Das Jüdische Museum der Stadt Wien | |
Von Roland S. Süssmann | |
Ein jüdisches Museum stellt immer gleichzeitig ein Ereignis und einen Skandal dar. Der Reichtum, die Schönheit, die Originalität der Innen- und Aussenarchitektur sowie das Konzept der ständigen und der wechselnden Ausstellungen bewirken, dass jedes jüdische Museum zu einem bedeutenden Element des zeitgenössischen jüdischen Lebens wird. Doch jedes Museum besitzt auch eine skandalträchtige Seite, das eine spricht nicht genug von der Schoah, das andere übergeht sozusagen die Epoche vor der Zerstörung des Zweiten Tempels, ein drittes ist zu religiös oder zu wenig religiös ausgerichtet, zu konservativ oder zu modern. Jedes jüdische Museum weist somit seine Mängel auf. Wie auf allen anderen Gebieten gibt es keine Vollkommenheit, und es ist für die Planer eines neuen jüdischen Museums immer schwierig originelle Ideen zu haben, ohne der historischen Wahrheit unrecht zu tun oder die Tradition zu missachten. Das Jüdische Museum der Stadt Wien, das 1993 eröffnet und 1995 umgewandelt und völlig renoviert wurde, hat sich mehr oder weniger erfolgreich bemüht, diese Klippen zu umschiffen, indem es versucht hat, ein harmonisches Gleichgewicht zwischen den Forderungen der Geschichte, der Tradition und der modernen Museumstechnik herzustellen. Jedes Museum vermittelt eine Botschaft, dasjenige von Wien befasst sich mit den Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden in Österreich. Es beleuchtet die Geschichte und Kultur des österreichischen Judentums nicht als isoliertes Element, sondern als Bestandteil der Geschichte und Kultur Österreichs im allgemeinen und Wiens im besonderen. Dies bedeutet beispielsweise, dass der Prozess der Emanzipierung und der Anpassung des 19. Jahrhunderts und des ersten Drittels unseres Jahrhunderts in direktem Zusammenhang mit den tiefgreifenden Veränderungen dargestellt wird , welche die österreichische Gesellschaft erschüttert haben ; dadurch wird gezeigt, dass die wienerische Gesellschaft einen sehr starken jüdischen Einfluss erfahren und verarbeitet hat. Dies trifft insbesondere auf die Literatur, die Musik, die Malerei, die Bildhauerei und die Wissenschaften zu, was durch zahlreiche Beispiele betont wird. So hat z.B. Schönberg durch die Einführung der «Zwölftonmusik» nicht nur ein Meisterwerk geschaffen, sondern auch eine neue Schule des musikalischen Denkens und Schaffens begründet. Freud hingegen hat einen originellen Weg in der Praxis der Psychoanalyse aufgezeigt. Die Zusammenarbeit zwischen einem nichtjüdischen Musiker und einem jüdischen Schriftsteller hat mit Hofmannsthal und Strauss ebenfalls ein neues Kapitel in der Operngeschichte begonnen. Dies heisst noch lange nicht, dass alle jüdischen und nichtjüdischen Errungenschaften miteinander verbunden werden können. Die Entwerfer des Museums von Wien haben haben sich trotz einiger Schwierigkeiten darum bemüht, den richtigen Ton und das für ein derartiges Unterfangen erforderliche Gleichgewicht zu finden, da das oberste Ziel eines jeden jüdischen Museums darin besteht, weiterhin seine Rolle bei der Vermittlung und Übertragung von Informationen über das Judentum und die Juden zu spielen. Sie haben sich entschieden, diesen zentralen Auftrag zu erfüllen, indem sie alle Aspekte des jüdischen Lebens und die in den verschiedenen religiösen Zeremonien verwendeten Kultgegenstände darstellen, dabei die religiöse Funktion der Ausstellungsstücke mit der ästhetischen Überlegung verbinden und den Besucher, mit oder ohne Vorbildung, vor eine didaktische Aufgabe stellen. Im Erdgeschoss enthält eine riesige Vitrine die schönsten Stücke der Max Berger Kollektion. Diese Form der Ausstellung verkörpert eine echte Erneuerung bei der Art und Weise, Gegenstände der Judaika zu präsentieren. Davon ausgehend, dass die Vermittlung des Judentums nicht ausschliesslich durch die Anhäufung von Kultgegenständen, selbst aussergewöhnlicher Art, erfolgen kann, haben die Kuratoren versucht einen Weg zu finden, um verständlich zu machen, dass ein künstlerisch wertvoller jüdischer Kultgegenstand in Wirklichkeit die Verdinglichung eines religiösen Konzeptes ist und nicht nur ein Kunstobjekt darstellt. Daher erscheinen auf der Vitrine diverse Texte aus der Bibel, dem Talmud und der Liturgie, welche in gewissem Sinne die Grundlage des jüdischen Lebens ausmachen. Der Saal, in dem sich diese enorme Vitrine an der Wand befindet, ist als ganzes äusserst interessant. Er wurde nach einer Idee und von Nancy Spero eingerichtet, es handelt sich eigentlich um ein durch ein Glasdach abgedecktes Auditorium, das den Blick auf den Himmel gewährt und dessen Wände mit Objekten und reproduzierten Dokumenten geschmückt sind, die als einziges Thema die Erinnerung heraufbeschwören. In diesem Raum organisiert das Museum jährlich durchschnittlich 70 kulturelle Veranstaltungen; Konzerte, Buchpräsentationen, Symposien usw. Heute kann es jedoch kein jüdisches Museum geben, das dieses Namens würdig ist, wenn es sich nicht mit der Verfolgung der Juden im allgemeinen und der Schoah im besonderen auseinandersetzt. In Österreich ist diese Aufgabe besonders heikel und schwierig, weil man allgemein und immer noch zu unrecht davon ausgeht, dass das Land von Nazideutschland «besetzt» wurde. Das Jüdische Museum der Stadt Wien befasst sich mit diesem Thema auf zwei Ebenen: einerseits über die Sammlung von beschädigten Kultgegenständen, Briefen, Fotos und Tonmaterial, andererseits durch die Organisation von vorübergehenden Ausstellungen in direktem oder indirektem Zusammenhang mit den Judenverfolgungen und der Schoah. Dabei werden oft Themen behandelt, die den historischen Kontext, die direkten oder indirekten Folgen der Tragödien im Verlauf der jüdischen Geschichte veranschaulichen, und dies sowohl im Bereich des Privat- und Gemeinschaftslebens als auch auf künstlerischer und beruflicher Ebene. In keinem Fall möchte dieses Museum ein Museum der Schoah sein, wie es derer schon viele gibt, es strebt vielmehr nach Modernität und will sich von anderen Institutionen dieser Art unterscheiden. Es hat den Anspruch, ein lebendiges Museum zu sein, das ein aktives und dynamisches Judentum zeigt und sich nicht nur der Vergangenheit zuwendet. So ist die ständige historische Ausstellung auf sehr originelle Art aufgezogen worden, sie besteht aus 21 Hologrammen (diese moderne Technik dient dazu, die Aktualität des Judentums zu zeigen), enthält jedoch keinen einzigen realen Gegenstand. Man muss sich bewusst sein, dass keine einzige Ausstellung der Welt, kein Buch und kein Artikel die Geschichte des österreichischen Judentums je genau darstellen können. Diese ungewöhnliche Schau will einige Aspekte und Einzelheiten dieser so unglaublich reichen und dramatischen Geschichte zeigen. Mit Hilfe dieser «spirituellen» Bilder, der Hologramme, kann sich jeder die besagten Ereignisse so vor Augen führen, wie er sie empfindet. Es geht darum, durch moderne mnemotechnische Hilfsmittel eine in den Köpfen und Mentalitäten noch sehr gegenwärtige Geschichte in Erinnerung zu rufen. Jedes Hologramm enthält eine Reihe von ausgewählten Themen im Zusammenhang mit Ereignissen, welche die Geschichte der Wiener Juden besonders geprägt haben. Diese in ihrer Art einzigartige holographische Ausstellung möchte jedoch auch zeigen, dass die Juden immer die Avantgarde der modernen Zeit verkörperten und zugleich mit unterschiedlicher Intensität ihrem jahrtausendealten Erbe die Treue hielten. Das erste moderne Haus in Wien wurde beispielsweise von Juden gebaut, zahlreiche Entdeckungen, künstlerische Werke, technische Errungenschaften, spezielle Techniken (die berühmten Wertheimer Panzerschränke), ja sogar die Einführung des Sozialstaates der Regierung, sind jüdische Erfindungen und Konzepte. Auf diese Weise werden die Juden und das Judentum anders dargestellt als durch das jiddische Lied, den gefilten Fisch oder die Klezmer Musik ! Zwei Hologramme besonderer Art befinden sich etwas ausserhalb von der eigentlichen Ausstellung. Das eine zeigt Stoffbälle mit dem gelben Stern als Erinnerung an die Schoah, das andere die Flaggen Israels und Österreichs im selben Hologramm und dennoch getrennt, als Symbol für die doch recht zweideutige Situation zwischen beiden Ländern sowohl im Hinblick auf die Vergangenheit als auch auf die Affären Kreisky und Waldheim. Der konstante dynamische Schwung des jüdischen Museums der österreichischen Hauptstadt kommt nicht nur durch eine ungewöhnliche ständige Ausstellung zum Ausdruck, sondern auch durch eine Vielzahl von hier veranstalteten wechselnden Ausstellungen, die sich immer durch ihre besondere Reichhaltigkeit und Originalität auszeichnen und vor allem bemerkenswert gut dokumentiert sind. Dazu muss eine kleine Anekdote erzählt werden. 1941 hatte das Naturhistorische Museum von Wien für seine anthropologische Sammlung bei der Universität in Posen jüdische und polnische Köpfe bestellt, die sich präpariert in Gläsern befanden: 40 jüdische Köpfe und einige polnische. Die Universität Posen liess 40 Personen aus Auschwitz kommen, tötete sie an der Universität und schickte die Köpfe nach Wien. Vor der Präparierung der Köpfe fertigte die Universität ausserdem von jedem Opfer eine Totenmaske an. Die Masken und die Köpfe wurden anschliessend ins Wiener Museum gesandt. Bei dieser Gelegenheit entstand eine rein geschäftliche Korrespondenz, als ob es sich um eine normale Warenlieferung zwischen beiden Fakultäten handelte. Vor einigen Jahren entdeckte eine Studentin zufällig diese Köpfe im Naturhistorischen Museum. Sie machte einen Skandal, und die Köpfe wurden der jüdischen Gemeinde von Wien übergeben, welche sie beerdigte. Die Gemeinschaft konnte ebenfalls die Masken zurückerlangen, und das jüdische Museum der Stadt Wien organisierte zum Anlass dieser Geschichte eine befristete Ausstellung mit den Masken… Die Reaktion der Besucher kann man sich problemlos vorstellen. Zur Krönung des Ganzen waren Videokameras hinter den Totenmasken versteckt worden, um das Verhalten der Leute zu filmen, die dann nach dem Schock durch das Gesehene auch noch «die Überraschung» erlebten, sich am Ausgang der Ausstellung selbst auf dem Bildschirm zu entdecken… Diese Masken gehören heute zur ständigen Sammlung des Museums, die nicht ausgestellt wird. Im letzten Stockwerk des Gebäudes befindet sich das Depot. Bei seiner Ankunft auf dieser Etage erlebt der unvorbereitete Tourist einen wahren Schock. Er steht nämlich plötzlich vor einer beeindruckenden Menge von jüdischen Kultgegenständen, die aus der Max Berger Kollektion und der Sammlung der israelitischen Gemeinde Wiens stammen. Die Ausstellungsstücke der Gemeinde lassen sich in zwei Kategorien aufteilen: diejenigen, die aus dem ehemaligen, 1938 zwangsweise aufgelösten jüdischen Museum stammen, und den Überresten, die nach dem Krieg buchstäblich aus den noch bestehenden öffentlichen und privaten Synagogen zusammengesucht wurden (in Wien gab es zu Beginn der Shoah über hundert von ihnen). Diese Art, die Ausstellungsstücke zu zeigen, entspricht zwar einer Tendenz der modernen Museumstechnik, beeindruckt jedoch den Besucher, der das Gefühl erhält, vor einem Haufen Gegenständen zu stehen, die zur Erinnerung an eine «untergegangene Kultur» zusammengetragen wurden. Nach der ersten Überraschung ergibt eine vertiefte Beobachtung der Gegenstände, dass es sich in bezug auf Qualität und Quantität eigentlich um eine phantastische Sammlung handelt. Dazu muss man wissen, dass die meisten dieser Gegenstände bis 1993 in den Kellern der israelitischen Gemeinde einfach in Kisten eingepackt waren. 1993 lieh diese die Sammlung an das Museum aus, das in zweijähriger Arbeit eine erste Sortierung vornahm, da noch nichts registriert war. Heute konnten die meisten Gegenstände aufgelistet werden, auch wenn die Arbeit immer noch nicht abgeschlossen ist. Zum Schluss muss darauf hingewiesen werden, dass das Museum in Kürze eine Art «Zweigstelle» an einem anderen Ort in Wien eröffnen wird. Das Museum ist nämlich auf dem Judenplatz, wo eine ehemalige Synagoge aus dem 14. Jahrhundert entdeckt wurde, dabei, neben den Ausgrabungen eine ständige Ausstellung einzurichten, die sich mit dem Judentum Wiens im Mittelalter befasst. Sie berichtet ebenfalls über die Geschichte des jüdischen Lebens im Mitteleuropa jener Zeit. Da nur wenige Gegenstände zur Verfügung stehen, werden auch hier die modernen Mittel der Multimedien für die Animation der Ausstellung eingesetzt, die vor Ende des Jahres eröffnet werden soll. Das Jüdische Museum der Stadt Wien, das sich in einem alten geschützten Palais befindet, ist, wie wir sehen, ungewöhnlich und überraschend. Für jeden, der sich in Wien aufhält, gehört es zu den Sehenswürdigkeiten, die unbedingt besichtigt werden müssen. Ausserdem ist seine Buchhandlung ausgesprochen gut bestückt (SHALOM wird ebenfalls angeboten) und ein sympathisches kleines Restaurant mit schmackhafter vegetarischer Küche… erwartet Sie dort. |