Tzachi Hanegbi | |
Von Roland S. Süssmann | |
Im Rahmen unserer Serie über junge Führungskräfte in Israel sind wir S.E. TZACHI (Itzchak) HANEGBI begegnet, seit November 1996 im Amt des Justizministers, vormals Gesundheitsminister. Dieser Sohn der berühmten "Passionaria" Geulah Cohen wurde 1957 geboren und ist heute verheiratet und Vater von drei Kindern. Tzachi Hanegbi, ehemaliger Kommando-Fallschirmspringer, der ebenfalls ein Diplom der Hebräischen Universität von Jerusalem in Internationalen Beziehungen und Recht besitzt, blickt trotz seines jungen Alters bereits auf eine intensive politische Karriere zurück. Einige Kommentatoren sehen in ihm bereits einen möglichen künftigen Ministerpräsidenten.
Als ich einigen Freunden anvertraute, ich würde Tzachi Hanegbi interviewen, waren sich alle in ihrer Reaktion einig: "Der Tzachi von heute ist reifer geworden...". Tatsächlich, Tzachi Hanegbi besass den Ruf eines Enfant terrible auf der politischen Bühne Israels, und zahlreiche wahre, falsche oder legendäre Anekdoten über sein "ungebärdiges" Verhalten befinden sich im Umlauf. Wir wurden jedoch von einem sichtlich "gereiften" Minister, der seine Aufgabe sehr ernst nimmt, in seinem Büro in Jerusalem empfangen.
Können Sie Ihre Einstellung zum sogenannten "Friedens"-Prozess, der gegenwärtig verwirklicht wird, in wenigen Worten umreissen ? Wir stehen in einer heiklen Verhandlungsphase. Im Januar 1998 beschloss die Regierung Netanyahu, die Friedensverhandlungen mit den Palästinensern fortzusetzen und einen Rückzug aus Judäa-Samaria unter der Bedingung zu akzeptieren, dass die palästinensische Vertragspartei alle eingegangenen Verpflichtungen einhält und die Gegenseitigkeit respektiert. Denn durch diesen Stein des Anstosses waren die Verhandlungen blockiert worden. Sie sprechen von "Gegenseitigkeit". Scheint es Ihnen in Ihrer Eigenschaft als Justizminister normal zu sein, dass Terroristen, die in Israel jüdische Frauen und Kinder umgebracht haben, in den von Arafat verwalteten Zonen auf freiem Fuss herumspazieren und oft gar über militärische Grade und Ehren verfügen? Wir haben sechsunddreißig Gesuche ausgestellt, damit bestimmte Verdächtige von den palästinensischen Behörde der israelischen Justiz ausgeliefert werden. Die meisten von ihnen sind brutale Mörder, die Entsetzliches begangen und insgesamt das Leben von mehr als hundertfünfzig Israelis auf dem Gewissen haben. Bis heute haben wir keinerlei Reaktion auf diese Gesuche erhalten. Meiner Ansicht nach ist es unmoralisch und schlicht unmöglich, einen derartigen Verstoss gegen die Abkommen zu akzeptieren, vor allem weil es sich um einen der wichtigsten Paragraphen handelt. Ich lehne meinerseits jede Vereinbarung mit den Palästinensern ab, wenn von ihrer Seite kein eindeutiges und unwiderrufliches Engagement vorliegt, ihre Unterschrift zu diesem bestimmten Punkt zu respektieren. Ich weiss jedoch, dass Benjamin Netanyahu den amerikanischen Vermittlern deutlich zu verstehen gegeben hat, wie wichtig dieser Punkt für Israel ist. Er hat versucht, in dieser Frage die Unterstützung der USA zu erhalten, doch ich weiss nicht, ob dies im palästinensischen Lager bereits Wirkung gezeigt hat. Eines steht fest: für uns verkörpern diese Forderungen den zentralen Aspekt dieser Abkommen. Es steht ausser Frage, dass einer der Unterzeichner eines Abkommens, dessen Ziel die Entstehung eines echten und dauerhaften Friedens zwischen zwei Gemeinschaften ist, es zulässt, dass Mörder in seinem Verantwortungsbereich bei ihm Zuflucht finden, in den Genuss einer umfassenden Immunität gelangen und in gewissen Fällen sogar für ihre terroristische Tätigkeit belohnt werden. Die gegenwärtig laufende Verhandlung bezieht sich in Wahrheit nur auf den zweiten Rückzug. Wir sehen Sie die endgültige Situation? Gemäss den Osloer Abkommen umfasst der Rückzug drei Phasen. Die erste wurde von der Regierung Netanyahu beschlossen und bisher nicht verwirklicht, weil die Palästinenser sich mit dem Anteil an Gebieten, die wir an sie abzutreten gewillt waren, nicht einverstanden erklärten und sie ablehnten. Über die zweite wird gegenwärtig verhandelt, und es sollte eine dritte Phase des Rückzugs geben. Nach Abschluss dieser drei Etappen und in der Annahme, dass alle erfolgreich abgeschlossen werden konnten, nehmen wir die entscheidenden Gespräche in Angriff, die allgemein "endgültige Vereinbarungen" genannt werden und bis Mai 1999 beendet werden sollten. Wie Sie wissen, ist unsere Regierung eine pluralistische, die sich aus verschiedenen politischen Gruppierungen zusammensetzt, von denen jede ihr Programm besitzt, wobei die einen nationalistischer ausgerichtet sind, die anderen etwas weniger, so dass ich mich an dieser Stelle nicht zum Regierungssprecher aufschwingen möchte. Es ist daher schwer, schon heute zu sagen, in welcher Weise wir diese letzte Verhandlung führen werden. Zu einem Punkt kann ich bereits meine ganz persönliche Meinung äussern. Ich denke, dass Jerusalem nicht Gegenstand der Verhandlungen sein wird, und ich lehne das Konzept ab, das den Osloer Abkommen zugrundeliegt und besagt, dass "über alles verhandelt werden kann". In Bezug auf Jerusalem gibt es nichts zu verhandeln. Welche Einstellung hätten Sie, wenn Ihre Regierung trotzdem damit einverstanden wäre, über Jerusalem zu verhandeln? Ich würde solche Pläne natürlich zu vereiteln versuchen, aber ein Rücktritt käme für mich absolut nicht in Frage. Ganz im Gegenteil, ich würde von innen her weiterkämpfen, um meine Kollegen von der Richtigkeit meiner Ideen zu überzeugen, damit diese anerkannt und durchgesetzt werden können. Man muss sich klar machen, dass die kommenden Jahre von entscheidender Bedeutung sein werden, da Israel eine Reihe von strategischen Entscheidungen wird treffen müssen, welche für die künftigen Generationen vieles festlegen werden, wie z.B. die Landesgrenzen, die Sicherheitsbestimmungen und die endgültige Art des Friedens. "Damit die Juden das Recht erwerben, in Frieden in ihrem eigenen Land leben zu dürfen, müssen sie ihren ärgsten Feinden einen Teil des Gebiets ihre Vorväter abtreten." Wie erklären Sie sich, dass dieses Konzept von weiten Kreisen sowohl weltweit als auch in Israel selbst akzeptiert wird? Leider ist ca. die Hälfte des jüdischen Volkes davon überzeugt, dass dies der einzige Weg ist, den Frieden zu erhalten. In Israel ist der grösste Teil der Bevölkerung durch 50 Jahre des Überlebenskampfes und 50 Jahre des Blutvergiessens und des Terrorismus erschöpft. Dazu kommen 50 Jahre, in denen die zionistische Erziehung und eine Erziehung, welche uns die Rechtmässigkeit unserer Rechte und Forderungen beigebracht hätte, praktisch nicht existierten. Darüber hinaus haben wir lange Jahre ohne eigentlichen Leadership verbracht. Heute beschäftigt sich die Mehrheit der Bevölkerung mit Werten und Anliegen, die sich von denjenigen der Generation total unterscheiden, die sich für die mühselige Verwirklichung der zionistischen Revolution und den Aufbau eines Staates aus dem Nichts, auf der Asche der Shoa in diesem Land eingesetzt haben. Dies ist eine der Haupterklärungen dafür, weswegen die Leute den Gedanken akzeptieren können, das ihnen zustehende Territorium aufzugeben. Diese Auffassung der Dinge ist der Mentalität der Araber völlig fremd. Sie sind keineswegs müde, im Gegenteil, sie fühlen sich stark und sind bereit, in der Überzeugung Allah an ihrer Seite zu haben, für eine Idee in den Tod zu gehen. Die grosse Mehrzahl von ihnen ist von religiösem Fanatismus und Fundamentalismus erfüllt. Sie sind davon überzeugt, dass sie in jedem Fall letztendlich im Paradies landen werden, wo siebzig Jungfrauen auf sie warten. Der Konflikt beruht auf völlig gegensätzlichen Grundlagen. Ich denke nicht, dass eine der beiden Gemeinschaften in der näheren Zukunft ihre Denkweise oder Einstellung verändern wird. Ist dies nicht eine etwas pessimistische Darstellung der Dinge, welche die Zukunft im Grunde ganz in Schwarz malt? In der Geschichte gab es Präzedenzfälle, in denen gewisse Länder ihre Gebiete mit dem Ziel abtraten, einen wohlüberlegten und realistischen Kompromiss für beide Parteien zu finden. Ich kann meinerseits eine einzige rationale, und selbstverständlich subjektive, Analyse ins Auge fassen, die auf folgender Überlegung beruht: ich denke, dass die Tatsache, seinem Feind Gebiete abzutreten, diesen dazu ermuntert, sein Endziel zu erreichen zu versuchen... Wie ich Ihnen aber bereits gesagt habe, vertritt in Israel eine grosse Mehrheit, d.h. fast 50%, die Meinung, der einzige Weg, den natürlichen Wunsch nach dauerndem Frieden zu befriedigen, liege in der Abtretung von Territorium. Man muss sich bewusst sein, dass das Schlagwort "Gebiete für den Frieden" keine Formel ist, die von einer Randgruppe oder von Extremisten erfunden wurde. Es handelt sich um die Devise, die heute von der gesamten politischen Klasse, darunter auch vom Likud, vertreten wird. Kann man sagen, dass es sich hierbei um eine grundlegende Veränderung in der Ideologie des Likud handelt? Die ursprüngliche Ideologie wurde in Wahrheit 1977 von Menachem Begin aufgegeben. Die Abkommen von Camp David beruhen vollständig und allein auf dem Schlagwort "Gebiete für den Frieden". Seit über zwanzig Jahren wird das Lager der Nationalisten bereits von dieser Sachlage traumatisiert und ist seither einfach dieser Linie gefolgt. Vor kurzem haben Sie eine Rundreise durch die jüdischen Gebiete in Judäa und Samaria unternommen. Wieviel Land kann Israel Ihrer Ansicht nach noch an die Araber abgeben, ohne dass das Leben der jüdischen Bevölkerung in diesen Regionen gefährdet ist? In diesem Punkt bin ich sehr optimistisch. Wenn man nämlich diese Regionen besucht und feststellt, dass über 150 000 Juden glücklich in den Siedlungen leben, die sich trotz aller Widrigkeiten in vollem Aufschwung befinden, begreift man, dass diese Realität geschaffen wurde, um ewig zu dauern. Es steht in der Macht von niemandem, die Bewohner dieser Gebiete umzusiedeln. Ich denke nicht, dass die Entwicklung der jüdischen Präsenz in Judäa und Samaria von einem Friedensprozess aufgehalten werden kann. Die Entschlossenheit der Menschen, die heute dieses Land bewohnen, ist unerschütterlich. Ausserdem kommt ihnen während der Amtszeit der nationalistischen Regierung die Unterstützung der Führungsschicht zugute. Vergessen wir nicht, dass diese Leute täglich unsere Jugendträume in die Wirklichkeit umsetzen. Ich erinnere mich daran, dass die Besiedlung von Judäa-Samaria in den Jahren bis 1977, da wir in der Opposition waren, illegal war. Wir träumten von einer Regierung, für welche die Besiedlung dieser Regionen kein Verbrechen mehr darstellen würde. Wir unternahmen unerlaubte Siedlungsaktionen und wurden von der Polizei und der Armee verjagt und auf Lastwagen weggeschafft. Dies gehört seit langem der Vergangenheit an. Zum Glück sieht die Situation heute ganz anders aus und macht uns daher umso mehr Mut. Aufgrund der Entschlossenheit und des Willens der Einwohner dieser Regionen und ihrer politischen Anführer glaube ich nicht, dass der Friedensprozess an einen Punkt gelangen könnte, wo das Leben der jüdischen Siedler von Judäa und Samaria in Gefahr schwebte. Die letzte Frage betrifft direkt Ihr Ministerium. Zum Anlass des Staatsjubiläums war die Rede davon, gewissen Verbrechern zumindest teilweise Amnestie zu gewähren. Was ist aus diesem Plan geworden? Er wurde aufgegeben. Die Initiative, die einen allgemeinen Straferlass für alle Kriminellen verlangte, wurde von der Knesset abgelehnt. Es besteht jedoch heute eine Tendenz dazu, den Verurteilten, die über zwei Drittel ihrer Strafe im Gefängnis abgesessen haben, öfter als früher zu verzeihen. Meiner Ansicht nach schafft dies ein richtiges Verhältnis zwischen den Forderungen der öffentlichen Sicherheit und bestimmten menschenrechtlichen Aspekten. |