Judaica und Hebraica in der königlichen Bibliothek Dänemarks | |
Von Professor Ulf Haxen * | |
Die reichhaltige Judaica- und Hebraica-Sammlung der Königlichen Bibliothek blickt auf eine fast ebenso lange Geschichte zurück wie die Bibliothek selbst. Sie wurde von Dänemarks erstem absolutistisch regierenden König, Friedrich III. (1648-1670), gegründet, der seinem Vater Christian IV. (1588-1648) in einem entscheidenden Moment der dänischen Geschichte auf dem Thron folgte. König Christian IV. regierte unter dem Motto Regna firmat pietas(der Glaube stärkt das Reich), dessen Initialen vom damaligen Volksmund mit neuer Bedeutung erfüllt wurden; RFP stand nun auf Dänisch für Riget fattes penge (das Reich braucht Geld) und spielte auf die Tatsache an, dass der Monarch grosszügig in die Kriegsführung, hauptsächlich gegen Schweden, und in extravagante Stadtplanung und Häuserbau investierte. Er beauftragte holländische Architekten und Künstler, Schlösser für den Königshof zu entwerfen, sowie Landgüter, Kirchen, Wohngebiete für die königliche Marine und Regierungsgebäude. Viele dieser Bauten gehören heute mit ihrem holländisch-dänischen Stil, ihren Grünspandächern, Giebeln und Türmen zu den schönsten Aspekten Kopenhagens. Als Christian IV. merkte, dass finanzielle Mittel in der Politik ebenso wichtig waren wie der Glauben, lud er jüdische Geschäftsleute und Börsenhändler aus Altona nach Kopenhagen ein. Dem ersten Kontingent von sephardischen Juden («Juden der portugiesischen Nation») garantierte man besondere königliche Privilegien, damit sie sich im dänischen Königreich niederliessen: der König erhoffte sich dank dem Know-how der jüdischen Geschäftsleute eine sanierte und blühende Wirtschaft. Im Jahre 1648 hinterliess der alte Monarch jedoch trotz aller seiner Anstrengungen seinem Sohn eine Nation am Rande des Bankrotts. Friedrich III. interessierte sich viel mehr für das Sammeln von Büchern und Kunstwerken als für die Fortführung der noch nicht entschiedenen skandinavischen Kriege. Die Bibliothek des Königs, die später zur Königlichen Bibliothek wurde, beruhte ursprünglich auf grossen Privatsammlungen und befand sich innerhalb des Königsschlosses in der Hauptstadt. 1663 stellte Friedrich III. den vielversprechenden jungen Gelehrten und Staatsmann Peder Schumacher (Herzog und später Kanzler Griffenfeld) als königlichen Bibliothekar und Archivisten ein; Schumacher organisierte und erweiterte die Bibliothek in bedeutender Weise. Während der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert war es im Adel üblich, die Söhne in Begleitung ihrer Lehrer zum Studium der klassischen Sprachen (Latein und Griechisch) und als tertia lingua, der hebräischen Sprache und Literatur, in die wissenschaftlichen Hauptzentren Europas zu schicken. Nach ihrer Rückkehr wurden die im Verlauf dieser lehrreichen Pilgerfahrten erworbenen Bücher in die Privatbibliotheken der Adeligen und hohen Beamten übernommen, von wo sie später kraft eines Testaments oder durch Erwerb in die Königliche Bibliothek gelangten. Auch Peder Schumacher kaufte auf seinen zahlreichen Reisen nach Paris, Amsterdam und Venedig Manuskripte und Bücher und liess diese von hochqualifizierten französischen Buchbindern binden. 1665 beschloss der König, ein richtiges Bibliotheksgebäude zu planen, das 1673, drei Jahre nach seinem Tod, eingeweiht wurde. Es war ein herrliches Gebäude, dem die zweistöckige Buchgalerie von Kardinal Mazarin in Paris als Vorbild gedient hatte. Die königliche Sammlung von gedruckten und handschriftlichen Werken umfasste damals 20'000 Bände. Darunter befanden sich zahlreiche Judaica und Hebraica; die genaue Zahl ist unbekannt, ebenso wurde die Herkunft dieser Manuskripte und Bücher in den Bibliotheksregistern nicht festgehalten. Wir können jedoch davon ausgehen, dass «es in Dänemark mehr jüdische Bücher als Juden gab» und dass alle jüdischen Manuskripte und Bücher, die zur königlichen Bibliothek gehörten, von Nichtjuden erworben wurden. Das Wachstum und die Entwicklung der königlichen Bibliothek, die später zur Dänischen Nationalbibliothek und zur Universitätsbibliothek umfunktioniert wurde, widerspiegelt in jeder Hinsicht die Tendenzen und die Philosophie der Fürstenhöfe im Deutschland des 17. Jahrhunderts. Die Wissenschaften umfassten ein denkbar weites Gebiet. Die Gelehrten waren polyhistorisch ausgerichtet. Die Monarchen und Fürsten sammelten ebenfalls Kodizes und Bücher zu einer Vielfalt von Themen - und König Friedrich III. machte da keine Ausnahme. Mancher Staatsmann, Adlige oder ranghoher Beamte nahm die Maxime Ars et Mars für sich in Anspruch, d.h. «die Beschäftigung mit den Künsten und Wissenschaften, ohne darüber die Waffen zu vergessen.» Symbolisiert wurde dies durch die vergoldeten Holzstatuetten von Mars, dem römischen Kriegsgott, und von Minerva, der Göttin der Weisheit, auf dem Dachfirst des vor kurzem eingeweihten Bibliotheksgebäudes. Friedrichs III. Nachfolger, Christian V., war weder ein Gelehrter noch ein Monarch mit bibliophilen Interessen, ganz im Gegenteil. Doch sobald die neue freistehende Unterbringung der Königlichen Bibliothek fertiggestellt war, erwarb diese eine umfangreiche Sammlung nach der anderen, darunter auch jüdische Bücher von privaten Sammlern oder auf Auktionen. Zu den kostbarsten Manuskripten in der Hebraica-Sammlung der Königlichen Bibliothek gehört die 1348 in Barcelona entstandene hebräische Übersetzung des Moreh Nevuchim von Moses Maimonides. Es wurde ursprünglich in Amsterdam vom dänischen Gelehrten Hans Bartholin erworben, der es Frederik Rostgaard schenkte, einem Gutsherrn und hochrangigen Kanzleibeamten, von dem es dann in den Besitz des bemerkenswerten Buchsammlers Graf Christian Danneskjold-Samsoe überging und schliesslich 1732 in der Königlichen Bibliothek eintraf. Aus derselben Sammlung stammt auch eine 1301 in Spanien geschriebene und verzierte hebräische Bibel. Aus dem alten Bestand der Bibliothek ist das aussergewöhnliche Gebetbuch Birkat Ha-Mazon, das 1728 in Nikolsburg von Samuel Dressnitz in hebräischer und jiddischer Sprache verfasst und illuminiert wurde. Es gehörte Graf Otto Thott (1703-1785), der viel Geld in die Zusammenstellung einer mehr als 120'000 Bände umfassenden Bibliothek gesteckt hatte. Diese Sammlung, die damals wohl die grösste Privatbibliothek Europas darstellte, umfasste viele Raritäten im Bereich der orientalischen Werke. Im 18. Jahrhundert erlebte Dänemark den Höhepunkt des Aufklärungszeitalters. Unter den europäischen Nationen, die sich gegenseitig an kulturellen und wissenschaftlichen Höchstleistungen zu übertreffen versuchten, verteidigte die kleine Monarchie eine ehrenvolle Position. Dies war jedoch nicht das Verdienst ihrer Könige, die im Verlauf des 18. und noch weit in das darauffolgende Jahrhundert hinein als absolute Herrscher regierten, sondern vielmehr dasjenige der weisen Voraussicht der hochgebildeten und kosmopolitischen königlichen Geheimräte. J.H.E. Bernstorff (1712-1772), scharf kritisiert, aber auch respektiert, war ein Diplomat und Intellektueller von hanoveranischer Herkunft. Seine Neutralität in der Aussenpolitik und seine Toleranz seinen Mitbürgern gegenüber wurden bis zu seinem Fall 1770 in der Aussen- und Innenpolitik Dänemarks zu wegweisenden Grundsätzen. Er gehörte zu den überzeugten Förderern von Kunst und Wissenschaft; an ihn wandte sich im Mai 1756 Johann David Michaelis, Professor für orientalische Sprachen an der Universität Göttingen, mit dem Vorschlag, eine Gelehrtenexpedition nach Arabia Felix (Jemen) zu entsenden. Ziel dieser Reise war es u.a., orientalische Manuskripte zu erwerben. Im 1760 erstellten königlichen Brief mit den Instruktionen hiess es: «Können die Reisenden vor einen wohlfeilen Preis Manuskripte aufkaufen, so sind die dazu, bis auf die Summe 2,000 Rthlrn berechtiget. Sie sollen aber nicht auf die Schönheit und Kostbarkeit der Manuskripte, sondern auf die Brauchbarkeit ihres Inhalts, und allenfalls auf ihr Alter sehen.» 1761 verliessen die sechs Expeditionsmitglieder, zwei Dänen, zwei Schweden und zwei Deutsche, den Hafen von Kopenhagen und begannen eine Reise, die aufregender und dramatischer werden sollte, als es sich die sechs Gelehrten je hätten träumen lassen. 1766, fünf Jahre später, kehrte nur einer von ihnen zurück, der Inspektor und Kassier der Expedition, Carsten Niebuhr. Ausser Niebuhr, nach dem die ereignisreiche Reise nach Arabia Felix benannt wurde, zeichneten sich zwei andere Expeditionsteilnehmer aus, nämlich Pehr Forsskal, Schüler des bekannten schwedischen Botanikers Carl von Linné, und Frederik Christian von Haven, ein Orientalist, der unter dem zuvor erwähnten J.D. Michaelis an der Universität Göttingen studiert hatte. F.C. von Haven war dafür verantwortlich, für die Königliche Bibliothek orientalische Manuskripte zu finden, wobei «die Manuskripte in irgendeinem Zusammenhang mit der Bibel, sei es in hebräischer oder arabischer Sprache, besonders begehrt waren». Die beiden Gelehrten hielten sich peinlich genau an die von König Friedrich V. gegebenen Anweisungen. Wertvolle hebräische, arabische und persische Handschriften wurden in Konstantinopel und Kairo verpackt und zu Dutzenden nach Kopenhagen verschickt. Niebuhr kümmerte sich um alles, was die beiden pflichtbewussten Gelehrten vor ihrem unglücklichen Ableben nicht mehr erwerben und versenden konnten. Auf diese Weise wurde eine einzigartige Sammlung hebräischer Bibeln für die Königliche Bibliothek erworben, nämlich der Pentateuch des Moses von Ebermannstadt, der 1290 in zartester Mikrographie auf Pergament geschrieben und illuminiert wurde, ausserdem eine Bibel aus dem 15. Jhd., die von einem unbekannten Künstler mit komplizierten Tafeln für die ersten Worte versehen wurde, sowie eine um 1450 in Spanien entstandene hebräische Bibel in drei Bänden mit aussergewöhnlichen Teppich-Illuminationen (in arabischem Stil), die von Carsten Niebuhr in ihrem Original-Lederkoffer nach Dänemark transportiert wurde. Angesichts der anstrengenden und oft nervenaufreibenden Umstände der Expedition ist es bemerkenswert, dass der semitische Philologe F.C. von Haven jeden Eintrag in seinem Tagebuch (das sich heute in der Handschriftenabteilung der Königlichen Bibliothek befindet) mit wissenschaftlichen, linguistischen und lexikografischen Anmerkungen versehen hat. Aufgrund von Havens umfangreichen und sorgfältig eingebundenen Notizbüchern kann die Herkunft der meisten Errungenschaften, seien sie in arabischer, syrischer oder hebräischer Sprache verfasst, zurückverfolgt werden. Von Havens wissenschaftliche Kommentare zu jedem einzelnen Kodex und die Datierungen zeugen von seinem Wissen und seiner Erfahrung im Bereich der klassischen semitischen Sprachen. Dennoch räumt er in Bezug auf den Codex Hebraicus XI bereitwillig ein, dass er nicht weiss, aus welcher Stadt der Schreiber stammte (die später als Ebermannstadt in Bayern identifiziert wurde). Das mit unwahrscheinlich schönen Mikrografien versehene Manuskript wurde zu einem heute bescheiden anmutenden Preis erstanden - zwölf türkische Battak. Dank der Neuanschaffung von Manuskripten aus der Carsten Niebuhr Expedition erlangte die Königliche Bibliothek Anerkennung als Zentrum für orientalische Studien. Benjamin Kennicott, der Oxforder Professor für biblische Studien, verwendete in seinem Vetus Testamentum (Bände 1-2, 1776-80) viele der hebräischen Manuskripte als Quellen für sein monumentales Werk. Während der Vorbereitung seiner Arbeit informierte Kennicott die Welt der Wissenschaft über seine Fortschritte bei der Zusammenstellung von Quellenmaterial in den wichtigsten Bibliotheken Europas (The State of the Collection of the Hebrew Manuscripts of the Old Testament, 1-7, Oxford, 1762-68). Seine Zusammenarbeit mit den dänischen Behörden wird wie folgt beschrieben: «In Bezug auf das Ausland gilt mein wärmster Dank der Ehre eines Briefes, der mir auf Geheiss seiner Majestät, des Königs von Dänemark, von seinem Obersten Staatssekretär, Seiner Exzellenz Baron von Bernstorff, zugesandt wurde. Da dieses Schreiben ein eindrückliches Beispiel für das Interesse liefert, das der König den heiligen Schriften entgegenbringt, da es den Willen und das Vergnügen eines Herrschers zum Ausdruck bringt, der sich dadurch verdient gemacht hat, aus nobelsten Beweggründen Gelehrte nach Afrika und Asien zu schicken, und da mir darin die Ehre zuteil wird, dass mein Werk in ausgesprochen ehrenvoller Weise von Seiner Majestät gelobt wird, füge ich eine genaue Abschrift dieses Schreibens bei.» In einem späteren Bericht erwähnt Kennicott «mit wärmster Dankbarkeit die Ehre eines Versprechens seitens Ihrer Majestät, des Königs von Dänemark (auf Empfehlung meines Freundes, Seiner Exzellenz Graf von Bernstorff), dass nicht nur diese 8 Manuskripte, sondern auch alle anderen, einen Auszug aus der hebräischen Bibel enthaltenden Handschriften der Königlichen Bibliothek nach England geschickt werden sollen, damit ich sie persönlich studieren kann». Die Königliche Bibliothek veröffentlichte 1779 ein provisorisches Inventar, Index libraorum Arabicorum et Hebraicorum manuscriptorum, das von J.G.C. Adler zusammengestellt worden war. Wenn man von dem unglücklichen Verlust an Menschenleben absieht, wurde die Expedition des Königs Friedrich V. und ihre wissenschaftlichen Errungenschaften von der Nachwelt positiv bewertet. Kann man davon ausgehen, dass die Ziele der königlichen Expedition, nämlich «die Förderung der Wissenschaft und des Wissens im allgemeinen und des besseren Verständnisses und der Auslegung der Heiligen Schriften», erreicht wurden ? Fast zweihundert Jahre später können wir diese Frage bejahen, auch wenn die Neigung, im Nachhinein immer recht zu behalten, bis heute einen Schatten auf von Havens Namen wirft. Diesem Mitglied der Expedition wurde sein Mangel an Durchhaltevermögen, Phantasie und wissenschaftlichem Vorgehen vorgeworfen. Die mageren Ergebnisse seines Aufenthalts in Kairo und im Kloster St. Catherina im Sinai waren enttäuschend. Professor Michaelis aus Göttingen hatte wohl von seinem Schüler ergiebigere Forschungsarbeiten und Funde erwartet. Die Ironie des Schicksals wollte es jedoch, dass die durch von Haven in Konstantinopel und Kairo für die Königliche Bibliothek erworbenen Manuskripte von unschätzbarem Wert sind und König Friedrichs V. gesamte Unkosten für die Expedition nach Arabia Felix bei weitem übersteigen. Carsten Niebuhr, der einzige Überlebende, durchquerte auf dem Pferderücken ganz Europa, um nach Dänemark zurückzukommen, nachdem er von Persepolis und Jerusalem genaue Pläne und Studien erstellt hatte. In seinem Heimatland hatten sich das politische und kulturelle Klima verändert. Christian VII. war seinem Vater auf dem Thron gefolgt, und als Graf Bernstorff entlassen wurde, verlor die akademische und kulturelle Tätigkeit an Bedeutung. Im Jahre 1800 wurde der Besitz der Königlichen Bibliothek auf ca. 5’000 Bände Judaica und Hebraica geschätzt. Zu den Stücken mit Seltenheitswert gehörte ein Exemplar der vollständigen Erstausgabe des Babylonischen Talmuds, der von Daniel Bomberg zwischen 1520 und 1522 in Venedig veröffentlicht worden war, sowie verschiedene andere Ausgaben des Talmud. Die Sammlung umfasste ebenfalls eine weitreichende Auswahl an rabbinischen Werken, seltene Ausgaben der hebräischen Bibel, insbesondere die Ferrara-Bibel, und eine beeindruckende Reihe von einzigartigen jüdischen Kultgegenständen. Im Verlauf des 19. Jhds. erfuhren die Bestände an hebräischer Literatur der Bibliothek keine bedeutende Erweiterung. Das Königreich durchlief intern wie extern rasche Veränderungen auf wirtschaftlicher, sozialer und politischer Ebene, die ihm nicht zum Besten gereichten. Infolge der daraus resultierenden Instabilität wurden Fortschritte zugunsten einer liberaleren Gesellschaft erzielt, die zur Ausarbeitung einer freien, 1849 von König Friedrich VII. ratifizierten Verfassung [Grundloven] führten. Die Einstellung des Monarchen zu den jüdischen Mitbürgern kam darin knapp, doch klar zum Ausdruck: «Meine Untertanen sollen gemäss ihrem Beruf [und nicht gemäss ihrem Glauben] ernannt werden.» Die dänischen Juden hatten bereits 1814 Bürgerrechte erhalten. Die Königliche Bibliothek erweiterte inzwischen ihren Bestand in anderen Bereichen, insbesondere in demjenigen der Nationalliteratur. Das Goldene Zeitalter der dänischen Malerei und Literatur war angebrochen. In dieser Epoche erkannten die dänischen Juden, wieviele erstaunlichen Schätze an jüdischer Literatur die zwei bedeutendsten Büchersammlungen von Kopenhagen, die Königliche Bibliothek und die 1482 gegründete Universitätsbibliothek der Stadt, beherbergten. 1853 erhielt die Universitätsbibliothek durch eine Stiftung eines in Dänemark lebenden jüdischen Kaufmannes namens Simon Aron Eibeschütz (1786-1856) die Mittel, ihre Sammlung durch den Kauf weiterer jüdischer und hebräischer Werke zu erweitern. Die «Sammlung Eibeschütz» und der Teil des ehemaligen Bestandes, der dem Feuer entrissen werden konnte, das 1728 Kopenhagen zerstört hatte, wurden 1928 vollumfänglich in die Königliche Bibliothek überführt. Das 19. Jhd. stach ebenfalls als Zeitalter für Studium, Analyse und Erfassung hervor. Dänische und ausländische Forscher begannen damit, orientalische Manuskripte der Königlichen Bibliothek zu katalogisieren und zu beschreiben. Auf Empfehlung des verantwortlichen Bibliothekars E.C. Werlauff gewährte König Friedrich VI., der letzte absolutistische Monarch, eine umfangreiche finanzielle Unterstützung, um die orientalischen Handschriften in einem Gesamtkatalog zu erfassen. Während der Regierungszeit von Christian VIII. (1786-1848) erschien der erste von drei Bänden; er war dem König gewidmet und trug den Titel «Codices orientalis Bibliothecae Regiae Havniensis jussu et auspiciis Regis Daniae augustissimi Christiani Octavi enumerati et descripti». Der zweite Band (1846-1857) befasste sich mit der Sammlung von hebräischen und arabischen Manuskripten, einschliesslich der hebräischen Schriften, die aus der Universitätsbibliothek überführt worden waren. A.F.M. van Mehren, Professor für orientalische Sprachen, erstellte mit der Unterstützung von Grossrabbiner A.A. Wolff (1801-1891) den Katalog und beschrieb die Manuskripte dieses Bandes. Der Erwerb einer 40'000 Bände umfassenden Sammlung von Manuskripten, Büchern und Archivmaterial machte die Königliche Bibliothek 1932 zu einer der wichtigsten öffentlichen Bibliotheken mit jüdischen und hebräischen Werken in ihrem Bestand. Diese Sammlung mit 25’000 Bänden in diesem Bereich hatte David Simonsen gehört, dem Grossrabbiner von Kopenhagen und Professor für semitische Sprachen an der Universität dieser Stadt. Seit 1796 war kein so bedeutender Kauf mehr erfolgt; ermöglicht wurde er durch die grosszügigen Spenden aus der Carlsberg Stiftung und der L. Zeuthen Memorial Foundation, durch eine spezielle Subvention des Finanzgesetzes und die Entschlossenheit des verantwortlichen Bibliothekars Carl S. Petersen. Als Spross einer alten jüdisch-dänischen Familie war David Simonsen (1853-1932) im jüdischen theologischen Seminar von Breslau in Deutschland ausgebildet worden. Von 1879 bis 1891 hatte er als Rabbiner in Kopenhagen gewirkt, dann amtete er von 1892 bis 1902 als Grossrabbiner Dänemarks. Im Alter von 20 Jahren erhielt er den Doktortitel, proxime accessit, in semitischer Philologie an der Kopenhagener Universität. Während seines ganzen Lebens hat David S. Simonsen riesige Mengen von Büchern und Manuskripten zusammengetragen und bereiste ganz Europa und den Nahen Osten auf der Suche nach Studienmaterial. Er tat dies nicht um der Liebe zum Buch willen, sondern kaufte in erster Linie zu eigenen Forschungszwecken. Sein Interesse galt allen Aspekten der hebräischen Literatur und Sprache sowie allen damit in Verbindung stehenden Themen. Fast alle seine Bücher wurden von ihm eigenhändig mit Anmerkungen und bibliographischen Referenzen versehen und zeugen somit von seinem umfangreichen Wissen. Die gesamte Palette der jüdischen Literatur kommt in ihren vielfältigen Erscheinungsformen im Laufe der Jahrhunderte in dieser einzigartigen Sammlung zum Ausdruck. David Simonsen war in der Lage, auf der Grundlage seiner Sammlung eine Geschichte des hebräischen Druckerzeugnisses und der Entwicklung der hebräischen Typographie zu verfassen. Dazu ein Zitat von Raphael Edelmann (1902-1972), dem ersten Kurator der Abteilung Judaica und Hebraica an der Königlichen Bibliothek: «Eine Beschreibung der Bibliotheca Simonseniana entspräche einem allgemeinen Abriss über die jüdische Literatur und über die Geschichte des Judentums.» Darüber hinaus interessierte sich Simonsen für die arabische Sprache, die Philosophie, allgemeine Geschichte, für Biographien, Folklore und viele andere kulturelle Bereiche. Ein bedeutender Teil seiner Bibliothek bestand aus Literatur in jiddischer, ladinischer, jüdisch-arabischer und jüdisch-persischer Sprache und zeugen von seiner linguistischen Begabung. Professor Simonsens Manuskriptesammlung bereichert den vorhandenen Bestand um ca. 165 Stücke, von denen einige für die Forschung von entscheidendem Wert sind, wie z.B. zwei Responsa-Werke von Maimonides (1135-1204). Das erste stammt aus dem 14. Jhd. und umfasst ebenfalls die Responsen seines Sohnes Abraham; es handelt sich um eine der ersten Kopien des Originals; das zweite Werk entstand in Fez (1543-44) unter der Feder eines bekannten Schriftgelehrten. Beide Handschriften sind in hebräischer und jüdisch-arabischer Sprache verfasst. Zu einer kleinen, doch ausserordentlichen Gruppe von jemenitischen Manuskripten, hauptsächlich Diwanen (Gedichtanthologien), gehört auch eine Torah aus dem 18. Jhd., die mit Akzenten über den Zeilen und Vokalisation sowie einer jüdisch-arabischen grammatikalischen Abhandlung im Anhang versehen ist. Hervorzuheben ist auch das Ms. Cod. Sim. Hebr. 93, ein polemischer Brief, der dem Rabbi Yochanan ben Zakkai (erstes Jahrhundert) zugeschrieben wird und an die Juden Roms gerichtet war, um sie vor dem Christentum zu warnen. Andere Stücke der Bibliotheca Simonseniana verdienen eine besondere Erwähnung, insbesondere das Soncino Incunabulum, das die ältesten Illustrationen der hebräischen Buchdruckerkunst besitzt (ca. 1490), und als Besonderheit die erste Werbung für eine jüdische Druckerei, in Band 4 der Responsa von Joseph ibn Leb (Fürth, 1692). Es liegt auch eine Korrespondenz zwischen zwei Rabbinern über Fragen der Halacha vor, Scha'agat Arye (Saloniki, 1746), in welcher von zwei lettischen Juden berichtet wird, die sich auf der Heimreise von Holland befinden. Sie erleiden im südlichen Archipel Dänemarks Schiffbruch in der Nähe der Küstenstadt Marstal. Eine kleine Delegation der jüdischen Gemeinschaft von Kopenhagen wurde an den Unglücksort gesandt, um ihre ertrunkenen Glaubensbrüder zu identifizieren. Diese beiden dänischen Städte werden hier zum ersten Mal in der hebräischen Literatur erwähnt. Die ausrufende Korrespondenz von Professor Simonsen, eine nie versiegende Quelle für Archivmaterial, bringt an den Tag, wie sehr er an den politischen und kulturellen Strömungen in Europa teilnahm. Sie enthüllt sein tiefes persönliches Engagement für die jüdischen Flüchtlinge, sowie seinen aktiven Einsatz im Namen der Wohltätigkeit. Infolge der am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jhds. in Osteuropa durchgeführten Pogrome vermehrte sich die jüdische Bevölkerung Dänemarks aufgrund der einreisenden russischen und polnischen Flüchtlinge zusehends. David Simonsen liess keinen einzigen Hilferuf unbeantwortet und war unermüdlich in der Organisation, bei Informationskampagnen und bei den Behörden tätig, die er auf diese menschliche Tragödie aufmerksam machte. Er war «wie ein Felsen im Sturm», erklärte Ismar Elbogen in einem Nachruf im Jewish Chronicle im Juni 1932. David Simonsens Archive in der Abteilung Judaica und Hebraica der Königlichen Bibliothek, die noch immer nicht vollständig registriert und katalogisiert wurden, befassen sich folglich mit einem zentralen Kapitel in der Geschichte der Juden Europas. Im Verlauf der folgenden Jahre sortierten und klassierten Raphael Edelmann und seine Mitarbeiter die polyhistorische Bibliothek von Simonsen. 15’000 Bände mussten in die nichtjüdischen Bestände der Bibliothek integriert werden, doch die meisten der 25’000 Werke der jüdischen und hebräischen Literatur wurden zusammen mit der bereits bestehenden Sammlung zum Herzstück der Judaica-Abteilung der Königlichen Bibliothek. Neuerwerbungen bereichern diese Abteilung immer wieder, sogar in den finsteren Jahren der deutschen Okkupation Dänemarks (1940-1945). Es grenzt an ein Wunder, dass kein einziger Band der jüdischen Sammlung der Bibliothek von den Nazis beschlagnahmt wurde. Auch die 50’000 Werke der jüdischen Gemeindebibliothek von Kopenhagen entgingen der deutschen Besatzungsmacht. All diese Bücher wurden in Ambulanzen in die Königliche Bibliothek geschafft und dort in Sicherheit gebracht, um bei Kriegsende wieder den Besitzern zurückerstattet zu werden. Seit seinem Exil in Stockholm (von Oktober 1943 bis zur Befreiung Dänemarks im Mai 1945) wirkte Raphael Edelmann weiterhin als Kurator der jüdischen Abteilung der Königlichen Bibliothek. In seiner Eigenschaft als Berater erstellt Edelmann bibliographische Listen der jüdischen Werke, die in den Ländern erworben werden sollten, von denen Dänemark durch die Deutschen abgeschnitten worden war, insbesondere in den Vereinigten Staaten und in England. Auf diese Weise konnten zahlreiche amerikanische und englische Bücher, die nicht mehr aufgelegt zu werden drohten, davor bewahrt werden. Dank den Anstrengungen Raphael Edelmanns war die Königliche Bibliothek in der Lage, der Bibliothek der hebräischen Universität und anderen Bibliotheken überall in Europa eine grosse Zahl von deutschen Büchern und antisemitischen Texten zuzustellen, die in den verschiedenen Hauptquartieren der Deutschen in Dänemark gefunden worden waren. Dank grosszügiger öffentlicher und privater Spenden war es der Königlichen Bibliothek möglich, in den Nachkriegsjahren mehrere Sammlungen zu erwerben, wie beispielsweise die tausend Bände umfassende Hinterlassenschaft von Moses Friediger, Grossrabbiner Dänemarks, der Theresienstadt überlebt hatte und 1947 verstarb. Mehrere hundert Bücher in jiddischer Sprache wurden aus dem Nachlass von Nathan Birnbaum und S. Beilin gekauft. Die Bibliothek erhielt von der Kopenhagener Gemeinde tausend Bände, darunter alte rabbinische Werke und jüdische Zeitschriften aus Deutschland. Weitere Spenden trafen im Verlauf der folgenden Jahre ein; das jüdische amerikanisch-dänische Komitee von New York überreichte mehrere hundert Judaica-Gegenstände. Von unschätzbarer Bedeutung aus linguistischer, literarischer und historischer Sicht war ausserdem der Kauf von ungefähr hundert jüdisch-persischen Manuskripten. Das Jahr 1949 stellt ebenfalls einen Meilenstein in der Geschichte der Judaica-Abteilung der Königlichen Bibliothek dar. Siebzehn Jahre nach dem Erwerb der beeindruckenden Simonsen-Kollektion wurde die berühmte Privatsammlung von Lazarus Goldschmidt (1871-1950) gekauft, der damals als Bücherfreund und talmudischer Gelehrter in London lebte. Diese Sammlung umfasste 44 Inkunabeln und unzählige Stücke mit Seltenheitswert. Unter ihnen die zweite Ausgabe der um 1492 herausgegebenen hebräischen Bibel von Neapel; mehrere äusserst kostbare Ausgaben aus dem 16. Jhd., darunter ein seltenes Exemplar der vor 1520 von Gerson Cohen in Prag gedruckten Haggadah; und schliesslich der Machsor Tannhausen, aus dem Jahr 1592. Die Goldschmidt Bibliothek füllte den Bestand weiter auf und vervollständigte die Lücken in bestimmten Bereichen der jüdischen Kultur; sie stellte eine Bereicherung um fast 90 Bände der karaimischen Literatur dar, insbesondere durch eine Bibelausgabe in karaimischer Sprache (einem türkischen oder tatarischen Dialekt), die mit hebräischen Buchstaben verfasst worden war und zwischen 1841-42 in Eupatoria entstanden war, sowie ein Pentateuch mit karaimischer Übersetzung aus Ortakoi um ca. 1835. Eine fast vollständige Sammlung an Falascha-Literatur ergänzte die Bibliothek in einem anderen Bereich. Im Gegensatz zur Bibliotheca Simonseniana besitzt die Sammlung Lazarus Goldschmidt etwas, das alle Bibliophilen in Entzücken versetzt: die ausserordentlichen Einbände der Werke und die Schönheit der Bücher machen sie zu einem äusserst ästhetischen Ganzen. Auch in diesem Fall ermöglichten Spenden der Carlsberg Foundation, von C.L. David und anderen Wohltätern den Erwerb der Bibliotheca Goldschmidtiana. Die hebräische Abteilung der Königlichen Bibliothek wird als eine der wichtgsten Sammlungen für Judaica und Hebraica in Europa anerkannt und kommt daher immer wieder in den Genuss öffentlicher Zuschüsse und privater Spenden von Freunden der Institution in Dänemark und im Ausland. Schenkungen von jiddischen Büchern haben den Aufbau einer eindrücklichen und vielfältigen Sammlung jiddischer Literatur möglich gemacht. Die jiddische Bibliothek Kopenhagens war 1904 von Einwanderern aus Russland, Polen und den baltischen Provinzen mit einem anfänglichen Bestand von 2’500 Bänden gegründet worden. Eine beachtliche Anzahl jiddischer Bücher spendete Leon Forem aus New York. Shea Tannenbaum, eine New Yorker Dichterin und Essayistin, schenkte der Bibliothek im Laufe der Zeit Hunderte von Büchern der jiddischen Literatur, die mit persönlichen Widmungen der Autoren versehen waren. Die öffentliche jüdische Bücherei von Montreal überliess den Dänen zahlreiche doppelt vorhandene Werke. Die Königliche Bibliothek erhielt dank einer Kampagne – Judaica für Kopenhagen – , die von der jüdischen Tageszeitung Forward, der Gesellschaft SAS und dem verstorbenen Ralph Cohen aus New York, einem der aktivsten Wohltäter der Bibliothek, durchgeführt worden war, bedeutende Schenkungen, darunter vor allem jiddische Bücher. Bis 1932 die Sammlung Simonsen integriert wurde, wurden alle jüdischen und hebräischen Werke in den allgemeinen Katalogen der Königlichen Bibliothek aufgeführt. In den 30er Jahren und vor allem 1945 entstand eine besondere Judaica-Abteilung. Sie umfasst sämtliche jüdischen und hebräischen Bücher, die seit 1932 erworben wurden, einschliesslich der oben erwähnten Eibeschütz Sammlung. Die Werke, die innerhalb der Grenzen der ehemaligen dänischen Monarchie gedruckt wurden (einschliesslich Schleswig und Holstein), erscheinen jedoch nicht an dieser Stelle: dieser jüdisch-dänische Bestand wurde separat katalogisiert und in die nationale dänische Abteilung der Königlichen Bibliothek integriert. Diese öffentlich zugängliche Bibliothek besitzt folglich als eine der wenigen weltweit eine Sonderabteilung mit einem eigenen Katalog, die nicht nur hebräische, sondern auch jüdische Bücher umfasst. In einem Umfeld, in dem die kulturellen Werte der Juden systematisch vernichtet wurden, ist sich die Königliche Bibliothek ihrer Verantwortung als bedeutende Hüterin von Judaica und Hebraica durchaus bewusst. Sie unternimmt alle Anstrengungen, um ihre Sammlung zu erweitern und angesichts der stetig wachsenden Erscheinungsflut von wissenschaftlichen Publikationen im Bereich der Judaica und der modernen hebräischen Literatur auf den neuesten Stand zu bringen. Sie sieht es als ihre Pflicht an, ihre Sammlungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, vor allem anlässlich kultureller jüdischer Anlässe überall auf der Welt. In Zusammenarbeit mit dem Joint Distribution Committee hat die Abteilung beispielsweise Ausstellungen in Paris, Mailand, Brüssel und Strassburg organisiert. 1969 fand unter der Schirmherrschaft des Jewish Museum, des Nationalen Frauenrates, des dänischen Verkehrsamtes und der Luftfahrtgesellschaft SAS eine Ausstellung in New York statt. 1981 wurde eine Auswahl der Manuskripte im Israel Museum in Jerusalem gezeigt. *Professor Ulf Haxen ist Kurator der Abteilung Judaica und Hebraica an der Königlichen Bibliothek von Dänemark. |