Jerusalem und Wien
Von Roland S. Süssmann
Die Beziehungen zwischen Israel und Österreich sind natürlich nicht wirklich «normal» zu nennen, da die vom österreichischen gegen das jüdische Volk verübten Verbrechen sie doch schwer belasten. In dieser besonders harten Atmosphäre erfüllt S.E. NATHAN MERON seine schwierige Aufgabe als israelischer Botschafter mit Niederlassung in Österreich, ohne Residenz in Slowenien, der Slowakei, in Kroatien und bei den in Wien ansässigen internationalen Organisationen, mit Ausnahme der Atomkommission, bei der Israel einen eigenen Abgeordneten besitzt.
Nathan Meron wurde 1937 in Chernowicz geboren und hat die Hebräische Universität von Jerusalem mit einem Diplom in Geschichte und russischen Wissenschaften abgeschlossen; er begann seine berufliche Tätigkeit 1962 im Kabinett des Premierministers. Er wurde nacheinander nach Südafrika, London und Kopenhagen entsandt und bekleidete abwechselnd diverse Schlüsselpositionen im Aussenministerium in Jerusalem. Als routinierter Diplomat setzt er sein Know-how und seine reiche Erfahrung ein, um alle « unangenehmen » Wahrheiten auf ungeschminkte und deutliche Weise, wenn auch mit Fingerspitzen- und Feingefühl (nach Art eines Wiener Apfelstrudels) weiterzugeben. Keine einfache Aufgabe, gewiss, doch dank seiner vielfältigen Sprachkenntnisse, seines Wissens um lokale Sitten und Gebräuche, Traditionen und vor allem die Mentalität, ist Botschafter Nathan Meron genau der richtige Mann dafür.


Wie beurteilen Sie die Qualität der Beziehungen, die heute zwischen Israel und Österreich existieren, d.h. zwischen einem grundsätzlich antisemitischen Land und den Juden?

Es besteht kein Zweifel, dass unsere Beziehungen sich allmählich verbessern. Wir haben sehr unangenehme Zeiten durchgemacht, die zwar jetzt der Vergangenheit angehören, jedoch keinesfalls in Vergessenheit geraten dürfen. Unter Bruno Kreisky waren die Beziehungen nicht sehr gut, darauf folgte eine «unglückliche Zeit» mit Präsident Kurt Waldheim… Diese Erfahrung hat ein positives Ergebnis gezeigt: die Österreicher haben zaghaft damit begonnen, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Auch die Öffentlichkeit wandte sich dieser Frage mit immer stärkerem Interesse zu, und erst heute befasst sich Österreich im eigentlichen historischen Sinne kritisch mit seiner Vergangenheit. Während langen Jahren behaupteten die Österreicher, sie seien ebenfalls «Opfer» von Nazideutschland gewesen. Dies ist natürlich nicht der Fall. Österreich war nie ein Opfer wie andere Staaten, die von Hitler besetzt wurden. Diese Vorstellung, dass «Österreich das erste Opfer» gewesen sei, stellt natürlich eine Ungereimtheit dar, die gegenwärtig in Frage gestellt wird. Sie können sich demnach vorstellen, dass der israelische Botschafter in diesem Land keinen leichten Stand hat. Ich habe dies übrigens in aller Öffentlichkeit ausgesprochen und zugegeben, dass ich diesen Posten, wenn man ihn mir vor 15 Jahren angeboten hätte, schlichtweg abgelehnt hätte. Allmählich sind aber Veränderungen zu spüren, die Arbeit ist sehr interessant, vor allem weil ich auch für Slowenien, die Slowakei, Kroatien und die internationalen Organisationen in Wien zuständig bin. Bevor ich aber auf Ihre Frage betreffend die Beziehungen zwischen den beiden Ländern eingehe, möchte ich einen wichtigen Punkt hervorheben. Von 1948 bis 1949 hat Deutschland damit begonnen, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen und hat sich dabei nicht auf die Fragen der Reparationszahlungen beschränkt. Es hat demokratische Institutionen für die Analyse ins Leben gerufen, die Schoah wird in den Schulen diskutiert und gelehrt, Zehntausende von jungen Deutschen reisen nach Israel und Tausende junger Israelis besuchen Deutschland. In Österreich ist noch nichts dergleichen geschehen, man tendiert eher dazu, alles aufzuschieben und zu vertagen in der heimlichen Hoffnung, dass «sich alles schon von allein geben wird». Dramatisch ist die Tatsache, dass ein so kultiviertes Land wie Österreich, das so stark von den Juden - wenn auch nicht religiös - beeinflusst wurde, so grundsätzlich antisemitisch eingestellt ist. Es muss an dieser Stelle daran erinnert werden, dass der hier herrschende Antisemitismus nicht von Hitler eingeführt wurde, sondern sehr viel älter ist. 1972 hat eine Untersuchung ergeben, dass ca. 20 % der Bevölkerung der Ansicht waren, Österreich gehe es viel besser ohne die Juden. Dieselbe, vor kurzem erst durchgeführte Umfrage hat gezeigt, dass 14% der Österreicher immer noch derselben Überzeugung sind… Heute ist die jüdische Gemeinschaft auf eine winzige Gruppe von einigen tausend Mitgliedern zusammengeschrumpft, von denen 99% nicht Österreicher sind, sondern aus den osteuropäischen Staaten stammen. Diese Tatsache entspricht der Bevölkerung der Stadt Wien, die ein wahrer Schmelztiegel ist. Man muss sich im klaren sein, dass der Antisemitismus in diesem Land ausreichend toleriert und akzeptiert wird, so dass in der Presse immer noch antisemitische Stimmen laut werden können. Ich kann Ihnen versichern, dass bestimmte rechtsradikale österreichische Parlamentarier heute in Deutschland nicht gesetzlich wählbar wären! Um zu veranschaulichen, wie subtil dieses Vorgehen und wie tief verwurzelt es ist, möchte ich daran erinnern, dass die Presse, als 1998 ein amerikanischer Wissenschaftler namens Cohn den Nobelpreis für Chemie erhielt, mit folgenden Schlagzeilen titelte: «ein ehemaliger Österreicher erhält den Nobelpreis». Kein Wort über die Tatsache, dass dieser Mann vom Gymnasium und 1938 aus dem Land gewiesen wurde, nur weil er ein Jude war.


Wie beeinflusst dieser latente, doch allgegenwärtige Antisemitismus die israelisch-österreichischen Beziehungen ?

Der Antisemitismus stellt keine offizielle Doktrin oder Politik dar, und natürlich gibt es solide demokratische Institutionen. Wir stehen vor einigen Problemen, doch wir sehen auch einige Fortschritte. So wird die Schoah in den Schulen schrittweise gelehrt, die Lehrer werden nach Israel nach Yad Waschem geschickt, um über die Schoah unterrichten zu lernen usw. Was die Frage der Reparationszahlungen und Rückerstattungen anbelangt, bemühe ich mich den Österreichern zu erklären, dass es fünfzig Jahre nach diesen Ereignissen etwas spät ist, um diejenigen zu entschädigen, die alles verloren haben und dieses Geld bitter nötig gehabt hätten oder noch haben. Unabhängig von der verstrichenen Zeit ist Österreich verpflichtet Entschädigungszahlungen zu leisten. In dieser Hinsicht hat „man“ mir übrigens zu verstehen gegeben, dass es angesichts der Wahlen im kommenden Oktober ratsam wäre, «diese Frage vorübergehend auf Eis zu legen, da sie Antisemitismus entstehen lasse und dadurch der extremen Rechten Stimmen verschaffen könne». Es besteht kein Zweifel, dass ein Land, das sich nicht mit seiner Vergangenheit befasst, keine Zukunft hat. Dazu muss gesagt werden, dass in Wien den Juden ab 1938, 70'000 Wohneinheiten (von der kleinen Wohnung bis zur üppigen Villa) und 28'000 Unternehmen (vom bescheidenen Schuhmachergeschäft bis zum grossen Unternehmen) gestohlen wurden, ganz zu schweigen vom Aspekt der Banken und Versicherungen. In Österreich wurde alles genau aufgelistet, die wahren Besitzer sind also bekannt. Die österreichischen Behörden müssen sich mit dieser Frage auseinandersetzen und mit der Zeit wird dank bestimmter Mechanismen die Aktualisierung durchgeführt werden können. Natürlich werden diese Besitztümer nie in ihrem vollen Umfang den eigentlichen Eigentümern zurückerstattet werden, es müssen Kompromisse gefunden werden.
Was die direkten Beziehungen zwischen den beiden Ländern betrifft, muss ich betonen, dass ein fortlaufender und konstruktiver Dialog stattfindet. Der Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hat Wien einen offiziellen Besuch abgestattet und der Präsident, der Kanzler und Aussenminister Österreichs sind nach Israel gereist. Parallel zu den diplomatischen Aktivitäten hat sich auch eine sehr erfolgreiche kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit entwickelt. Die Universität von Tel Aviv verwirklicht zahlreiche gemeinsame Projekte mit der Hochschule von Wien, und die Universität Ben Gurion von Beer Schewa arbeitet aktiv mit derjenigen in Graz zusammen. Dieser direkte Dialog zwischen den Menschen ist viel wichtiger als die von den Regierungen unterzeichneten Verträge. Die individuellen, sowohl privaten als auch beruflichen Reisen zwischen beiden Ländern, die Jugendprogramme und die Tatsache, dass zahlreiche israelische Künstler in Österreich auftreten (die Wiener Volksoper zählt gegenwärtig vier israelische Solisten), sind Elemente von grösster Bedeutung, die zur Verbesserung der Beziehung zwischen Österreich und Israel beitragen. Die Handelsbeziehungen hingegen spielen sich in der Grössenordnung von je ca. vierhundert Millionen Dollar ab, was recht bescheiden ist.


Sie fungieren also als Botschafter ohne Residenz in Slowenien, der Slowakei, Kroatien und bei den in Wien ansässigen internationalen Organisationen, mit Ausnahme der Atomkommissione. Können Sie uns in wenigen Worten Ihre Beziehungen zu jeder dieser Pflicht beschreiben ?

Nach der Auflösung der Sowjetunion war Slowenien das erste Land, mit dem wir diplomatische Beziehungen aufnahmen; es ist ein kleiner Staat mit nur zwei Millionen Einwohnern, das für uns aber von grossem Interesse ist. Wir waren die allerersten, die ihnen geholfen haben, insbesondere bei der Landesverteidigung, was sie nie vergessen werden. Wir pflegen hervorragende Kontakte und haben ihnen bedeutende Mengen an Waffen verkauft. Zahlreiche Slowenen sind nach Israel gereist, und der Präsident hat schon fünf Besuche dort abgestattet. Es gibt sozusagen keine Juden mehr in Slowenien, und die paar Dutzend noch bleibenden Familien versuchen die Synagoge von Maribor zurückzuerlangen, der zweitgrössten Stadt nach der Hauptstadt Ljubljana, in der ein winziges Gemeinschaftszentrum weiterbesteht. Slowenien unterhält eine echte Botschaft in Israel, und ich suche sie ca. alle sechs Wochen einmal auf.
Was unsere Beziehungen zur Slowakei betrifft, handelt es sich um ein wichtigeres Land, da es fünf Millionen Einwohner zählt. Sofort nach der Aufteilung der Tschechoslowakei haben wir mit der Slowakei diplomatische Beziehungen aufgenommen, die sehr freundschaftlich sind und in erster Linie auf strategischen Überlegungen beruhen. Das Problem des jüdischen Erbes ist für uns von beträchtlichem Umfang. Vergessen wir nicht, dass dieses Land eine Hochburg der jüdischen Studien war, bedeutende Rabbiner wie Chatam Sofer haben hier gelebt und angesehene Talmudschulen bestanden hier. Heute existiert immer noch eine kleine Gemeinschaft mit 2500 Menschen, die in der Mehrzahl in Bratislava leben. Einige Familien wohnen in anderen Städten, in denen herrliche, zum Teil mehrere hundert Jahre alte Synagogen von grosser historischer Bedeutung sind. Auf wirtschaftlicher Ebene hat die Slowakei ein Privatisierungsprogramm in Angriff genommen, und ich denke, dass das Handelsvolumen zwischen unseren beiden Ländern durch diese immer liberalere Politik wiederum ansteigen kann. Darüber hinaus bietet die Fluggesellschaft Air Slovakia eine regelmässige Verbindung nach Tel Aviv an.
Seit anderthalb Jahren pflegen wir Beziehungen zu Kroatien, das seinerseits und trotz seiner belastenden Vergangenheit, eine Botschaft in Israel besitzt. Während des Zweiten Weltkriegs haben furchtbare Horden von Ustachis in Kroatien gewütet, sie terrorisierten die jüdische Bevölkerung und begingen ihr gegenüber die schlimmsten Verbrechen. Heute besteht noch eine kleine Gemeinschaft von 2000 Personen. Interessanterweise ist die ehemalige Synagoge von Zagreb von den Behörden vollständig wiederaufgebaut worden. Ab und zu kommt es zu antisemitischen Vorfällen, doch dank unserer diplomatischen Beziehungen können wir bei den verschiedenen Ministerien dagegen vorgehen.
Für alle diese Staaten besitzen die Beziehungen zu Israel eine ganz besondere Bedeutung. Die Gründe sind in jedem Land unterschiedlich, doch alle gehen davon aus, dass die Tatsache, dass ehemalige Staatsbürger ihres Landes in Israel leben, dabei eine gewichtige Rolle spielen.
Und was letztendlich unsere Präsenz bei den internationalen Organisationen angeht, bin ich bei der UNO akkreditiert; wie auch in Genf gibt es einige spezialisierte Agenturen - gegen Kriminalität, Drogen, Geldwäsche usw. Wir sind ebenfalls Mitglied eines wirtschaftlichen Organs, der UNIDO. Die wichtigste internationale Organisation in Wien ist jedoch zweifellos die OSCE (Organisation for Security and Cooperation in Europe), die eine sehr wichtige Funktion besitzt und der wir nicht angehören. Doch wir haben zusammen mit Ägypten, Marokko, Jordanien und Algerien eine Partnerschaft des Dialogs mit der OSCE etabliert, dem einzigen internationalen Forum, in dem diese fünf Länder vereint sind. Ich kann nicht behaupten, dass zwischen uns das perfekte Einvernehmen herrscht, doch es stellt einen bedeutenden Ort der Begegnung dar.
Abschliessend kann ich sagen, dass die Beziehungen zwischen Österreich und Israel sich sehr positiv weiterentwickeln. Es bestehen noch zahlreiche Probleme, wir stehen erst am Anfang eines langen und schwierigen Prozesses. Die ersten Ergebnisse sind jedoch vielversprechend und wir blicken den langjährigen Bemühungen, die noch vor uns liegen, zuversichtlich entgegen.