschwächt werden, wird das Leben in ganz Israel und vor allem in den Küstenstädten immer schwerer. Es ist eine riesige Herausforderung, denn wir befinden uns in einer Kriegssituation, und ich muss sagen, dass unsere gegenwärtige Regierung nicht alles in ihrer Macht Stehende unternimmt, um dem ein Ende zu setzen. Ich werde meinerseits alles tun, um unseren Regionen zu einem allgemeinen, bedeutenden Aufschwung zu verhelfen. Man darf nicht vergessen, dass hier heute über 214'000 Juden wohnen, für die ich mich verantwortlich fühle. |