Jüdische Teppiche
Von Philip Vann *
Die islamischen Teppiche, die christlichen Wandbehänge und buddhistischen Läufer sind berühmt und geniessen weltweites Ansehen. Doch wie steht es um die jüdischen Teppiche? Nur wenige interessieren sich dafür, obwohl es darunter auch sehr alte Exemplare gibt. Anton Felton, Autor des ersten Buches, das je zu diesem Thema verfasst wurde - "Jewish Carpets, Antique Collectors Club", Woodbridge - ist über die positiven Reaktionen sehr überrascht, auf die er jedesmal trifft, wenn er das Thema anschneidet. Überall dort, wo er Vorträge hält, sei es im Skirlball Museum von Los Angeles oder im Jüdischen Museum von London, erfährt er vom Publikum immer wieder das eine: "Wir entdecken eine neue Welt!"
Seit er 1962 den ersten jüdischen Teppich sah, der die Begegnung des Königs Salomon mit der Königin von Saba darstellte (Kashan, Iran, Ende 1850), begeistert sich Anton Felton für diesen Bereich und setzt sich dafür ein, die phantastische Welt des jüdischen Teppichs bekannt zu machen. "Das Studium jüdischer Teppiche führt uns weit zurück in die Geschichte, bis in die präjüdische Epoche gar." Anton Felton denkt dabei an ein Fragment einer gewobenen Matte, die höchstwahrscheinlich 7000 Jahre vor unserer Zeitrechnung entstanden ist und sich im Israel Museum in Jerusalem befindet. Dieses aus grauer Urzeit überlieferte Stück gleicht merkwürdigerweise einigen Webarbeiten aus unserer Zeit, vor allem den Teppichen, die von den äthiopischen Juden hergestellt werden, aber auch den Wandbehängen, die in Amerika für die Ausschmückung von Synagogen gewoben wurden. In seinem Buch behauptet und beweist Anton Felton, dass es eine sehr alte jüdische Teppichtradition gibt, die über 4000 Jahre alt ist. Aus Ur, der Heimat Abrahams stammende sumerische Tafeln erzählen, dass zahlreiche Familien vom Handel mit Wolle lebten und dass die meisten Haushalte einen Webstuhl besassen.
Im Exodus erhält Moses vom Allmächtigen den Befehl, die Stiftshütte zu erbauen, dieses riesige, flexible Zelt, in dem die Gesetzestafeln aufbewahrt wurden. "Du sollst einen Vorhang machen aus blauem und rotem Purpur, Scharlach und gezwirnter feiner Leinwand und sollst Cherubim einweben in kunstreicher Arbeit" (Exodus XXVI, 31-33). Anton Felton betont die Tatsache, dass das hebräische Wort "Yeria" immer falsch mit "Tuch, Vorhang oder Behang" übersetzt oder interpretiert wird, obwohl es sich um einen Teppich, eine Matte oder einen Zeltschmuck handelt.
Im Mittleren Osten verkörperten Teppiche seit jeher eine Form des Reichtums, der leicht versteckt und transportiert werden konnte, was sich anlässlich des Exils der jüdisch-iranischen Familien noch bestätigt hat. Die jüdisch-iranische Gemeinschaft von Los Angeles zählt heute ca. 30'000 Mitglieder, die sich in der Regel nur sehr ungern zu alten Kunstgegenständen der Familie äussern, insbesondere zu alten jüdischen Perserteppichen von erstklassiger Qualität, die sie beim Verlassen des Irans mitnehmen konnten. In seinem Werk stellt der Autor einen herrlichen Perserteppich vor, der zum Bedecken einer Sefer Torah diente und mit 810'000 Knoten pro m2 vollständig von Hand geknüpft wurde.
Vor ca. dreissig Jahren "verliebte" sich Felton in den berühmten Teppich mit der Darstellung der Begegnung zwischen dem König Salomon und der Königin von Saba, da er zu jener Zeit halbtags für einen bedeutenden Händler von Perserteppichen in London arbeitete. Diese Arbeit machte ihn aber auch sehr neugierig. Er hatte eine hauptsächlich weltlich ausgerichtete Erziehung und Ausbildung genossen und war fasziniert von diesem Teppich mit biblischen Motiven, den er um jeden Preis zu erwerben beschloss. Er traf eine Vereinbarung mit seinem Chef, der sich einverstanden erklärte, ihm dieses kleine Meisterwerk unter der Bedingung zu verkaufen, dass er weitere drei Jahre für ihn zu einem Hungerlohn arbeiten würde, "von dem er knapp sein Leben fristen konnte". Neben seiner Arbeit begann er nach Informationen über die Geschichte und die Tradition der jüdischen Teppiche zu forschen, indem er alle Händler ausfragte, denen er begegnete. In den meisten Fällen gingen diese kaum ernsthaft auf seine Fragen ein und legten nur Verachtung an den Tag. Doch Felton liess sich nicht entmutigen, denn er war Überzeugt, dass es eine reiche Tradition des jüdischen Teppichs geben musste, die es wert war genau untersucht zu werden. Damit begannen nicht nur langwierige und schwierige Nachforschungen, sondern auch das Suchen nach und das Sammeln von Büchern, Dokumenten und Zeugenberichten zu diesem Thema.
Das Werk "König Salomon und die Königin von Saba" verkörpert den typischen jüdischen Teppich. Er soll nämlich an die allgegenwärtige Präsenz G'ttes auch in den unerwartetsten Momenten erinnern. Die reine Geometrie, die mit klaren und abstrakten Formen im allgemeinen auf den Perserteppichen zu finden ist, wurde durch eine asymetrische und figürliche Darstellung ersetzt, wobei der traditionelle Rand des islamischen Teppichs und die grosse Fläche im Innern beibehalten werden. Es ist möglich, dass dieser Teppich als "Parochet" (Vorhang für die Heilige Lade) diente. Seine Erfinder und Hersteller haben wahrscheinlich das übliche islamische Grundmuster gewählt, in das sie einfach jüdische Symbole integrierten.
Die jüdische Teppichtradition ist mit keiner anderen Sitte verbunden. Sie existiert zum Selbstzweck, wobei sie sich von den Kulturen ihres Entstehungsortes und der Umgebung inspirieren und bereichern lässt. Anton Felton ist der Ansicht, dieser Brauch reiche über einen Umweg im islamisierten Mittleren Osten bis ins alte Babylonien zurück. Diese Überzeugung bekräftigt er, indem er sich auf die Schriften von Maimonides bezieht, der in den Jahren 1176-77 über die Schönheit der im muslimischen Spanien, in Nordafrika und in Palästina errichteten Synagogen berichtete. Ihr Glanz beruhte auf der Reinheit und Zartheit der Teppiche, die sie schmückten. In "Jewish Carpets" behandelt der Autor die Renaissance des jüdischen Teppichs im Osmanischen Reich, nachdem 1492 die aus Spanien vertriebenen Juden dort eintrafen, sowie das eigentliche "Goldene Zeitalter" des jüdischen Perserteppichs im 19. Jahrhundert. Es wird ein Foto des ältesten noch existierenden jüdischen Teppichs gezeigt, ein etwas faserig und brüchig gewordenes Stück spanischer Herkunft aus dem 14. oder gar einem früheren Jahrhundert, das mit dem Motiv einer Heiligen Lade einer Synagoge geschmückt ist.
Von den Hunderten jüdischen Teppichen, mit denen sich Felton im Verlauf seiner langwierigen Nachforschungen befasst hat, gefällt ihm ein aus Padua stammender Läufer aus dem 16. Jahrhundert zweifellos am besten. Bis zu seiner Entdeckung vor nicht allzulanger Zeit moderte das aussergewöhnliche Stück unerkannt in der kleinen Synagoge von Padua in Italien vor sich hin. Nach Aussage des Autors ist dieser Teppich von traditioneller Machart, vereint jedoch eine Mischung von drei bis vier sehr unterschiedlichen Einflüssen. Der ornamentale Rand ist mit dem Muster eines Mamelucken-Teppichs versehen, der zentrale Rahmen wirkt islamisch-osmanisch, die zentrale Menorah ist eindeutig europäisch und ausserdem trägt er auch die hebräische Inschrift eines Verses aus den Psalmen.
Felton sagt mit Vorliebe, dass die jüdichen Teppiche für ihn "eine echte kulturelle Chronik darstellen". Einige der Stücke, denen die Sammler am eifrigsten nachspüren, kommen vom Atelier Marbadiah in Jerusalem und von der berühmten, 1906 von Boris Schatz in Jerusalem gegründeten Kunstakademie Bezalel (heute die prestigereichste und bedeutendste Kunstakademie Israels, die überall auf der Welt höchstes Ansehen geniesst). Die "Schatz-Teppiche" wurden von jüdischen Philanthropen in Deutschland finanziert und von hochqualifizierten persischen Juden gewoben, die sich in Jerusalem niedergelassen hatten. Unter diesen begabten Webern befanden sich auch kleine, zehnjährige Mädchen. Trotz der angespannten politischen Situation und sehr schweren Lebensbedingungen in Palästina schafft es Bezalel, in den Jahren 1908-1912 eine bestimmte Anzahl von herrlichen Teppichen herzustellen.
Mit der Hilfe eines Kollegen ist es Felton gelungen, die technischen Skizzen wiederzufinden, die bei der Schaffung des berühmten Teppiches "Das Hohe Lied" in den Jahren 1920-21 im Marbadiah-Atelier verwendet wurden. Der Besuch, den er Yaakov Kantorowitz, der Witwe des Entwerfers dieser Teppiche, abstattete, hat bestimmt die Rettung dieser Pläne vor der sicheren Vernichtung ermöglicht. Interessanterweise lässt sich feststellen, dass jedes Kästchen im Stil eines Mosaiks die Knoten darstellte, die von den Teppichknüpfern gemacht werden sollten. Eine Palme dominiert das Zentrum des Teppiches, auf dem an das Paradies erinnernde Wesen der Fauna und Flora vorkommen. Trotz seiner starken Intensität strahlt dieses Werk auch eine zarte Zurückhaltung aus. Der äussere Rand besteht aus einer hebräischen Inschrift, die ein Zitat aus dem Hohen Lied darstellt (II,12-13) und den ganzen lyrischen Charakter dieses kleinen Meisterwerks hervorhebt: "Die Blumen sind aufgegangen im Lande, der Lenz ist herbeigekommen, und die Turteltaube lässt sich hören in unserm Lande. Der Feigenbaum hat Knoten gewonnen, und die Reben duften mit ihren Blüten..."

Es ist höchste Zeit, dass ein so vielfältiges und faszinierendes Gebiet wie die versteckte und fast unbekannte Tradition der jüdischen Teppichkunst das Interesse erhält, das es verdient.

* Philip Vann ist Kunstkritiker und Schriftsteller in England.