Grundsätze und Realpolitik
Von Roland S. Süssmann
Die erste Amtsperiode von Benjamin Netanyahu wurde vorzeitig beendet. Obwohl man das Gegenteil annehmen könnte, stellt der Sturz seiner Regierung keinen Sieg für die Linke dar, sondern ging eigentlich von der Rechten aus. Die Anhänger des nationalistischen Lagers in Israel haben zu recht oder unrecht befunden, dass Benjamin Netanyahu das Memorandum von Wye River Plantation nicht habe unterzeichnen dürfen. Einmal mehr steht Israel vor einer entscheidenden Wahl, deren Ausgang sich nicht nur auf die unmittelbare Zeit danach auswirken, sondern die Zukunft des jüdischen Staates bestimmen wird.
Um die jüngste Vergangenheit und die Zukunftsperspektiven zu durchleuchten, haben wir ein Exklusivgespräch mit dem Ministerpräsidenten von Israel, S.E. BENJAMIN NETANYAHU, geführt. Im Laufe einer herzlichen, aber auch offenen und gründlichen Diskussion wurden die grossen Probleme der Gegenwart angeschnitten, und wir freuen uns, dieses Gespräch hier in seinen grossen Zügen zu veröffentlichen.

Welches ist in Ihren Augen die bedeutendste Errungenschaft Ihrer Amtszeit ?

Wir haben in verschiedenen Bereichen zufriedenstellende Lösungen gefunden, doch unser grösster Erfolg ist natürlich auf politischem Gebiet angesiedelt. Wir haben die schreckliche Fehlentwicklung des Osloer Prozesses, die in den zweieinhalb Jahren nach der pompösen Unterzeichnung am 13. September 1993 vor dem Weissen Haus stattgefunden hat, aufhalten können. Während der Jahre, in denen die Regierung der Arbeitspartei an der Macht stand, wurde Israel von der schlimmsten und tödlichsten Welle von Terrorismus heimgesucht, die der jüdische Staat je erlebt hat. Sie war von noch nie dagewesener Brutalität, da 231 Menschen getötet und Hunderte verletzt wurden. Für die Bevölkerung war diese Situation mit dem Konzept des «Friedensprozesses» nicht mehr zu vereinbaren. Seither ist es mir gelungen, das Gefühl von Sicherheit in Israel wieder entstehen zu lassen, weil ich den Terrorismus auf ganz andere Art bekämpft habe. Die Regierung der Arbeitspartei sprach sich für eine Fortführung und Förderung des Friedensprozesses trotz der Terroranschläge aus. Wir hingegen haben den Palästinensern zu verstehen gegeben, dass sich die Israelis erst dann aus den Gebieten zurückziehen, wenn sie ihre Verpflichtungen einhalten (die sie vor der Unterzeichnung der Osloer Abkommen gegenüber dem verstorbenen Itzchak Rabin eingegangen waren …) und ihre Verantwortung wahrnehmen, d.h. den Terrorismus aktiv bekämpfen. Auf diese Weise haben wir den grundlegenden und so wichtigen Begriff der Gegenseitigkeit eingeführt. Dies bedeutet in einfachen Worten, dass beide Parteien durch die Abkommen gehalten sind, ihren Verpflichtungen nachzukommen, und dass wir in Zukunft die unsrigen nur dann einhalten, wenn die Palästinenser die ihrigen respektieren. Die gesamte Atmosphäre und die Einstellung während der Verhandlungen wurden somit vollkommen verändert. Zur Veranschaulichung meiner Worte möchte ich als Beispiel das Haus des Orients in Jerusalem anführen. Alle Regierungen Israels, seien sie links- oder rechtsstehend, sind sich darüber einig, dass Jerusalem die vereinigte Hauptstadt Israels ist und bleiben muss und unter ausschliessliche israelische Hoheit gestellt zu sein hat. Bestimmt erinnern Sie sich aber noch daran, wie das Haus des Orients zur Zeit der Arbeitsregierung die Rolle eines «Aussenministeriums» der palästinensischen Behörde einnahm. Jeder hochrangige Diplomat, der vom israelischen Aussenminister empfangen wurde, glaubte ein Gleichgewicht herstellen zu müssen, indem er sich auch in das «Aussenministerium der palästinensischen Behörde zu Faisal Husseini begab», der seine Büros im Haus des Orients eingerichtet hatte. Dies war selbstverständlicher und normaler Bestandteil jedes offiziellen Besuchs. So haben über 80 Begegnungen stattgefunden, und die Aussenminister von Frankreich, Grossbritannien und anderer Länder haben dieses merkwürdige Prozedere mitgespielt. Ich habe in dieser Angelegenheit auf ganz einfache Weise Position bezogen, indem ich verkündete, dass jeder, der dem Haus des Orients einen offiziellen Besuch abstattete, weder von mir noch von einem anderen Minister meiner Regierung empfangen werde. Die Gepflogenheit der offiziellen Besuche der palästinensischen Behörde in Jerusalem wurden von einem Tag auf den anderen eingestellt. Das Haus des Orients existiert immer noch, aber heute wird es nur als privates Wohnhaus genutzt.

Es trifft zu, dass Sie die terroristische Aktivität in Israel beträchtlich reduziert haben, doch eines der grossen Themen Ihres Wahlkampfes 1996 war doch auch die direkte und unmittelbare Verfolgung der arabischen Terroristen im Innern der Zonen, die unter der Kontrolle der PLO stehen. Es weist aber alles darauf hin, dass derartige Eingriffe nie stattgefunden haben. Wie sieht die Wirklichkeit aus ?

Es wird Ihnen einleuchten, dass wir diese Aktionen nicht unbedingt an die grosse Glocke hängen. Ich kann Ihnen dazu nur sagen, dass diese Art der Verfolgung tatsächlich durchgeführt wurde und sich darüber hinaus auch als extrem effizient und erfolgreich erwies. Wie ich bereits sagte, wurde im grossen und ganzen das Gefühl der Sicherheit im Land wieder hergestellt ; es kommt zwar noch zu Vorfällen, doch wir haben keine grossen Terrorangriffe mehr erlebt, wie sie vor meinem Amtsantritt stattfanden.

Im Bereich des Terrorismus haben Sie soweit beträchtliche Fortschritte erzielt. Welche Ergebnisse konnten Sie jedoch auf rein politischer Ebene verzeichnen ?

Die Osloer Abkommen sind keine guten Verträge, doch in unserer Eigenschaft als demokratische Regierung fühlen wir uns durch Vereinbarungen gebunden, die von unseren Vorgängern unterzeichnet wurden. Solange diese Abkommen keine vernichtende oder entscheidende Gefahr für den Staat Israel verkörpern, werden wir sie weiterhin respektieren, falls die andere Partei ihren Verpflichtungen nachkommt, was der berühmten Gegenseitigkeitsklausel entspricht. Auf politischer Ebene muss ich hervorheben, dass ich dem unglaublichen Ausmass der israelischen Rückzüge aus den Gebieten Einhalt geboten habe. Die Palästinenser behaupten, dass ihnen im Rahmen der Osloer Abkommen versprochen wurde, dass sich am Ende der Übergangsphase 90% (!) der Gebiete wieder in ihrer Hand befinden würden, noch bevor überhaupt mit den Verhandlungen über den endgültigen Status begonnen wird. Wie Sie wissen, liegt die Fläche des Gebiets, über das wir zu verhandeln bereit sind, deutlich unter diesem Prozentsatz. In den Osloer Abkommen wurde nämlich die Fläche des Gebiets, das unter palästinensische Hoheit gelangen sollte, absolut nicht festgelegt, es steht uns daher frei, diesen Punkt ganz nach unserem Gutdünken zu diskutieren. Im Moment haben wir erst 2% des Landes übergeben, das sich hundertprozentig unter israelischer Kontrolle befand (Zone C), und 7% des Gebiets, das gemeinsam verwaltet wurde (Übergang von Zone B zu Zone A). Es stimmt, dass wir gemäss dem in Wye unterzeichneten Memorandum verpflichtet sind, weitere 11% der Gebiete abzutreten, von denen 3% zu einem Naturreservat gemacht werden sollen. Wir beharren aber auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit und aus diesem Grund wurde der Abzug aus den Gebieten eingestellt. Wir sind nämlich der Ansicht, dass die Palästinenser ihren Teil der Abmachungen nicht einhalten und ihren Verpflichtungen nicht nachkommen.

Was heisst dies nun konkret ?

Die Palästinenser haben es abgelehnt, aktiv gegen die terroristischen Organisationen und ihre Infrastrukturen vorzugehen. Es wurde nichts unternommen, um terroristische Gruppen wie Hamas oder den islamischen Dschihad zu entwaffnen und aufzulösen. Seit Jahresbeginn wurden über 60 Terroristen aus den palästinensischen Gefängnissen entlassen, einige von ihnen hatten gar an Angriffen teilgenommen, in deren Verlauf Israelis und Amerikaner ermordet wurden. Laut den Abkommen von Wye sollten die Palästinenser alle im Besitz von Zivilpersonen befindlichen illegalen Waffen beschlagnahmen, doch ein konkretes Durchgreifen dieser Art hat nie stattgefunden. Tausende von Waffen und entsprechende Munition ist in den Zonen unter palästinensischer Kontrolle frei im Umlauf, ganz zu schweigen von den bedeutenden Mengen, die in diesen Zonen illegal hergestellt oder hereingeschmuggelt werden. Sogar die palästinensischen Streitkräfte besitzen Waffen, die ihnen von allen unterzeichneten Abkommen verboten wurden, darunter vor allem Mörser, Minen und Granatwerfer. Die palästinensische Behörde weigert sich, diese Waffen bei ihren Leuten zu konfiszieren. Ausserdem haben sich die Palästinenser gemäss den Abkommen von Wye verpflichtet, ihre Polizei auf den von den Osloer Abkommen vorgesehenen Bestand zu reduzieren, d.h. auf ein Maximum von 30’000 Mann, und Israel eine Liste mit allen beschäftigten Personen auszuhändigen (was nie geschehen ist). Heute gibt die palästinensische Behörde zu, 40’000 Polizisten zu beschäftigen, von denen 12 von Israel gesuchte Terroristen sind, die zum Teil direkt an der Ermordung von Israelis und Amerikanern beteiligt waren. Die Liste der Vorwürfe ist sehr lang, und dabei spreche ich noch nicht einmal von der beständigen Anstachelung zur Gewalt gegen Israel und auch nicht von der Organisation aggressiver Veranstaltungen gegen die israelische Armee und israelische Zivilisten ; dazu kommt eine Propaganda der allgemeinen Feindseligkeit, die ebenfalls eine andere Form der Missachtung der Abkommen darstellt. Wir werden mit Aktivitäten konfrontiert, welche ganz offensichtlich gegen die unterzeichneten Vereinbarungen verstossen.

Sie erwähnen die Tatsache, dass die palästinensische Behörde die Abkommen von Wye nicht einhält. Seit der Unterzeichnung der Abkommen über Hebron, insbesondere desjenigen über Sicherheitsfragen, fanden unzählige Verstösse seitens der Palästinenser statt, wie z.B. die Zahl der Waffen, die sich im Besitz der palästinensischen Polizei befinden, und der Maschinengewehrtyp, der von den Sicherheitsdiensten von Jibril Rajoub verwendet wird, wie beispielsweise die PK-3 und die MPK-5. Warum haben Sie es für richtig und nützlich erachtet, nach Wye zu reisen, um einen neuen Vertrag mit Arafat zu unterschreiben, obwohl er die anderen mit Israel unterzeichneten Verträge nie respektiert hat ?

Das trifft zu, doch nach der Evakuierung von Hebron im Januar 1997 haben wir keinen Millimeter der Gebiete abgetreten, immer noch auf der Grundlage des berühmten Gegenseitigkeitsprinzips. In Wye wollte ich ein Abkommen erlangen, in dem zum allerersten Mal der Grundsatz der Gegenseitigkeit vollständig mit der Anwendung des Vertrags verbunden ist. Der im Abkommen von Wye vorgesehene Plan, der jeden Schritt festlegt, erweist sich als sehr klar und hat sich bereits bewährt. In den vier Wochen nach seiner Unterzeichnung hätten die Palästinenser bestimmte Auflagen erfüllen sollen. Sie haben es nicht getan, und ich habe sofort den Befehl gegeben, den Rückzug aus israelischem Gebiet einzustellen.

Glauben Sie, dass die Abkommen von Wye den Friedensprozess beschleunigt haben ?

Wir sind nach Wye gereist, weil wir dem Grundsatz der Gegenseitigkeit eine konkrete Form verleihen wollten, und die Amerikaner haben uns davon überzeugt, dass wir diesen Wunsch bei dieser Gelegenheit verwirklichen könnten. Man muss sich im klaren sein, dass die Floskel «den Friedensprozess beschleunigen» für Israel im allgemeinen nichts anderes bedeutet, als dass es sich aus noch mehr Gebieten zurückzuziehen hat. Ich habe persönlich den Gedanken an zukünftige Abtretungen von israelischem Land nur unter der Bedingung akzeptiert, dass die Palästinenser ihre sämtlichen Verpflichtungen einhalten. Sollte unsere Einstellung anlässlich der Unterzeichnung der Abkommen von Hebron aus unerfindlichen Gründen nicht eindeutig gewesen sein, haben wir sie nun im Memorandum von Wye deutlich dargelegt und verankert. Es stimmt, dass der Grundsatz der Gegenseitigkeit in den Abkommen vor Hebron trotz allem nur ungenau definiert worden war. Einerseits gab es die Engagements der Israelis, andererseits die Pflichten der Palästinenser, doch die direkte Abhängigkeit dieser beiden Aspekte voneinander war nicht eindeutig festgehalten worden. In Wye ist es uns nun gelungen, diese gegenseitige Übereinstimmung ein für allemal festzulegen , und gegenwärtig überprüfen wir, wie diese Bestimmungen konkret umgesetzt werden können.


Wenn man davon ausgeht, dass das in Wye eingeführte System wirklich funktioniert, stellen diese Vereinbarungen in erster Linie eine Grundlage für endgültige Verhandlungen dar. Wie wird Ihrer Ansicht nach der Vertrag über die definitive Regelung aussehen?

Wir hoffen in der Tat, in endgültigen Verhandlungen mit den Palästinensern eine langfristige beständige Regelung zu erreichen. Im Grunde macht dies das wahre Ziel des Friedens aus. In diesem Abkommen sollen schliesslich die Fläche und das Wesen der palästinensischen Verwaltungsform, die endgültigen Grenzen unseres Landes, die Zukunft der jüdischen Gemeinschaften in Judäa, Samaria und Gaza, die Kontrolle über Wasser und Luftraum sowie die verschiedenen Aspekte der für uns lebenswichtigen strategischen Zonen festgelegt werden. Ich weiss nicht, wie diese Verhandlungen ausgehen werden, die sich als extrem kompliziert ankündigen, aber ich kann bereits heute sagen, dass wir die absolute Kontrolle über die Sicherheit an allen Passierstellen und Grenzübergängen der palästinensischen Organisationsform behalten werden, sowohl auf dem Land, auf den Brücken, den Flughäfen, in den Hoheitsgewässern und im Hafen von Gaza, wenn er erbaut wird. Es steht ausser Frage, dass wir, wen dies nicht der Fall ist, nicht werden verhindern können, dass z.B. in einer einzigen Nacht 20’000 Mann und 500 Panzer importiert werden und unserer Grenze entlang aufgestellt werden. Es ist alles möglich !

Sie schneiden das Thema der Stellung der jüdischen Dörfer und Städte in Judäa-Samaria und Gaza an. Denken Sie, dass Sie letztendlich gezwungen sein werden, einige dieser Ortschaften zu evakuieren ?

Es ist nie ratsam, Verhandlungen oder Diskussionen im voraus in der Presse und nicht mit dem direkten Gesprächspartner, in diesem Fall den Palästinensern zu führen. Ich kann nur soviel sagen, dass ich nicht die Absicht habe, irgendeine jüdische Siedlung in Judäa-Samaria oder Gaza aufzugeben, und sei sie noch so klein. In meinen Augen stellt jede Forderung dieser Art, ganz egal, von wem sie ausgesprochen wird, den Versuch dar, bestimmte Regionen Israels «judenrein» (gemäss dem Nazi-Ausdruck) zu machen. Diese Absichten sind selbstverständlich absolut undenkbar, unabhängig von jeder Überlegung betreffend die Souveränität in der besagten Zone.


Verwenden Sie, wenn Sie von einer «palästinensischen Verwaltungsform» sprechen, nicht einen Euphemismus für «Palästinenserstaat» ?

Es ist, wie ich bereits sagte, noch viel zu früh, um in irgendeiner Form die Verhandlungen über einen endgültigen Status vorwegzunehmen. Man darf dabei allerdings die Gefahren nicht unterschätzen, welche die Schaffung eines palästinensischen Staates in Bezug auf die solide Situation in Jordanien heraufbeschwören würde, vor allem, wenn er an das haschemitische Reich angrenzen würde.

Sie erwähnen die Verhandlungen über einen endgültigen Status. Kann Ihrer Ansicht nach über Jerusalem immer noch verhandelt werden oder wurde dieser Punkt definitiv von der Liste gestrichen ?

Ob es uns gefällt oder nicht, wir sind durch die Osloer Abkommen gebunden, und dort wird Jerusalem als ein Punkt aufgeführt, über den verhandelt werden muss. Wir werden selbstverständlich keine territoriale Diskussion in Bezug auf Jerusalem zulassen. Was die Lage und die Fläche der Stadt angeht, kann über Jerusalem nicht verhandelt werden. Es gibt jedoch noch weitere Aspekte, über die wir sprechen können. Ich denke dabei insbesondere an die Frage des freien Zugangs zu den heiligen Stätten, der ausschliesslich und erstmals unter israelischer Herrschaft existiert hat. Auch gewisse Fragen in Bezug auf die Stadtverwaltung und die Administration könnten im Rahmen von Vereinbarungen mit den Palästinensern geklärt werden, wie beispielsweise der Tempelberg, der vom Wakf (religiöse islamische Behörde) verwaltet wird und viel Freiheit und Macht geniesst…, ein wenig zu viel in den Augen einiger Israelis. Auch darüber könnte verhandelt werden. Es kommt jedoch keinesfalls in Frage, die Unversehrtheit der Stadt Jerusalem in ihrer Eigenschaft als unteilbare Hauptstadt des Staates Israel anzutasten.

Können Sie uns einige Worte über die Verhandlungen mit Syrien und über die Situation im Libanon sagen ?

Die Situation in Bezug auf Syrien ist letztendlich recht unkompliziert. Ich habe immer gesagt, dass ich bereit wäre, ohne vorherige Bedingungen mit Syrien zu verhandeln. Obwohl die Gespräche mit der Regierung meiner Vorgänger sehr weit gediehen waren, ist noch nichts unterzeichnet und keinerlei Abkommen beschlossen worden. Auch wenn sich meine Regierung durch die Osloer Abkommen gebunden fühlt, ist dies in Bezug auf Syrien nicht der Fall, es steht noch alles offen. Was den Libanon anbetrifft, möchte ich daran erinnern, dass wir uns bereit erklärt haben, der Resolution Nr. 425 der UNO beizutreten und uns aus diesem Land zurückzuziehen, in dem wir nie zu bleiben beabsichtigten. Um unsere Streitkräfte zurückzurufen, ist es natürlich notwendig, dass der Teil der Resolution, der sich mit der Sicherheit befasst, angewendet werden kann. Wir sind jedoch der Ansicht, dass dies nur dann der Fall ist, wenn die libanesische Regierung ihre Armee in den südlichen Teil des Libanon entsendet, wenn die Streitkräfte des Hisbollah aus dieser Region abgezogen werden und wenn der Libanon seine Verantwortung wahrnimmt und seine Grenzen bewacht, damit keine feindlichen Gruppen mehr von seinem südlichen Gebiet aus Richtung Galiläa und anderer Regionen Israels aktiv werden können. Darüber hinaus wollen wir uns vergewissern, dass die Sicherheit unserer Alliierten, die weiterhin im Libanon leben werden, in jeder Hinsicht garantiert wird. Wir befinden uns in der absurden Situation, dass Israel sich aus einem arabischen Land zurückziehen möchte, aber dabei auf die Weigerung Syriens zur Zusammenarbeit stösst, sobald über die praktischen Modalitäten verhandelt werden muss, welche diesen Rückzug ermöglichen sollen. Vergessen wir nicht, dass der Libanon nicht über die nötige Unabhängigkeit verfügt, die es ihm erlauben würde, ernsthaft mit Israel zu verhandeln. Man muss sich im klaren sein, dass Syrien davon ausgeht, dass der Preis, den Israel für den Rückzug aus dem Libanon zu zahlen hat, aus dem Verzicht auf die Golanhöhen besteht. Diese Bedingung kann natürlich nicht akzeptiert werden.

Es gibt zahlreiche Faktoren, die im Mittleren Osten zur unsicheren Lage und mangelnden Stabilität beitragen. Sehr viel Unsicherheit bewirkt die Entwicklung der militärischen Kapazität, oft unter Einschluss von Atomwaffen, des Iraks, vor allem aber des Irans. Was unternehmen Sie, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken ?

Wir versuchen die westlichen Länder davon zu überzeugen, dass sich jede Hilfeleistung an den Iran und jede Unterstützung dieses Landes bei seinem Versuch, sich nukleare Waffen zu beschaffen, vor allem durch die Lieferung von Missiles, sich letztendlich nicht nur gegen Israel, sondern auch gegen Europa und später gegen die USA auswirken werden. Vergessen wir nicht, dass die Iraner bald in der Lage sein werden, sogar Wien mit ihren Raketen anzugreifen. Wir versuchen, dies Russland und den europäischen Ländern klar zu machen ; wir haben die amerikanische Regierung gebeten, diese Länder dahingehend zu beeinflussen, dass sie ihre Unterstützung für den Iran einstellen. Man darf sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bedrohung sehr real ist. Die grösste Gefahr droht natürlich immer noch durch die konventionellen Waffen. Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, welche Auswirkung ein massiver Raketenangriff seitens des Irans oder des Iraks auf Israel hätte, wenn er gleichzeitig mit einer Offensive von feindlichen Landtruppen aus den Gebieten erfolgte, die unter der Kontrolle der palästinensischen Behörde stehen. Die Sicherheit von Israel wird dadurch direkt bedroht. Viele Menschen denken, dass die palästinensische Behörde in Wirklichkeit keine ernsthafte Gefahr für Israel darstellen kann. Ein gemeinsamer Angriff, wie ich soeben beschrieben habe, und die Möglichkeit einer palästinensischen Staatsform, militärische Abkommen mit Ländern wie Iran, Irak oder Syrien abzuschliessen, zusammen mit der Tatsache, dass diese Staatsform eventuell massenhaft Waffen erhalten könnte, dürfen keinesfalls heruntergespielt werden. Heute verfügt die palästinensische Behörde über eine Armee von fast 50’000 Mann. Die Erweiterung auf 100'000 stellt dann kein Problem mehr dar. Selbst wenn die Palästinenser nicht dieselbe Art von Waffen besitzen wie wir, können sie aufgrund der geringen Distanz sowohl in der Bevölkerung als auch bei unseren militärischen Einrichtungen und in unserer zivilen Infrastruktur enormen Schaden anrichten. Aus diesen Gründen bin ich gegen die Idee, dass ein Palästinenserstaat geschaffen wird, der eine bedeutende Armee mit schwerer Bewaffnung, auch nur konventioneller Art, bilden und sich mit Ländern zusammenschliessen könnte, welche die Zerstörung Israels anstreben, wie z.B. der Iran, Irak, Syrien, Sudan und Libyen. Ausserdem würde dieser Staat eine lebensgefährliche Bedrohung für Israel verkörpern, falls er unsere Wasserreserven und unseren Luftraum kontrollieren sollte. Wenn sich die palästinensische Staatsform aber darauf beschränken würde, eine Behörde zu sein, welche das tägliche Leben ihrer Mitglieder verwaltet, ohne Zugang zu allen von mir oben beschriebenen Elementen zu haben, könnte Israel problemlos mit diesem Gebilde an seiner Seite leben. Die Arbeitspartei denkt, dass ein palästinensischer Staat mit unbeschränkter Entscheidungsmacht, der 90% der Gebiete kontrolliert, enstehen muss. Ein solcher Staat, der darüber hinaus eine gemeinsame Grenze mit Jordanien aufwiese, würde zu zahlreichen Konsequenzen im geopolitischen Leben in dieser Region führen. Ich werde nicht zulassen, dass ein solcher Staat ins Leben gerufen wird.


Die Fragen in bezug auf die Aussenpolitik und die Diplomatie sind zwar wichtig, doch was den Bürger und durch ihn den Wähler in erster Linie interessiert, ist die wirtschaftliche Situation. Doch die Arbeitslosigkeit ist hoch und die allgemeine Situation scheint nicht vielversprechend zu sein. Wie sieht denn die Wirklichkeit aus ?

Wie Sie wissen, habe ich ein riesiges Defizit geerbt und habe grosse Budgetkürzungen eingeführt, da wir den Gürtel um zehn Milliarden Schekalim (ca. 2,5 Milliarden Dollar) enger schnallen mussten! Diese Art von Massnahmen führt in der Regel zu einem momentanen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Ich denke jedoch nicht, dass diese Zahlen die tatsächliche Wirtschaftslage des Landes widerspiegeln, denn es handelt sich eher um eine soziale Frage als um eine wirtschaftliche. Vergessen wir nicht, dass wir 154’000 Arbeitslose zählen und gleichzeitig 300’000 ausländische Arbeitnehmer nach Israel kommen. Wenn alle arbeitslosen Israelis in der Lage oder bereit wären, die Arbeit der ausländischen Arbeitnehmer zu übernehmen, sähe die Situation ganz anders aus. Wir hoffen, die Arbeitslosigkeit reduzieren zu können, indem wir den Wirtschaftsaufschwung anregen und die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer durch restriktivere Zulassungsbestimmungen einschränken. Für ein demokratisches Land ist es aber technisch und gesetzlich unmöglich, ausländische Arbeiter in grossen Mengen auszuweisen. Denken wir dabei, dass es Menschen gibt, die aus bestimmten Nachbarländern schwimmend nach Eilat gelangen, um bei uns arbeiten zu können. Ich muss betonen, dass sich unter den 300’000 Ausländern 120’000 Palästinenser befinden, denen wir Arbeit verschaffen, obwohl wir selber 154’000 Arbeitslose haben ! Ich weiss, dass die Opposition im Wahljahr das Problem der Arbeitslosigkeit gern ausschlachtet, doch dies ist in allen Staaten, der sich um sein wirtschaftliches Gleichgewicht bemüht, der schwache Punkt.

Sie haben den wirtschaftlichen Aufschwung erwähnt. Wie sieht es mit den ausländischen Investitionen aus ?

1997 war ein extrem positives Jahr, 1998 verzeichnete einen leichten Rückgang. Doch in der Wirtschaftswelt und auf höchstem Niveau werden unsere Reformen gutgeheissen und geschätzt. Ich weiss sehr wohl, dass diese Überlegungen für den Durchschnittswähler unwichtig scheinen mögen, doch langfristig sind es diese Massnahmen, die Israel an die weltweite Spitze der Volkswirtschaften stellen werden, ganz zu schweigen von den technologischen Fähigkeiten unserer Hightech-Gesellschaften.

Abschliessend können wir festhalten, dass Benjamin Netanyahu seit dem Beginn seiner Wahlkampagne 1996 konsequent mit sich selber gewesen ist. Er hat immer gesagt, dass er die Osloer Abkommen respektieren würde, dass er alles in seiner Macht Stehende unternehmen würde, um die negativen Folgen einzudämmen, und dass er auf dem Grundsatz der Gegenseitigkeit bestehen würde. Er hat wahrscheinlich enttäuscht, weil er tatsächlich gemäss seinen Worten gehandelt hat… Dennoch kann konstatiert werden, dass nach der ersten Amtsperiode Netanyahus neben Gefühl der Sicherheit auch der Eindruck eines besseren Zusammenhalts zwischen den verschiedenen Gruppen der israelischen Gesellschaft vorherrscht. Für Israel und das gesamte jüdische Volk ist die Bilanz der Tätigkeit Benjamin Netanyahus im Verlauf der vergangenen drei Jahre also positiv.