Chefin
Von Roland S. Süssmann
Benjamin Netanyahu tritt von seinem hohen Amt zurück, doch er hinterlässt eine gesunde, aufstrebende und solide Konjunktur. Dies wird wunderbar durch ein auf Software spezialisiertes KMU von Tel Aviv veranschaulicht, das seinen Umsatz 1998 verdoppeln und von 8 auf 16 Millionen Dollar erhöhen konnte und bereits bekanntgab, die ersten Monate 1999 seien noch besser ausgefallen als die entsprechende Vorjahresperiode.
Auf den ersten Blick unterscheidet sich COMPRO SOFTWARE INDUSTRIES Ltd in nichts - ausser in seiner Produktpalette - von anderen israelischen Gesellschaften im Bereich der Spitzentechnologie oder Software. Doch Compro besitzt das gewisse Etwas… Das Unternehmen wird nämlich von einer Frau geleitet, LEAH ATAD. Dies mag in Europa oder den Vereinigten Staaten zwar durchaus an der Tagesordnung sein, in Israel handelt es sich noch um ein seltenes Phänomen, vor allem wenn das betreffende Unternehmen von einiger Bedeutung und in vollem Aufschwung ist. Gegenwärtig werden in Israel nur zehn Gesellschaften im Bereich der Spitzentechnologie von Frauen geführt.
Compro wurde 1985 als kleine Beraterfirma gegründet, die 1997 von einer amerikanischen Gruppe übernommen wurde ; diese übertrug die Direktion Frau Atad und beteiligte sie gleichzeitig am Unternehmen. Heute gehört die Gesellschaft zu den zehn wichtigsten Softwarefirmen in Israel, sie hat sich auf die Entwicklung und Einführung von Informatikprogrammen und -lösungen in unterschiedlichen Bereichen spezialisiert, insbesondere in der Finanz (z.B. das System der Chipkarte als Bargeldersatz) und der Sicherheit. In den meisten Fällen passt Compro bestehende Produkte an die israelischen Anforderungen an, hat jedoch auch eine Reihe von Softwares erfunden und entwickelt, die sie auf der ganzen Welt kommerzialisiert.
Frau Atad führt ihr Team von 300 Ingenieuren mit kompetenter und fester Hand. Leah Atad ist verheiratet und Mutter dreier Kinder, sie besitzt ein Diplom der Universität von Haifa, wo sie ein Lizenziat in Sozialwissenschaften, Philosophie, öffentlichen Angelegenheiten und Mathematik erworben hat, sowie ein M.B.A. in Business Administration der Universität Tel Aviv. Vor kurzem ist sie mit dem prestigeträchtigen Preis L’Oréal-Recanati ausgezeichnet worden, welcher der besten Unternehmensleiterin in Israel überreicht wird. Dank ihrer mehrjährigen Erfahrung in der Welt des israelischen Handels und der Industrie gehört Leah Atad heute zu den grossen Vorkämpferinnen der Frauen im Unternehmensmanagement. Sie setzt sich entschlossen dafür ein, dass fähige junge Frauen hohe Posten in der Geschäftsleitung erreichen können, und dies in einer Gesellschaft, die vor allem in der Geschäftswelt recht rückständig, und - wir wollen es einmal aussprechen - eindeutig und offen machistisch eingestellt ist.
Leah Atad geht nicht nur aus Überzeugung davon aus, dass die Frauen auf den höchsten Führungsebenen ein Wörtchen mitzureden haben, sondern sie schreitet im von ihr geleiteten Unternehmen auch mit dem Beispiel voran. So sind bei Compro drei von sieben Mitgliedern der Direktion weiblich, während 48% bis 50% der anderen Mitarbeiter Frauen sind.
Je nach Art der Projekte, an denen gearbeitet wird, stellt Leah Atad Ingenieure mit einer gewissen Berufserfahrung oder junge Studienabgänger im Fach Informatik ein, die aus einer der israelischen Hochschulen stammen, insbesondere aus dem Technion von Haifa. Frau Atad besitzt eine Vorliebe für die Ingenieure, die an der Universität Ben Gurion von Beer Schewa ausgebildet wurden, da sie meistens aus Familien stammen, die in wirtschaftlich benachteiligten Regionen wohnen und aus diesem Grund auch stärker gefördert zu werden verdienen als andere. Daher setzt sie sich nach Kräften dafür ein, dass sie bei Compro eine erste Chance erhalten.
Was die ausländischen Investitionen in Israel betrifft, ist Leah Atad der Ansicht, dass das Land vor allem im Bereich der Spitzentechnologie ausgezeichnete Gewinn- und Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Das israelische Know-how bewirkt, zusammen mit der Energie, um nicht zu sagen Aggressivität der Geschäftsleute, dass die israelischen Unternehmen sich auf dem weltweiten Markt der Spitzentechnologie eine sehr interessante Position erkämpft haben. Darüber hinaus lassen sich viele Israelis, die im Ausland erfolgreich tätig waren, wieder in Israel nieder und bringen so ihre internationale Erfahrung und eine Palette von Kontakten mit, die für den Aufschwung der Geschäfte von grosser Bedeutung sind.
Während seiner Amtszeit hatte Benjamin Netanyahu über ein Gesetz abstimmen lassen, das die Einstellung von Ausländern, die nur vorübergehend in Israel leben, in Unternehmen der Spitzentechnologie untersagte. Leah Atad hält dies für eine ausgezeichnete Entscheidung, dank der die Gefahr des unlauteren Wettbewerbs beträchtlich gesenkt wird.

Am 13. Juni 1999 wurden Sie mit dem prestigeträchtigen Preis L’Oréal-Recanati ausgezeichnet, der dieses Jahr der Frau überreicht wurde, die im Bereich der Industrie am erfolgreichsten tätig war. Sie haben sich ganz offensichtlich um diese Auszeichnung beworben, um dadurch Ihre Bemühungen zu unterstützen, immer mehr israelische Frauen in leitende Positionen zu bringen. Was bedeutet Ihnen dieser Preis und wie möchten Sie die Tatsache ausnutzen, dass Sie durch ihn bekannt geworden sind ?

Ich gebe zu, dass ich sehr glücklich bin, unter den 60 Kandidatinnen ausgewählt worden zu sein. Es gibt zahlreiche Gründe, weshalb mir diese Ehre zuteil wurde, doch es muss betont werden, dass ich eine der einzigen Frauen - wenn nicht gar die einzige - in Israel bin, die ein derart bedeutendes Unternehmen im Bereich der Spitzentechnologie leitet. Meine Eltern waren Überlebende der Schoah, ich stamme folglich aus einem recht bescheidenen Milieu. Ich habe mich einzig aufgrund meines Einsatzes und meiner Entschlossenheit emporgearbeitet. Man hat sich wahrscheinlich für mich entschieden, weil es mir gelungen ist, ausländische Investoren davon zu überzeugen Compro zu kaufen ; infolge dieser erfolgreichen Transaktion haben sie sich danach auch anderen Projekten im Technologiebereich in Israel zugewandt. Meine Geschäftspartner haben auf diese Weise vier weitere israelische Gesellschaften erworben. Ich habe es geschafft, ihr anfängliches natürliches Misstrauen in eine immer aktivere und bedeutendere Beteiligung ihrerseits in Israel zu verwandeln. Heute begnügen sich diese Personen nicht mehr damit, ausländisches Kapital ins Land zu bringen, sie nehmen direkten Einfluss auf den Gang der Geschäfte und stecken viel Zeit und Energie hinein, was oft sehr viel wichtiger ist als nur finanzielle Mittel. Ich denke auch, dass die Tatsache, dass die Forschung und Entwicklung bei Compro vollständig durch den Verkauf der Produkte finanziert wird, ein schlagkräftiges Argument darstellt.
Was meinen Preis betrifft, möchte ich in erster Linie zeigen, dass eine fähige und entschlossene Frau es trotz aller Schwierigkeiten, Vorurteile und Macho-Gewohnheiten in Israel schaffen kann und das auch in den höchsten Rängen von Industrie und Handel.

Was kann man in Israel tun, um die Position der Frau in der Berufswelt zu verbessern ?

Zunächst muss man sich über die Situation im klaren sein, in der wir uns befinden. In der israelischen Mentalität sind die starken Persönlichkeiten zwangsläufig Männer. Diese Vorstellung stammt aus der Armee, in der die Frauen letztendlich nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die Armee ist das Symbol der Macht, folglich ist sie den Männern vorbehalten. Im Rahmen des Militärdienstes kommen eine Reihe von Freundschaften und Beziehungen zustande, die selbstverständlich im Alltag fortbestehen. Aus diesen Kreisen sind die Frauen jedoch völlig ausgeschlossen. Es kommt übrigens nicht selten vor, dass Männer sich in den Geschäftssitzungen ausschliesslich an die anderen Männer wenden, selbst wenn die Frauen innerhalb der Hierarchie des Unternehmens eine wesentlich wichtigere Position einnehmen. Auf diesen Gegebenheiten müssen wir also aufbauen, wenn wir die Situation der Frau verändern wollen. Es ist sehr wichtig, dass die Frauen zunächst lernen, grösseres Selbstvertrauen zu entwickeln. Dieser Erziehungsprozess muss mit der Zeit auf allen Ebenen stattfinden, sei es in der Familie, in der Schule, in der Gesellschaft usw. Leider neigen aufgrund der Schwierigkeiten, mit denen uns die israelische Gesellschaft konfrontiert, noch viele Frauen dazu, den Kampf um gehobene Positionen aufzugeben. Meiner Ansicht nach muss alles unternommen werden, um sie zum Weitermachen zu ermutigen. Wenn ich persönlich jungen, intelligenten Mädchen begegne, die den Mut verloren haben, unterstütze ich sie mit allen Mitteln. Compro verleiht übrigens verschiedene Stipendien an junge Mädchen, damit sie an der Universität Ben Gurion in Beer Schewa studieren können. Das Stipendium wird nach folgenden Kriterien vergeben: man muss eine Frau sephardischer Herkunft sein, die Informatik studiert und in der Region lebt.

Compro verdankt seinen Aufschwung zweifellos Leah Atad, jedoch auch dem jungen Team (Durchschnittsalter 26 Jahre), das sehr dynamisch und hochqualifiziert ist, mit dem sie sich umgeben hat. 1998 hat die Gesellschaft 100 Informatikingenieure eingestellt und erhöht dadurch die Zahl der Mitarbeiter von 200 auf 300. Im Jahr 1999 wird das Unternehmen weitere 50 Mitarbeiter rekrutieren.
Diesem Beispiel kann man nur folgen.


1998 machte L’Oréal der Recanati Business School in Tel Aviv den Vorschlag, einen Preis ins Leben zu rufen, der die Erfolge und Errungenschaften der Frauen ehren sollte, die in Israel hohe leitende Positionen in der Industrie bekleideten. Es gibt zwei Preiskategorien: mit der ersten wird eine Generaldirektorin für die aussergewöhnliche Qualität und die Originalität ihres Führungsstils ausgezeichnet, die andere würdigt die Verantwortliche einer Forschungsarbeit im Zusammenhang mit der Rolle der Frau in der Unternehmensführung. Jede Preisträgerin erhält die Summe von US$ 5'000,--.