Editorial
Von Roland S. Süssmann - Chefredakteur
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
«Der Geschichte dient als Mülldeponie manchmal eine Zeit wie die unsere.» Mit diesem Spruch im Kopf und vor dem Hintergrund der tragischen Realität und der Trauer verfolgen wir gegenwärtig die Ereignisse in Israel. Die internationale Presse steht, mit Ausnahme des Wall Street Journal, geschlossen hinter den Arabern und spielt die Zahl der jüdischen Opfer systematisch herab, obwohl sie im Gegenzug den Toten, die im arabischen Lager auf Grund präventiver Militäraktionen Israels zu beklagen sind, einen hohen Stellenwert einräumt. Der jüdische Staat ist und bleibt, wie üblich, der «Sündenbock». Die ist alles andere als überraschend, denn einmal mehr verteidigen die Juden der Diaspora aus Furcht, «allzu jüdisch» zu wirken, ihre Interessen nur zögerlich. Die Araber hingegen sind kämpferisch, entschlossen, hasserfüllt: die Juden und die Demokraten sind ihre Feinde und ihren grausamsten Sieg feierten sie auf dem Höhepunkt ihres Kampfes am 11. September 2001. An dem Tag, als «die Welt sich veränderte»! Wirklich? Vielleicht für die USA, die ihre «Kristallnacht» erlitten und einen Aufschwung des Patriotismus erlebten, aber bestimmt weder für Israel noch für die jüdische Welt. Der neue Abnützungskrieg, der uns vom Terroristen Arafat seit September 2000 aufgezwungen wird, geht weiter, mit dem Unterschied, dass am besagten Tag in den arabischen Städten und Dörfern der von der PLO kontrollierten Zone Freudentänze aufgeführt wurden. Die UNO verurteilt Israel weiterhin dafür, dass es seine Verteidigung sichert, und der Antisemitismus, der bereits immer mehr Anhänger gewinnt, entwickelt sich in ganz Europa und Amerika immer weiter.
Jeder von uns macht sich Sorgen um Israel und fragt sich, welche Entwicklungen nun zu erwarten sind. Ariel Sharons Rolle ist gewiss nicht einfach, doch der alte Löwe weiss genau, welches Ziel er anstrebt, wie er es erreichen kann und wie er mit seinem Gegner umgehen muss, damit dieser ihn am Schluss um Gnade anfleht! Seine Winkelzüge und politischen Listen ändern nichts an seiner Kriegsstrategie.
Die Israelis wollen den Frieden und möchten vor allem in Frieden leben, doch den erreicht man nicht durch irgendwelche «Prozesse». Der jüngste dieser Versuche, der Schwindel von Oslo, liefert den blutigen Beweis dafür.
Auch wenn ich den einen oder anderen damit schockiere, denke ich, dass die gegenwärtige Explosion der Gewalt mit den damit verbundenen Schrecken und Leiden für Israel eine Gelegenheit darstellt. Zahlreiche historische Beispiele zeigen, dass die Bekämpfung von Problemen des Terrors, der Rebellion oder verlogener Behörden mit Hilfe von Gewalt immer zu einer erfolgreichen und endgültigen Lösung führte. Daher stellt das Scheitern des kriminellen Osloer Prozesses keinen Rückschlag dar, sondern eine Chance, die PLO politisch abzuschütteln.
Die Situation von Ariel Sharon könnte dennoch nicht komplexer sein, und man muss sich klar machen, welchen Drahtseilakt er gezwungenermassen zu vollführen hat, und sei es nur im Rahmen seiner Koalition. All jene, die am Abend seiner Wahl in Israel weilten, erinnern sich daran, wie das Land einen kurzen Augenblick lang von einer riesigen Welle der Hoffnung erfasst wurde. Ehud Barak hatte das Land in Gewalt und Chaos gestürzt, und viele wollten entgegen aller Logik glauben, der «alte Haudegen» würde nun alle Probleme auf einen Schlag wegzaubern und lösen. Das Erbe entpuppte sich aber als ebenso schwer wie vertrackt.
Die Verbissenheit der Araber bei der Fortführung ihres Kampfes, die sie mit der Ablehnung des israelischen Staates seit 1948 begründen, ist auf zwei widersprüchliche Ursachen zurückzuführen: die Kraft Israels – auf militärischer Ebene und durch die nationale Einheit – und seine Politik der Zurückhaltung, die als Zeichen der Schwäche ausgelegt wird. Während meinen Gesprächen mit dem Premierminister hat mir dieser immer gesagt, er würde alles tun, um den Terrorismus zu bekämpfen, ohne das Land in einen alles erfassenden Konflikt zu ziehen, da die bestehenden Friedensverträge zu unsicher seien.
Konkret beziehen die Beurteilungen der Lage verschiedene Aspekte ein: die Situation in den Gebieten und die Lösung der alltäglichen Probleme – die geopolitische Realität und die Vorbereitung der Zukunft – die Reaktionen in den USA. Die Aussenpolitik dieses Landes wird nämlich von zwei einfachen Worten bestimmt, die alles andere zur Nebensächlichkeit degradieren: «American interests». Man muss sich daran erinnern, dass Israel nach dem 11. September gebeten wurde sich herauszuhalten, während Präsident Bush erfolglos versuchte, eine neue arabische Koalition zusammenzustellen.
Was muss man, was kann man unter diesen Umständen tun?
Wendet man sich einen Moment lang von den Schreckensbildern ab, die mit jedem Attentat einhergehen, ignoriert man das jüdische Blut, das in den Strassen Israels vergossen wird, kann man feststellen, dass sich die Politik Sharons langsam, aber sicher auszahlt, denn bisher hat Arafat gar nichts erreicht. Die USA haben ihm keinerlei Zugeständnisse gemacht und haben ihre Einstellung gegenüber dem hebräischen Staat nicht geändert. Die Regierung der nationalen Einheit ist immer noch im Amt. Israel hat in keinem Punkt nachgegeben, weder in Bezug auf das Territorium, noch in der Politik. Überall in Israel tötet Arafat weiterhin auf wahllose Art Juden und hofft dabei die Bevölkerung auszulaugen und sie gegen ihre eigene Regierung aufzuhetzen, wie dies bei der libanesischen Frage 1982 geschah.
«Mut, Geduld, Kraft und Entschlossenheit» sind die Grundsätze, nach welchen der Premierminister handelt. Der gesunde Menschenverstand führt zum Schluss, dass die gegenwärtige Regierung der Politik der Zurückhaltung zum Trotz mit der Zeit keine andere Wahl haben wird, als die PLO zu vernichten. Wenn sie es nicht tut, wird es die nächste Regierung tun (zum Preis von wie viel Tod und Trauer?). Heute gibt es nur eine mögliche Reaktion auf die Verbrechen des arabischen Terrors: die übliche jüdische Antwort, diejenige der Würde angesichts von Leid. Sie hat weder mit blutrünstiger Gewalt zu tun noch mit der Zurschaustellung von Kinderleichen vor Fernsehkameras, sie ist positiv und beschränkt sich auf die Gründung eines neuen jüdischen Dorfes nach jedem Anschlag, auch wenn die ganze Welt dies als einen Skandal bezeichnet. Dies wird der nächste obligatorische Schritt der Regierung sein. Vergessen wir nicht, dass die Araber drei Dinge verabscheuen: die jüdische Immigration in Israel, den verstärkten Bau von Wohnungen und die Einheit des jüdischen Volkes!
Es gibt keine kurzfristigen Lösungen. Kurzfristig muss entschieden werden, was zu tun ist, falls Saddam oder Rafsanjani Israel angreifen, um ihr fehlendes Einverständnis mit der amerikanischen Politik zu demonstrieren, oder falls die USA in den Irak einmarschieren. Langfristig werden wir in Bezug auf die Verteidigung immer eine Länge Vorsprung vor unseren Feinden haben müssen, langfristig geht es um Immigration, Wohnungsbau und wirtschaftliche Entwicklung des Landes.
Bei uns hat sich die Schweiz entschlossen, der UNO beizutreten. Dies stellt eine Gelegenheit für die Eidgenossenschaft dar zu beweisen, dass sie ihr Verhalten während des Zweiten Weltkriegs offiziell und ernsthaft bedauert. Die Historiker haben gezeigt, dass die Schweiz als Staat aktiv mit den Nazis zusammenarbeitete. Sie hat ganz bewusst 33'000 Juden - Männer, Frauen und Kinder, Greise und Säuglinge -abgewiesen und sie dadurch direkt ihren Mördern in die Arme getrieben. Folglich stellt im Rahmen der UNO jede Stimme der Schweiz gegen den jüdischen Staat und jede Enthaltung eine eindeutige Fortführung der antisemitischen Politik dar, welche die offizielle Schweiz während der Schoah vertrat. Mehr denn je, verkörpert jede anti-israelische Einstellung einen reinen Akt der Judenfeindlichkeit. In diesem Zusammenhang muss man daran erinnern, dass im ganzen UNO-System zwischen 1948 und 2001 über 1000 Resolutionen verabschiedet wurden, die gegen Israel gerichtet waren, wovon 429 zwischen 1990 und 1997!
Der neue Teufelskreis des Schreckens, den die Araber Israel auferlegen, ist nichts anderes als eine weitere Episode in einem Krieg von existenzieller Dimension. Im Geschützfeuer und trotz der Angst im Nacken führen die Israelis ihr Leben weiter und schmieden Zukunftspläne. In den schrecklichsten Momenten ist es dem jüdischen Volk immer gelungen zusammenzustehen, sich aufzurappeln, den Kampf aufzunehmen und zu siegen. «Der Herr wird seinem Volk Kraft geben – der Herr wird sein Volk segnen mit Frieden» (Psalmen 29, 11).
Das gesamte Team von SHALOM wünscht Ihnen ein schönes Pessach-Fest.

Roland S. Süssmann
Chefredaktor

Rechelim, Israel 2002.