Athen und Jerusalem | |
Von Roland S. Süssmann | |
Griechenland ist ein Bestandteil der Europäischen Union, was nichts an der Tatsache ändert, dass seine geografische Situation ihm eine strategische Position von höchster Bedeutung sowohl im Bereich des östlichen Mittelmeers als auch im Mittleren Osten verleiht. In Athen wurden wir von S.E. RAN CURIEL, dem israelischen Botschafter in Griechenland, sehr herzlich empfangen, und wir haben dank ihm die verschiedenen Facetten der Beziehungen zwischen den beiden Ländern entdecken können.
Auf historischer und philosophischer Ebene haben Jerusalem und Athen nichts gemeinsam, da die hellenische Kultur sich nur in wenigen Punkten mit dem Judentum überschneidet. Dennoch scheinen nicht zu unterschätzende bilaterale Beziehungen heute zwischen Israel und Griechenland zu bestehen. In welchem Sinne und in welchen Bereichen kommt dieser Austausch konkret zum Ausdruck ? Jeder Botschafter wird Ihnen sagen, dass die Beziehungen zwischen dem von ihm vertretenen Land und dem Gastland „hervorragend“ sind. Ich kann jedoch bestätigen, dass das Verhältnis unserer beiden Länder tatsächlich sehr gut ist, auch wenn ich daran erinnern muss, dass wir eine vierzigjährige kalte Phase hinter uns lassen, in der Griechenland sich offen und deutlich auf die Seite der Araber stellte. Vergessen wir nicht, dass das Land gegen den Teilungsplan gestimmt hat, der am 29. November 1947 die Schaffung des Staates Israel im Rahmen der UNO ermöglichte. Im selben Sinne war Griechenland das letzte Land Europas, mit dem wir vollständige diplomatische Beziehungen aufnahmen. Erst seit 1990, seit knapp einem Jahrzehnt, verfügen wir in Athen über eine richtige Botschaft, und seither haben sich die Beziehungen nach und nach verbessert. Dieser Umschwung ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen : die Integration Griechenlands in die Europäische Union, die Entwicklung in Europa, das Ende des Kalten Krieges sowie die Entwicklungen im Mittleren Osten. Ausserdem haben sich die früheren Prioritäten Griechenlands gewandelt und gewisse Vorstellungen, die früher aktuell waren, werden heute nicht mehr berücksichtigt. Wir befinden uns gegenwärtig in einem Klima, das der Intensivierung der Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern, die sich allmählich verbessern, günstig gestimmt ist. Trotz allem stehen wir immer noch einer Reihe von Schwierigkeiten gegenüber, die durch die 40 Jahre der „kalten Beziehungen“ entstanden sind. Sie sprechen von „verbessertem Klima“ ; wie drückt sich dies in der Realität aus ? Was uns früher enorm störte, war die sehr extreme Position der verschiedenen griechischen Regierungen in der Frage des Mittleren Ostens und der Vorfälle zwischen Israel und der arabischen Welt. Heute hat Griechenland eine viel ausgeglichenere Politik und es ist wahrzunehmen, dass die Gegebenheiten vor Ort immer besser erfasst werden. Früher war jede Form der Zusammenarbeit sogar wirtschaftlicher Art nur schwer durchzuführen. Noch vor zehn Jahren überlegte es sich ein griechischer Geschäftsmann, der mit Israel Handel treiben wollte, zweimal, bevor er zur Tat schritt. Geschäfte mit Israel zu machen galt als nicht „politisch korrekt“. Dies hat sich alles sehr verändert. Heute stellt Israel für Griechenland den ersten Exportmarkt im Mittleren Osten dar, und steht selbst an achter Stelle bei unserem Austausch mit den europäischen Ländern. Wir kaufen den Griechen für eine Summe von ca. 150 Mio. Dollar Werkzeugmaschinen, Nahrungsmittel, Textilien usw. ab, womit wir Ägypten, Saudiarabien, den Libanon oder Syrien übertreffen. Gegenwärtig gibt Griechenland seinem Willen sehr deutlich Ausdruck, gemeinsame Projekte mit Israel durchführen zu wollen. Als Nachbarn in einer Welt, die immer kleiner wird und zusammenrückt, können wir zahlreiche Projekte in allen Bereichen, sei es Kultur, Handel, Umweltschutz, Tourismus oder Militär, zusammen verwirklichen. Auf kultureller Ebene haben wir hier mehrere Veranstaltungen anlässlich des Staatsjubiläums von Israel organisiert. In Israel werden die griechische Musik und Küche von vielen Menschen geschätzt, und die griechische Botschaft in Tel Aviv hat zum fünfzigjährigen Bestehen des Staates gar diverse hochstehende Veranstaltungen durchgeführt, die sehr viel Anklang fanden. Auf kommerzieller Ebene stösst Griechenland auch bei uns auf einiges Interesse. Die Olympischen Spiele beispielsweise, die im Jahr 2004 in Griechenland stattfinden sollen, sind für die israelische Geschäftswelt von grosser Bedeutung, vor allem in den Bereichen Sicherheit und Nahrungsmittel. Aufgrund der Tragweite des Projekts, aber auch aufgrund der Nähe der beiden Länder - israelische Geschäftsleute können für einen Tag nach Athen fliegen - befindet sich die Zusammenarbeit mit Israel auf bestem Wege. Meiner Ansicht nach haben dies beide Seiten erkannt, was sich darin zeigt, dass wir in derselben Region, dem Osten des Mittelmeers, Seite an Seite arbeiten, obwohl Israel auch in anderen regionalen Zentren über Partner verfügt und Griechenland direkt mit dem Balkan verbunden ist, wo es eine wichtige Rolle spielt. Bis zur Aufhebung des Eisernen Vorhangs pflegte Israel keinerlei Beziehungen mit den Ländern dieser Region der Erde. Heute können wir Projekte ausarbeiten, bei denen wir einerseits die israelische Technologie, andererseits die Zugänglichkeit der Balkanmärkte über die Vermittlung Griechenlands einsetzen. Darin besteht eine weitere Form der israelisch-hellenischen Zusammenarbeit. Wir nimmt die arabische Welt diese veränderte Einstellung wahr ? Leider geht ein grosser Teil der arabischen Länder immer noch davon aus, dass das, „was gut für Israel ist, automatisch schlecht für die Araber ist“, mit Sicherheit eine falsche Annahme, vor allem wenn man beiderseits mitten in einem „Friedensprozess“ steht. Ich denke, sie sind nicht wirklich glücklich darüber, dass sich unsere Beziehungen zu Griechenland verbessern, und sie würden es vorziehen, zum Statu quo ante zurückzukehren. Wir hingegen sind guten Beziehungen zwischen Griechenland und den arabischen Staaten keineswegs abgeneigt, ganz im Gegenteil, wir möchten von diesen Kontakten irgendwann profitieren, um unser Verhältnis zur arabischen Welt positiver zu gestalten. Alles weist darauf hin, dass sich die israelisch-hellenischen Beziehungen auf dem besten Weg befinden. Das Abkommen zwischen Israel und der Türkei über die militärische Zusammenarbeit ist in Athen aber bestimmt nicht wohlwollend aufgenommen worden. Wie sieht es in Wirklichkeit aus ? Dazu muss gesagt werden, dass alle Länder mit gemeinsamen Grenzen zur Türkei von den Griechen mit Hilfe ihrer Beziehungen zu Ankara beobachtet werden. Was unsere Verbindungen zur Türkei betrifft, haben wir ein Abkommen über die Zusammenarbeit in den Bereichen Sicherheit und militärische Fragen abgeschlossen, ohne ein eigentliches Militärbündnis eingegangen zu sein. Israel hat übrigens keinen einzigen militärischen Pakt unterzeichnet, nicht einmal mit den Vereinigten Staaten. Die Zusammenarbeitsverträge, die wir 1996 mit der Türkei unterschrieben haben, entsprechen denjenigen, die wir zwei Jahre zuvor mit Griechenland abgeschlossen hatten. 1994 hatte der verstorbene Itzchak Rabin, der damalige Premier- und Verteidigungsminister, mit dem griechischen Verteidigungsminister eine Vereinbarung verabschiedet, die denjenigen glich, die wir im allgemeinen mit den NATO-Staaten unterzeichnen ; diese Verträge sind sehr detailliert und führen im Prinzip zu einer sehr weitreichenden Zusammenarbeit. Dieses Abkommen wurde nie wirklich umgesetzt, und dies ging nicht von uns aus. Dann haben sich 1996 unsere Beziehungen zur Türkei entwickelt. Was die Griechen in Wirklichkeit beunruhigt, ist die Tatsache, dass Israel in gewisser Weise die militärische Schlagkraft der Türkei erhöht. Ich denke jedoch, dass hier in Bezug auf die Art und die Bedeutung dieser Verträge viele falsche Informationen und Übertreibungen im Umlauf sind. Israel hat sich aufrichtig bemüht, sowohl auf politischer Ebene als auch in der Öffentlichkeit durch Erklärungen verständlich zu machen, dass die Abkommen mit der Türkei bestimmt nicht in feindlicher Absicht gegen irgendeinen anderen Staat und auf keinen Fall gegen Griechenland oder Zypern gerichtet sind. Es ist weder unser Wunsch noch in unserem Interesse, in die Zypernproblematik oder die Ägäiskonflikte hineingezogen zu werden. Griechenland muss jedoch in erster Linie verstehen, dass dieses Abkommen die bilateralen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern in keiner Weise beeinträchtigen wird. Trotz der Tatsache, dass unser Pakt mit der Türkei hier negativ beurteilt wird, stelle ich fest, dass Griechenland seine Beziehungen zu uns in allen Bereichen, auch auf dem Gebiet der Verteidigung, verbessern möchte. Die israelische Luftwaffe trainiert übrigens im griechischen Luftraum, unsere nationale Marine führt in den Hoheitsgewässern Griechenlands Übungen durch, und jedes Flugzeug, das Israel Richtung Westen verlässt, auch die Maschine unseres Premierministers, überfliegt mit dem vollsten Einverständnis der griechischen Behörden den Boden dieses Landes. Interessanterweise kann man feststellen, dass selbst im Verlauf der vergangenen zehn Jahre der „Klimaverbesserung“ kein israelischer Präsident, Premierminister oder Verteidigungsminister Griechenland einen offiziellen Besuch abgestattet hat. Warum ? Itzchak Mordechaï sollte während seiner Amtszeit als Verteidigungsminister in einem offiziellen Besuch nach Athen kommen. Leider musste seine Reise, die für den Tag geplant war, an dem die Amerikaner Irak zu bombardieren begannen, vorläufig abgesagt werden. Es wird tatsächlich höchste Zeit, dass 50 Jahre nach der Gründung des israelischen Staates diese Art von Besuchen in Griechenland stattzufinden beginnen. Es ist allgemein bekannt, dass die orthodoxe Kirche in Griechenland, die nicht unbedingt durch ihre prosemitischen Gefühle auffällt, in allen Lebensbereichen sehr präsent ist. Glauben Sie, dass sie eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung der politischen Beziehungen zwischen Israel und Griechenland spielt ? Ich denke nicht, dass die griechische Kirche einen direkten Einfluss auf die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern ausübt. Ich glaube allerdings nicht, dass man ihre Einstellung den Juden gegenüber verallgemeinern kann, obwohl ein gewisser Antisemitismus innerhalb der Kirche zum Ausdruck kommt. Jedesmal, wenn ich eine Reise ausserhalb von Athen unternehme, treffe ich mit den geistlichen Würdenträgern zusammen. Ausserdem habe ich kürzlich einem Mitglied der Kirche, das während der Schoah in Volos Juden gerettet hatte, posthum eine Medaille der Gerechten der Nationen von Yad Vaschem verliehen. Dank meiner Kontakte zu den Vertretern der griechisch-orthodoxen Kirche kann ich sagen, dass in diesen Kreisen ein gutes Verständnis für die tiefe Beziehung vorhanden ist, die zwischen dem jüdischen Volk, dem Staat und dem Land Israel existiert. Aufgrund ihrer gründlichen Kenntnis des Alten Testaments sind sie vom Recht der Juden auf das Land Israel zutiefst überzeugt. Dazu kommen zwei weitere wichtige Elemente : wir pflegen ausgezeichnete Kontakte zum orthodoxen Patriarchen in Jerusalem, und der grösste Teil des griechischen Fremdenverkehrs nach Israel besteht aus orthodoxen Pilgern, die in Jerusalem die heiligen Stätten aufsuchen. Ein alter Leitsatz besagt, dass ein israelischer Botschafter zwar seinen Staat in einem anderen Land vertritt, dass er aber auch in gewissem Sinne „der Botschafter des jüdischen Staates bei der jüdischen Gemeinschaft“ ist. Wie sehen Ihre Beziehungen zur Gemeinschaft in Griechenland aus ? Es handelt sich um eine sehr kleine Gemeinde von ca. 5’000 Menschen, die bemerkenswert gut organisiert und strukturiert ist und Israel sehr herzlich gegenübersteht. Wir pflegen ausgezeichnete Beziehungen und arbeiten in den Bereichen zusammen, in denen es sich als notwendig erweist. An dieser Stelle möchte ich jedoch betonen, dass die griechische Regierung seit zwei oder drei Jahren grosse Anstrengungen unternimmt, um die jüdische Präsenz und den Beitrag der Juden zur Geschichte und zum Aufschwung Griechenlands gebührende Anerkennung zukommen zu lassen. Die Schoah wird oft als abschreckendes Beispiel zitiert, um den Fremdenhass zu bekämpfen und die Menschenrechte zu unterstützen. Darüber hinaus hat das Aussenministerium vor kurzem ein hervorragendes Buch herausgegeben, das den Titel „Documents on The History of the Greek Jews“ trägt. Man muss sich bewusst sein, dass die Einstellung uns gegenüber sich gegenwärtig sehr stark verändert. Früher wurden die Juden nur am Rande oder gar nicht erwähnt. Heute hat sich eine gewisse Anerkennung entwickelt, so dass die jüdische Präsenz in Griechenland, die seit dem 3. Jahrhundert vor unserer Zeitzählung existiert, allmählich integriert und Teil der griechischen Realität wird - was einem bedeutenden Schritt nach vorn gleichkommt. Es handelt sich um einen langwierigen Prozess, der noch in den Anfängen steht. |