Geheimnisvolle Heilkraft
Von Roland S. Süssmann
«Ich habe Ihnen Knoblauch mitgebracht!». Ein derartiges Geschenk für die Gastgeberin mag lächerlich erscheinen. Das ist nun vorbei! Dank den Forschungsarbeiten des israelischen Agrarinstituts ARO, «Agricultural Research Organisation», des Zugpferds der landwirtschaftlichen Entwicklung Israels, gibt es heute eine herrliche, angenehm duftende Knoblauchblüte. Dieses amüsante Beispiel, Resultat einer allgemeinen Untersuchung des positiven Einflusses von Knoblauch auf die Gesundheit, veranschaulicht eines von 700 Projekten in der angewandten fächerübergreifenden Forschung, die jährlich von der ARO in so unterschiedlichen Bereichen wie der Ernte in Feld und Garten, der Blumenzucht, der Zoologie, dem Schutz des Wassers, der Untersuchung von Boden und Wasser, der Agrartechnologie, der Produkttechniken und -lagerung untersucht oder erforscht werden.
Zahlreiche Entdeckungen der ARO werden regelmässig kommerzialisiert, wie z.B. neue Früchte, Gemüse oder Blumen, Bewässerungssysteme, Pflanzenschutzmittel usw. Ziel aller dieser Experimente ist es, die Herausforderungen der modernen Landwirtschaft zu bewältigen, neue Produkte zu entwickeln und vor allem Antworten auf die vielen Probleme zu finden, die von der im Umbruch befindlichen israelischen Landwirtschaft aufgeworfen werden. Es geht ebenfalls um die Vorbereitung der Zukunft, denn die Bevölkerung Israels steigt ständig an, während die Wasserreserven und die nutzbare Bodenfläche beschränkt und dringend neue Techniken gefragt sind, welche die Entwicklung einer ertragreichen und ergiebigen Landwirtschaft in den wasserarmen Regionen des Landes ermöglichen.
Die sieben Institute der ARO befinden sich im Volcani Center, einem herrlichen Ort unweit von Tel Aviv, und insgesamt sind vier Experimentierstationen vorhanden. Heute möchten wir uns mit einem besonderen Aspekt ihrer Tätigkeit auseinandersetzen, den Heilpflanzen in Israel. Zu diesem Thema hat uns Frau Professor ZOHARA YANIV-BACHRACH Auskunft gegeben, Spezialistin für die in Israel gedeihende medizinische Flora und international anerkannte Wissenschaftlerin.

Israel ist in erster Linie für seinen Export von Orangen, Grapefruit, Avocados und seit kurzem Blumen berühmt. Seine Heilpflanzenproduktion bleibt jedoch weitgehend unbekannt. Können Sie uns kurz über die näheren Umstände dieser sowohl faszinierenden wie auch mysteriösen Pflanzenzucht informieren?

Es handelt sich um ein absolut fesselndes Thema. Da Israel geografisch zwischen dem Orient und dem Okzident liegt, gibt es eine grosse Vielfalt von Arten, die entweder hier gezüchtet oder durch das Land transportiert werden. Dazu kommen gewisse Traditionen, die in bestimmten Fällen einige Jahrtausende vor unsere Zeitrechnung zurückreichen. Ich denke dabei insbesondere an den Rizinus, diese ölhaltige Pflanze mit grossen fächerförmigen Blättern: das von ihren Samen gelieferte Öl wird seit Jahrtausenden in Ägypten für seine abführende Wirkung, gewisse medizinische Anwendungen und vor allem gegen Haarausfall eingesetzt. Andere Pflanzen, wie der Hanf und der Mohn, Papaver somniferum, auch als Opium bekannt, werden in Israel nicht angebaut, sondern durchqueren nur das Land, und interessieren uns ganz besonders. Im Rahmen unseres Instituts wird gegenwärtig unter der Leitung von Professor Arieh Levy und seinem Team eine Studie durchgeführt; es wurde eine neue Art des Klatschmohns entwickelt, Papaver bracteatum, der einen sehr hohen Anteil an Thebain enthält und daher eine ideale Alternative zu den Opiaten darstellt, da er nicht süchtig macht. Diese Varietät setzt sich ebenfalls aus den Substanzen Naloxon und Naltrexon zusammen, die bei Entzugskuren verwendet werden. Es muss hervorgehoben werden, dass dieser Mohn kein Morphin enthält und daher nicht für die Herstellung von Heroin eingesetzt, sondern ohne Einschränkungen angebaut werden kann. Zahlreiche in der Parfümindustrie verwendete Pflanzen sowie aromatische Gewächse werden ebenfalls hier kultiviert. Einer meiner Kollegen hat einen neue Züchtung von Paprika entwickelt, die den auf dem Markt erhältlichen Sorten weit überlegen ist, und am letzten Paprikakongress in Budapest wurde er von allen bewundert… sogar von den Ungarn. Verschiedene medizinische Publikationen beginnen die wohltuende Wirkung von Paprika zu rühmen, und zahlreiche israelische Landwirte haben sich dem Anbau von Kräutern und Gewürzen zugewandt. Reiche Ernten von Minze, Salbei, Oregano usw. aus allen Regionen Israels werden in die ganze Welt exportiert. Die Regierung hat sogar Gesuche um Genehmigungen für den Anbau von Hanf erhalten, da bewiesen werden konnte, dass das Rauchen von Cannabis die unangenehmen Nebenwirkungen der Chemotherapie reduziert. Professor Meschulam aus Jerusalem arbeitet seit 25 Jahren am Cannabis und hat aus dem zum Rauchen bestimmten Pulver chemische Komposita entwickelt, die in Kürze für die Behandlung gewisser Krebsformen zugelassen werden sollen. Es ist überdies interessant zu erfahren, dass die gesamte Produktion von Heilkräutern einen neuen Markt erschlossen hat. Bestimmte Formen von ätherischen Ölen, die diesen Pflanzen entzogen werden, können als natürliche Pestizide zum Schutz der Kulturen und Ernten eingesetzt werden. Dank dieser Entdeckung werden die chemischen Pestizide, die bis in unsere Nahrung gelangen und der Umwelt schaden, allmählich ersetzt werden können. Diese ätherischen Öle kommen auch in der Aromatherapie zur Anwendung.


Wie arbeiten Sie, um die in Israel gedeihenden Heilpflanzen, die Orte, an denen sie angebaut werden, und die verschiedenen Verwendungsarten zu erfassen?

Vor ungefähr fünfzehn Jahren haben wir mit einer einzigartigen ethnobotanischen Studie begonnen, in deren Verlauf wir alle in Israel lebenden ethnischen Gruppen aufgesucht haben, die Beduinen, die Araber, die Drusen, kurz, alle auf dem Berg Hermon und im ganzen Land bis zum Sinai lebenden Minderheiten. Danach haben wir diese Daten ausgewertet und eine Gesamtübersicht aller israelischen Heilpflanzen erstellt, deren wohltuende Wirkung überliefert wurde und die heute in Israel selbst eingesetzt werden. Wir haben diese Informationen anschliessend mit bestimmten Elementen verglichen, die im Altertum oder in der Bibel erwähnt werden. Alle diese Angaben verkörpern eine äusserst wichtige Grundlage für die Entwicklung neuer Medikamente. Die Forscher erhalten somit leicht Zugang zu Informationen über die Verwendung in Gegenwart und Vergangenheit, sowie über den Inhalt heute erscheinender wissenschaftlicher Publikationen, und die Gesamtheit dieser Daten macht es möglich, Heilkräuter in der modernen Medizin einzusetzen. Dazu muss gesagt werden, dass das Zusammentragen dieses Materials zehn Jahre in Anspruch genommen hat, denn es war in vielen Fällen nicht einfach, das Vertrauen unserer Gesprächspartner zu gewinnen. Unsere Arabisch sprechenden Mitarbeiter sollten erklären, dass wir kein «Geheimnis stehlen», sondern dieses Wissen, für das wir grossen Respekt empfinden, bewahren und veröffentlichen möchten. In jedem Dorf mussten wir den echten Heilkundigen ermitteln - der jüngste war 60 Jahre alt -, der mit den Traditionen, den Pflanzen und ihren verschiedenen Anwendungen vertraut war. Jedesmal mussten wir ihre Angaben überprüfen und bestätigen. Sobald sie unser Vorgehen begriffen und uns sozusagen «akzeptiert» hatten, machten sie sehr gern und eifrig mit. Heute noch erhalte ich regelmässig Informationen und bis anhin unbekannte Pflanzen. Kürzlich habe ich mit einem Wissenschaftler aus Sichem (Nablus) zusammengearbeitet, der in den unter palästinensischer Verwaltung befindlichen Gebieten eine ähnliche Untersuchung durchgeführt hatte. Wir haben unsere Ergebnisse sowie die Heilpflanzen und ihre unterschiedlichen Anwendungen verglichen. Über diese Arbeit wird demnächst in einer Publikation berichtet, die ausserdem beweisen soll, dass wir zwischen Israelis und Arabern auch zu anderem fähig sind als uns ständig zu bekämpfen.

Haben die verschiedenen jüdischen Einwanderungswellen nach Israel Ihnen neue Erkenntnisse liefern können? Gibt es Einwanderer, die Samen aus ihren jeweiligen Ländern nach Israel importiert haben?

Dies war für die allererste Einwanderungswelle der Fall. Wenn jemand beispielsweise mit einer speziellen Pflanze aus Russland ankam, interessierten wir uns natürlich für sie, doch das bedeutete noch lange nicht, dass sie in den klimatischen Bedingungen und auf dem Boden Israels gedeihen würde.

Können Sie uns einige konkrete Beispiele für Pflanzen geben, die in Israel wachsen, und für die Sie eine medizinische Anwendung gefunden haben?

Dazu gibt es zahlreiche Beispiele, doch ich möchte von der Matthiola Cruciferae, sprechen, der im Volksmund als roter oder weisslichgrauer Levkoje bekannten Blume. Dieser in Israel ansässige Kreuzblütler aus der Familie der Senfgewächse besitzt Keime, die sehr reich an essentiellen ungesättigten Fettsäuren Omega-3 (den PUFA – omega-3 polyunsaturated fatty acid) sind. Dieses Öl enthält kein Cholesterin und stellt auch keinerlei Gefahr einer Überversorgung mit Vitaminen dar, ist angenehm im Geschmack und im Geruch. Es wurde nachgewiesen, dass seine Bestandteile sehr erfolgreich Krankheiten der Herzkranzgefässe (deutliche Senkung des Triglycerid- und des Cholesterinspiegels), Krebs, Arthritis und bestimmte dermatologische Probleme bekämpfen. Die Absorption von PUFA wird von den israelischen Gesundheitsbehörden wärmstens empfohlen.

Wir wird Ihre Entdeckung anschliessend kommerzialisiert?

Wir arbeiten mit einem jungen Unternehmen namens Bio-NovelTech Ltd zusammen, welches das Endprodukt entwickeln und verkaufen soll. Im Falle des Levkojenöls untersuchen wir gegenwärtig verschiedene Arten der Exktraktion, wahrscheinlich eine Kaltgewinnung, und die endgültige Aufbereitung. Ich denke, wir werden es letztendlich in der Form von Salatöl, Kapseln oder als Nahrungsmittelzusatz auf den Markt bringen. Es wird gegenwärtig untersucht, ob dieses Öl auch im Bereich der Kosmetik angewendet werden könnte.

Können wir auf eine bessere Zukunft dank den Heilpflanzen hoffen?

Es steht ausser Zweifel, dass es sich um eine faszinierende Welt handelt, die wir noch entdecken müssen, um sie zu unserem Besten zu nutzen. Man muss jedoch sehr darauf achten, wie diese Pflanzen angebaut wurden, welchem Extraktionsverfahren sie unterworfen sind, wie giftig sie sind usw. Eine gewisse Vorsicht ist demnach angebracht, was den zahlreichen Vorzügen der Heilkräuter keinen Abbruch tut.

Können Sie abschliessend über die Projekte berichten, die Sie in China durchführen?

Die ARO hat Abkommen zur landwirtschaftlichen Zusammenarbeit mit vielen Ländern unterzeichnet, aus denen wir regelmässig Besucher empfangen. Unsere Tätigkeit beschränkt sich demnach nicht auf China allein, wo wir einige gemeinsame Projekte verfolgen. Wir besitzen übrigens eine Versuchsfarm in der Umgebung von Beijing, die bereits seit einigen Jahren in Betrieb ist. In diesem Rahmen stellen wir diverse Bewässerungsmethoden vor, sowie bestimmte landwirtschaftliche Techniken in Bezug auf Obst- und Gemüseanbau. An der Landwirtschaftsuniversität von Beijing gibt es eine Abteilung, an der israelische Dozenten abwechselnd ca. dreiwöchige Kurse abhalten, und viele Chinesen lassen sich auch in Israel selbst ausbilden. Es existiert ebenfalls ein Zusammenarbeits- und Entwicklungsprogramm für die Landwirtschaft in wasserarmen und wüstenähnlichen Gebieten. Im vergangenen Oktober habe ich an einem Spezialprojekt für die Entwicklung der Blumenindustrie in der Provinz Yu-nan an der Grenze zu Vietnam teilgenommen.

Dank den Arbeiten der ARO und den Nachforschungen von Professor Zohara Yaniv-Bachrach enthüllen uns die Blumen und Kräuter des Heiligen Landes allmählich ihre Geheimnisse, von denen wir bald alle profitieren werden, da ihre Heilkraft zur Steigerung unseres täglichen Wohlbefindens beitragen wird.